Autor: Kira
 

Dunkelheit legt sich über mein Loft. Die wenigen Kerzen, die noch brannten, habe ich gelöscht. Ich benötige sie nicht, um mich zurecht zu finden.

Ein kalter Luftzug erinnert mich daran, daß es Zeit wird, die Tür zur Terrasse zu schließen. Noch ein letztes Mal für heute trete ich hinaus und lasse die klare Nacht auf mich wirken. Funkelnde Sterne begleiten mit ihrem Schein kleine Schneeflocken, die sanft zur Erde fallen. Mein Atem verwandelt sich sofort in einen Hauch von Nebel und schwebt schwerelos davon.

Ich schließe meine Augen und spüre eine angenehme Müdigkeit, die sich durch meinen Körper zieht. Ein Gefühl von Wohlbefinden, wie ich es schon seit sehr langer Zeit nicht mehr wahrgenommen habe, breitet sich in mir aus.

Meine Gedanken wandern und mit einem Mal wird mir bewußt, daß Tränen meine Wange benetzen. Ich kann nicht verhindern, daß trotzdem ein Lächeln über mein Gesicht zieht, denn ich kenne den Grund. Früher habe ich geweint, weil mich der Schmerz und die Sehnsucht zerrissen haben. Heute weine ich, weil mich meine Gefühle noch immer überwältigen und ich mein Glück kaum zu begreifen vermag.

Mein Herz ist erfüllt von Liebe, meine Seele hat endlich Ruhe und Zufriedenheit gefunden. Keines der Worte, die mir bekannt sind, könnte jemals ausdrücken, was ich jetzt empfinde. Ich schaue hinaus in die Nacht und wünsche mir, diesen Augenblick für immer festhalten zu können, mich darin einzuhüllen wie in einen schützenden Kokon.

* * *

Wünsche ... wieder zieht ein Lächeln über mein Gesicht.

Jemand sagte, Weihnachten sei die passende Zeit für Wünsche ... und auch für Geschenke.

Dieses Fest hat so tief verwurzelte Traditionen, mit denen jeder auf seine eigene Art und Weise umgeht. Zu meiner Lebensphilosophie gehört Weihnachten nicht ... nicht in diesem Sinne, aber wenn es darum geht, einen besonderen Zusammenhalt zueinander zu spüren, kann auch ich meine Gefühle nicht verleugnen. Alle bemühen sich, in der Nähe derjenigen Menschen zu sein, die ihnen am meisten bedeuten und erkennen gerade in diesen Tagen, wie unendlich wichtig dies ist.

Materielle Werte haben für mich keinen Belang, denn alles, was ich brauche, füllt mein Leben aus. Das einzige Geschenk, von dem ich mir erlaubte, es all die vielen Jahre über als meinen Wunsch zu betrachten, habe ich bereits erhalten. So unerwartet, wie es damals aus meinen Händen gerissen wurde, habe ich es wieder bekommen. Es ist von dermaßen unendlicher Kostbarkeit, daß ich es manchmal noch immer kaum wage, seine Existenz zu begreifen ... aus Angst vor einem erneuten Verlust.

* * *

Langsam öffne ich meine Augen und atme noch einmal tief durch, bevor ich zurück in das Loft trete. Ich schließe die Tür hinter mir und finde meinen Weg durch die Dunkelheit.

Bevor ich mich endgültig zurückziehe, werde ich wie von unsichtbaren Fäden zu einem anderen Raum gezogen. Einen kurzen Augenblick lang bleibe ich an der Schwelle stehen, dann trete ich lautlos ein.

Die einzige Kerze ist herunter gebrannt, dennoch kann ich das erkennen, was mir wichtig ist. Ein paar Schritte sind es nur, dann beuge ich mich hinab zu dem Futon in der Mitte des Raumes. Ich gehe in die Knie und betrachte in tiefer Dankbarkeit meinen Sohn, dessen tiefe und gleichmäßige Atemzüge als einziges Geräusch die Stille des Zimmers durchbrechen.

Peter hat sich auf die Seite gerollt, den angewinkelten Arm unter den Kopf geschoben. Ein paar zerzauste Haarsträhnen sind in seine Stirn gefallen. Vorsichtig hebe ich meine Hand und streiche sanft über sein Gesicht.

- - -

Manchmal ertappe ich mich noch dabei, dies alles für ein Trugbild zu halten. Mein klopfendes Herz beruhigt sich erst dann, wenn ich meinen Sohn berühre. Noch immer fühle ich diese Angst in mir, aufzuwachen und mich der schmerzhaften Realität stellen zu müssen, die mir all die Jahre die Seele ausgebrannt hat.

Doch dann fließt Peters Energie unter meinen Händen, strömt bis tief in mein Innerstes und wärmt mich auf eine Art und Weise, wie ich es 15 Jahre lang nur in meinen Erinnerungen spüren durfte.

- - -

Ich ziehe die Decke hoch, die von seinen Schultern gerutscht ist und beuge mich noch einmal hinab, hauche einen Kuß auf seine Schläfe. Bevor ich den Raum verlasse, nehme ich ein letztes Mal das Bild meines Sohnes in mich auf, verwahre es für meine Träume.

Morgen ist Weihnachten und ich weiß, wenn ich erwache, werde ich Peter an meiner Seite haben.

Das kostbarste Geschenk ...

ENDE

 

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