Autor: Kira
 

Die Schwester sagt, es ist die letzte Tür im Gang. Jetzt sind es nur noch wenige Meter und je näher ich komme, desto mehr Angst habe ich.

Was ist, wenn ich mich irre und mir meine Wahrnehmung nur einen üblen Streich gespielt hat ? Was, wenn die Sehnsucht nach der Erfüllung dieses einen immer wiederkehrenden Traumes dafür sorgte, mich glauben lassen zu wollen ?

Ich möchte so sehr, daß es wahr ist ...

Als ich meine Hand auf die Klinke lege, kann ich das hartnäckige Klopfen meines Herzens nicht mehr ignorieren. Es scheint das einzige Geräusch zu sein, das die Stille des Krankenhausflures durchbricht. Vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt und schlüpfe hindurch.

Dann sehe ich Dich, und die Unendlichkeit meiner Gefühle scheint mich zu zerreißen. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Mein Körper ist wie gelähmt, aber gleichzeitig will ich Dich an mich drücken und nie wieder loslassen. Selbst Tränen, die den Bann hätten brechen können, bleiben ungeweint. Ich stehe einfach nur da und schaue Dich an.

Ist es wirklich wahr ?

***

Alles war voller Qualm und Rauch. Wieder stiegen die Bilder in mir auf, unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Der Schmerz war noch immer der gleiche. Dann sah ich die Male an Deinen Unterarmen. Sie erinnerten mich unbarmherzig daran, daß Zeit eben nicht alle Wunden heilen kann.

Mein Blick fiel auf Dein Gesicht. Der Hauch einer Hoffnung durchzog mich für einen winzigen Augenblick. Nur kurz, weil die Aussicht auf Enttäuschung über allem stand. Es konnte auch nicht sein, ich hatte Dich doch für immer verloren ...

Ich ging in das Krankenhaus, denn ich hoffte auf wenigstens einen vertrauten Moment ... oder – ich konnte den Gedanken nicht verhindern – auf mehr ... auch, wenn es eigentlich nicht möglich war.

Deshalb war alles, was ich wollte, jemanden nahe zu sein, der Dir ähnlich ist. Einen Menschen zu treffen, dessen Geschichte der Deinen gleicht. Wenigstens eine kleine Verbindung zu spüren, um dadurch einen winzigen Teil meiner Sehnsucht zu stillen. Ich wäre mit allem zufrieden gewesen, was mich Dir näher bringt. Flüchtige Worte, verschwommene Bilder, unvollständige Geschichten. Alles, was ich über Dich erfahren hätte, wäre für mich von unendlicher Kostbarkeit gewesen.

***

Jetzt stehe ich hier und weiß nicht, was ich tun soll.

Du öffnest langsam Deine Augen, und Dein fragender Blick fällt auf mich. Mein Herz klopft so schnell, daß ich fürchte, es wird jeden Moment explodieren. Ich möchte reden, Dir alles erklären, aber der Kloß in meinem Hals entläßt die Worte nur mühsam aus meinem Mund.

Die ganze Zeit über muß ich Dich ununterbrochen anschauen und weiß, daß Du mich nicht erkennst, nicht erkennen kannst ... In den fünfzehn Jahren bist Du für mich immer der Gleiche geblieben, aber aus Deinem Jungen von damals ist jetzt ein Mann geworden.

Als Du mir antwortest, legt sich Deine Stimme mit der selben Intensität über mich, wie sie es schon früher tat. Nur Deine Augen haben sich verändert. Sie sind so unendlich traurig, und ich kann den Schmerz entdecken, der meinem so gleich ist.

Kurz, bevor mein Herz droht, in tausend Stücke zu springen, gebe ich meine Identität preis. Ungläubiges Wiedererkennen leuchtet in Deinen Augen. Es ist die selbe Fassungslosigkeit, die sich über mich legte, seit ich diesen Raum betreten habe. Ich kann einfach nicht die richtigen Worte finden, es ist alles zu viel.

Befreiende Tränen durchbrechen endlich den Damm, und ich lasse mich an Deine Schulter sinken. Deine Hand tastete sich in mein Haar, streicht immer wieder darüber. Ich fühle diese vertraute Nähe, die ich so lange vermißt habe. Ich kann nur noch weinen. Das ganze Spektrum von Gefühlen überwältigt mich, ein unkontrollierbares Beben durchzieht meinen Körper. Ich lasse mich einfach fallen, fühle Wärme und Beruhigung, die von Dir ausstrahlt.

Gerne würde ich Dich richtig in den Arm nehmen, aber Du bist noch zu schwach, um Dich aufzusetzen. Das ist jedoch nicht von Bedeutung. Für mich ist es wichtig, Dich überhaupt zu spüren.

Mit einem Mal steigt Zorn in mir auf ... über die verlorenen Jahre ... über die Lügen eines alten Mannes ... und vor allem über den Schmerz, der sich all die Zeit tief in mich eingegraben hat.

Wieder berührst Du mich, nimmst meine Hand, und Dein Gesicht zeigt Verständnis. Ich bin zu durcheinander, um zu begreifen, daß dies alles so seine Richtigkeit haben soll. Meine Gefühle überrollen mich mit einer Stärke, so daß ich nicht mehr klar denken kann. Ich weiß, daß wir beide noch viel Zeit brauchen werden, um uns zu finden.

Als ich es Dir sage, wird ein kurzes Funkeln in Deinen Augen sichtbar, das ich nicht deuten kann. Dann greifst Du abrupt nach mir und ziehst mich zu Dir heran. Kurz darauf erfahre ich den Grund. Du mochtest es noch nie, „Paps“ genannt zu werden. Ein erlösendes Lachen bricht aus mir heraus. Jetzt weiß ich mit Sicherheit, daß ich den richtigen Vater gefunden habe.

Ich umfasse Dein Gesicht mit beiden Händen und küsse Dich auf die Stirn. Ein entspannter Atemzug löst sich von Deinen Lippen, bevor Du Deine Augen schließt und mit glücklichen Gesichtszügen einschläfst.

Gerne würde ich noch bleiben und Dich einfach nur anschauen ... Deine Realität begreifen, aber da ist noch etwas, daß ich tun muß. Wenn das erledigt ist, werde ich zurückkommen und Dich nie wieder gehen lassen.

ENDE

 

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