Autor: Lady Charena
 

Kermit lugte über den Rand seiner Sonnenbrille. „Sitz’ still, Caine“, knurrte er. „Hast du Hummeln im Hintern oder ist eine simple Überwachung inzwischen nicht mehr gut genug für den großen Star?“

Peter murmelte etwas unverständlich-unmissverständliches auf chinesisch und wand sich in seinem Sitz, um sich zum wiederholten Male zu kratzen.

Sein Kollege hob eine Augenbraue. „Ich dachte, ein Shaolin flucht nicht“, bemerkte er trocken. „Und wenn du ein Hygieneproblem haben solltest, kiddo, rate ich dir, auszusteigen bevor ich dich erschießen muss.“

Peter starrte ihn wütend an, was natürlich an Kermit abprallte. „Sehr witzig. Hast du in deiner Cornflakesschachtel heute morgen das kleine Handbuch für Komiker gefunden, oder was?“, gab er in ätzendem Tonfall zurück. „Außerdem bin ich... außerdem bin ich nicht Shaolin.“ Ungewollte Unsicherheit stahl sich in die letzten Worte und Peter ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Nur für einen Moment, dann begann er wieder, sich zu kratzen.

Kermit machte eine beschwichtigende Geste. So wie es aussah, mussten sie noch den ganzen Nachmittag zusammen in diesem Wagen verbringen – und mit einem wütenden oder schmollenden Peter Caine auf dem Beifahrersitz würde das ein sehr, sehr langer Nachmittag werden. „Vielleicht solltest du einmal zu einem Arzt gehen?“ Dieser Vorschlag brachte ihm nur einen verächtlichen Blick ein. „Oder vielleicht hat dein Vater irgendwas in seiner Apotheke, dass dir hilft. Anderenfalls schlage ich ein Flohbad vor.“ Kermit grinste, als Peter ihn empört ansah, sich aber offenbar nur mit größter Mühe eine wütende Antwort verbiss. Es machte eindeutig zu viel Spaß, den Jungen zu ärgern. „Weißt du, Mickey Mouse machte das neulich mit Pluto und dabei...“

„Du erzählst mir doch nicht gerade, dass du dir Cartoons ankuckst?!?“ Dieses Mal lag mehr Verblüffung in Peters misstrauischer Stimme, als Ärger. Sicher nahm Kermit ihn auf den Arm. Apropos Arm. Er rieb die Innenseite seines linken Arms mit der Handfläche um das Jucken zu vertreiben, nachdem die Haut bereits vom vielen Kratzen wund und empfindlich war. Wenn das so weiterging, sah er bald wie ein frischgekochter Hummer aus.

„Vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich eine Nichte im richtigen Alter für Cartoons habe. Und als guter Onkel kümmere ich mich darum, welches Programm Mitch im Fernsehen sieht. Man sieht ja an dir, was dabei rauskommt, wenn man nicht aufpasst, was Kinder sich ansehen.“ Kermit räusperte sich. „Wenn du das jemandem auf dem Revier erzählst, muss ich dich leider erschießen“, setzte er in seiner besten drohenden Söldner-Stimme hinzu.

Peter grinste. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher“, flachste er. Aber der Funke Heiterkeit war weg, als er sich bückte, um eine juckende Stelle an seinem Knöchel zu reiben. Er hatte sogar das Knöchelholster ablegen müssen, weil die Riemen unerträglich juckten.

„Peter...“

„Ja, schon gut“, unterbrach ihn der jüngere. „Sobald unsere Ablösung da ist, fahre ich bei Paps vorbei.“ Peter kratzte an einer roten Stelle auf seinem Handrücken.

Kermit unterdrückte ein Seufzen. Oh yeah, es würde ein sehr, sehr langer Nachmittag werden...

* * *

Caine begleitete eben eine ältere Frau zum Fahrstuhl, als Peter die Treppen hochkam.

„Pap... ähem... Hi, Dad.“ Peter brach verlegen ab, als er entdeckte, dass sein Vater nicht alleine war. „Ni hao“, sagte er mit einer kleinen Verbeugung in Richtung der Frau, die ihm vage bekannt vorkam. Vielleicht war er ihr schon einmal in einem der zahllosen Geschäfte oder auf der Straße der Gemeinde begegnet.

Caine lächelte und legte eine Hand auf Peters Schulter. „Das ist mein Sohn Peter, Mrs. Wu.“

Mrs. Wu betrachtete ihn freundlich und tätschelte Peters Arm. „Der Polizist.“ Unglücklicherweise berührte sie eine Stelle, an der Peter sich wundgekratzt hatte und der hatte Mühe, still zu halten.

„Das stimmt, ich bin Polizist.“ Peter versuchte still zu stehen, während sein Vater Mrs. Wu verabschiedete. Als sich der alte Fahrstuhl endlich ratternd und schaukelnd in Bewegung gesetzt hatte, schlossen sich stählerne Finger schneller um sein Handgelenk, als Peter bewusst wurde, dass er wieder angefangen hatte, sich zu kratzen. Er blickte auf und grinste verlegen.

„Das macht es nur noch schlimmer“, sagte Caine ruhig und griff mit der anderen Hand nach Peters Kinn, um seinen Kopf zur Seite zu drehen. Unter dem Kragen des Hemdes waren rote Bläschen auf dem Hals seines Sohnes zu erkennen. „Seit wann hast du diesen Ausschlag?“

Peter schnitt eine Grimasse. Zwar hatte sein Vater das „Warum bist du damit nicht früher zu mir gekommen?“ nicht ausgesprochen, aber das war auch nicht notwendig – es schwang auch so in seinen Worten mit. „Seit zwei Tagen. Es fing am Abend nach dem letzten Dreh mit Wolf Gannett an. Aber da war es noch nicht so schlimm, nur ein wenig Juckreiz“, verteidigte er sich, während er sich wie ein kleiner Junge Richtung Apotheke genötigt sah, der unnachgiebige Griff des Shaolinmeisters noch immer um sein Handgelenk. Das Ganze war schon peinlich genug, auch ohne das sein Vater ihn wie einen Siebenjährigen behandelte.

Caine führte seinen Sohn zu einem Stuhl und bevor sich Peter versah, war er seine Jacke los und sein Vater dabei, ihm die Ärmel hoch zu krempeln. Der Heiler betrachtete die gerötete Haut an Peters Innenarmen, die Bläschen, die sich vermehrt hatten, seit Peter zuletzt nachgesehen hatte und die Kratzer, von seinen Fingernägeln hinterlassen, als das Jucken während der Nacht fast unerträglich geworden war. „Wann hat der Juckreiz begonnen?“

Peter zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht genau. Eigentlich juckte es die ganze Zeit, als ich in diesem... ähem... Kostüm steckte. Du weißt schon. Diese Lederklamotten. Der Ausschlag kam erst danach.“

„Vielleicht bist du allergisch gegen Kunstleder.“ Caine rieb die Handflächen aneinander, dann strich er über die gereizte Haut, ohne sie dabei jedoch tatsächlich zu berühren.

Peter spürte ein feines Prickeln, dann ließ der Juckreiz etwas nach. Es erstaunte ihn immer wieder, welche Tricks sein Vater auf Lager hatte. „Das kann nicht sein“, entgegnete er und schlüpfte aus dem Griff des Heilers, als der – bei Peters Schultern angelangt – damit begann, Peters Hemd zu öffnen. „Das kann ich selbst“, murrte er und sein Vater nahm gehorsam die Hände weg. „Ich trage seit Jahren eine Lederjacke und das hat noch nie irgendwelche Allergien ausgelöst.“ Eine Hand in seinem Nacken drückte seinen Kopf nach unten und er beugte sich seufzend.

„Deine Jacke ist aus echtem Leder.“

Peter seufzte erleichtert, als die Hände seines Vaters ihre magische Berührung an seinen Schultern und seinem Rücken fortsetzten.

„Außerdem hast du dieses... Kostüm... direkt auf der bloßen Haut getragen.“

„Es war so eng, dass ich kaum wagte, tief Luft zu holen.“ Peter richtete sich wieder auf und lehnte sich in den Stuhl zurück, als sein Vater seinen Oberkörper behandelte. „Da konnte ich nichts drunter tragen.“ Seine Wangen glühten, sogar seine Ohren fühlten sich heiß an. Wieso noch mal - zum Teufel! - hatte er eigentlich gedacht, es wäre peinlicher, damit zu einem Arzt zu gehen...? Er schloss die Augen und sah auch nicht auf, als er seinen Vater leise lachen hörte, wollte gar nicht wissen, was der in seinem Gesicht las.

„Du hast während der Kampfszenen geschwitzt“, fuhr sein Vater dann in einem sachlichen Tonfall fort. „Schweiß kann leicht Farbstoffe und andere Chemikalien aus Kunstleder lösen. Und offensichtlich reagierst du auf einen dieser Stoffe allergisch.“ Er drückte kurz die Schulter seines Sohnes, eine stumme Anerkennung von Peters Verlegenheit – und seiner Geduld. „Beschränkt sich der Ausschlag auf deinen Oberkörper?“

Wie aufs Stichwort begann Peter wieder hin und her zu rutschen. „Nein“, murmelte er.

„Wo noch?“

„Überall.“ Peter öffnete die Augen, und blickte seinen Vater warnend an, nach weiteren Details zu fragen.

Caine lächelte sein unschuldigstes Lächeln. „Überall“, wiederholte er ohne besondere Betonung. Dann wandte er sich ab. „Ich werde dir eine Salbe geben, die den Juckreiz lindert und die Abheilung beschleunigt.“

Peter sah ihm nach, als Caine begann, verschiedene Fläschchen und Töpfchen und Schächtelchen und Glasbehälter vom Regal zu holen und ordentlich auf seinem Arbeitstisch aufzureihen. Geistesabwesend kratzte er an einer juckenden Stelle auf seinem Oberschenkel, obwohl der dicke Jeansstoff seiner Hose sich seinen Bemühungen heftig widersetzte. „Für einen weltabgewandten Priester weiß du erstaunlich viel über solche Dinge, Paps“, meinte er schließlich, als das Schweigen zu viel wurde.

„Ich bin nicht weltabgewandt, Peter“, korrigierte sein Vater ohne dabei aufzuhören, etwas in seinem Mörser zu zerkleinern.

Wie immer ließ die Neugier Peter nicht lange auf seinem Stuhl sitzen bleiben. Außerdem lenkte ihn das Zusehen vielleicht vom ständigen Kratzen ab. Und Paps freute sich, wenn er Interesse zeigte, so kurzzeitig es auch sein mochte. „Trotzdem“, beharrte er. „Woher weiß du solche Dinge? Du hast kein Internet, keinen Fernseher, nicht mal ein Radio, du liest keine Zeitung... Wie kommst du an solche Informationen? Gibt es dafür irgendwelche kosmischen, mystischen Schwingungen?“

Caine lachte. „Die Erklärung ist wirklich ganz einfach – ich höre zu.“

Peter duckte sich und grinste schief. Der Tadel hatte gesessen. „Nun verrat’ mir schon dein Geheimnis, Paps.“

Der Apotheker schüttete die nun zu feinem Puder zerdrückten Kräuter in eine Schale und gab eine dickflüssige, goldschimmernde Flüssigkeit aus einem kleinen Fläschchen hinzu. Ein süßlicher Geruch stieg in Peters Nase, nicht ganz unangenehm, aber auch wieder nicht so gut, dass er darin baden würde. Mit Entsetzen wurde ihm klar, dass sein Vater möglicherweise genau das mit ihm vorhatte.

„Da-ad“, drängte er.

Caine rührte die Masse um, stippte dann einen Finger hinein um die Konsistenz zu prüfen, bevor er antwortete. „Du erinnerst dich, dass jetzt ein Kleidergeschäft in den Räumen der ehemaligen Kung-Fu-Schule ist.“

Und ob er sich daran erinnerte, dachte Peter. Er würde nie vergessen, wie er in dem Raum kam und statt auf seinen Vater und die vertrauten Trainingsutensilien - auf Kleiderständer und hin- und hereilende Handwerker traf. Das war noch nicht so lange her, dass die Erinnerung an die folgende Zeit ihm nicht einen Stich versetzte. Etwas tupfte gegen seine Nase und Peter sah auf. „Was sollte das denn?“, fragte er und wischte sich das ölige Zeugs von der Haut, das vom Rührstäbchen getropft war, als sein Vater ihn damit anstupste.

Caine hob eine Schulter in dieser Geste, die so typisch war und alles oder nichts bedeuten könnte. „Du denkst zu viel“, sagte er ruhig.

„Du hast mir immer gesagt, ich würde nicht genug nachdenken“, gab Peter zurück.

„Du denkst zu viel über Dinge nach, die vergangen sind“, erwiderte sein Vater. „Ich bin jetzt hier.“

Wie immer, wenn Peter seine Gedanken so klar gelesen fand, stieg Unbehagen in ihm auf und er blickte weg, trommelte nervös mit den Fingern gegen die Tischkante. „Du... du wolltest mir gerade etwas erzählen.“ Er räusperte sich, hasste den belegten Klang seiner Stimme, als wäre er wieder ein Teenager an der Grenze zum Stimmbruch.

„Ah, ja.“ Caine schwieg einen Moment, schien den Themenwechsel zu akzeptieren. Aber sie hatten schließlich oft genug über die Zeit seiner Abwesenheit gesprochen. „Einige der Frauen, die dort nähen, bekamen im letzten Jahr einen Ausschlag an den Händen, der deinem sehr ähnlich ist. Auch sie haben Kunstleder verarbeitet. Daraufhin habe ich mit dem Besitzer gesprochen. Du siehst also, es waren....“ Er sah auf und lächelte, machte diese elegante Bewegung mit der Hand, an die sich Peter so gut aus seiner Kindheit erinnern konnte. „... keinerlei kosmische oder mystische Schwingungen beteiligt.“

Peter lachte. „Okay, ich hab’s, Paps. Wissen bedeutet, zu wissen, wen man fragen muss, richtig?“

„Manchmal ist das am einfachsten, was am nächsten liegt“, erwiderte sein Vater. Er maß etwas von einem farblosen Pulver in einer Papiertüte ab und rührte es unter die Mixtur. Aus der öligen Masse wurde eine grau-grünliche Creme. Caine drehte sich um und nahm eine andere Flasche vom Regal. Er drückte sie Peter in die Hand. „Geh’ duschen, mein Sohn. Die Creme muss auf saubere Haut aufgetragen werden.“

„Hey, ich habe heute morgen geduscht, ja“, protestierte Peter halbherzig. Die Dusche seines Vaters war so altmodisch wie der Rest des Gebäudes und der magere Wasserstrom und die Temperatur, die selten über lauwarm kletterte, waren alles andere als nach seinem Geschmack. Ein strenger Blick belehrte ihn eines Besseren. Er schraubte die Flasche auf und roch daran. „Was ist das?“

„Eine Zubereitung aus Kräutern.“ Zwei Hände auf seinen Schultern schoben Peter sanft aber nachdrücklich Richtung Tür. „Du trägst sie auf, bevor du unter die Dusche gehst. Die Benutzung von Seife würde ich dir nicht empfehlen.“

Diese Erfahrung hatte Peter bereits hinter sich gebracht. Das Duschgel, dass er verwendet hatte, brannte höllisch auf den wunden Hautstellen.

„Und verwende kein heißes Wasser, Peter.“

Er rollte mit den Augen. „Schon gut. Was kommt als nächstes? Soll ich die Luft anhalten, damit ich kein Wasser schlucke? Nicht unter der Dusche singen?“ Peter blickte seinen Vater an, erwartete einen weiteren Tadel für sein respektloses Verhalten.

Doch Caine lächelte nur und schüttelte den Kopf. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich würde nie von dir erwarten, etwas zu tun, das dir so schwer fällt.“

Ups, diese Bemerkung darüber, dass er den Mund nicht halten konnte, hatte er wohl verdient. „Ich rede nun mal gerne“, sagte er.

„Ich weiß.“ Eine Geste wies den Korridor entlang. „Geh’ jetzt.“

Sicher, dass er die Geduld seines Vaters lange genug strapaziert hatte, machte Peter sich auf den Weg. Nach zwei Schritten stoppte er jedoch und wandte sich um. „Was soll ich nach dem Duschen anziehen? Ich habe nur meine Trainingsklamotten hier...“

„Ich werde etwas passendes für dich finden.“

Irritation schwang in der Stimme des Priester mit und Peter verschwand grinsend im Bad. 1:0 für Peter Caine. Obwohl... wenn das bedeutete, dass er den ganzen Abend in einem von Caines TaiChi-Anzügen herumlaufen musste, stand es vielleicht eher 1:1. Er erinnerte sich noch gut genug an Burts Spöttelein über „den komischen Typen im Pyjama“, wie er Caine genannt hatte. Allein schon dafür hatte sich Burt einen auf die Nase verdient... Peter schob den Gedanken an seinen unangenehmen Ex-Kollegen beiseite und schälte sich aus dem Rest seiner Kleidung. Der Spiegel war klein und halb altersblind, aber Peter gefiel dennoch nicht, was er da sah. Rote Flecken und Pusteln soweit das Auge blickte. Zum Glück war sein Gesicht zumindest verschont geblieben, doch irgendwie war das ein schwacher Trost. Er verfluchte seine Ähnlichkeit mit Wolf Ganett, die dazu geführt hatte, dass Captain Simms ihn als Stuntdouble für den von Sabotageakten bedrohten Schauspieler eingesetzt hatte...

Peter begann seufzend die säuerlich riechende Flüssigkeit auf seine Haut zu tupfen.

* * *

Als er eine Viertelstunde später - barfuss, nur mit Boxershorts bekleidet und einem Handtuch um die Schultern - in die Apotheke kam, stand eine dampfende Teeschale auf dem Tisch. Peter grinste. Man konnte sich doch immer darauf verlassen, dass Paps einen seiner Tees hervorzauberte. Er nahm die Teeschale in die Hände, wärmte kurz seine Handflächen daran. Obwohl es warm war und die kalte Dusche seiner Haut gut getan zu haben schien, war ihm nun so kalt, dass er fast mit den Zähnen klapperte. Peter hob die Schale zum Mund.

„Peter! Nicht!“

Der ungewohnt harsche Befehl ließ ihn zusammenzucken. Die Schale glitt aus seinen klammen Fingern und zerschellte auf dem Boden. Heiße Flüssigkeit spritzte über Peters Knöchel. Er drehte sich zu seinem Vater um. „Entschuldige, ich wollte nicht...“

„Bewege dich nicht, Peter“, befahl Caine mit einem Blick auf die nackten Füße seines Sohnes und die verstreuten Porzellanscherben. Ungeachtet dessen, dass er selbst barfuss war, schob er die Scherben zur Seite.

Peter seufzte und lehnte sich gegen die Tischkante. „Okay, was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?“

„Der Inhalt der Schale ist nicht zur inneren Anwendung gedacht, mein Sohn.“ Caine blickte ihn prüfend an. „Du hast doch nicht davon getrunken?“

Rasch schüttelte Peter den Kopf. „Was ist das für ein Zeugs?“, fragte er und beäugte misstrauisch die Scherben, die sein Vater jetzt mit einem kleinen Besen ordentlich zusammenfegte. „Irgendetwas giftiges?“ Er bekam keine Antwort. „Dumme Frage“, murrte er leise. „Tut... tut mir leid, dass ich die Schale fallen lassen habe. Ich werde sie ersetzen.“

Ordnung wiederhergestellt, wandte Caine seine volle Aufmerksamkeit Peter zu. „Eine Entschuldigung ist nicht notwendig.“ Er berührte flüchtig die Wange seines Sohnes, dann trat er an seinen Arbeitstisch und bereitete mit wenigen Handgriffen und mehr heißem Wasser eine zweite Schale vor.

Peter hielt den Atem an, als sein Vater ein Tuch mit der heißen Flüssigkeit beträufelte und es dann vorsichtig auf eine der roten Stellen auf seinem Arm drückte. Aber der erwartete Schmerz blieb aus. Außer einem leichten Empfinden von Wärme spürte er nichts. Erleichtert setzte er sich auf die Tischkante, schloss die Augen und überließ sich den geschickten Händen seines Vaters, die geradezu magisch sein Unbehagen wegzauberten...

Der Stress und die Anspannung der letzten Tage, die nicht nur vom ständig quälenden Juckreiz und den daraus resultierenden schlaflosen Nächten stammten, verschwanden langsam aus seinem Körper, als Caine die Salbe vorsichtig in die wunde Haut massierte.

Als es schließlich endete, blinzelte Peter und öffnete die Augen. Er fand den erwartungsvollen Blick seines Vaters auf sich gerichtet. „Ähem... danke. Das hilft wirklich. Es juckt schon fast nicht mehr.“

Caine wischte sich die Hände an einem Tuch ab. „Es freut mich, dass ich helfen konnte.“

Peter rutschte hin- und her.

Sein Vater verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist da noch etwas, das dich stört, mein Sohn?“, fragte er beiläufig.

Da war ganz klar ein amüsiertes Funkeln in den dunkelbraunen Augen. Peter spürte seine Ohren heiß werden. „Du hast doch sicher noch was von dem Zeug übrig?“, fragte er. „Ich meine für später. Oder reicht es, alles einmal einzucremen?“

„Die Salbe ist frisch zubereitet am effektivsten.“ Jetzt zeigte sich Belustigung ganz offen in den Zügen des Heilers.

„Da-ad“, quengelte Peter. „Gib’ mir einfach, was du davon noch hast. Okay? Es gibt da ein paar Stellen mit Ausschlag... intimere Stellen...“

„Peter, ich bin dein Vater, ich habe dich bereits nackt gesehen“, erklärte Caine ruhig.

„Ich weiß“, schnappte Peter. „Aber ich bin kein Baby mehr, dass du saubermachen und windeln musst. Es gibt ein paar Dinge, die ich auch ohne deine Hilfe ganz gut hinbekomme.“ Etwas in den Augen seines Vaters sagte ihm, dass er das falsche gesagt hatte. Und er wusste auch sehr wohl, dass er etwas anderes gemeint hatte. Die Szene in der Bäckerei... oder irgendwie waren seine Erinnerungen schwammig, aber er wusste noch, dass sein Vater ihn ausgezogen hatte – damals als Clarence ihm eine Überdosis Drogen spritzte – und sein Fieber dadurch zu senken versuchte, dass er ihn mit kaltem Wasser wusch. „Könntest du mir... bitte... einfach die Salbe geben und es dabei belassen?“ Er sah nicht auf, als Caine ihm die Holzschale reichte, und verschwand hastig damit ins Bad.

Als er zurückkam, war die Apotheke leer, aber auf dem Stuhl lag einer der TaiChi-Anzüge. Peter warf seiner Jeans und seinem Hemd einen sehnsüchtigen Blick zu, entschied aber dann, dass die leichte Seide und der weite Schnitt womöglich die bessere Wahl war, wenn man seine gereizte Haut bedachte. Außerdem, wer würde ihn schon darin sehen? Der weiße Stoff fühlte sich kühl und überraschend gut an und spannte nur ein wenig um die Schultern. Peter strich über den weiten Ärmel und betastete das eingestickte Tiger-Drachen-Motiv. Woher bekam sein Vater nur solche Klamotten?

„Es war ein Geschenk“, erklang Caines Stimme plötzlich und Peter drehte den Kopf. Sein Vater stand mit einer Tasse Tee in den Händen neben ihm. „Ich bin in der Lage gewesen, einer Familie in der Gemeinde beizustehen.“

„Du... du tust ne’ Menge, von dem ich keine Ahnung habe, stimmt’s?“ Wie zu erwarten sagte ihm das Gesicht seines Vaters nicht, ob der wütend war. Aber Wut war ohnehin nichts, das ein Shaolin zeigen würde. „Ähem... kann ich auch eine Tasse haben?“

Caine reichte ihm die Schale. „Das ist für dich.“

Misstrauisch schnupperte Peter daran, nahm jedoch nur die Aromen von Honig und Zitrone wahr. „Keiner deiner Spezialtees?“ Es musste bedeuten, dass sein Vater nicht gekränkt war. Wenn man gekränkt war, servierte man seinem Sohn doch schließlich keinen Tee mit Honig, weil man genau wusste, dass besagter Sohn Tee ohne irgendein Süßungsmittel nicht so besonders gerne mochte... Er grinste über seine eigenen Gedanken und trank, als sein Vater den Kopf schüttelte. „Das ist...“

„Hey, Peter! Schickes Outfit!“ Mary-Margaret Skalany kam schwungvoll in den Raum. „Dein Vater ist doch nicht gerade dabei, dich ins Bett zu schicken, oder? Dann können wir ja Essen gehen.“

„Skalany“, presste Peter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie würden sich auf dem Revier das Maul über ihn zerreißen. Er konzentrierte sich darauf, seinen Tee zu trinken, langsam, Schluck für Schluck – vielleicht würde Skalany auf magische Art und Weise einfach verschwunden sein, wenn die Tasse leer war. Er spürte flüchtig die Hand seines Vaters auf seinem Arm, dann trat Caine zu Skalany, um sie zu begrüßen.

„Mary-Margaret.“ Er nahm beide Hände in seine. „Was führt dich zu mir?“

Peter unterdrückte eine spöttische Bemerkung. Er wusste wirklich nicht, was er von der Beziehung zwischen seinem gelegentlichen Partner und seinem Vater halten sollte. Es war so... absurd...

„Ich hatte in der Gegend zu tun.“ Mary-Margaret strahlte. “Und ich dachte, du würdest gerne mit mir essen gehen?“

Caine legte eine Hand an ihre Wange.

Das war zu viel Vertraulichkeit für Peter. Er murmelte etwas und verschwand in die Küche, wo noch mehr Tee auf ihn wartete. Ein paar Minuten später gesellte sich sein Vater zu ihm. „Ich hoffe, du nimmst keine Rücksicht auf mich“, meinte Peter grummelig. „Wenn du mit ihr ausgehen willst...“

„Nein.“ Caine nahm eine zweite Teeschale vom Regal und goss sich ein. Dann lehnte er sich neben Peter. „Den heutigen Abend verbringen wir zusammen.“

Peter blickte ihn von der Seite an, sein schlechtes Gewissen meldete sich. Wenn er jetzt nur aus Pflichtgefühl bei ihm blieb, weil sein Sohn sich wie ein kleines Kind benahm, das den Vater nicht teilen wollte?

Caine schüttelte den Kopf und tappte mit dem Handrücken gegen seine Wange. „Du denkst schon wieder zu viel.“

Peter grinste. Vielleicht interpretierte er wirklich alles zu negativ. Wie hatte sein Vater noch gesagt? Manchmal ist das am einfachsten, was am nächsten liegt...

Ende

 

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