Autor: Dreamy Girl

 

Versonnen blickte Peter auf die schneebedeckte Straße und seufzte leise.
In den Fenstern der gegenüberliegenden Häusern flackerte der Schein der Weihnachtskerzen und auch die Straßen erstrahlten im hellen Licht. Fast glaubte er, das fröhliche Lachen der Kinder zu hören, wie sie vor dem Weihnachtsbaum saßen und ihre Geschenke öffneten. Wehmut trat in seine Augen und die Einsamkeit ergriff noch heftiger Besitz von ihm, als sie es sowieso schon tat.

Als er noch Polizist war, fanden seine Kollegen und er sich oft bei ihm zu Hause ein und feierten mit ihm gemeinsam Weihnachten. Es war eine schöne Zeit gewesen und sie fehlte ihm mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Doch dieses Jahr war alles anders. Kermit, Jody und Skalany hatten andere Pläne und waren nicht in der Stadt.

Traurig wandte er sich ab und sah sich um. Er wohnte nun hier in der Wohnung seines Vaters, doch Peter vermisste sein warmes behagliches Appartement. Er konnte sich nicht wirklich mit dieser Art zu leben anfreunden.

Seit Vater war nun schon lange fort und der junge Shaolin fühlte sich manchmal sehr allein. Doch jetzt, an den Weihnachtstagen, war es besonders schlimm, obwohl sein Vater das Fest nie in dem Maße feierte, wie es die Meisten taten. Aber er war nun mal die einzige Familie, die er hatte und in seiner Nähe fühlte er sich geborgen. Tränen traten in seine Augen und er schluckte schwer.

Ein verhaltenes Klopfen an der Tür ließ ihn aufschrecken. Seufzend stand er auf und öffnete.

"Hallo Mom", rief er überrascht und zog Annie sanft an sich.

"Bist du etwa alleine? Was machst du denn zu so später Stunde noch hier? Das ist viel zu gefährlich."

"Keine Sorge, Peter. Ich bin mit dem Taxi hergekommen und der kurze Weg bis zu dieser Wohnung hinauf ist mir durchaus noch vertraut."

Annie lächelte, während ihre Hand suchend über sein Gesicht glitt und erstaunt inne hielt. "Tränen Peter?"

Hastig trocknete der junge Mann seine Tränen und nahm zärtlich die Hand seiner Mutter.

"Es ist nichts, Mom, keine Bange", versuchte er auszuweichen, aber Annie kannte ihn viel zu gut, um ihn nicht zu durchschauen.

Sie zog ihre dunkle Brille ab und es machte den Anschein, als könne sie in seine Augen sehen. "Ich verstehe deine Traurigkeit, Peter. Es ist dein erstes Weihnachten ohne deinen Vater seit du ihn wiedergefunden hast."

Sie räusperte sich leise und auch in ihren Augen schimmerten die Tränen. "Ich weiß wie du dich fühlst, mein Junge. Mein erstes Weihnachten ohne Paul war auch furchtbar."

Erschrocken blickte Peter auf und nahm sie in den Arm. "Entschuldige Mom, daran habe ich ehrlich gesagt gar nicht gedacht", schämte er sich.

"Schon gut Peter."

Zärtlich strich sie erneut über sein Gesicht und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

"Ich bin dieses Weihnachten genauso alleine wie du. Carolyn ist mit ihrem Mann und Stevie auf dem Weg nach Paris. Das war sein Hochzeitstagsgeschenk. Sie wollte eigentlich nicht fliegen, aber ich konnte nicht zulassen, dass sie für mich darauf verzichtet. Ich weiß ja, wie sehr sie sich das schon immer gewünscht hat."

Peter betrachtete sie nachdenklich. Auch wenn sie so tat, als sei es nicht wichtig, spürte er doch intensiv ihre überspielte Enttäuschung. "Und was ist mit Kelly?", fragte er vorsichtig.

"Kelly? Das arme Kind ist irgendwo mit Freunden in den Bergen auf einer Hütte eingeschneit. Sie wollte gestern wiederkommen, aber sie rief mich an, dass sie es nicht schaffen könne."

Annie holte tief Luft und zuckte mit den Schultern. "Also, wie du siehst bleiben nur noch wir beide übrig. Würde es dich sehr stören, Weihnachten alleine mit deiner armen alten blinden Mutter zu verbringen?", lächelte sie.

Peter lachte auf und drückte sie herzlich an sich. "Na ich werde es überleben, denke ich."

Er küsste sie auf die Stirn und sah sie forschend an.

"Warum hast du mir keine Nachricht geschickt, anstatt bei dieser Kälte und Dunkelheit hier her zu kommen?"

"Ich hatte Angst, du würdest vielleicht nicht kommen", flüsterte sie zögernd.

Fassungslos blickte Peter sie an. "Wie kommst du denn darauf? Ich wäre doch auf jeden Fall zu euch gekommen, wie jedes Jahr, Mom."

Annie schüttelte ihren Kopf. "Verstehe mich bitte nicht falsch, aber seit du deinen Vater wiedergefunden hast, bist du nur noch sehr selten bei uns gewesen und seit Paul fort ist, kommst du fast gar nicht mehr. Ich hatte Angst...na ja, ich dachte, du hättest mich vielleicht vergessen."

Peter spürte wie sich sein Magen umdrehte und eine Welle der Schuldgefühle erfasste ihn. Entsetzt wurde ihm mit einem Mal klar, dass Annie Recht hatte mit dem, was sie ihm vorwarf.

Er war die letzten Jahre einfach nur glücklich seinen Vater wiederzuhaben, das ließ ihn vielleicht tatsächlich vorübergehend vergessen, dass es noch andere Menschen außer seinem Vater gab, die ihm nahe standen.

"Es tut mir leid, Mom, das habe ich nicht mit Absicht getan. Es ist mir irgendwie gar nicht bewusst gewesen, dass ich euch damit verletze. Kannst du mir verzeihen?"

Annie sah ihn mit einem gütigen Lächeln an.

"Peter, du bist mein Sohn und wirst es auch immer bleiben. Auch wenn ich nicht deine leibliche Mutter bin, liebe ich dich mit jeder Faser meines Herzens und ich vermisse dich."

Der junge Shaolin schluckte schwer und er fühlte einen Stich in seinem Herzen, als er ihren traurigen Gesichtsausdruck sah. Heftiger als beabsichtigt zog er sie an sich und schluchzte leise.

"Ich liebe dich doch auch, Mom, mehr, als ich mit Worten ausdrücken kann."

Aufseufzend strich sie behutsam über sein Haar.

"Ich bin so glücklich das zu hören, Peter. Ich hatte große Angst, dich zu verlieren, weißt du?"

"Du wirst mich niemals verlieren, Mom. Das verspreche ich dir", erwiderte Peter mit belegter Stimme. Er fühlte sich furchtbar und drückte sie fest an seine Brust.

"Dann lass uns jetzt nach Hause fahren, in Ordnung?"

Der junge Shaolin lachte leise und nahm sie liebevoll bei der Hand.

"Ja, lass uns nach Hause fahren."

*****

Die Fahrt war ungemütlich, denn die Straßen waren verschneit und ein heftiger Wind drängte Peters Wagen, von dem er sich trotz allem nicht trennen konnte, fast von der Straße.

Wie eine Ewigkeit erschien es ihm, als sie endlich das Haus erreichten und er das Auto parkte. Schnell eilte er um sein Fahrzeug herum und half seiner Mutter beim Aussteigen.

"Du hast wirklich schön geschmückt Mom, wie hast du das alles alleine geschafft?", wunderte er sich.

Irritiert hob Annie ihren Kopf. "Ich habe nichts geschmückt, Peter. Das wollte ich gemeinsam mit dir machen."

Peter zog scharf die Luft ein und sah sich um. "Warte hier, Mom. Ich will erst nachsehen, was das zu bedeuten hat."

Langsam näherte er sich dem Haus und vorsichtig griff er den Türknauf, um ihn umzudrehen. Plötzlich wurde die Tür von innen aufgerissen und Kelly stand strahlend vor ihm.

"Frohe Weihnachten, großer Bruder!", rief sie und fiel dem völlig erstaunten Priester um den Hals.

"Kelly! Was machst du denn hier? Mom sagte du seiest eingeschneit?"

"Ja, war ich auch, aber viele hilfreiche Hände schafften es dann doch uns freizuschaufeln", lachte sie.

"Kelly?", erklang Annies verwunderte Stimme.

"Frohe Weihnachten, Mom."

Stürmisch begrüßte sie ihre Mutter und führte sie hinein.

"Als ich ankam, war alles so dunkel hier. Da dachte ich, ich fange einfach schon mal mit der Dekoration an."

"Das war sehr lieb von dir, mein Schatz. Ich freue mich ja so, dass du auch hier bist", seufzte Annie erleichtert.

"Ich habe uns etwas zu essen gemacht. Setzt euch schon einmal hin", forderte Kelly sie auf.

Peter sah sich um und plötzlich tauchten all die Erinnerungen auf, die er schon vergessen geglaubt hatte.

Paul rief sie alle in das Wohnzimmer und als sie es betraten, empfing sie ein imposanter Weihnachtsbaum, der in hellem Licht erstrahlte. Weihnachtsmusik erklang und viele Geschenke lagen unter dem Baum verteilt. Annie stand lächelnd neben Paul und streckte ihre Arme nach den Kindern aus. Es war einfach wunderschön...

Peter spürte noch immer, wie ungewohnt es für ihn war, auf diese Art und Weise Weihnachten zu feiern, aber er nicht lange brauchte, um es zu lieben. Die Jahre im Waisenhaus waren furchtbar gewesen, denn dort gab es weder Liebe noch Geborgenheit. Fast die Hälfte seines Lebens hatte er hier bei Paul und Annie gelebt und sich immer geliebt und behütet gefühlt. Wie konnte er das nur alles vergessen? Beschämt fuhr er mit den Händen über seine Augen und holte tief Luft.

Ein lautes Gerumpel am Eingang schreckte ihn auf und ließ ihn neugierig die Tür öffnen. Carolyn und ihre Familie stand vor ihm und strahlte ihn fröhlich an.

"Wie jetzt? Ich dachte, ihr seid in Paris?", meinte Peter leicht verdutzt.

"Tja, das hatten wir auch geplant, aber der Flug wurde gestrichen wegen zu starkem Schneefall und Sturm. Also sind wir gleich wieder zurück gekommen", erwiderte Carolyn und ging an Peter vorbei ins Wohnzimmer.

Ihr Mann und ihr kleiner Sohn folgten ihr und begrüßten Annie herzlich.

"Oh wie schön, dann wird es ja doch noch ein richtiges Weihnachten", freute diese sich.

Peter lächelte vor sich hin. <So etwas nenne ich doch höhere Fügung>

"Bist du mein Onkel Peter?", erklang plötzlich eine zaghafte Stimme.

Der junge Shaolin zuckte leicht zusammen und ging vor Carolyn Sohn in die Knie. Er wusste nicht so recht, was er antworten sollte, als diese klaren blauen Augen ihn fragend ansahen. <Onkel Peter>, wie fremd das klang.

"Natürlich ist er dein Onkel, nur warst du noch fast ein Baby, als du ihn das letzte Mal gesehen hast, Stevie", erklärte Carolyn mit leisem Vorwurf in der Stimme.

"Hallo Stevie", lächelte Peter den kleinen Knirps an, hob ihn behutsam hoch und trug ihn ins Wohnzimmer zu den Anderen. Schuldig blickte er sich um und seufzte leise. Er war schon so lange nicht mehr hier gewesen, dass selbst sein Neffe ihn nicht mehr erkannte.

Der junge Shaolin spürte, wie Tränen in seine Augen traten und er senkte verlegen den Blick. Carolyn trat auf ihn zu und legte zärtlich eine Hand auf sein Gesicht.

"Peter, du bist unser Bruder, du bist der Onkel meines Sohnes und wir möchten weiterhin an deinem Leben teilhaben, auch wenn Dad nicht mehr da ist."

Annie und Kelly gesellten sich zu ihnen, und Stevie strahlte Peter fröhlich an.

Der junge Shaolin holte tief Luft und nahm alle zärtlich in die Arme. Er hatte eine richtige Familie, er war nicht alleine. Sie befand sich die ganze Zeit direkt vor seinen Augen, das wurde ihm schlagartig bewusst. Wie konnte er nur so blind sein?

Er liebte seinen Vater und er vermisste ihn schmerzlich, ebenso fehlte ihm Paul furchtbar. Doch diese Menschen hier waren ein wichtiger Teil in seinem Leben und würden es immer sein. Das hatte er für kurze Zeit einfach vergessen.

"Auch wenn Paul und dein Vater nicht da sind. Wir sind hier und wir lieben dich auch. Wir sind eine Familie", flüsterte Annie, als habe sie seine Gedanken lesen können.

"Es tut mir so leid, ich weiß nicht was ich sagen soll...", stammelte Peter hilflos. Er fühlte sich vollkommen überwältigt von dem, was er empfand. Wohltuende Wärme breitete sich in seinem Innern aus und wie schon lange nicht mehr, fühlte er Liebe und Geborgenheit.

"Sag nichts, mein Junge. Wir wissen schon, was du meinst. Lass uns einfach Weihnachten feiern - im Kreise der Familie."

Peter lächelte glücklich und drückte Annie einen Kuss auf die Stirn. Endlich wich die Einsamkeit aus seinem Herzen und er atmete befreit auf.

"Ich liebe euch. Frohe Weihnachten!"

Ende

 

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