"Ich sehe die Scherben fallen und weiß, daß ich sie nicht mehr auffangen kann. Ich höre das Geräusch des Fallens und weiß, daß ich nicht mehr weghören kann. Ich spüre das Klopfen meines Herzens und weiß, daß ich es nicht mehr ignorieren kann." "Wie lange wirst Du dieses Mal bleiben, Vater ?" Ich höre die Verbitterung in Deiner Stimme. Vater ... Dieses Wort schneidet mir so ins Herz, daß ich schmerzhaft die Augen schließen muß. Wie sehr wünsche ich mir jetzt, von Dir "Paps" genannt zu werden. Ich habe mich immer dagegen gewehrt. Jetzt verstehe ich, daß es viel mehr ist. Alles liegt darin. Unendliches Vertrauen ... das Band, das unsere Seelen zusammenhält ... all Deine Liebe ... Du stehst mit dem Rücken zu mir, hast Dich mit Absicht abgewandt. Wir sind nur wenige Schritte von einander entfernt, aber ich kann Dich nicht erreichen. Der Abstand zwischen uns ist in diesem Moment absolut unüberbrückbar. Die Barrikaden, die Du um Dich errichtet hast, machen es mir unmöglich, Dein Herz zu berühren. Ein Blick in Deine Augen ließ mich immer wissen, was in Dir vorgeht. Ich konnte alles darin lesen. Jetzt siehst Du mich nicht an. Langsam gehe ich auf Dich zu, werde aber sofort abgeblockt. Du hebst Deine Hand wie zur Abwehr, läßt keinen Kontakt zu. Eine stumme Aufforderung zum Stehen bleiben. Ich kann die Mauer spüren, die Du sorgfältig um Dich errichtet hast. Meine Stimme zerbricht daran so erbarmungslos, wie eine Welle an einem Felsen. Fragmente werden zu mir zurückgeschleudert und treffen meinen Geist so vollkommen unerwartet mit einer Mächtigkeit, die mich wanken läßt. Dann drehst Du Dich um, den Blick noch immer gesenkt. Als Du mich endlich anschaust, erkenne ich in Deinen Augen Wut und Verzweiflung. "Sag' mir doch einfach, wann Du das nächste Mal gehst, damit ich mich darauf einstellen kann!" Deine Stimme bebt. Du bist so aufgewühlt, daß es mich einfach nicht mehr an meinem Platz hält. Wortlos will ich mich Dir nähern und mit vertrauter Geste berühren, verharre aber in meiner Bewegung. Ich sehe, wie Du meiner Hand ausweichst, die ich sanft auf Deine Wange legen will. Es trennt mich nur noch ein Hauch, trotzdem ziehe ich mich zurück. Es schmerzt mich, aber ich weiß, daß ich es nicht darf, solange Du es nicht zuläßt. Langsam lasse ich meine Hand wieder sinken. Dein Gesicht ist gerötet, und Deine Schultern zittern vor Aufregung. Du fährst Dir mit der Hand durch die Haare. So, wie Du es immer machst, wenn Du durcheinander bist. "Du kommst und gehst, ohne mir zu sagen, wohin. Du verschwindest spurlos. Wenn ich Glück habe, gibt es einen schnellen Abschied auf der Straße oder ein paar Worte auf einem Zettel. Das sind dann noch die besten Momente. Wenn ich Pech habe, stehe ich in Deiner leeren Wohnung und kann nicht glauben, daß da nichts mehr ist, was jemals an Dich erinnert hat! Dann tauchst Du nach Monaten wieder auf und tust so, als wäre nichts geschehen. Stelle ich Fragen, erhalte ich keine Antworten!" Deine Worte schießen wie Pfeile auf mich ein. Einer nach dem anderen, und jeder einzelne trifft sein Ziel. "Wenn ich mich Dir auch nur ein Stück nähern will, entfernst Du Dich von mir. Jedes Mal, wenn Du verschwunden bist, fühlt es sich an, als ob sich die Vergangenheit wiederholt. Die Träume kommen zurück, immer wieder. Sie sind dunkel und machen mir Angst. Wenn ich erwache, fühle ich mich mit jedem Mal einsamer. Ich kann sie nicht länger ertragen, aber sie werden niemals verschwinden. Mit ihnen bleibt auch dieses Gefühl, Dir niemals nahe zu sein..." Verstohlen wischst Du Dir über die Augen. Du versuchst es zu verbergen, aber ich habe es gesehen. Es sind Tränen. Es trifft mich so sehr, daß ich Dich einfach nur in den Arm nehmen und halten möchte. Du gehst ein paar Schritte zurück. So, als ob Du meine Gedanken erraten würdest. "Ich kann nicht mehr darauf warten, daß Du mich verstehst. Es macht mich kaputt, zu hoffen, daß wir jemals richtig zueinander finden werden. Vielleicht solltest Du wieder gehen und Deine Reisen fortsetzen. Für immer!" ****** Deine letzten Sätze sind kaum mehr als ein Flüstern, dennoch hallen sie wie ein Echo in meinen Ohren nach. Verzweifelt suche ich nach den richtigen Worten, um auszudrücken, daß Du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist. Wenn ich jetzt nichts sage, wird es für immer zu spät sein. Ich weiß das, aber die innere Qual, die ich in diesem Moment durchleide, lähmt mich mit aller Macht. Ich sehe brennende Bilder der Erinnerung vor meinen Augen auftauchen. Spüre wieder den Schmerz, der mir jedes Gefühl raubte. Als ich glaubte, Dich verloren zu haben, war mein Leben zu Ende. Was danach kam, hatte keine Bedeutung mehr. All die Jahre brannte das Feuer in mir weiter, die Glut gnadenlos über meiner Seele verstreut. Jetzt klopft mein Herz so rasend schnell, daß mir schwindlig wird. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Als ich mir über das Gesicht streiche, merke ich, wie meine Hände zittern. Dann spüre ich die Tränen. Sie sind schuld daran, daß meine Wahrnehmung so getrübt ist. Ich sehe die Feuchtigkeit an meinen Fingern und starre sie fast ungläubig an. Damals habe ich auch geweint - um Dich. Nachdem sich das Ende der Welt vor mir auftat, hatte ich keine Tränen mehr. Die Zeit steht wieder still. ****** "Dad?" Deine leise Stimme holt mich zurück. Ich habe nicht bemerkt, daß Du nahe an mich herangetreten bist. Es gibt keinen Abstand mehr zwischen uns. Du schaust mich besorgt an, und ich sehe den erschrockenen Blick in Deinen Augen. Als Deine Finger zögernd über mein Gesicht streifen, weiß ich auch, warum. Du hast mich noch nie weinen sehen. Dann merke ich es. Etwas hat sich verändert, da ist keine Wut mehr in Dir. Deine Barrikaden sind gebrochen und die Mauer in sich zusammengefallen. Ich kann wieder in Dein Herz sehen. Vorsichtig ertaste ich Deinen Geist und spüre, wie sich unsere Seelen vereinen. Wieder hebe ich meine Hand, um Dich zu berühren. Ich lege sie auf Deine Wange, und dieses Mal weichst Du nicht aus. Für einen Moment stehen wir beide bewegungslos da, schauen uns einfach nur an. Ich lese es in Deinen Augen. Du fühlst meinen Schmerz. Genauso, wie ich Deinen fühlen kann. Du läßt Dich in meine Arme fallen. Ich höre Dein Aufschluchzen und halte Dich fest. Spüre, wie Du zitterst. Ich bin kaum in der Lage, es zu verringern, denn es ist mir fast nicht möglich, mein eigenes Zittern unter Kontrolle zu bringen. Meine Hand tastet sich zu Deinem Kopf und Nacken vor, streicht behutsam darüber. Ich hauche Dir einen Kuß auf das Haar. Dann gestatte ich mir Tränen, kann mich endlich fallen lassen. Sie sind wie eine Erlösung und schwemmen die Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst fort. Das Dunkle, das mich all die Jahre fast erdrückt hat, weicht einem warmen Licht, das in längst vergessen geglaubter Vertrautheit mein Herz umschließt. Ich spüre, wie sich ein Lächeln mit meinen Tränen verbindet. "Wie konnte ich Dich nur vor so eine Entscheidung stellen? Verzeih mir, Paps!" höre ich Dich flüstern. Paps... Nur der Hauch eines Wisperns sendet dieses Wort, das wie eine Feder durch den Raum schwebt und sich dann erlösend auf meiner Seele niederläßt. Nein, Du mußt mir verzeihen! Jetzt erst erkenne ich, wie groß Deine Verzweiflung gewesen sein muß, und wie blind ich war. Diese Entscheidung war wichtig. Ich werde Dir später erklären, wie dankbar ich Dir dafür bin. Mir wird bewußt, daß ich diese Reisen nicht mehr brauchen werde. Nie wieder. Alles, was ich glaubte, dort zu suchen, habe ich jetzt gefunden. In diesem Augenblick. ENDE
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