Autor: KungFu Kitten
 

„Tian!“, schrie Ti zum x-ten Mal. Einmal mehr fragte sie sich, wie sie ihre Tochter hatte 'Himmel' nennen können, angesichts der Tatsache, dass sie momentan so wütend war wie nur irgend möglich. Nun, vielleicht war sie durch diese Namensgebung in eine Nähe zu den göttlichen Geheimnissen gelangt, die zu übertreffen ihr in diesem Leben nicht vergönnt sein würde.

Die Heilerin seufzte, und ein winziges Lächeln glitt über ihr Gesicht. Die Tür, die zum Balkon von Caines Loft führte, stand offen, während sie beobachtete, wie sich in der Ferne große graue Wolken auftürmten. Hatte sie Kermit und T.J. nicht vorgewarnt, dass schlechtes Wetter aufkommen würde? Jetzt würden sie unweigerlich in den Genuss eines Regentages voller kalter Badeanzüge, Wind aus östlichen Richtungen und jammernden Kindern kommen.

Eigentlich vor allem eines Kindes. Desjenigen, das im Augenblick gerade nicht gewillt war, hereinzukommen.

Nun, vermutlich musste sie Zugeständnisse machen. Das Drachenkind benahm sich nun einmal anders als andere Kinder. Und trotzdem - sie war immer noch die Mutter...

„Kermit“, sagte Peter's Freundin zu Detective Griffin, der hinter ihr stand, was wirkungsvoll die Tatsache verbarg, dass er grinste, „ich halte es für keine gute Idee, heute zum See zu fahren. Es sieht nach Gewitter aus.”

„Nichts da“, widersprach er, „ich weiß, dass ihr noch keine Pläne für den Rest des Urlaubs gemacht habt, und ich werde mich hüten, bis jetzt nicht existente Ideen anzuzweifeln, aber heute ist mein erster freier Tag seit Monaten, und ich habe meinem Patenkind versprochen, ihr das Schwimmen beizubringen.“

„Kermit, sie ist nicht dein Patenkind. Sie ist F.A.s und T.J.s...“ Ti verstummte. Er wusste es, und sie wusste, dass er es wusste.

Das war nichts Neues, weder für ihn noch für sie.

Nichts Neues. Jedenfalls nicht unter der Sonne.

Jetzt war sie diejenige, die grinste.

In diesem Augenblick erschien Peter im Flur und keuchte heftig: „Okay, gehen wir – wow, die Luftfeuchtigkeit draußen entzieht sich jeder vernünftigen wissenschaftlichen Messung.“

„Das ist ein Axiom“, stimmte Kermit zu, „wissenschaftliche Messungen sind niemals vernünftig. Sie besitzen keine Organe, die sie zu intelligenten Wesen machen würden. Lediglich ein gewisses Maß an Mitdenken und gesundem Menschenverstand kann ihnen Sinn verleihen - was allerdings heute nicht sehr sinnvoll wäre, da wir ja bereits wissen, dass man seinen Kopf genausogut in eine Waschmaschine stecken könnte, statt ins Freie zu gehen. Also hol gefälligst deine Tochter aus der Luftfeuchtigkeit draußen hier rein; dann stecken wir sie in die Feuchtigkeit des Sees, und ich bringe ihr bei, wie man schwimmt.“

Peter sah ihn an, als hätte sein Freund ihm soeben angeboten, ihn ins Gesicht zu schlagen. „Auf gar keinen Fall“, begann er.

Ti griff gerade noch rechtzeitig ein. Peters Gesicht lief bereits rot an. Sie erkannte seinen leicht panischen Gesichtsausdruck, interpretierte ihn korrekt als den Wunsch, seiner Tochter das Schwimmen selbst beizubringen, und warf ein: „Oh nein, Jungs. Tian wird sich während eines Gewitters in keinerlei Wasser aufhalten. Und ihr zwei genausowenig, was das angeht!“

Sie stemmte die Hände in die Hüften und machte absolut klar, dass es Zeit war loszufahren. Allerdings nur in einem faradayschen Käfig, wenn überhaupt.

Die Polizisten entsprachen ihrer Aufforderung sofort, und Kermit begab sich hinaus, um seine kleine Freundin hereinzuholen.

„Sechs Jahre alt und immer noch rebellisch“, murmelte Caines Sohn, wenn auch mit einem unüberhörbar liebevollen Unterton.

„Sie ist nicht sechs, Pete, und du weißt das – sie ist zwölfeinhalb Monate alt.“

Das entsprach der Wahrheit, wenn es auch vollkommen unglaublich war. Zumindest dann, wenn man die allgemein akzeptierte Vorstellung von Zeit teilte. Und wenn man nicht an die Legende vom Drachenkind glaubte.

Das Drachenkind besaß angeblich besondere versöhnende Fähigkeiten. Der Legende nach war sie ein ansonsten normales Kind, das lediglich weniger Zeit für seine Entwicklung benötigte und schließlich, auf dem Höhepunkt seiner Kraft, diese enorme Geschwindigkeit auf ein Normalmaß reduzieren würde. Das wenigstens hatte Caine seiner Assistentin erzählt, und das war es, worauf sie hoffte.

Ti zuckte mit den Schultern; schon lange zuvor war sie zu dem Schluss gelangt, dass in einem Universum, das von den Gesetzen der Quantenphysik und der Relativität zugleich regiert wurde, alles möglich war. Das kümmerte sie nicht, solange das Chaos im Kielwasser der vergangenen Geschehnisse noch immer das Versprechen enthielt, eines Tages geheilt zu werden von... Den Himmeln. Ein Gedanke, der sie wieder zu Tian zurückführte.

„Grashüpfer Junior die Vierte, wenn du nicht aufhörst, Onkel Kermit anzuschreien, wirst du heute hierbleiben müssen!“

Das wirkte. Fünf Minuten später saßen alle in T.J.s gigantischer Limousine und fuhren mit draufgängerischen zwei Meilen jenseits der Geschwindigkeitsbegrenzung dahin. Ti war zufrieden mit der Situation, aber ihre Tochter auf dem Hintersitz schmollte gewaltig.

Die Gruppe der Freunde erreichte den See im direkten Gefolge der riesigen grauen Wolken, die vom Loft aus sichtbar gewesen waren, nur dass diese sich jetzt in unterschiedliche Nuancen dunkleren Graus und Lilas gekleidet hatten. Außerdem fanden sich an ihren Rändern Bereiche leuchtend roten Lichts. Als T.J. ins Freie stieg, um den anderen die Tür zu öffnen, ließ ihn ein weit entferntes Donnergrollen zögern.

Auch Ti stieg nicht sofort aus dem Auto. Sie fragte sich, weshalb sie Caine den ganzen Tag noch nicht begegnet war. Normalerweise trafen sie sich jeden Vormittag zumindest einmal zu einem kurzen Gespräch, was bedeutete, dass dies irgendwie kein ganz normaler Morgen war – eine Tatsache, die sie reichlich beunruhigte.

Natürlich versuchte sie weiterhin, sich selbst davon zu überzeugen, dass es absolut nichts gab, worüber sie sich Sorgen machen musste, denn Caine war nun einmal ein rätselhafter Mann. Aber irgendwie gelang es ihr nicht. Das Gefühl von Verunsicherung und Unsicherheit verstärkte sich, als ihr zu Bewusstsein kam, worauf ihre Ahnung basierte.

Caine hatte ihr schon vor Wochen das erste Mal mitgeteilt, dass 'der' Tag bevorstand.

Der Tag der Initiation ihrer Tochter.

Er hatte ihr allerdings nicht offenbart, ob eine gefährliche Zeremonie stattfinden würde, und genausowenig hatte er das Geheimnis gelüftet, wer daran beteiligt sein würde oder worauf seine Enkeltochter eigentlich zusteuerte. Ti fühlte sich verantwortlich als Mutter, ängstlich als Frau und – sie lächelte resigniert – ein wenig wütend als zukünftige Schwiegertochter. Wie um alles in der Welt konnte ihr das antun?

T.J. sah Caines Assistentin an, als frage er sich, was ihr undeutbarer Gesichtsausdruck ihm mitzuteilen wünschte, und ihr Lächeln weitete sich aus.

„Nun denn, wie auch immer“, bemerkte sie. „Was machen wir jetzt?“

„Aus diesem Käfig aussteigen, was sonst?!“ Peter verlor schon wieder die Geduld. Der Shaolincop sprang aus dem Wagen, warf den Wolken einen wütenden Blick zu, als wolle er sie verjagen, und half seiner Familie und seinen Freunden aus dem Auto.

Starke Winde erschwerten ihnen den Weg zum See, während die Hitze beständig drückender wurde. Angesichts der Tatsache jedoch, dass der ferne Donner merklich nachließ, wollte niemand der erste sein, der aufgab und zurückging.

Tian sprang glücklich auf und ab, legte weite Strecken des Weges im Laufschritt zurück und warf Matschklumpen auf Kermit, der offenkundig hin- und hergerissen war zwischen seiner Rolle als standhaftem ehemaligem Söldner und der als perfektem Onkel. Oder der eines Mannes, der zumindest als Onkel bezeichnet wurde – von seinen beiden Neffen, seiner Nichte und von der Tochter seines besten Freundes, die ihm pausenlos Streiche spielte und damit einfach nicht aufhörte.

Ti wollte lächeln, als sie das bemerkte, aber etwas anderes forderte ihre Aufmerksamkeit. Je mehr sie sich dem See näherten, desto dünner wurde die Wolkendecke. Sie konnte die Schreie der Möwen und die Geräusche der Wellen hören, die sich am flachen Ufer brachen, und warme Sonnenstrahlen hellten ihre Stimmung auf.

Aber da war noch etwas anderes. Etwas Seltsames. Wundervoll, aber dennoch seltsam.

Sie hörte den Wind singen. Keine Worte, sondern eine Melodie – und zwar eine, die sie seit Ewigkeiten kannte.

Hastig kontrollierte sie den Zustand ihres Bewusstseins: Sie atmete zwar heftig, aber der zugeführte Sauerstoff half ihr, sich aufrecht zu halten. 'Keine Visionen mehr... bitte', hörte sie ihre eigene Stimme in ihrem Kopf wie ein Gebet, 'ich habe genug von einer Mystik, die das gesunde Maß an Gelassenheit übersteigt und vermutlich sogar die Wahrheit. Ich will doch nur im Einklang sein mit dem Dao...'

Aber der Wind hörte nicht auf, die vertraute Melodie zu singen: Das Lied des Baiji-Delphins.

Dieses Mal waren keine Wolken in der Form eines Meeressäugers vorübergezogen, dessen war sie gewiss.

Die junge Ärztin überprüfte rasch, ob alles andere in Ordnung war: Kermit spielte Fangen mit Tian, und Peter zog T.J. mit irgendetwas auf, das Ti wie üblich nicht verstand.

Dann änderte sich fast unmerklich die Atmosphäre. Irgendetwas begann, aus heiterem Himmel von irgendwoher Rauch von sich zu geben... Ti verfolgte die scheinbar unnatürlichen Wolken zu ihrem Ursprung zurück, aber alles, was sie entdeckte, war eine massive Felsformation am entfernten Ufer des Sees. Risse und Spalten im Stein ließen den Anblick vor ihren Augen verschwimmen, und sie hätte sich abgewandt, wenn nicht Tian's kleine Gestalt vor den Klippen in der Entfernung sichtbar gewesen wäre. „Geh da weg!“, schrie sie, aber T.J.s Ruf übertönte ihre Stimme.

„Pete! Komm hier rüber, ich muss dir was zeigen!“, brüllte Kincaid.

Ti versuchte, ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken, und rannte zu dem rothaarigen Polizisten hinüber.

„Ist das hier nicht...?“, fragte T.J.

„Ja, es ist Caines Hut.“ Ti hatte jetzt Schwierigkeiten zu atmen.

Peter fuhr zusammen und nickte: „Ist wohl so.“

Griffin befand sich jetzt auf halbem Wege zwischen seinen Freunden und den Felsen, und von seinem Standpunkt aus konnte er mit Leichtigkeit den Gegenstand erkennen, den die anderen untersuchten. Zumindest hoffte Ti das. Sie warf einen weiteren Blick auf ihre Tochter, bemerkte, dass der ehemalige Söldner noch immer in Rufweite war, und schrie: „Kermit, sag Tian, dass sie sich vom Ufer fernhalten soll! Sofort!“

Überraschenderweise tat Griffin genau das, was von ihm verlangt wurde, wenn auch ohne sichtbaren Erfolg. Er war allerdings nicht gezwungen, das zuzugeben; Peters neuester Fund entband ihn von dieser Pflicht. Noch etwas anderes hatte der Entdeckung geharrt.

Es war Caines Ring. Derjenige, den er einst Peter gegeben hatte, bevor er zu seiner spirituellen Reise aufgebrochen war, um seine Frau zu suchen, und zugleich derjenige, den er Ti gegeben hatte, als Tian geboren wurde.

Er verströmte eine besänftigende Ruhe, die die Aufmerksamkeit der Heilerin von dem Kind, das die Felsen erkletterte, weglockte.

Seine glänzende Oberfläche blendete ihre Augen, schimmerte in jeder Farbe des Regenbogens – etwas, das sie üblicherweise nicht tat.

Außerdem gab der Ring eine Melodie von sich, was ebenso ungewöhnlich war, und zwar eine Melodie, die Ti zu der Überzeugung brachte, endgültig übergeschnappt zu sein. Es war das Lied des Baiji, das sie seit so langer Zeit gekannt hatte. Sie schüttelte wild ihren Kopf, um einen klaren Kopf zu bekommen, und bemerkte gerade noch rechtzeitig, was ihre Tochter im Begriff war zu tun.

Tian kletterte die bloße Steinwand hinauf und hatte beinahe den Eingang einer Höhle erreicht. Noch immer war Rauch in diesem Umfeld sichtbar, eine Wolke aus Dampf und Staub.

Und dann betrat das kleine Mädchen die Höhle, als ob sie in Trance gefallen wäre, die Hände vor sich ausgestreckt.

Kermit hatte das offensichtlich auch bemerkt und rannte bereits hinter ihr her. Peter dagegen rief nach seiner Freundin, um ihm und T.J. bei der Suche nach seinem Vater zu helfen. So jedenfalls interpretierte Ti seine wilden Gesten und die Wortfragmente, die sie durch den Klang der Baiji-Melodie hindurch vernehmen konnte.

„Pete, Tian ist jünger, als sie aussieht, und du weißt das. Sie ist noch nicht vertraut damit, wie die Dinge in dieser Welt laufen. Also beweg dich, lass uns Kermit da drüben helfen!“ Sie warf ängstliche Blicke zum Eingang der Höhle hinüber, in dem ihre Tochter verschwunden war. Noch immer quoll mit seltsamer Regelmäßigkeit Rauch daraus hervor.

Die Melodie allerdings war verklungen.

Angst stieg in Ti auf und drohte sie zu paralysieren, aber irgendwie gelang es ihr, sich zu Kermit hinüberzubegeben.

„Die Musik hat aufgehört“, wisperte sie.

Zu ihrer Überraschung schüttelte Griffin den Kopf. „Ich kann sie noch hören“, behauptete er. „Ich gehe hinein.“

„Nein! - Kermit, du hast nicht einmal eine Taschenlampe, wie willst du...“

„Weißt du, es gibt ein paar Dinge, die man von Leuten wie Paddy MacDermot oder MacGyver lernen kann. Und eines davon ist: Trage immer eine Minitaschenlampe bei dir.“

Er lächelte süffisant und zog eine solche aus seiner Westentasche hervor. „Bis nachher also.“

„Warte mal, Kermit – findest du es nicht irgendwie seltsam, dass aus einer solchen Höhle Musik zu hören ist?“ Ti hätte in diesem Moment nicht entscheiden können, ob es wichtiger war, Griffin davon abzuhalten, sein Leben zu riskieren, oder ihre Tochter zu retten aus den Händen von was auch immer sich in der Höhle befand. Gleichzeitig aber wusste sie bereits, dass sie in ein paar Sekunden anbieten würde, ihn zu begleiten.

„Das ist vermutlich nur eine Tropfsteinformation, die wie eine Äolsharfe funktioniert“, äußerte der ehemalige Söldner in sachlichem Ton. „Tian, geht's dir gut da drin?“

Eine Äolsharfe, alles klar. Eine Bezeichnung, die vom griechischen Pantheon abgeleitet war. Noch ein Element einer legendären Welt. Ein weiteres Symbol, das sie verwirrte. Das hier war genau das, wovor Ti sich fürchtete: dass ihre Tochter letztendlich ihr Schicksal als ein mystisches, vielleicht sogar mythisches Wesen erfüllen würde. Sie hatte Angst davor, ihr dann nicht mehr folgen zu können.

„Autsch! - Kermit, pass doch auf!“ Der ehemalige Söldner hatte einen weiteren Gegenstand, der mit Caine in Verbindung zu bringen war, aufgehoben und entschieden, ihn Ti hinüberzureichen. Weil er dabei aber etwas aus dem Inneren der Höhle vernahm, hatte er sein Gesicht dem Eingang zugewandt, während er gleichzeitig seinen Arm zurückschob, um das Objekt in ihre Hände zu legen – was eine Bewegung darstellte, die beinah eine instinktive Verteidigunsreaktion provoziert hätte, aber die KungFu-Meisterin in ihr hatte sie rechtzeitig daran gehindert.

Das hier war ein Freund, und zwar einer, der ihr etwas hinüberreichte, nicht einer, der sie angriff. Eine der wichtigsten Fertigkeiten eines Kämpfers bestand in der Fähigkeit, jederzeit bereit zu sein und niemandem zu trauen, nicht einmal jemandem wie Kermit – aber ebenso auch in der Fähigkeit, zu unterscheiden, wann eine Bewegung in der Luft Angriff bedeutete und wann nicht.

Dennoch hatte die Angst um Tian Tis Reaktionen verlangsamt, und sie sah den Ellbogen einen Sekundenbruchteil zu spät. Als Peter und T.J. sie erreichten, stand sie in herausfordernder Pose auf dem Fünfundzwanzig-Quadratmeter-Plateau vor der Höhle und rieb sich die Rippen.

Dann identifizierte Peter den Gegenstand, den Kermit gefunden hatte. „Das ist die Steinkette meines Vaters! Ti, was geht hier vor?“

„Woher soll ich das wissen? Los, gehen wir rein!“ Das hier war definitiv nicht ihre Vorstellung eines angenehmen Sommernachmittags, besonders nicht eines solchen während Peters Urlaubszeit.

Die Melodie war jetzt wieder deutlich zu vernehmen, und sie betraten die Höhle.

„Warum hätte mein Vater all diese Dinge zurücklassen sollen? Er muss entführt worden sein!“, murmelte Peter.

Eine kühle Brise schwappte durch den engen Tunnel hinter dem Höhleneingang, in dem sie jetzt unterwegs waren. Dann war der Wind für einen Moment nicht mehr zu spüren, nur um kurz darauf wieder präsent zu sein. Weder Kermit noch Tian ließen sich blicken. Die drei Freunde zitterten vor Kälte und folgten einer weiteren Biegung des Tunnels.

T.J., der die Vorhut bildete, blieb plötzlich stehen und hielt den Atem an. Seine Freunde bauten sich hinter ihm auf und blickten über seine Schulter in die Dunkelheit, die hier trotz des Lichtes von Kincaids Taschenlampe dominierte. Vor ihnen erschien ein leuchtener Schein.

''Wow - oh, wow!'', machte der Sohn des Polizeipräsidenten, als er schließlich seine Stimme wiedergefunden hatte. Was sie sahen, glich einem gigantischen Puzzle, dessen Einzelteile zwar bereits an den richtigen Stellen lagen, ihnen aber dennoch einige Zeit abverlangten, bis sie begriffen, was es war, das sie betrachteten. Kincaid murmelte: „Ist das ein... Drache?“

„Du klingst wie Hermine Granger, Teej. Lass das!“, forderte Ti ihn auf, erleichtert darüber, dass ihr Humor das bedrückende Gefühl von Mystik durchbrochen hatte, das die Höhle erfüllte. Diesen Moment hatte sie gefürchtet von der Minute an, in der ihre Tochter geboren worden war, und sie war noch nicht bereit anzuerkennen, dass, was auch immer hier geschah, richtig war. Sie hatte einen sehr langen Weg hinter sich gebracht: von einer gelassenen Künstlerin der Meditation zu einer völlig verwirrten Mutter. Sie fühlte sich paralysiert. Bewegungslos.

T.J. wiederholte staunend: „Ist das... wirklich... ein Drache?“

Jawoll, dachte Ti, vermutlich ja. Schließlich ist meine Tochter angeblich das Drachenkind, also worüber streiten wir hier eigentlich? Sie fühlte sich müde, und ihre Knie drohten wegzusacken.

„Wirklich?“, erkundigte sich T.J. einmal mehr, und Peter sagte voller Ehrfurcht: „Ich denke, es ist einer.“

Ti sank zu Boden und wäre gefallen, wenn T.J. sie nicht gerade noch rechtzeitig aufgefangen hätte.

„Danke, Teej“, sagte sie leise.

Offenbar trotzdem laut genug, damit der Drache sie hörte. Das Licht, das von ihm ausging, gewann an Stärke.

Die gigantische Kreatur, deren Äußeres von Schweiß oder dem Kondenswasser der kühlen Höhlenwände glänzte, lag zusammengerollt am entfernten Ende von etwas, das aussah wie ein riesiges Nest aus Lehm.

„Übrigens, Teej, es ist kein 'Das' - es ist eine 'Sie', kiekste Ti. Gab es überhaupt noch irgendetwas, worüber sie wirklich Kontrolle hatte? Nicht ihre Stimme, das war deutlich, und genausowenig ihre Tochter... Aber ihre Beine zumindest gehorchten ihr wieder. Gut.

Das Drachenweibchen hatte sein Nest mit Federn und Kräutern ausgestattet, um ihre Jungen warm und gesund zu erhalten, und Ti fühlte plötzlich eine Welle des Mitgefühls mit dem mythischen Tier, das dem Aussehen der gefurchten Oberfläche nach offenbar seine Klauen eingesetzt hatte, um schützende Wände zu formen. Plötzlich begriff sie, was der Rauch vor der Höhle in Wirklichkeit gewesen war: Der Atem des Drachen. Unsichtbar aus der Entfernung, während das Gewitter tobte; sichtbar nur für diejenigen im Auge des Sturms, diejenigen, denen es bestimmt war, hier zu sein. Plötzlich sah die ganze Sache deutlich angenehmer aus.

Allerdings war der Drache nicht nur dabei, sie zu beobachten. Er legte seinen Schwanz um Tian und öffnete sein Maul.

„Nein!“, schrie Ti und wehrte sich gegen T.J.s und Peters Versuch, sie zurückzuhalten. Sie würde nicht zulassen, dass der Drache ihre Tochter verschluckte, Schicksal oder nicht, nicht einmal ein Himmelsdrache, nicht einmal ein Lóng. Sie nahm all ihren Mut zusammen und trat vor.

Zehn Fuß näher am Nest griffen aus der Dunkelheit vier Arme nach ihr.

Später konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob sie aus vollem Halse geschrien oder sich einfach still ergegeben hatte. Aber darauf kam es nicht an.

Caine war hier.

Und Kermit, der hinter dem Shaolinpriester stand, war ebenfalls da.

Der Drache öffnete sein Maul ein wenig weiter, und Kermit schrie: „Überraschung! - Hey, Süße, wir sind's, und wir wären dir sehr verbunden, wenn du einfach tun könntest, was auch immer du gerade tust, und – das hätte ich wohl zuerst sagen sollen – uns dann unser kleines Mädchen gesund und munter wiedergibst!“

Ti hatte immer gewusst, dass der ehemalige Söldner nicht zu stoppen war, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, aber dieses Mal war es gefährlich. Nicht nur für ihn, sondern für alle Anwesenden.

Caine allerdings blieb völlig ruhig.

„Tu doch was“, flehte Ti.

„Das werde ich nicht“, sagte er. „Schau.“

Die fünf standen nun mehr oder weniger zusammengedrängt, und Ti konnte die Wärme ihrer Freunde fühlen und die Energie, die langsam wiederkehrte von irgendwo, wo sie versteckt gewesen war.

Der Drache schloss seine Zähne um das kleine Mädchen, und Ti fiel in Ohnmacht.

Als sie ihr Bewusstsein wiedererlangte, flogen ihre Augen zu dem Ungeheuer, zum Nest.

Aber darin befand sich kein Ungeheuer. Nicht im Sinne eines brutalen nichtmenschlichen Wesens jedenfalls. Die Zähne des Drachen berührten Tian's Haut mit größter Sorgfalt und Zärtlichkeit, und in dem Moment, als sie das taten, wobei der Schwanz des Tieres die meisten der wunderbaren Ereignisse vor den Zuschauern verbarg, geschah etwas.

Genaugenommen geschahen viele Dinge zugleich.

Zuallererst begriff Ti, dass sie ihre Tochter niemals mehr als unreif bezeichnen würde. Sie wusste augenblicklich, noch bevor ihre Augen tatsächlich sehen konnten, was geschah, dass die scheinbar endlosen Monate, in denen sie das Kind vor neugierigen Blicken geschützt hatten, die Monate, in denen sich Wachstumsschübe ereignet hatten, die keinem der Menschheit bekannten Hormon zugeschrieben werden konnten, schließlich zu einem Ende gelangt waren. Das hier war es, worauf ihre Schwangerschaft und Tian's Kindertage ausgerichtet gewesen waren.

Zum Zweiten begann das Licht des Drachen in jeder Farbe, die Ti sich vorstellen konnte, zu schimmern, und sie erkannte, dass dieses Oszillieren unbeschreiblicher Nuancen dem Effekt ähnelte, die sie beobachtet hatte, als sie auf Caines Ring gestoßen waren. Und plötzlich hegte sie den Verdacht, dass der Shaolinpriester von all dem schon die ganze Zeit über gewusst, wie üblich aber niemanden eingeweiht hatte. Zorn brodelte in ihrem Bauch und ließ sich nur mit immenser Konzentration in Schach halten.

„Paps, bist du in Ordnung?“, fragte Peter schließlich, als er begriff, dass seiner Tochter keine unmittelbare Gefahr drohte.

Caine nickte und lächelte. Ti sah zuerst ihn an, dann seinen Sohn, und gab ihrem Freund einen Klaps ins Gesicht, genauso wie es ihr zukünftiger Schwiegervater üblicherweise tat.

Peter griff nach ihrer Hand und hielt sie fest, und dann umarmte er sie, zum ersten Mal seit einer Woche oder sogar noch längerer Zeit. Richtig, ein paar freie Tage taten Paaren gut, das hatte Ti ganz vergessen. Ihr war klar, dass auch er keine Ahnung davon hatte, was geschehen würde, aber da die meisten ihrer Freunde bei ihnen waren und ihre Tochter lebte, oblag alles Übrige dem Dao. Oder vielmehr, dachte Ti, um es persönlicher auszudrücken: den Himmeln. Wenn das Universum unerwartete Wunder wie dieses hier hervorbringen konnte, war es definitiv notwendig, dass jemand dieses Chaos in Ordnung brachte, und Ti schätzte sich glücklich, in der Zahl derer zu sein, die die Möglichkeit hatten, diesen Jemand zu kennen.

Detective Griffin und der Shaolinpriester betrachteten einander wie üblich mit Respekt. Dann fragte Kermit: „Sie haben heute morgen nicht mit Ti gesprochen, Caine. Das haben Sie doch aus einem bestimmten Grund getan, oder vielmehr nicht getan! Und der Hut, der Ring, die Kette – das waren Spuren, richtig? Hinweise, um uns hierher zu locken, nehme ich an.“

Der Computercop wedelte mit den Armen durch die Höhle, die noch immer von intensiver Feuchtigkeit erfüllt war. Er begann sich zu fragen, weshalb das Atmen hier so leicht fiel, obwohl nach menschlichem Ermessen keine ausreichendes Angebot an Sauerstoff vorhanden sein konnte, und er justierte nervös den Sitz der Sonnenbrille auf seiner Nase.

Dann schien er zu bemerken, dass das Tragen von Sonnenbrillen in Höhlen nicht gerade sinnvoll war, denn er fummelte einige weitere Sekunden damit herum. Ti lächelte.

Sie konnte sich mit Leichtigkeit vorstellen, wie er sich fühlte: Kermit befand sich in einer Lage, über die er nachdenken musste – er war kein Mensch von der Sorte, die ihre Überzeugungen über Bord gehen ließ aus einem so simplen Grund wie dem, dass im Augenblick das Nichttragen von Sonnenbrillen der Situation angemessener war und außerdem das Sehen erheblich erleichtern würde.

Schließlich schien Griffin zu entscheiden, dass hier einer jener Augenblicke vorlag, in dem ein einzigartiges Zeichen gesetzt werden konnte, und er verstaute die Sonnenbrille in seiner Westentasche.

Kincaid starrte ihn überrascht an, zu Kermits offensichtlichem Amüsement. Ti gab Griffin einen Rippenstoß.

Dann erinnerte sie sich daran, was der IT-Cop zuvor hatte wissen wollen, und sie nahm den Faden wieder auf: „Caine, ich bin daran auch interessiert. Du wusstest, dass das hier geschehen würde, nicht wahr?“

Caine nickte und lächelte, aber diesmal wurde niemand geohrfeigt. Die Gruppe verstummte. Tian erschien in der Mitte des Drachenbaus und näherte sich ihnen.

Das kleine Mädchen strahlte eine gelassene Freude aus, die ihr Alter weit zu übersteigen schien. Sie näherte sich der Gruppe der Erwachsenen und ergriff die Hand ihres Patenonkels.

„Sieh sie an“, forderte sie und zeigte auf den Drachen. „Sie sagt, du kannst es gebrauchen.“

Widerwillig warf Kincaid einen Blick auf die gewaltige Kreatur, die im Kopf des Polizisten eher das Bild eines T-Rex mit ungewöhnlich schlankem Kopf hervorrief als das eines freundlichen Beschützers. Ihre Kraft erschien ambivalent wie die des Regens draußen oder die des Wassers, das hier und da von den Wänden der Höhle tröpfelte: fähig, sowohl zu zerstören als auch Leben zu fördern. Sobald T.J.s Augen aber einmal ihre schuppige Existenz berührten, war es, als würde ein seit langem eingekerkerter Teil seiner Seele plötzlich befreit. Er war endlich fähig zu atmen und wieder er selbst zu sein.

Bevor er allerdings dem Drachen oder dem Kind seinen Dank erweisen konnte, ließ Tian seine Hand fahren und begab sich stattdessen zu Kermit hinüber. Der IT-Cop erhielt nicht die geringste Chance zu protestieren; die Tochter seines besten Freundes zog ihn in Richtung des Lóng, ermutigte ihn ununterbrochen, die geschuppte Haut zu berühren. Er fragte sich, wer jetzt gerade wem beibrachte, wie man schwamm...

Dann, ganz langsam, streckte er die Hand aus nach dem, was sein Verstand noch immer als unfassbare Unmöglichkeit verbuchte. Er ertappte sich dabei, dass er sich fragte, ob sich die Haut des Tieres nass, schleimig oder trocken anfühlen mochte. Und schließlich überwand sich der realistische Ex-Söldner und schaffte es, das Unerklärliche in seinem Leben zu akzeptieren. Der Glanz des Drachen schenkte ihm einen wärmenden Widerschein auf seinem Gesicht und versöhnte ihn mit der Merkwürdigkeit der Situation, während er sich umdrehte und sich der Gruppe der Zuschauer anschloss.

Tian blieb für einige weitere Sekunden in der Nähe ihrer mythischen Freundin, um sie noch einmal zu umarmen, und jeder in der Höhle empfand ein starkes Gefühl von Versöhnung und Frieden. Als das kleine Mädchen den Drachen ein letztes Mal liebkost hatte, machten sie sich auf den Weg zurück zu den Ufern des Sees.

Auf der Ebene direkt hinter dem Eingang der Höhle äußerte Kermit beiläufig: „Oh, übrigens, was immer ihr tut – erzählt niemandem davon, besonders nicht Captain Simms. Andernfalls, Pete, T.J. - ich weiß, nenn mich nicht T.J. -, andernfalls enden eure Urlaubspläne in einer Gummizelle auf dem Revier.“

„Verstanden, Daddy“, T.J. war zu Scherzen aufgelegt, „aber meinst du nicht, dass ein Drache dieser Größe und Farbe - oder sollte ich sagen 'Farben' -, meinst du nicht, dass er Aufmerksamkeit auf sich lenken wird?“

Caines dazwischenfahrende Hand unterbrach ihn.

„Ich glaube nicht, dass er Aufmerksamkeit erregen wird“, sagte der Shaolinpriester ruhig. Und dann führte er, als sei nichts geschehen, seine Familie und seine Freunde zurück zu ihrem Wagen, entlang der Ufer des Sees, durch die unterschiedlichen Wetterzonen, die sie an jenem Tag bereits einmal durchschritten hatten, nur in umgekehrter Reihenfolge: von durch den Atem des Drachen verdunkeltem Sonnenschein zu leichten Winden und schließlich in die Dunkelheit eines Gewitters.

Als sie in die Limousine stiegen, waren alle völlig durchnässt.

„Kein Problem“, bemerkte T.J., „dieser Wagen hat eine Klimaanlage, die zehn Lagerfeuer aufwiegt. Wir werden im Handumdrehen wieder trocken sein.“

Mit diesem Kommentar drehte er den Zündschlüssel, und die Heizung begann zu arbeiten. Ironischerweise erinnerte deren Markenbezeichnung die Freunde an die Erlebnisse jenes Tages. Allerdings war niemand in der Stimmung, sich das einzugestehen.

Nur Tian schien schon wieder auf Ungewöhnliches aus zu sein, und obwohl sie niemand jemals gelehrt hatte zu lesen – schließlich war sie in Wahrheit erst wenige Monate alt und hatte ein unglaubliches Pensum anderer Dinge zu lernen gehabt -, entzifferte sie die Worte, „ 'Dragon Power'. Drachenkraft! Wow. Dann machen wir jetzt mit diesem Auto eine Reise durch die Luft!“

Und bevor T.J. den Wunsch seiner Patentochter erfüllen oder Tian den Drachen bitten konnte, ihnen zu helfen, wagte sich Ti in eine weitere Lektion über die Frage, wie man einem einjährigen Baby, das bereits sprechen und lesen konnte, die Wunder der Welt nahebringen konnte, von denen sie selbst eines war.

Ende


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