Autor: Lady Charena
 

„Ich suche nach Kwai Chang Caine.“ Die Augen des Mannes mit den roten Haaren waren – wie bei Peters Freund Kermit – hinter dunklen Brillengläsern versteckt.

Der Shaolin neigte nur den Kopf, was zugleich Zustimmung, als auch eine Einladung war, näher zu treten – und die Aufforderung, weiter zu sprechen.

„Ich habe Hinweise darauf, dass Sie mir eventuell etwas über einen Mann namens Zeke Caine sagen könnten.“

Der Priester fuhr damit fort, mit gleichmäßigen Bewegungen eine silberne Flöte zu polieren. „Mein Großvater hatte einen älteren Halbbruder namens Daniel. Dieser hatte einen Sohn mit dem Namen Zeke Caine“, sagte er ruhig, seine Stimme fast emotionslos.

Der andere Mann nahm die Sonnenbrille ab und hielt sie nun in den Händen. „Wuchs dieser Zeke Caine bei seinem Großvater auf? ´Dem Vater seiner Mutter - einem General Cantrell?“ Seine Augen waren von einem hellen blau, als würden sie das Licht der Kerzenflammen reflektieren.

Zum ersten Mal hob der Shaolin den Blick. „Das ist korrekt.“

„Mein Name ist Horatio Caine. Ich komme aus Miami. Zeke Caine war mein...“

„Urgroßvater“, beendete der Shaolin. „Sie sind zu jung, als dass er Ihr Großvater sein könnte. Er wurde 1860 geboren.“ Er wies einen Stuhl der unweit der Plattform stand, auf der er mit gekreuzten Beinen saß und wartete, bis Horatio Platz genommen hatte.

Horatio beugte sich leicht vor und fixierte ihn. „Sie wissen offenbar mehr darüber als ich.“

„Mein Großvater hat mir ein Tagebuch hinterlassen. Er schrieb über seinen Halbbruder und dessen Sohn. Und über eine Konfrontation mit General Cantrell.“

„Ich bin indirekt über ihn auf diesen Zweig der Familie gestoßen.“ Horatio drehte die Sonnenbrille in den Händen. „Das Haus, das General Cantrell gebaut hat, ist unter Denkmalschutz gestellt worden. Er hat Tagebücher und andere Unterlagen hinterlassen, die in einem kleinen Museum gezeigt werden, offenbar war er ein hochdekorierter Kriegsheld. Ein Teil der Unterlagen ist auch im Internet verfügbar und ich stieß eher zufällig auf die Erwähnung meines Urgroßvaters. Doch damit erschöpfen sich meine Informationen eigentlich auch schon. Was können Sie mir sagen?“

Der Priester legte sorgfältig seine Flöte zur Seite. Ein nachdenklicher Ausdruck trat in die dunklen Augen. „Daniel Caines Frau kam bei der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Zeke ums Leben. General Cantrell hatte keinerlei Interesse an seinem Enkel, er hatte seine Tochter nach der Hochzeit mit Daniel verstoßen“, fuhr er fort. „Daniel fand eine Witwe in einer kleinen Stadt namens Orion, die sich um Zeke kümmerte. Daniel... er kam mit dem Tod seiner Frau und damit, ein Kind allein großziehen zu müssen, nur schwer zurecht. Noch bevor Zeke ein Jahr alt war, verließ Daniel Orion und kämpfte im Bürgerkrieg. Nach vier Jahren kam er zurück und verschwand mit seinem Sohn. Er heiratete ein zweites Mal, eine Frau namens Elisabeth Chambers, die Zeke großzog. Sie kümmerte sich auch weiter um ihn, als Daniel auf schiefe Wege geriet, sich als Revolverheld und Boxer durchschlug. Als Zeke das Teenageralter erreicht hatte, war ein Kopfgeld auf Daniel Caine ausgesetzt worden und er tauchte unter. Zur gleichen Zeit kam Kwai Chang Caine – mein Großvater – in den Wilden Westen. Er war ebenfalls auf der Flucht, nachdem er den Neffen des Kaisers von China getötet hatte. Und auf der Suche nach seinen Wurzeln. Seine Eltern waren zwanzig Jahre zuvor in China gestorben. Doch sein Großvater, Henry Caine, war noch am Leben und berichtete ihm von seinem Halbbruder. Er machte sich auf die Suche nach Daniel.“

Horatio schüttelte den Kopf. „Manchmal habe ich das Gefühl, der Name Caine ist noch immer mit dem gleichen Fluch belegt wie in seinem biblischen Ursprung.“ Er sprach sehr leise, fast so als würden die Worte nur für ihn selbst bestimmt sein. Dann blickte er den Mann wieder an, der vor ihm saß. Er wusste nicht genau, was er von ihm halten sollte.

Der Shaolin faltete lose die Hände. „Mein Großvater beschreibt Zeke in seinem Tagebuch. Seine Sommersprossen, die roten Haare und seine blauen Augen, die von den irischen Vorfahren seiner Mutter stammen. Außerdem bezeichnet er ihn als hartnäckig, eigensinnig und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ Er lächelte. „Es ist offensichtlich, dass Sie seine äußeren Merkmale geerbt haben. Ich denke, es lässt sich einrichten, dass ich Ihnen die entsprechenden Einträge als Kopie zur Verfügung stelle, Lieutenant Caine.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte Horatio.

Der Priester kam in einer fließenden Bewegung auf die Beine und trat von der Plattform herunter. „Ich habe die Dienstmarke an Ihrem Gürtel gesehen. Mein Sohn ist ebenfalls Polizist.“ Er streckte ihm die Hand entgegen. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Willkommen in der Familie.“


Ende

 

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