************************************************ …but how do I let go when I've …it's so hard to just let go
Vertraute Schritte erklingen auf den Stufen der alten Feuerleiter, die auf meinem Balkon führt und meine Ohren bestätigen nur, was mein Herz bereits weiß – Peter hat den Weg zu meiner neuen Wohnung gefunden. Der Ausdruck von Erleichterung und Freude, gemischt mit einer unterliegenden Strömung von Sorge, war den ganzen Tag in Peters Gedanken. Mein Bewusstsein seiner Empfindungen, das während meiner Abwesendheit befremdlich gestört war, ist sehr zu meiner Erleichterung zurückgekehrt und ich erfreue mich an dem erneut wachsenden Band zwischen uns. Die Sonne beginnt eben erst sich zu neigen und ich frage mich, warum Peter es vorzieht, den Abend mit mir, anstelle den Blaisdells zu verbringen. Erst an diesem Morgen war es Paul Blaisdell möglich gewesen, das Krankenhaus nach dem Überfall des Chi’Ru zu verlassen und mein Sohn hatte sich entschieden, Zeit mit ihm und seiner... anderen... Familie zu verbringen. Ich war ebenfalls dort, wartete vor dem Hospital, um nicht zu stören – doch ich hatte das Empfinden, in diesem Moment in Peters Nähe sein zu müssen. Es fällt mir noch immer schwer, mich der Wahrheit meiner Gefühle zu stellen, aber ich kann auch nicht die beschämende Eifersucht verleugnen, die mich nach wie vor verfolgt. Ich bin nicht fähig, Paul Blaisdell anzublicken, ohne meinen Verlust zu sehen. Nicht Ärger zu empfinden über die Jahre, die mir gestohlen wurden, über die verpassten Freuden und Sorgen, mein einziges Kind zu dem Mann heranwachsen zu sehen, der er nun ist. Ein unwürdiger Gedanke, um so mehr aufgrund dessen, was ich darstelle... Und doch. Ich bin nur ein Mann und mein Herz ist so trügerisch und so leicht zu brechen wie das jedes Menschen. Ich habe meinen Sohn seit einigen Tagen nicht gesehen - um genau zu sein, nicht mehr seit dem Kampf mit dem Chi’Ru-Meister und dessen Schüler. Nachdem ich Peter und seine Freundin Kelly Blake zu Peters Wohnung begleitet hatte, verließen Lo Si und ich ihn. So sehr ich es bevorzugt hätte, bei meinem Sohn zu bleiben, um seinen Kummer und seine Anspannung zu besänftigen, war mir doch klar, dass ich das junge Paar nur stören würde. Peter hatte sich jetzt um Kelly zu kümmern, sie über ihre Entführung hinweg zu trösten und ihr zu helfen, mit den Ereignissen umzugehen, die ihr befremdlich und unwirklich erscheinen mussten. Später würde Zeit genug sein, mich mit meinem Sohn auszusprechen und die Distanz, die aus meiner Abwesenheit erwachsen war, zu überbrücken. Als wir in der Wohnung meines Meisters ankamen, bot mir Lo Si Tee an und begann, mich über meine Pläne auszufragen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass er bereits eine Unterkunft für mich arrangiert hatte – offenbar davon ausgehend, dass ich in der Stadt bleiben würde, lange bevor ich diese Entscheidung traf. So machte ich mich auf dem Weg zu dem mir benannten Gebäude, mir meiner weiteren Zukunft noch unsicher. Lo Si und die Gemeinde versorgten mich mit vielen nötigen – und unnötigen – Dingen für meine neue Unterkunft, an den Räumen mussten Reparaturen vorgenommen worden und ich verbrachte viel Zeit damit, Besuche zu machen – und zu empfangen - und mich für die Geschenke zu bedanken. Und obwohl ich überall mit Freude empfangen wurde oder Besucher willkommen hieß... die Person, die ich am sehnlichsten erwartete, kam nicht. Und ich fühlte, dass ich nicht das Recht hatte, Peter aufzusuchen. Mein Sohn musste aus eigenem Antrieb zu mir kommen – alles andere würde er als Aufdringlichkeit empfinden. Wie sehr die Situation doch erneut der glich, als ich ihn in dieser fremden Stadt wiederfand... Wieder war ich unsicher, wie ich mich ihm nähern sollte, verwirrt über seine Reaktionen. Das hatte ich nicht erwartet, als ich ein halbes Jahr zuvor von hier wegging, um mir über meinen weiteren Weg klar zu werden. Es war Kelly Blaisdell, nicht Peter, der mich beim Krankenhaus entdeckte und den anderen meine Anwesenheit mitteilte. Während Peter seinem Pflegevater dabei half, in den Wagen zu steigen, trat ich zu ihnen. Annie wandte sich mit offener Freude an mich und lud mich ein, mit der Familie zu Mittag zu essen. Ich lehnte ihr freundliches Angebot höflich ab. Und entgegen meiner Erwartung versuchte auch Peter nicht, mich zum Bleiben zu überreden. Er schien meine Anwesenheit kaum wahrzunehmen und zum ersten Mal seit meiner Rückkehr wurde mir deutlich, dass ich ihn verloren haben könnte. Trotz seiner gegenteiligen Worte im Park hinter dem Krankenhaus, hat er mir nicht verziehen, dass ich ihn... erneut... verlassen habe. Ich hebe den Kopf und beobachte Peter, der auf der anderen Seiten der gläsernen Balkontüren steht, beide Handflächen flach gegen das Glas gepresst, als wage er nicht, die Wohnung zu betreten. Er wartet darauf, dass ich zu ihm komme. Und so stehe ich auf und durchquere den Raum, um seinem Blick durch die gläserne Barriere zwischen uns zu begegnen. Einem plötzliche Impuls folgend, presse ich meine Handflächen gegen die Scheibe, bedecke Peters auf der anderen Seite, stelle mir durch das trennende, kühle Glas die beruhigende Wärme seiner Haut an meiner vor. Für einen Moment kann ich sie fast fühlen. Heute Abend bin ich nicht in der Lage, in seinen braunen Augen zu lesen und am Ende bin ich es, der als erster den Blickkontakt bricht. Ich ziehe meine Hände zurück und öffne einen der Türflügel. “Bin ich erwünscht?”, fragt Peter und mein Herz setzt einen Schlag lang aus – sowohl aufgrund der Erschöpfung in seiner Stimme, als auch wegen der Erinnerungen, die seine Worte wachrufen. Erinnerungen, die uns beide unendlich wertvoll sind. „Du musst niemals um Erlaubnis fragen, um diese Wohnung zu betreten, Peter“, antworte ich leise. „Du weißt, dass alles, was ich besitze auch dir gehört.“ Etwas wie Ungläubigkeit schimmert in seinen Augen auf und instinktiv strecke ich die Hand nach ihm aus. Doch Peter zuckt vor meiner Berührung zurück und ich lasse die Hand rasch sinken, neige meinen Kopf um meine Beschämung und meinen Schmerz gleichermaßen zu verbergen. Habe ich das Recht verloren, mein Kind zu berühren? Peter geht an mir vorbei, tritt in den Raum. Durch die nur angelehnte Tür folgt ihm die Kühle des Abends und bringt die Kerzen auf dem Altar zum Flackern. „Nun... ein bisschen spärlich eingerichtet ist es ab. Aber zumindest scheint alles daraufhin zu deuten, dass du vorhast, wieder eine Weile zu bleiben“, sagt Peter und ich kann ein Zusammenzucken nicht verhindern, als ich den bitteren Zynismus in seinen Worten wahrnehme. ‘Bin ich für deinen Schmerz verantwortlich?’ Wieder höre ich mich selbst, wie ich diese Frage im Garten des Krankenhauses stelle. Und anders als damals, erhalte ich nun eine Antwort – wenn auch nur in meinen Gedanken. ‘Wer sonst...’ Mich selbst zur Ordnung rufend, wende ich mich meinem Sohn zu, der offenbar auf eine Erwiderung warte. “Peter…” Doch er lässt mich nicht weitersprechen – was möglicherweise besser ist, denn ich bin mir nicht sicher, mit welchen Worten ich büßen, die Wunden gutmachen könnte, die ich ihm zugefügt habe. “Paul und Annie sind heute Nachmittag in die Hütte am See gefahren, damit Paul sich dort erholen kann. Und Kelly besucht noch immer ihre Eltern. Sie... hat sich noch nicht ganz von der Entführung erholt und hat sich vorerst vom Dienst beurlauben lassen.“ Peter tritt zu dem ersten der Regale, die einmal meine Apotheke aufnehmen werden – sollte ich mich dazu entschließen, diesen Teil meines Lebens weiter zu führen. „Das ist im Moment das Beste für alle. Sich von mir fern zu halten, meine ich. Kelly ist es langsam satt, mit jemand zusammen zu sein, der mysteriöse Killer und andere Katastrophen wie ein verdammter Magnet anzieht.“ „Die Rückkehr des Chi’Ru war nicht deine Schuld, mein Sohn.“ Der Themenwechsel macht mich sicherer. „Er benutzte dich nur als einen Köder. Aber er hat Everett Cooper nicht getötet und wurde erneut von uns besiegt. Ich bin sicher, dass deine... Freundin... Kelly mit der Zeit Verständnis finden wird, wenn du ihr erklärst, dass...“ Bitteres Gelächter schneidet meine Worte an und ich stocke, als mir klar wird, dass dieses erschreckende Geräusch von Peter kommt. „Wie edelmütig“, spottet er. „Spricht da der demütige Shaolinpriester oder mein Vater?“ Peter dreht sich mir ruckartig zu und ich sehe erstaunt die Wut und den Schmerz in seinen Augen. „Macht es dich glücklich, wenn du die Schuld für alles auf dich nehmen kannst?“ “Peter…” Er kommt mir sehr nahe. „Sieh der Wahrheit ins Gesicht, Dad.“ Sein Zeigefinger, der gegen meine Brust stößt, unterstreicht jedes Wort. Eine fast greifbare Woge an Zorn trifft mich so heftig wie ein Fußtritt in den Bauch. „Es ging niemals um dich. *Ich* war mit allen Opfern bekannt. Und sie sind nur gestorben, weil sie *mich* kannten. Kelly wurde in diese Scheiße verwickelte, weil sie *mich* liebt. Paul wurde fast tot geprügelt – wegen *mir*. Dieser Bastard machte meine Nächte zur reinsten Hölle, mit Alpträumen von denen ich dachte, sie würden mich noch in den Wahnsinn treiben. Ich hatte keine Kontrolle über nichts mehr, er hat mir alles genommen. Er hat... er hat dich fast getötet! Und jetzt kommst du an und willst mir das letzte nehmen, das ich noch habe – meine Verantwortung für dass alles...“ Sich mit den Fingern durch das Haar fahrend, wendet er sich von mir ab und geht auf die Balkontür zu. Einen Moment lang befürchte ich, dass er vor mir wegrennen wird – doch er bleibt stehen, lehnt seine Stirn gegen das kalte, glatte Glas. Vielleicht zum ersten mal in meinem Leben fehlen mir die Worte. Ja, ich weiß, dass Peter so ist, wie er ist – er gibt sich immer selbst die Schuld an allem. Ich habe ihm bereits gesagt, dass er für nichts von dem verantwortlich zu machen ist, was geschah – doch er schenkt mir keinen Glauben. Vielleicht wird er es, wenn er sich beruhigt hat. Zögernd folge ich ihm, trete nahe zu ihm und – als er keine Anzeichen von Wiederstand zeigt – lege meine Arme um ihn. Peter bleibt rigide und unnachgiebig in meiner Umarmung. Ich lehne meinen Kopf gegen seinen Rücken, um seinem Herzschlag zu lauschen und schließe meine Augen. Meine Gedanken drehen sich wie wild im Kreis. Peter löst sich aus meinen Armen und wendet sich mir zu. Ich öffne meine Augen, doch er begegnete meinem Blick nicht, als er nach meinen Händen greift und sie nach unten drückt. „Nein... das funktioniert nicht mehr, Paps“, sagt er. „Nicht dieses Mal... nicht mehr. Ich bin kein Kind mehr und du kannst meine Alpträume nicht mehr mit einer Umarmung oder einen Lied vertreiben.“ Mit einem müden Seufzen bewegt er sich von mir fort und ich fühle eine seltsame Kälte in mir aufsteigen. Ich drehe meinen Kopf nach ihm, folge ihm nur mit den Augen, als er ziellos durch den Raum schlendert. „Du wirst immer mein Kind sein, Peter.“ „Hör auf damit, Paps. Vergiss es. Das ist vorbei. Du siehst mich immer noch als den Zwölfjährigen an, der ich war, als der Tempel zerstört wurde.“ Er lehnt sich gegen einen Tisch, den ich für meine Apothekerarbeit zu verwenden gedenke und verschränkt die Arme vor der Brust. „Bist du deswegen wieder weggegangen? Weil du anstatt des braven, kleinen Jungen mich gefunden hast? Sieh’ es endlich ein. Er ist tot! Er ist in dieser Nacht im Feuer umgekommen!“ “Nein, Peter – du bist noch immer wie dieser Junge…” Peter unterbricht mich, in dem er die Hand in einer Geste hebt, die er von mir gelernt hat. „Ich erinnere mich an die Lektion, du musst sie nicht wiederholen. Das ist nicht der richtige Zeit für dein kleines Märchen über den Persischen Fehler, spar es dir für einen anderen Narren auf. Es geht um dich und mich, Paps. Ich bin nicht der Sohn, den du haben wolltest. Ich bin eine Enttäuschung für dich!“ Er schüttelt den Kopf. „Ich war ja so blind, dass ich das nicht früher verstanden habe. Du hast es mir gesagt, du bist nur in diese Stadt gekommen, um Sing Ling zu finden und zu schützen. Um die Ehre unserer Familie wieder her zu stellen. Unser Wiedersehen war nur ein... ein glücklicher Zufall. Aber ich dachte wirklich, du würdest dich an mich gewöhnen. Mich wieder lieben – mich, und nicht das Bild deines kleinen Jungen, das du all die Jahre mit dir rumgeschleppt hast.” „D-Du...“ Ich unterbreche mich selbst, zwinge meine Stimme unter Kontrolle. „Du irrst dich, Peter. Bitte... deine Erschöpfung lässt dich alles so düster sehen. Ich verstehe jetzt, dass du von mir enttäuscht bist und dass dich meine Abwesenheit verletzt hat. Aber du musst mir glauben... du bist die wichtigste Person in meinem Leben. Als man mir sagte, du wärst umgekommen... ich hatte nicht nur mein Kind in den Flammen verloren... ich hab in dieser Nacht meine Seele verloren. Dich zu finden, hat sie mir zurückgebracht.“ „Leere Worte.“ Peter zeigt noch immer keine Reaktion, und das besorgt mich mehr als seine Wut vor ein paar Minuten. „Du liebst mich nicht“, sagt er leise. „Ich wünschte, du würdest dir selbst zuhören... Vater... du verstehst überhaupt nichts. Ich bin nicht, wie du mich haben willst – und du kümmerst dich nicht darum. Du versuchst mich nur immer in diese nette, kleine Form namens „Peter Caine“ zu pressen. Du...“ Er stockt. Jedes seiner Worte durchdringt mich wie ein Messer, unfehlbar auf mein Herz zielend, sie reißen mich innerlich in Fetzen. Ich beobachte den Fremden, der das Gesicht meines Sohnes trägt und... bin hilflos. „Das ist nicht wahr. Ich liebe dich, Peter.“ Ich wage nicht, zu ihm zu gehen und versuche ihn mit meinen Gedanken zu erreichen. Doch alles, was ich vorfinde, ist eine massive, schützende Wand, die er um sich errichtet hat, so kalt und unnachgiebig wie Marmor. Es trifft mich wie ein Schock, dass die Verbindung, die so zögerlich seit unserer Wiedersehen gewachsen ist, nicht mehr zu existieren scheint... und dass nicht ich, sondern Peter die Kontrolle darüber hat. Es wird mir klar... was ich schon viel früher hätte verstehen müssen... es ist der Grund, warum ich nur manchmal seine Gedanken und Emotionen so deutlich empfangen konnte, während er zu anderen Zeiten völlig unerreichbar war. Ich ertrage es nicht länger, ihm so fern zu sein und durchquere den Raum, um sein Gesicht mit beiden Händen zu umschließen. Und dieses Mal weicht er meiner Berührung nicht aus. Er begegnet meinem Blick, doch noch immer kann ich nicht in seinen Augen lesen. Langsam ziehe ich ihn näher zu mir und er lässt es zu, gibt nach, als ich ihn umarme. Erleichterung quillt in mir auf, als er nach einem Moment des Zögerns den Kopf an meine Schulter legt, seine Arme mich unsicher umfassen. Mit Knien, weich von dem emotionalen Sturm, der über mich hinweggefegt ist, ziehe ich ihn mit mir nach unten, bis wir beide auf dem Boden sitzen. Und er erlaubt mir, ihn zu halten, als sich der aufgestaute Ärger, der Kummer über Paul und die Verletzungen, die in meiner Verantwortung liegen, in erschöpften Tränen entladen. Peter ist voll von Verwirrung, doch mit der Realität meines Kindes in meinen Armen, glaube ich daran, dass wir diese erschreckende Entfremdung zwischen uns überbrücken können. Ich muss einen Weg finden, seine Liebe zurück zu gewinnen – denn ich weiß nur eines, ohne meinen Sohn kann ich nicht weiterleben.
Heute Abend ist Peter angespannt und wachsam. Anstatt zu reden, sitzt er wortlos auf der Plattform und beobachtet jede meiner Bewegungen. Ich bin damit beschäftigt, die getrockneten Blätter einer Heilpflanze von den nicht zu verwendenden Stielen zu streifen. Es ist keine besonders schwierige Aufgabe, auch wenn die zarten Blätter bei mangelnder Sorgfalt leicht zerdrückt werden können. Ich halte inne, sehe von den Kräutern auf und lenke meine Aufmerksamkeit erneut auf mein Kind. Die Heilpflanze erinnert mich an Peter – so widerspenstig, wie sich die Blätter an ihre Stiele klammern, so hartnäckig klammert sich Peter an seinen Kummer und seinen Schmerz. Den Versuch, ihn davon zu trennen, ohne die äußerste Sorgfalt aufzubringen, könnte ihn mühelos zerstören. Selbst wenn mich sein sonst unablässiges Verlangen zu reden manchmal ermüdet – heute Abend würde ich seine Worte mit Freude begrüßen und bereitwillig der Beschreibung seiner aktuellen Fälle oder Erlebnissen mit seinen Kollegen lauschen. Doch mehr, als dass er mit Annie telefoniert und von ihr erfahren hatte, dass Pauls Genesung gut voranschritt und sie ihren Urlaub genießen würden, hat er mir noch nicht mitgeteilt. Sein Schweigen hängt wie eine dunkle Gewitterwolke über dem Raum. Ich stelle die Kräuter zur Seite und setze mich neben ihn auf das Podest. Wir haben noch nicht über die Nacht vor vier Tagen gesprochen, als Peter letztlich, erschöpft von seinem Ausbruch, in meinen Armen einschlief. Ich hielt ihn fest, bis er einige Stunden später aufwachte, voll Scham über das, was er als Schwäche empfand. Er löste sich wortlos von mir, verschwand ins Badezimmer um die Tränenspuren von seinen Wangen zu waschen und verließ mich dann mitten in der Nacht, nachdem er mich auf die Stirn geküsst hatte. Peter weicht meinem Blick aus, statt dessen start er die aufgerollte Schlafmatte an, die an der Wand lehnt. Bevor er zu mir kam, packte ich meine Sachen für einen kurzen Ausflug in die Wälder außerhalb der Stadt. „Du... du hast vor, weg zu gehen, Paps?“ Seine Stimme klingt brüchig und unsicher, dass es mir wehtut. Ich lege meine Hand über seine, die zu einer Faust geballt ist. „Ich werde nur für zwei Tage weg sein, Peter. Würdest du das nicht einen... Wochenendtrip nennen?“ Mein Versuch, seine Stimmung aufzuhellen, scheitert als ich sehe, wie er blass wird. “Peter?” Alarmiert greife ich nach seinen Schultern, drehe ihn zu mir, damit er mich ansieht. „Was ist los mit dir, mein Sohn?“ “I-Ich fühle mich nicht so gut, Paps. Ich glaube, ich muss... mir wird schlecht... ” Er schüttelte meine Hände ab, springt von der Plattform und verschwindet ins Badezimmer. Mit wachsender Besorgnis höre ich ihn erbrechen, dann fließt Wasser. Ein paar Minuten später kehrt er zurück. Ein paar feuchte Haarsträhnen umrahmen sein bleiches Gesicht. Ich komme ihm entgegen, berühre seine Wangen, seine Stirn, um zu prüfen, ob er Fieber hat. Seine Haut ist plötzlich glühendheiß und er zittert. „Komm.“ Ich schelte mich selbst für meine Achtlosigkeit, nicht früher bemerkt zu haben, dass er krank ist. Seine unübliche Schweigsamkeit hätte ich alarmieren müssen. Schon als Kind... Ich helfe ihm die Stufen hoch, entrolle die Futonmatte und bringe ihn dazu, dass er sich hinlegt. Peter liegt still, als ich ihm Schuhe, Hemd und seine Jeans ausziehe und in eine Decke wickle. „Versuche ganz ruhig zu sein. Ich werde dir gleich einen Tee bringen, der deinen Magen beruhigt und das Fieber senkt.“ Peter antwortet mir nicht, er nickt nur und schließt die Augen. Es dauert nur ein paar Minuten, den heilenden Tee zu bereiten und als ich zurückkehre, scheint Peter eingeschlafen zu sein. Schweiß perlt auf seiner Stirn und seinem Oberkörper. Ich hole ein Tuch aus einer Schublade neben der Plattform und trockne damit sein Gesicht. Peters Lider öffnen sich sofort und der verängstigte Ausdruck in seinen Augen verwirrt mich. „Versuch dich aufzusetzen und trink das.“ Peter protestiert nicht, ein sicheres Anzeichen, dass es ihm wirklich nicht gut geht. Er setzt sich auf und ich ziehe die Decke enger um seine Schultern um ihn warm zu halten. Peter greift nach der Tasse, die ich neben ihm abgestellt habe, doch anstelle sie aufzunehmen, stößt er sie über die Kante der Plattform. Reflexartig fange ich sie, bevor sie auf dem Boden zerschellt und der Tee ergießt sich über meine Finger. „Peter?“ Er umschließt sein linkes Handgelenk mit den Fingern der Rechten, einen Ausdruck blanken Erschreckens im Gesicht. „Ich... ich kann mein Finger nicht mehr spüren, Paps. Meine Hand... sie ist taub, ich kann die Finger nicht bewegen!“ Seine Linke zwischen meine Hände nehmen, strecke ich seine gekrümmten Finger aus und versuche den Grund für diese plötzliche Lähmung zu finden. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Die Haut ist unverletzt und zeigt eine gesunde, normale Farbe. An Knöcheln und Handgelenk zeigen sich keine Wunden. Ein gezerrter Muskel oder ein überdehntes Band hätte sich lange zuvor bemerkbar gemacht – und wäre in seinen Bewegungen erkennbar gewesen. Ich lasse seine Hand los und drücke ihn sanft zurück, bis er nachgibt und sich wieder hinlegt. „Bitte beruhige dich, Peter. Ich bin sicher, dass es sich nur um eine zeitweilige... Funktionsstörung... handelt. Vielleicht hast du dir das Handgelenkt leicht verstaucht, ohne davon Notiz zu nehmen. Es könnte ein Krampf sein. Die Muskeln in deinem ganzen Arm sind sehr angespannt. Du musst versuchen, locker zu lassen.“ Für einen Moment verlasse ich seine Seite, um die Tasse erneut zu füllen und wähle auf dem Rückweg ein Töpfchen mit einer Creme aus, die entspannend wirkt. Ich knie hinter ihm und bette seinen Kopf in meinen Schoß. Peter trinkt den Tee protestlos, als ich die Tasse an seine Lippen halte. Ich beuge mich über ihn, küsse ihn auf die Stirn und streiche mit den Fingerspitzen über seine Schläfen, versuche so viel wie möglich von seiner Anspannung und Furcht in mich aufzunehmen. Für den Augenblick ist er wieder mein kleiner Sohn, krank, verängstigt... aber voll Vertrauen darauf, dass ich ihn gesund mache... “Du musst keine Angst haben, Peter. Lass mich deine Hand massieren.” Vorsichtig löse ich den Klammergriff seiner Finger um sein linkes Handgelenk und beginne seinen Arm zu massieren. „Versuche dich zu entspannen, Peter.“ Ich beuge mich tiefer über ihn, um in sein Ohr zu sprechen. „Ich bin da. Ich bin bei dir.“ Ich streife seine Wange mit meiner, bevor ich mich wieder aufrichte und mit der Massage fortfahre. Peter sagt nichts, doch nach einer Weile spüre ich, wie er sich unter meiner Berührung entspannt. Während ich an den Muskeln seines Armes arbeite, lausche ich auf seine Atmung, die sich in den langsameren Rhythmus des Schlafes verflacht. Als ich mit seinem linken Arm fertig bin und damit anfange, seinen rechten Arm zu massieren, schläft er tief. Voll Wunder betrachte ich dieses unbegreifliche Rätsel, das in meine Obhut gegeben wurde; mein Sohn, das verletzliche Kind unter der äußeren Oberfläche des Mannes – und Angst steigt in mir auf. * * * Ich greife über den kleinen Tisch und streiche eine der widerspenstigen Haarsträhnen aus Peters Stirn zurück. Seine Haut ist kühl und trocken, ohne ein Anzeichen von Fieber. Für einen Moment hellen sich seine Augen auf, als ich ihn berühre – dann senkt er den Blick. „Du fühlst dich besser.“ Peter zuckt mit den Schultern. “Yeah, I denke schon.” Er nippt an dem Tee, den ich ihm angeboten habe, obwohl es offensichtlich ist, dass er seine übliche... Koffeindosis... vermisst. „Mein Magen ist leer, aber mir ist nicht mehr übel und auch meine Hand scheint wieder okay zu sein. Was immer du gemacht hast... es hat funktioniert.“ “Dann erlaubst du mir vielleicht, dich später noch einmal zu massieren?” I beobachte meinen Sohn sorgfältig, suche nach Anzeichen, dass er sich bedrängt fühlt. „Heute Abend? Du bist sehr angespannt.“ Es ist alles, was ich ihm geben kann. Ich weiß nicht, wie ich die Wunden in seiner Seele heilen soll, aber ich kann ihn beruhigen, ihm zeigen dass er nicht mehr alleine ist. Peter sieht hastig auf, seine Augen fliegen über mein Gesicht auf der Suche nach... Ich bin mir nicht sicher, was er von mir braucht... Beruhigung, eine Bestätigung von was? Das er mir noch immer vertrauen kann? Das ich nicht verschwinden werde, während er seiner Arbeit nachgeht? „Aber dein Ausflug?“, fragt er, erneut wegsehend. „Meine Reise ist nicht von solcher Bedeutung, dass sie nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann, Peter. Deine Gesundheit ist weitaus wichtiger. Ich befürchte, du hast diesen Aspekt während meiner Abwesenheit vernachlässigt“, füge ich in einem strengeren Tonfall hinzu. Ich beobachte, wie er sich auf die Unterlippe beißt. Dann sieht Peter mich an, den Ausdruck seiner Augen hinter halb gesenkten Wimpern verborgen. „Bist du dabei, mich zu bemuttern, Paps?“, fragt er und ein noch unsicheres Lächeln krümmt leicht seine Mundwinkeln. „Bin ich dafür nicht schon zu alt?“ “Wenn es notwendig ist... wird es mir ein Vergnügen sein, dich auch zu... bemuttern.“ Es fällt mir schwer, meine strenge Miene angesichts Peters nun offen gezeigten Zuneigung noch aufrecht zu halten. Ein Grinsen breitet sich über sein Gesicht aus. „Ich bin wirklich froh, dass du bleibst.“ Schwungvoll steht er auf, umrundet den Tisch und küsst mich auf die Stirn. „Ich muss los, Paps. Danke, dass ich bei dir übernachten durfte. Wir sehen uns heute Abend.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verlässt er meine Wohnung. Verwundert lasse ich ihn gehen. Etwas an seinem Verhalten... etwas ist nicht richtig. Er ist nicht in Ordnung. Ich spüre etwas, das ich nicht in Worte fassen kann. Plötzlich wird mir überdeutlich bewusst, wie vorsichtig ich mit meinem rätselhaften, verletzbaren Kind umgehen muss... III. Ich habe einen angenehmen Nachmittag in Peters Gesellschaft verbracht, wir besuchten einige der Orte, an denen er als Teenager „herum zu hängen“ pflegte. Jetzt sind wir auf dem Weg zurück nach Chinatown, wo wir früh zu Abend essen werden. Die Straßen sind mit Menschen angefüllt, an diesem Samstagabend - und Peter hält meinen Arm fest, als hätte er Angst, er könne mich in der ruhelosen Menge der Passanten verlieren. Ich lächele ihm zu und klopfe ihm auf die Schulter, seltsam berührt von seiner Fürsorge. Während der letzten beiden Wochen hat Peter fast seine gesamte freie Zeit mit mir verbracht. Ich bin dankbar dafür, dass der Bruch zwischen uns zu heilen scheint, dennoch wundere ich mich über sein Verhalten. Auf mein vorsichtiges Nachfragen über den Stand seiner Beziehung mit Kelly Blake antwortete er nur vage, sprach über eine Änderung in ihrem Schichtplan, so dass er und Kelly nun zu entgegengesetzten Zeiten arbeiten würden. Nachdem unsere Wahl auf ein Restaurant gefallen ist und wir einen Tisch erhalten haben, nehme ich mir die Zeit, meinen quirligen Sohn zu beobachten. Seine Stimmungen ändern sich sehr schnell und im Moment ist er aufgekratzt - unfähig still zu sitzen, rutscht er auf seinem Stuhl hin und her, spielt mit der Menükarte oder fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Mit einem Lächeln greife ich über den Tisch um seine Hand zu nehmen und seine Handfläche einige Momente lang zu massieren. Peter zuckt zusammen, entspannt sich aber rasch. „Danke“, murmelt er, den Blick abwendend. „Ich bin wirklich... wirst du... wirst du niemals leid, dass ich...“ Er zögert und ich füge mit einem weiteren Lächeln hinzu: „...das du... bist wie du bist, Petert? Nein, mein Sohn. Und ich werde dir niemals überdrüssig werden. Ich liebe dich." Erleichterung zeigt sich in seinen Augen, als er mich endlich ansieht, aber ich misse nicht die Wachsamkeit, die sich dahinter verbirgt. Ich blicke auf seine Hand und frage mich, ob mein Kind mir jemals wieder völlig vertrauen wird. Unser Essen wird serviert und ich lasse Peters Hand los. * * * Wir verweilen über dem Tee, seltsam unwillig, unseren gemeinsamen Tag zu beenden. Ich beobachte erneut meinen Sohn, der jetzt deutlich niedergeschlagen wirkt. Gedankenverloren umkreist er den Rand der Teetasse mit einer Fingerspitze. In einem Versuch, ihn von seinen offenbar düsteren Gedanken abzulenken, erzähle ich ihm von Lo Sis Bitte an mich, ihn auf einer Reise zu begleiten, mit ihm einen alten Freund zu besuchen. Peter sieht mich an und ich erschrecke über die altvertraute Angst, die ich in seinen Augen lese. „Eine Reise?“, wiederholt er. „Peter...“ Ich unterbreche mich, als ich bemerke, dass er begonnen hat, seinen linken Arm zu reiben. „Was fehlt dir, mein Sohn?“ Ich erinnere mich plötzlich an diese Nacht vor zwei Wochen, als ich mit Peter über meine Pläne für einen Ausflug sprach und er krank wurde. Er gibt vor, mich nicht gehört zu haben. „Mit dem Erwürdigen zu verreisen, macht sicher Spaß, warum solltest du nicht mit ihm gehen? Er will also einen alten Freund besuchen, ja? Ich frage mich, wie alt ein „alter Freund“ von Lo Si sein kann. Ich meine, Lo Si ist doch schon wirklich alt und das macht...“ Ich stoppe sein sinnloses Geplapper, indem ich eine Hand hebe. „Peter – bitte sage mir, was dich so sehr ängstigt? Ich werde nur für ein paar Tage weg sein, vielleicht für eine Woche.“ „Es...es ist nichts, Paps. Du hast mich nur... überrascht, das ist alles“, lügt er, unfähig mir dabei ins Gesicht zu sehen. Mit Besorgnis beobachte ich, dass er mit der rechten
Hand das linke Handgelenk so fest umschließt, dass sich seine Knöchel
weiß färben. „Peter, was ist mit deinem Arm nicht in
Ordnung?“ „Glaubst du nicht, du übertreibst jetzt etwas? Es ist nur ein Krampf“, protestiert Peter. Er steht auf, legt Geld auf den Tisch und entzieht mir seinen Arm. Zögernd lasse ich ihn los und sehe ihm nach, als er aus dem Restaurant eilt, ohne auf mich zu warten. Peter ist mir nur ein paar Schritte voraus, als ich zu ihm aufschließe. Als ich seine Schulter berühre, bleibt er stehen und wendet sich mir zu. „Es tut mir leid“, murmelt er, den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, Paps, aber ich kann nicht... können wir nicht einfach den Rest des Abends allein verbringen? Ich meine, ich mag Lo Si wirklich, aber ich... ich will dich mit niemand teilen." Ich starre ihn verblüfft an, verstört über seine Worte. Da ich nicht weiß, was ich ihm antworten solle, so nicke ich nur und folge ihm, als er weitergeht. * * * Als wir die Treppe hinaufsteigen, spüre ich, dass sich jemand in meinem Heim aufhält. Lo Si wartet auf uns. Und ich fürchte, dass Peter seine Gesellschaft nicht willkommen heißen wird. Mein Sohn ist mir, immer drei Stufen auf einmal nehmend, voraus und ich sehe ihn gerade noch im Korridor verschwinden. Ich folge ihm etwas langsamer und leicht besorgt, an das bevorstehende Aufeinandertreffen denkend. Es ist sehr still, als ich den Hauptraum betrete. Peter lehnt schmollend an meiner Arbeitsbank. „Peter“, tadle ich ihn sanft und erhalte einen gekränkten Blick meines Sohnes. Als ich die Stirn runzle, errötet Peter und richtet die Augen auf den Fußboden. Lo Si begrüßt mich mit einem amüsierten Lächeln. „Es scheint mir, als wäre dies nicht der richtige Augenblick für einen Besuch, mein Freund“, sagt er mit einem leisen Lachen. „Aber ich spürte deine Besorgnis und kam, um meine Hilfe anzubieten.“ „Dein Besuch ehrt uns“, erwidere ich. „Meister, würdest du bitte Peters linken Arm untersuchen? Er spürte...“ Uralte Augen begegnen meinen mit einem Ausdruck, den ich nicht deuten kann... und ich unterbreche mich, leicht verwirrt. Er scheint sich über etwas zu amüsieren...? Lo Si verbeugt sich. „Du benötigst nicht meine bescheidenen Fähigkeiten als Heiler, um die Ursache für den Kummer deines Sohnes zu finden, Kwai Chang Caine.“ Seine Augen richten sich wieder auf Peter und er lächelt. „Und der junge Peter benötigt keinen Arzt, um seinen Körper zu heilen, sondern einen... Vater... um sein Herz zu besänftigen. Ich kann nicht die Hilfe bieten, die er benötigt, es ist an dir, das richtige... Heilmittel... für dein Kind zu finden, mein Freund.“ Die vom Alter gekrümmten Finger ineinander verflochten, verbeugt er sich noch einmal – und lässt uns allein. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf Peter, ich werde später darüber nachdenken, was Lo Sie gesagt hat – oder genauer das, was er nicht aussprach... Ich lege meine Jacke und meinen Hut ab, lasse meine Tasche auf einem nahen Stuhl. Dann trete ich vor meinen Sohn. Peters Schultern sind nach unten gesackt und ich hebe sein Kinn an, damit er mich ansieht. „Wir werden über deinen... Mangel an Respekt für den Ehrwürdigen sprechen... später.“ Seine Augen, weit und erschrocken, begegnen meinen und ich lächele beruhigend. „Später“, wiederhole ich, seine Wange mit den Fingerspitzen liebkosend. „Jetzt musst du mir sagen, was dich so sehr belastet.“ Mit meiner freien Hand reibe ich seinen linken Arm, selbst durch die Kleidung hindurch spüre ich die Anspannung in seinen Muskeln und die Kälte seiner Haut. „Dein Körper... reagiert auf den Schmerz deines Geistes...“, sage ich sanft, die Andeutung aufnehmend, die mir Lo Si übermittelt hat. Ein Zittern läuft durch Peter. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, von was du redest, Paps. Es geht mir gut, ich bin in Ordnung.“ In seinen Augen blitzt es warnend auf. Ich werde nicht zulassen, dass er mich mit seinem Ärger ablenkt. „Ich werde mir nicht anhören, wie du lügst, Peter“, antworte ich ruhig. „Du bist nicht ‚in Ordnung’.“ „Hör auf damit, Paps! Du kannst nicht alles wissen.“ Ich spüre, dass sein respektloser Ton mich verärgert, aber ich kontrolliere diese Empfindung. „Nein, ich weiß nicht alles. Aber ich kenne dich, Peter.“ Langsam wendet er sich mir wieder zu, um mich anzusehen. „Wirklich? Tust du das?“ "Peter..." Der Schmerz in seinen Augen verschlägt mir den Atem. Ich greife nach ihm, lege meine Hand an seine Wange. Er schließt flüchtig die Augen. „Lass mich los, Vater“, flüstert er. Dann tritt er mit einem Seufzen einen Schritt zurück, löst sich aus meinem Griff. Ohne ein weiteres Wort geht er. Ich bleibe bewegungslos stehen, den Arm noch immer erhoben, bis ich Peters Schritte auf der Treppe höre. IV Nach einer in Meditation verbrachten Nacht gebe ich meinen Verlangen, Peter zu sehen, nach. Ich hoffe, dass er nun ruhiger als am Abend zuvor ist und wir über das sprechen können, was ihm solche Angst macht. Ich verstehe noch immer nicht, warum Lo Si mir erst aufzeigen musste, dass Peters plötzliche Erkrankung mit seinem seelischen Zustand zusammenhängen. Ich hätte es von Anfang an sehen müssen. Aber wie mein Meister gesagt hat, neige ich dazu, meinen Sohn zu viel durchgehen zu lassen. Ich betrete Peters Wohnung ohne vorherige Ankündigung. Es ist dunkel, Vorhänge sperren die Morgensonne aus. Ich lasse sie, wie sie sind und finde meinen Weg in Peters Schlafzimmer ohne Licht. Peter schläft, doch sein Schlaf ist nicht friedlich. Sein Körper, halb in ein zerknitterte Decke gewickelt, zuckt und windet sich. Schweiß badet seine Stirn und sein Mund bewegt sich unablässig, als versuche er in seinem Traum zu sprechen. Ich setze mich auf die Bettkante, berühre zögernd seine Wange und die klamme Stirn. Plötzlich zuckt Peter zusammen, er windet sich wie im Kampf mit einem unsichtbaren Feind, sein Arm trifft mich in die Seite. Ein angsterfüllter Schrei kommt über seine Lippen, als ich mich über ihn beuge und ihn in die Arme nehme. "Peter! Peter, wach’ auf!" Er erschauert und klammert sich an mich. „Vater... verlass mich nicht, verlass mich nie mehr“, flüstert er und seine Stimme ist die eines Kindes. „Ich werde mich benehmen, ich verspreche es. Nur... verlass mich nicht. Ich werde alles tun, was du sagst...“ "Peter." Der Kummer in seiner Stimme bereitet mir körperlichen Schmerz. "Mein Peter..." Ich kann die Veränderung im Rhythmus seines Atems fühlen, er wird ruhiger, als er sich von seinem Traum befreit. Als er wach ist, löst sich Peter langsam aus meinen Armen, um sich wieder hin zu legen. "Tut mir leid", murmelt er, seine Stimme heiser. Peter sieht mich nicht an, als ich die feuchten Haarsträhnen aus seiner Stirn zurückstreiche. „Du hast nichts getan, für das du dich entschuldigen müsstest." Sich aufsetzend, reibt er seine Augen. „Was tust du hier, Dad?“, fragt er. „Es... ist ein bisschen... früh... für einen Besuch, ist dir das klar?“ „Ich musste dich sehen, mein Sohn.“ Ein Zittern läuft erneut durch Peters Körper und ich bewege mich instinktiv näher zu ihm, als ob meine Nähe die Kälte, die ich in ihm spüre, vertreiben könnte. „Wir müssen miteinander sprechen.“ Das Gesicht abwendend, fährt sich Peter mit
den Fingern durchs Haar. „Ich bin gerade nicht in der Stimmung,
mich zu unterhalten, Dad“, murmelt er. „Können wir das
nicht auf heute Abend verschieben? Ich muss jetzt erst mal duschen...“ Peter befreit sich sanft aus meinem Griff und steht auf. Er tritt zum Fenster, zieht die Vorhänge beiseite. Sein mir zugewandter Rücken wirkt steif und unnachgiebig. Blasses Morgenlicht fällt in den Raum, erfüllt ihn mit einer grauen Kälte... bis mir klar wird, dass diese Kälte von meinem Sohn abstrahlt. Ich kann nicht dastehen und nichts tun und so folge ich ihm. Ich trete nahe zu ihm. „Erzähle mir von deinem Traum.“ Peter holt tief Luft. „Manchmal... sind wir so weit voneinander entfernt, Vater“, sagt er schließlich. „Sogar wenn wir uns nahe sind, so wie jetzt...“ Wieder erzittert er und ich lege meine Hände auf seine Schultern. „Du... bist weggegangen. In meinem Traum. Ich rufe... aber du kümmerst dich nicht darum, hörst mich nicht, hältst niemals an. Ich bin eine Enttäuschung für dich und du willst mich nicht mehr. Darum gehst du weg.“ Ich lasse meine Hände an seinen Armen entlang gleiten und umschließe seine Finger mit meinen. Sie sind kalt wie Eiszapfen. Ich ziehe ihn in meine Umarmung, drücke ihn an mich. „Ich fühle mich dann so kalt, Paps. Festgefroren. Ich versuche dir nachzurennen, zu rufen, zu... aber ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt...“ „Du bist sicher, Peter. Ich werde nicht...“ Ich bin bereit, mein Kind zu belügen, ihm ein Versprechen zu geben, das ich vielleicht nicht werde halten können. Doch niemand kann vorhersehen, was die Zukunft für uns bereithält. „Du bedeutest mir alles, Peter. Du bist nicht mehr allein. Du wirst niemals mehr allein sein. Es mag eine Zeit kommen, zu der ich gezwungen bin, zu gehen – aber ich werde immer bei dir sein...“ Ich bewege meine Hand von seiner Taille zu seiner Brust, wo sein Herz gegen die Rippen hämmert, wie die Flügel eines eingesperrten Vogels. „...hier werde ich bei dir sein.“ Dann streiche ich mit meinen Fingern über sein Gesicht und berühre seine Stirn. „Und hier werde ich bei dir sein.“ Ich drehe ihn zu mir herum, so dass er mich ansehen muss. „Glaubst du mir das, mein Sohn?“ „Ich weiß nicht, was ich glauben soll...“ Er schließt seine Augen und ich sehe Tränen in seinen Wimpern. „Es ist immer das gleiche alte Lied.“ „Dein Traum, Peter...“ Ich zögere, als er sich fast sofort anspannt. „Ich will jetzt nicht darüber reden, Dad. Es ist nichts. Ich habe schon seit einiger Zeit Schwierigkeiten zu schlafen.“ ‚Wenn du da gewesen wärst, wüsstest du es...’ Er spricht den Gedanken nicht laut aus, doch ich kann ihn trotzdem vernehmen. Eine Warnung schwingt in seiner Stimme mit und ich entschließe mich, das Thema ruhen zu lassen – zumindest im Moment. Vielleicht ist es nicht klug... zu vieles blieb bereits zwischen meinen Sohn und mir unausgesprochen. „Paps...“, seine Stimme bricht. Er dreht sich um, wendet mir den Rücken zu. „Das ist wirklich nicht der richtige Moment. Ich muss zum Dienst.“ Seine Schultern sacken nach unten, als er den Raum verlässt. Ich lasse ihn gehen. Ich bin feige genug, die Konfrontation mit seinem Schmerz zu fürchten – oder heraus zu finden, wie viel davon in meiner Verantwortung liegt. Peter vertraut mir nicht und ich weiß nicht, wie ich sein Vertrauen zurückgewinnen kann, nur dass ich sehr, sehr vorsichtig sein muss...
...but I know (Linkin Park "Numb") Ende
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