Autor: Kira

 

"Neeein!" Einen lautlosen Schrei auf den Lippen, riß es Caine von seinem Schlafplatz empor.

Sein Herz klopfte so schnell, daß er glaubte, es würde zerspringen. Die Augen weit aufgerissen und schwer atmend, schaute er sich panisch um. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, daß es ein Traum gewesen war.

Nur ein Traum ...

Traumbilder hatten sich wie Messerstiche in seine Erinnerung gebohrt. Schmerzhaft und unbarmherzig verhöhnten sie seine Sinne, ließen keine Chance auf einen klaren Gedanken.

Zitternd fuhr sich Caine mit der Hand über das Gesicht und merkte dabei, daß er auch am ganzen Körper bebte. Seine Finger waren benetzt von Tränen. Jede einzelne hatte wie Feuer gebrannt ...

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Peter ...

Dieses Mal konnte er ihm nicht helfen. Caine sah entsetzt, wie der Körper seines Sohnes im Kugelhagel brutal nach hinten gerissen wurde. Das gnadenlos laute Geräusch, mit dem er zu Boden stürzte, schien in Caines Ohren tausendfach wider zu hallen. Diesen erschrockenen und zugleich hilflosen Blick in Peters Augen würde er nie wieder vergessen.

Fassungslos realisierte er, daß sich Peter nicht mehr bewegte. Ein messerscharfer Schmerz durchzog Caines Herz und breitete sich rasend schnell zu einer unkontrollierbaren Enge in seiner Brust aus, die es fast unmöglich machte, zu atmen.

Caine rannte auf Peter zu, aber er wusste bereits, daß es zu spät war. Diese Wunden konnte auch kein Shambala-Meister heilen.

Er ließ sich auf die Knie fallen und zog mit einem lauten Aufschluchzen den leblosen Körper seines Sohnes zu sich heran. Caines Schultern zuckten zusammen unter der Gewalt einer nicht aufzuhaltenden Tränenflut, der er sich hilflos ergab. Zitternd legte er eine Hand auf Peters Wange, strich ihm vorsichtig eine Haarsträhne aus der Stirn und zeichnete die Konturen des blassen Gesichts nach. Unaufhaltsame Tränen fielen auf Peter und verloren sich langsam in dessen Gesichtszügen.

Verzweifelt drückte Caine seinen Sohn noch enger an sich und wiegte ihn sanft hin und her. Peters weiches Haar kitzelte an Caines Wange, erinnerte vertraut und unerträglich schmerzhaft an frühere Umarmungen. "Ich liebe Dich, mein Sohn!" flüsterte er mit tränenerstickter Stimme und küsste ihn auf die Stirn. "Ich werde immer Dein Paps sein!" Er konnte ihn nicht loslassen, noch nicht. Es war der letzte Abschied, und dabei würde er seinen Sohn in den Armen halten.

Das Licht, das seine Seele erhellt hatte, war erloschen. Kein Trost würde jemals diesen Verlust wettmachen können. All das, was seinem Leben in den vergangenen Jahren einen Sinn gegeben hatte, schwand für immer.

Er wusste, daß er nun für die Dauer einer Ewigkeit die Dunkelheit durchschreiten würde. Allein ...

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Caine atmete tief durch, noch immer zitterte er am ganzen Körper. Niemals zuvor hatte ihm ein Traum so viel Angst gemacht.

Er schloß die Augen und konzentrierte sich. Seinem Sohn ging es gut, er konnte es fühlen, aber Peter sollte nicht merken, wie sehr Caines Seele in dieser Nacht gequält worden war.

Langsam legte sich Caine wieder zurück und versuchte, alle negativen Gedanken aus seinem Geist zu verdrängen. Es dauerte unendlich lange, bis es ihm gelang, seinen Atem wieder ruhig und gleichmäßig fließen zu lassen.

Der Traum hatte ihn so sehr geschwächt, daß er schließlich vollkommen erschöpft einschlief.

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"Paps, bist Du da?"

Peters Stimme durchbrach die Stille der ersten Morgenstunden.

"Können wir los? Ich bin mir sicher, daß ich dieses Mal mehr Glück beim Angeln haben werde, außerdem beißen die Fische in dieser Frühe am besten ..."

Peter betrat Caines Wohnung und sah erstaunt auf seinen schlafenden Vater. Es kam nie vor, daß Caine noch schlief, wenn sie verabredet waren. Er war auch nicht wach geworden, als Peter herein kam. Normalerweise hörte Caine jedes noch so kleine Geräusch, doch dieses Mal rührte er sich nicht. Das war absolut untypisch, doch das regelmäßige Heben und Senken des Brustkorbes deutete auf einen ganz normalen Schlaf, so daß kein Grund zur Sorge schien.

Leise trat Peter an Caine heran und überlegte, ob er ihn wecken sollte. Er entschied sich, so lange auf der Terrasse zu warten, bis sein Vater von allein aufwachte. Doch dann stieg dieses ungute Gefühl in ihm auf. Er konnte nicht sagen, wo es auf einmal herkam, doch irgend etwas stimmte nicht.

Instinktiv legte er seinem Vater die Hand auf die Schulter und wurde beinahe zurückgeworfen von der gewaltigen Gefühlswelle, die ihm entgegenschlug.

Einzelne und unvollständige Bilder bauten sich vor Peters innerem Auge auf. Nach und nach fügten sie sich zusammen, und er konnte den Schmerz fühlen, die Angst und Verzweiflung.

Peter erkannte, wie sehr sein Vater sich bemüht hatte, diese Bilder aus seinem Geist zu verbannen und wieviel Kraft ihm dadurch geraubt wurde. Er wusste, warum Caine das getan hatte. Die Verbindung zwischen ihnen ließ den anderen spüren, wenn etwas nicht in Ordnung war. Er sollte sich keine Sorgen machen.

Peter wischte sich über die Augen und holte tief Luft. Dann legte er seinem Vater sanft die andere Hand auf die Wange.

"Paps, ich bin hier, laß mich Dir helfen!" flüsterte er, bevor er seine Hand wieder löste.

Er legte sie leicht auf Caines Brustkorb und begleitete dessen Atemzüge. Gleichzeitig schloß er die Augen und konzentrierte sich.

Dann verband er seinen Energiefluß mit dem seines Vaters und drängte die negativen Bilder fort. Es gelang ihm, sein Chi mit dem geschwächten Chi seines Vaters zu vereinen und ein starkes Band zu schaffen, das Caines Geist wie eine schützende Festung umgab. Keinem der Traumdämonen würde es jetzt gelingen, den Schlafenden erneut zu schwächen.

Peter spürte, wie Caines innere Unruhe nachließ und die Energie wieder langsam und gleichmäßig floß. Dann legte er beide Hände weiter an den passenden Punkten auf und verlängerte somit die Schlafphase, die jetzt schützend und stärkend wirkte.

Danach löste er langsam den Kontakt. Jetzt konnte er nichts weiter tun als zu warten.

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Peter stand auf der Terrasse und warf in regelmäßigen Abständen einen Blick auf seinen schlafenden Vater. Fröstelnd zog er die Schultern zusammen und erkannte, daß nicht nur die frische Morgenbrise daran Schuld war.

Da war dieses unangenehme Gefühl, das sich langsam und schleichend den Weg in sein Herz gebahnt hatte. Feine Stiche, die sich unablässig verdichteten, fanden sicher ihren Weg an die Oberfläche. So sehr er sich auch dagegen wehrte, es tat weh.

In seinem Geist formte sich eine Frage, die flehend auf Antwort wartete.

"Paps, warum hast Du Deinen Schmerz nicht mit mir geteilt?"

ENDE

 

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