Autor: Lady Charena
 

Take out 1: Angst
Angst kann leicht blind machen

Take out 2: Chaos in der Küche
Peter, Michael Lowry, Kahn, Ping Hai, G. Eine "Petey"-Story. Betrachtet man so den erwachsenen Peter, kann man sich gut vorstellen, dass er auch als Dreikäsehoch ein ziemlicher Wildfang gewesen ist.

Take out 3: Strafe muss sein
Eine weitere "Petey"-Story, Fortsetzung zu "Chaos in der Küche".

Take out 4: Liebe kennt keine Schuld
Caine/Teresa, PG. Es heißt, dass in jedem Anfang bereits das Ende zu erkennen ist...

Take out 5: Ein Haus gebaut aus Träumen
Caine/Laura. Caine nimmt von seiner Frau Abschied.

Take out 6: Freier Fall
Eine kleine Szene als Fortsetzung zu "Sunday at the hotel with George" (Season 1 / Folge 3). Carolyns Hochzeitsfeier kann nun ganz friedlich weitergehen. Abgesehen davon, dass Peter noch mit den Nachwirkungen seines beinahe-Absturzes im Fahrstuhlschacht zu kämpfen hat. Und damit, zwei Familien zufrieden zu stellen.

Take out 7: Küchenphilosophie
Es geht doch nichts über lieben... unerwarteten... Besuch.

Take out 8: Redemption
Eine "missing scene" zu "Caine und die Vergeltung" (Originaltitel: Redemption) Nachdem es gelungen ist, Paul Blaisdells Unschuld zu beweisen, hat Peter noch ein Wörtchen mit seinem Vater über dessen Rolle bei der ganzen Angelegenheit zu reden. Auch Lo Si macht sich Gedanken über die Caines.

Take out 9: Vermächtnisse
Matthew Caine, Père Vashon, G. Père Vashon redet einem alten Freund ins Gewissen.


Angst

„Hey, Paps. Paps, bist du da?“

Peter hatten den Hintereingang über die Terrasse genommen und stürmte nun schwungvoll in die Apotheke. Der Raum war leer und er schnitt eine Grimasse.

Die vergangenen beiden Wochen hatten an Peters Nerven gezerrt. Zusammen mit Kermit war es ihm gelungen, einen besonders hässlichen Mordfall aufzuklären – doch der Täter hatte sich umgebracht, bevor sie ihn verhaften konnten. Jetzt fühlte er sich überspannt, erschöpft und voll frustrierter Aggression, die sich über seine Kollegen im Revier bereits wie eine Gewitterwolke entladen hatte, bis Captain Simms ihn förmlich dazu zwang, sich ein paar Tage frei zu nehmen – so ungern sie auch auf ihn verzichtete. Widerwillig beugte Peter sich ihrer Entscheidung. Er hatte das Gefühl, zu explodieren, wenn es ihm nicht gelang, seinen Frust loszuwerden. Und der einzige, von dem er sich sicher war, dass er ihm dabei helfen konnte, war sein Vater und die friedliche Stimmung des Lofts. Sah irgendwie nicht so aus, als hätte er Glück.

Ein Geräusch aus dem Hauptraum ließ ihn weitergehen. Doch als er im Durchgang stand, breitete sich ein flaues Gefühl in seinem Magen aus – sein Vater war damit beschäftigt, eine Tasche zu packen. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf Caine, der ihm einen kurzen Blick zuwarf und dann weiter packte.

Peter stieß sich vom Türrahmen ab und trat zu ihm. „Wohin gehst du?“, fragte er barsch. Ohne Provokation und plötzlich wallte Ärger in ihm auf und er schlug blindlings aus, noch bevor Caine eine Antwort geben konnte. „Du gehst wieder weg, nicht wahr? Du verlässt mich. Wohin zum Teufel verschwindest du dieses Mal?“ Bitterkeit färbte seine Stimme, als er die ätzenden Worte förmlich ausspuckte.

Caine sah zu ihm auf, hielt seinem wütenden Blick stand, neigte den Kopf fragend zur Seite und versuchte den Zorn zu verstehen, der von seinem Sohn ausstrahlte. „Ich wollte nur... einen Freund besuchen. Ich verlasse dich nicht.“

„Komm’ mir nicht so, Vater, ich kauf’ dir das nicht ab!“, brach es aus Peter heraus. Du lässt mich allein, dachte er. „Wie lange wird es diesmal dauern? Nochmal sechs Monate? Ein Jahr? Zwanzig?“

“Peter – deine Angst ist völlig unbegründet”, versuchte Caine ihn zu besänftigen und schloss seine Tasche, um sie zur Seite zu stellen. „Warum begleitest du mich nicht?“, schlug er vor.

„Ich... ich...“, stotterte Peter als sich seine Wut so plötzlich auflöste, als hätte man aus einem Ballon die Luft herausgelassen. Dafür stieg Scham in ihm auf, als ihm klar wurde, dass er sich wie ein trotziges Kleinkind bei einem Wutanfall benahm. Er fuhr sich verlegen durch die Haare. „Du... du willst also, dass ich mitkomme?“

„Ja, das will ich“, entgegnete Caine mit Bestimmtheit. „Ich möchte einen Freund aus der Zeit meiner Wanderschaft besuchen. Er würde sich sicherlich freuen, dich kennen zu lernen. Ich habe ihm viel von dir erzählt.“

Peter nickte, wusste nicht, was er sagen sollte. Es gab nichts mehr zu sagen, in die Nesseln hatte er sich schon gesetzt. Und mit jedem Versuch, sich zu entschuldigen, konnte er sich nur tiefer hineinreiten. Er blickte seine Vater an, versuchte herauszufinden, ob der Shaolinpriester gekränkt war, doch seine Miene war nicht zu deuten. Vielleicht war es nicht schlecht, ihn auf dieser Reise zu begleiten. Und vielleicht bot sich ihm da eine Gelegenheit, seinem Vater zu erklären, warum es zu diesem Ausbruch gekommen war – und wieso er seinen Frust ausgerechnet an der Person ausgelassen hatte, die am wenigsten dafür konnte. Er fragte sich, wann er endlich lernen würde, nicht immer blindlings um sich zu schlagen und den Mann zu verletzen, der ihm am meisten bedeutete.

Er sah auf und sein Vater lächelte. Der Priester trat näher zu seinem Sohn und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Warum setzen wir uns nicht und du erzählst mir, was dich beschäftigt?“, fragte er ruhig. „Ich glaube, wir haben noch einiges zu klären, bevor wir uns auf diese Reise begeben.“

Ein zögerndes Lächeln erschien auf Peters Gesicht. „Das... klingt gut.“ Er zögerte. „Es tut mir leid. Ich habe mich wie ein kompletter Idiot benommen.“ Wann würde er diese Angst, das Gefühl des Verlassen-seins, endlich loswerden? Er wusste doch, dass sein Vater ihn liebte und für ihn da war.

„Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen musst.“

Vielleicht war ihm bereits vergeben worden. Das er um eine neuerliche Lektion nicht herumkommen würde, war ihm allerdings auch klar... Aber es gab schlimmeres. Peter eilte seinem Vater nach, der sich schon auf dem Weg in die Küche befand und legte ihm den Arm um die Schulter.

Ende


Chaos in der Küche

“Petey? Peter!” Michael fühlte eine wachsende Unruhe, als der Junge sich weder in seinem, noch im Zimmer seines Vaters befand.

Er war nur für einen Moment von einem der anderen Jungen weggerufen worden, doch als er zurückkam und seine „Schäfchen zählte“, fehlte eines. Peter fehlte. Das durfte doch nicht wahr sein!

Der Kung Fu Schüler seufzte, weit davon entfernt, den inneren Frieden und die Gelassenheit zu empfinden, welche die Meister versuchten zu lehren. Ein vierjähriger Knirps konnte sich doch nicht in Luft auflösen. Michael mochte Peter wirklich gerne und er hatte großen Respekt vor Meister Caine – aber seinen zunehmend abenteuerlustigen und freiheitsliebenden Sohn zu beaufsichtigen war eine Aufgabe, für die er sich allmählich nicht mehr begeistern konnte. Vielleicht sollte er mit dem alten Ping Hai sprechen und darum bitten, eine andere Aufgabe zugeteilt zu bekommen. Michael zögerte, unsicher an welchem Ort er als nächstes suchen sollte. Zumindest gab es einen Trost – Peter konnte keineswegs irgendwo draußen vor der Tempelmauer auf Abenteuersuche gehen, der Riegel war zu schwer und saß zu hoch oben, als das er ihn erreichen oder gar zurückschieben konnte. Auch alle anderen Ausgänge waren entsprechend gesichert, so dass keiner der jungen Schützlinge des Tempels verloren gehen konnte.

Trotzdem war es alles andere als schön, dass Peter gerade jetzt verschwunden war, ausgerechnet wenn Meister Caine nicht da war.

Das leere Gefühl in seinem Magen erinnerte Michael daran, dass bald Zeit zum Mittagessen sein musste. Vielleicht war Peter ja auch hungrig und hatte sich im Speisesaal eingefunden? Michael setzte sich in Bewegung und nahm sich vor, dieses Mal nicht über Peters Ungehorsam zu schweigen, sondern mit Meister Caine zu sprechen. Oder zumindest mit Ping Hai.

Vom anderen Ende des Korridors, wo sich die Küche befand, kam gedämpfter Lärm – und von einer Ahnung geleitet, ging Michael nachsehen. Noch bevor er die Küche erreicht hatte, lief ihm Peter förmlich in die Arme. Er hielt ihn fest und musterte den Jungen verblüfft. Peters Kleidung, seine Haare, sein Gesicht – alles war mit Mehl bedeckt. „Was ist passiert?“, fragte er ahnungsvoll.

Im Durchgang zur Küche tauchte Kahn auf. Die safranfarbene Robe des jungen Mönches und sein Gesicht waren ebenfalls mit Mehl bedeckt.

Michael sah ihn fragend an, dann zu Peter, der schuldbewusst auf den Boden starrte und auf die weißen Abdrücke, die seine Füße auf dem blankgeschrubbten Stein hinterlassen hatten. „Was ist passiert?“, wiederholte er.

Kahn seufzte und begann, das Mehl von seiner Robe zu klopfen. „Peter hat mit den anderen Verstecken gespielt. Und offenbar glaubte er, in der Vorratskammer ein besonders gutes Versteck gefunden zu haben.“ Er warf Peter einen strengen Blick zu. „Und wie es mir scheint, hatte er auch vergessen, dass ihr Kinder nichts in diesem Raum zu suchen habt.“ Kahn verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber auf jeden Fall ist ein Sack mit Reismehl umgefallen. Und die Küche sieht aus wie nach einem Schneesturm.“

Michael verbiss sich ein Grinsen, während Peter neben ihm leise kicherte. Er klatschte in die Hände und sah der Mehlwolke nach, die sich dabei erhob. Dann begann er zu niesen.

Kahn und Michael blickten sich an und schüttelte den Kopf. Dann seufzte Michael und hob Peter hoch, wobei er seinen Gi auch mit Mehl einstäubte. „Dann wollen wir dich mal saubermachen“, meinte er und brachte Peter schnellstens in sein Zimmer. Dort hieß er den Jungen warten und besorgte eilig Wasser und ein Handtuch.

Rund zehn Minuten später nahm ein sauberer - aber schmollender - Peter bei den anderen Kindern Platz, um zu Mittag zu essen.

Michael beobachtete ihn.

„Wie ich gehört habe, warst du heute sehr beschäftigt, Michael.“ Lautlos tauchte Ping Hai neben seinem Schüler auf. „Kahn war etwas... ungehalten.“

„Ja, Meister. Petey... Peter ist heute sehr übermütig.“

Der alte Priester lachte leise. „Alle Kinder sind wissbegierig. Und Peter im besonderen. Er wird seinen Weg finden.“ Er beobachtete, wie Peter mit seinem Mittagessen kämpfte und dabei mehr Essen auf dem Tisch als in seinem Mund landete. „Natürlich brauchen alle Kinder Führung.“

Michael nahm die sanfte Ermahnung auf und ging zu Peter, um ihm beim Essen zu helfen.

Ping Hai barg lächelnd die Hände in den weiten Ärmeln seines Gewandes und verschwand so lautlos, wie er gekommen war, um Kahn beim Reinigen der Küche zu helfen. Ohne Peter wäre das Leben im Tempel um einiges ruhiger – und ereignisloser für einen alten Mann...

Ende


Strafe muss sein

Während die älteren Schüler sich zum Nachmittagsunterricht einfanden, wurde Peter mit den anderen Kindern wieder nach draußen geschickt. Der Bereich des Gartens - mit sorgfältig ausgewählten und robusten Pflanzen – der den Kindern vorbehalten war, sollte ihnen eigentlich genug Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Dennoch hielt Ping Hai es für erforderlich, sie nicht völlig ohne Aufsicht zu belassen.

Nachdem die Küche wieder in einen ordentlichen Zustand versetzt war, fand sich Kahn somit mit dieser Aufgabe betraut. Er erinnerte sich daran, dass er Meister Ping Hai gegenüber zu Gehorsam verpflichtet war, und machte sich auf den Weg in den Garten. Nun war es keineswegs so, dass Kahn Peter oder die anderen Kinder nicht mochte. Er fühlte sich nur in ihrer Gegenwart unsicher. Nach Möglichkeit war es ihm lieber, erst mit Schülern zusammen zu treffen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten und am Unterricht teilnahmen.

Als Kahn in den Garten trat, war es ungewöhnlich still. Was angesichts der Tatsache, das keines der Kinder anwesend war, nicht wirklich verwunderte. Auf der anderen Seite schloss sich ein überdachter Gang an, der in einen offenen Hof führte. Und in diesem Hof befand sich... das Koi-Becken. Kahn setzte sich in Bewegung.

Tatsächlich fand er die Vermissten rund um das Koi-Becken versammelt. Die Kinder bemerkten ihn nicht sofort, sondern starrten auf Peter, der im Wasser stand, das zwar nicht übermäßig tief war, aber dem Jungen immerhin fast bis zum Bauch ging. Unter dem Gelächter der anderen versuchte Peter einen der Fische zu fangen – und das mit Erfolg. Triumphierend hob er einen der glitschigen Fisch hoch und zeigte ihn den anderen.

„Peter!“

Als Kahns Stimme erklang, stoben die anderen Kinder auseinander – und Peter ließ den Fisch fallen, der unglücklicherweise jedoch nicht im Becken, sondern daneben landete.

Kahn hob den zappelnden Koi auf, der trotz allem unversehrt schien und setzte ihn zurück ins Wasser, dann hob er Peter heraus und stellte ihn auf den Boden. „Peter, du weißt genau, dass es nicht erlaubt ist, einen der Fische aus dem Wasser zu holen.“ Er betrachtete den tropfenden Jungen kopfschüttelnd. „Du gehst sofort in dein Zimmer und ziehst dir trockene Kleidung an. Und dann wirst du dort auch bleiben.“

„Will ich aber nicht“, protestierte Peter.

Doch Kahn unterband jedes weitere Argument, indem er Peter einfach hochhob und in sein Zimmer trug. Er ignorierte stoisch Peters Protestgeheul, das durch den Hof hallte; die Tropfenspur, die hinterblieb und die Feuchtigkeit, die in seine Robe sickerte. Es brach erst ab, als er den Jungen in seinem Zimmer absetzte und ihm ein Handtuch holte. „Du warst heute sehr ungehorsam und zur Strafe wirst du bis zum Abend hier in diesem Raum bleiben.“

Peter warf das Handtuch auf den Boden und lief zur Tür, doch Kahn war schneller und hielt ihn auf. Er begann ihm die durchnässten Schuhe auszuziehen, doch Peter zuckte vor ihm zurück und flüchtete sich in eine Ecke des Raumes.

„Peter, du musst deine nasse Kleidung ausziehen.“ Zwar war es draußen warm, doch hinter den dicken Steinmauern hielt sich die Kühle.

„Kann ich selber“, behauptete Peter.

Also trat Kahn zurück und ließ dem Jungen seinen Willen. Immerhin erlaubte Peter, dass Kahn ihm die Haare trockenrieb und ihm dann half, trockene Kleidung zu finden und anzuziehen.

Dann wies Kahn auf das Bett. „Du wirst dich jetzt hierhin setzen und dich nicht aus dem Raum bewegen, bis du die Erlaubnis dazu von mir erhältst, Peter. Vielleicht wird dich das lehren, auf das zu hören, was man dir sagt.“

Peter begann zu weinen und zog den Teddy unter dem Kissen hervor, der ihn von dem kleinen Haus, in dem er geboren war, bis in den Tempel begleitet hatte. Es war ein Geschenk seiner Mutter gewesen. Er drückte das abgewetzte und mitgenommene Kuscheltier an sich und presste sein Gesicht in den Bären.

Kahn betrachtete das weinende Kind und der Kummer in Peters großen, braunen Augen zerstörte fast seine Entschlossenheit, das Peter dieses Mal bestraft werden musste. Schließlich sah er weg, bevor er umknicken konnte. „Du musst dich daran gewöhnen, dass es bestimmte Regeln gibt. Und das sie auch für dich gelten, Peter. Du bleibst in diesem Raum bis ich zurückkomme. Das ist deine Strafe.“ Dann wandte er sich ab und ging.

* * *

Etwa eine Stunde später sah Kahn nach dem Jungen. Peter schlief, er hatte sich auf dem Bett zusammengerollt und hielt noch immer den Teddy fest an sich gedrückt. Es war ihm nicht leicht gefallen, Peter zu bestrafen, doch sich an die Regeln zu halten, war ein Teil dessen, was Peter lernen musste.

Leise schloss er die Tür wieder.

Ende


Liebe kennt keine Schuld

In den frühen Stunden des Morgens, noch vor Tagesdämmerung, lag Teresa schlafend in seinen Armen. Caine floh der Schlaf, doch er blieb liegen, damit zufrieden, sie bei sich zu spüren. In seinem Inneren war es jedoch alles andere als friedlich. Die Freude, die er empfand, bei ihr zu sein... war genau so groß wie seine Schuldgefühle. Die Dualität dieser Gefühle überraschte ihn.

Mit jedem Tag, mit jeder Nacht, die sie gemeinsam verbrachten, spürte er tief in sich, dass er sie glücklich machen konnte – und dass ihre Liebe vielleicht sein gebrochenes Herz heilte. Teresa war wunderschön, herzlich und warm und er wusste, dass er sie lieben lernen würde.

Doch als er den Kopf zu ihr wandte und einen zärtlichen Kuss auf ihr Haar und ihre bloße Schulter drückte, fühlte er erneut Unsicherheit in sich aufsteigen – war er wirklich bereit zu bleiben? War die Zeit für ihn gekommen, seine Wanderschaft zu beenden?

Im Schlaf drehte sich Teresa unbewusst von ihm weg.

Er beschloss aufzustehen. Doch als er vor dem Bett stand und auf die schlafende Frau hinabsah, wusste er nicht, wohin er gehen sollte oder was tun. Sein Geist war zu unruhig, selbst die Zurückgezogenheit und Stille der Meditation blieb ihm verwehrt.

Caine durchquerte den Raum und sah aus dem Fenster. Nicht weit entfernt konnte er die dunklen Umrisse des Waldes entdecken. Sie hatten den Tag dort zwischen den Bäumen verbracht, umgeben von der ruhigen Schönheit der Natur. Zusammen. Sie hatten die Nacht begrüßt. Gemeinsam. Sich geliebt... es gab ein simples Wort, um zu beschreiben, wie er sich fühlte: glücklich.

„Es ist alles zu viel“, erklang hinter ihm Teresas Stimme.

„Zu viel“, wiederholte er leise.

„Was dich verfolgt. Es ist so groß, dass es dich davon abhält, wirklich hier zu sein, zu genießen was wir füreinander sind. Es ist zu groß, als dass ich es auslöschen könnte.“

Da verstand er, dass sie seine Antwort als Frage aufgefasst hatte – während er für einen Moment geglaubt hatte, sie wäre durch einen glücklichen Zufall in der Lage gewesen, seine Gedanken zu erraten. Denn er hatte gemeint, dass das Glück, das er in ihrer Nähe empfand, zu viel für ihn war – und dass es sich am Ende in einen Dämon verwandeln würde, der ihn von ihr forttrieb.

Er hörte das leise Geräusch ihrer bloßen Füße auf dem Holzboden, spürte dann ihre Arme, die sich um ihn legten, als sie den Kopf an seinen Rücken schmiegte. Eine ihrer Hände berührte seine Wange und ihm wurde bewusst, dass er weinte.

„Was immer dich so quält, lass es für heute Nacht los“, flüsterte sie.

Er drehte sich zu ihr um und sah in ihre Augen. Sie glitzerten, als würden sie seine Qual reflektieren. Teresa umschloss mit beiden Händen sein Gesicht und führte ihn näher zu sich. „Lass’ es los“, flüsterte sie an seinen Lippen, dann küsste sie ihn.

Er gab nach, verlor sich in der Wärme ihrer Umarmung.

Ende


Ein Haus gebaut aus Träumen

„Wie zerbrechlich ist ein Haus, gebaut aus Träumen.

Aus Wünschen, die niemals wahr werden.

Wie ein Haus aus Seidenfäden, an einem goldenen Strand –

Ein Haus gebaut für dich und für mich.

Es würde im Mondlicht silbern glitzern,

Wie Sternenlicht, vom Nachthimmel reflektiert.

Es würde sich mit den Wellen sanft wiegen,

und uns wärmen, wenn wir uns in seinem Schutz niederlegen.

Ich würde meine Liebe in goldene Tücher gewanden,

und sie legen auf ein Bett aus Seide.

Meinen träumenden Körper neben ihren betten,

und meinen müden Kopf an ihre Schulter legen.

Zu wissen, dass meine Liebe für immer in Sicherheit ist.

Meine Welt endlich in den Armen zu halten.

Zu wissen, dass du beschützt bist, bis ans Ende der Zeit.

Denn alle Gefahr ist nun fern und vergangen.

Und wenn die Realität in die Welt meiner Träume dringt...

Das Schicksal mich auf neue Wege führt.

Weiß ich doch, dass wir uns in diesem Haus wiedersehen.

Wie zerbrechlich ist ein Haus, gebaut aus Träumen.“

Wind ließ das Schilf leise rascheln. Irgendwo in der Ferne durchbrach eine Vogelstimme das Schweigen, das sich über den See legte, als er verstummte. Seine Finger zitterten nicht, als er den Bogen Papier aufrollte, auf den er ihr Lieblingsgedicht kopiert hatte. Er beugte sich vor, legte es auf die trockene, sonnengewärmte Erde; neben die Jasminblüten, die er ihr aus dem Garten gebracht hatte. Seine Fingerspitzen glitten über die in den Holzpfahl eingeschnitzten Schriftzeichen, nicht um sie zu entziffern, nur um den Abschied noch ein wenig hinaus zu zögern. Doch endlich stand er auf und wandte sich nach einem letzten, langen Blick von dem Grab ab.

Kwai Chang Caine hob seinen kleinen Sohn in die Arme, Peter war im warmen Gras, an das Bein seines Vater geschmiegt, eingeschlafen. Er hängte sich seine Tasche um die Schulter und machte sich auf den Weg in den Tempel. In ein neues Leben ohne Laura.

Ende


Freier Fall

„Das Wort eines Mannes ist seine Ehre – und die Ehre eines Mannes ist sein Wort.“ Sacred Trust

Obwohl es nur einen Moment dauerte, bis der Fotograf das Hochzeitsfoto gemacht hatte, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Peter musste sich zwingen, still stehen zu bleiben. Das Lächeln auf seinem Gesicht fühlte sich hölzern und unecht an, eher wie eine schmerzliche Grimasse.

Trotzdem hoffte er, man würde es später auf dem Foto nicht sehen. Das letzte, was er wollte, war Carolyn die Hochzeitsfeier zu verderben. Das hatte ja bereits George und seine als Handwerker getarnte Überfalltruppe getan. Er konnte es immer noch nicht so recht fassen. Alles war so schnell gegangen. Eben noch hatte er mit Tyler übers Heiraten herumgealbert – und im nächsten Moment wimmelte es zwischen den Hochzeitsgästen von bewaffneten Männern, es standen Posten im Treppenhaus, die Telefonleitung war gekappt und Kelly entführt – ganz zu schweigen davon, dass die Lifts wegen eines angeblichen Rohrbruchs nicht funktionierten. Und dass alles, während einige Stockwerke tiefer der Tresorraum des Hotels ausgeräumt wurde. Pech nur für George, dass die Braut eine Polizistentochter war – und es daher auf ihrer Hochzeitsfeier nur so von Cops wimmelte...

Er hatte gezögert, sich zu ihnen zu stellen, als der Fotograf die Familie um das Brautpaar anordnete, um ein Foto von ihnen beim Anschneiden der Hochzeitstorte zu knipsen. Es fühlte sich plötzlich nicht mehr richtig an. Erst Pauls wiederholte Aufforderung, zu ihnen zu kommen – und der ermunternde Schubs seines Vaters – hatten ihn in Bewegung versetzt. Sein Vater... er schwankte immer noch zwischen Verlegenheit und Amüsiertheit, dass sein Vater ihm Tylers Lippenstift abgewischt hatte, wie bei einem Vierjährigen, der sich mit Eis bekleckerte. Aus dem Augenwinkel versuchte er sich umzusehen. Wo steckte sein Vater?

„Okay, das war’s.“

Peter atmete erleichtert auf, als der Fotograf seine Kamera senkte und sich die Aufmerksamkeit der meisten Gäste auf Carolyn und Todds Geplänkel beim Anschneiden und Austeilen des Kuchens konzentrierten.

Der Platz bei den Vorhängen, dort wo eben noch sein Vater gestanden hatte, und versucht hatte, das Schmierfett der Liftseile von den Händen und Kleidern zu bekommen, war leer. Sein Herzschlag beschleunigte sich – so wie im Liftschacht, als sie versuchten nach unten zu klettern und sich plötzlich die Kabine einige Stockwerke unter ihnen in Bewegung setzte. Oder zuvor... nein, daran wollte er eigentlich nicht denken. Nicht an diesen einen, entsetzlichen, endlosen Augenblick, als er den Halt an den dünnen Stahlseilen verlor und fiel... Der Sturz dauerte scheinbar eine Ewigkeit. Bis ihn die Hand seines Vaters packte und festhielt. Ihn rettete.

Aber wo zum Teufel steckte er jetzt?

Peter löste sich von Annie und trat einen Schritt vor, um einen besseren Blick auf die andere Seite des Raumes zu erhalten. Dort war niemand. Peter schluckte gegen einen Klumpen in seinem Hals an. Seine Pflegemutter hatte zwar erwähnt, dass sein Vater darüber gesprochen hatte, sich bei Anlässen wie diesem nicht besonders wohl zu fühlen... Und es stimmte ja auch, dass er nur auf Peters Drängen mitgekommen war. Aber wäre er einfach so gegangen? Ohne ein Wort?

Verschwunden wie früher, wenn er vom Tempel geträumt hatte und nach dem Aufwachen wieder aufs neue den stechenden Schmerz des Verlustes spürte. Aber diesmal war es kein Traum. Das wusste er sicher. Sein Vater war Wirklichkeit.

Eine Hand berührte seinen Arm. „Mach’ dir keine Sorgen, Peter. Er lässt dich nicht wieder allein.“

Ohne den Blick von dem leeren Fleck zu nehmen, legte er den Arm um sie und küsste seiner Pflegemutter die Hand, drückte sein Gesicht kurz gegen ihr weiches Haar. Er verstand nicht, wie sie es anstellte, zu wissen was ihn bedrückte. Aber sie wusste nicht, wie es war, im Stich gelassen zu werden. Niemand hatte sich je von ihr abgewandt und... Er holte tief Atem, verbannte die Erinnerung. Nein, niemand konnte verstehen, wie groß seine Angst war, das alles noch einmal erleben zu müssen.

Er fühlte sich nicht gut. Vielleicht war es nur das Abklingen des Adrenalins: der beinahe-Absturz, der Kampf mit dem Mann in Kellys Zimmer, der versucht hatte, ihn zu erwürgen – und nicht zu vergessen, der Typ vor dem Fahrstuhl, den er erschossen hatte. Seine Hand glitt von Annies Schulter und er drehte sich einmal um sich selbst, in der Hoffnung irgendwo seinen Vater zu entdecken. Es war keine gute Idee, denn auf einmal wollte der Saal überhaupt nicht mehr aufhören, sich zu drehen. Die leise Hintergrundmusik gellte plötzlich in seinen Ohren und die Unterhaltung und das Lachen der Menschen um ihn herum brach wie eine Welle über ihm zusammen, begrub ihn und machte es ihm schwer, zu atmen.

„Peter? Peter, mein Schatz, ist alles in Ordnung mit dir?“

Er hörte den besorgten Klang in Annies Stimme, doch es fiel ihm schwer, sich genügend zusammen zu reißen, um ihr zu antworten. „Ich... ich brauche ihn. Wo ist er?“

„Wen meinst du, Peter? Willst du wissen, wo Paul ist?“

Er spürte Annies Hand auf seinem Arm, seiner Schulter, auf der Suche nach seinem Gesicht – er drehte den Kopf weg, wusste sie würde seine Verwirrung, seine Angst in seinen Gesichtszügen ertasten. „Es interessiert mich nicht, wo Paul ist“, gab er heftiger zurück, als er beabsichtigt hatte und bereute seinen Ton sofort. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Ihm war übel und hinter seiner Stirn pochte es. „Es tut mir leid, ich wollte nicht... ich wollte dich nicht anschreien. Wo ist mein Vater?“

„Schon gut, Peter. Ich bin nicht gekränkt.“ Die Besorgnis in Annies Stimme hatte sich verstärkt. Ihre Hand berührte seine Schulter. „Ich bin sicher, er ist gleich zurück, Liebling. Warum bringst du mich nicht an unseren Tisch und wir setzen uns ein paar Minuten hin? Du musst erschöpft sein, nach all dem...“

In diesem Moment trat Paul zu ihnen. „Ist alles in Ordnung, Peter?“, fragte er, sein Blick musterte ihn scharf. „Du bist ein bisschen blass um die Nase.“

„Mir fehlt nichts“, gab Peter ärgerlich zurück. „Ich suche nur nach meinem Vater. Er ist verschwunden.“

Paul lachte, doch seine Augen blieben ernst und besorgt. „Um Himmels Willen, Peter, beruhige dich. Wahrscheinlich ist er sich nur die Hände waschen gegangen. Du musst ihm auch mal eine Minute Pause gönnen.“

„Oder was sonst?“ Peter wandte sich von ihm ab. Er blinzelte. Das Licht schien plötzlich viel greller. Ihm taten die Augen weh. „Denkst du, dass er mich über bekommt und wieder abhaut? Dieses Mal dann für immer?“ Das kann er doch nicht tun; nein, das nicht! Was ist, wenn ich wieder falle und er nicht da ist, um mich aufzufangen...? Er wischte sich mit dem Ärmel seines Jacketts den Schweiß vom Gesicht.

„Nein, das wollte ich natürlich nicht damit sagen.“ Pauls Hand legt sich schwer auf seine Schulter. „Peter, du bist ja völlig überdreht. Warum setzen wir uns nicht wieder und ich hole dir etwas zu trinken? Dann geht es dir sicher gleich besser.“

„Es geht mir gut“, beharrte Peter, obwohl der Raum wieder angefangen hatte, vor seinen Augen zu wogen und sich zu drehen. Es fiel ihm noch immer schwer, genügend Luft zu bekommen. Und warum musste es so verdammt heiß sein?

„Hört auf, mich wie einen übermüdeten Siebenjährigen zu behandeln“, murrte er, ließ sich aber ohne weitere Gegenwehr von Paul zu einem Stuhl bringen und setzte sich. Nicht zu früh, seine Knie schienen sich in Pudding verwandelt zu haben. Er schloss die Augen, spürte eine Hand im Nacken, dann wurde sein Kopf nach unten zwischen seine Knie gedrückt. Sie mussten sich etwas abseits der feiernden Gäste befinden, denn hier war es ruhiger.

„Atme ein paar mal tief durch, Peter. Es geht gleich vorbei.“

Er hörte Pauls Stimme dicht an seinem Ohr. „Verdammt, mir fehlt nichts. Ich werd’ bestimmt nicht wie ein Mädchen in Ohnmacht fallen.“

„Achte bitte ein wenig mehr auf deine Ausdrucksweise, Peter.“ Annies Stimme erklang von der anderen Seite. Er spürte ihre Hand in seinem Nacken.

Er holte tief Luft und öffnete die Augen. Er starrte auf seine Hände, die zitterten und ballte sie zu Fäusten. „Ich will nur wissen, wo mein Vater ist“, wiederholte er leise.

Er hörte Paul seufzen. „Ich werde nachsehen...“

„Ich bin hier.“

Peters Herz tat einen unwillkürlichen Sprung. Er hob den Kopf und starrte in das ausdruckslose Gesicht seines Vaters. Am Rande nahm er wahr, dass Paul seine Frau am Arm nahm und sie wegführte. „Im Liftschacht...“, flüsterte Peter. „Ich bin gefallen.“

„Ich weiß.“

Der Ausdruck im Gesicht seines Vaters änderte sich nicht, und Peter ließ müde den Kopf hängen. Er schloss die Augen. „Ich bin abgestürzt“, wiederholte er mit mehr Nachdruck.

„Ich habe dich aufgefangen.“

Eine Hand berührte seinen Arm, doch er sah nicht auf. „Was ist, wenn ich wieder falle?“ Irgendwie wurde es leichter, zu atmen und auch der Raum schien nicht mehr erdrückend heiß.

„Dann werde ich dich wieder auffangen.“

Wider Willen erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, als er den feinen Unterton von Ungeduld in der Stimme seines Vaters wahrnahm. „Es könnte immer wieder passieren, weißt du? Ich könnte immer wieder abstürzen.“

„Dann werde ich dich wohl jedes Mal auffangen müssen, mein Sohn.“

Jetzt war es... Peter hob den Kopf und fand die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich gerichtet. Caine kniete vor ihm. Ja, die gleiche Mischung aus Besorgnis und Amüsiertheit, die er in Caines Stimme gehört hatte, zeigte sich auch in seiner Miene. Die ausdruckslose Maske war vom Gesicht des Priesters verschwunden, statt dessen blickte ihn der Vater an, an den er sich aus seinen Träumen erinnerte. Älter zwar, ein feines Netzwerk aus Falten und Fältchen durchzog seine Gesichtszüge wie eine Landkarte seiner langen Wanderjahre – aber immer noch sein Vater. „Versprichst du es mir?“

„Peter, ich...“

Er zog seinen Arm zurück. „Nein, ich muss das wissen. Versprich es mir!“ Er presste die Lippen zusammen, als er den Unterton von Panik in seiner Stimme hörte. Und er wusste, dass er zu weit ging; dass er etwas forderte, auf das er kein Recht hatte. Und doch waren die Worte über seine Lippen, bevor er sie stoppen konnte. „Schwöre es mir.“

Die Züge seines Vaters hatten sich verhärtet. „Ich habe gesagt, dass ich für dich da sein werde. Mein Wort ist genug.“

Peter blickte in die vertrauten, dunklen Augen. Da war etwas in ihnen, an das er sich nicht erinnerte. Eine Leere, die nie ausgefüllt worden war; Schmerz, der zu lange gedauert hatte und eine Narbe hinterließ. Und doch war es kein unvertrauter Anblick – er sah ihn jeden Morgen in seinem Badezimmerspiegel. „Ich brauche mehr als dein Wort. Beweise es mir.“

Fast unmerklich wurden Caines Gesichtszüge noch verschlossener. Er senkte den Blick.

„Schwöre es beim Grab meiner Mutter“, flüsterte Peter. Seine Welt hatte sich auf sie beide verengt, da war nichts sonst mehr um sie herum. Sein Herz schlug so laut, dass es ihm in den Ohren wiederhallte.

Sein Vater stand auf und faltete die Hände ineinander. Hätte er noch eine safranfarbene Robe getragen und keine Haare auf dem Kopf, wäre es das perfekte Abbild einer Vergangenheit gewesen, die unwiderruflich verloren war.

Peter stand ebenfalls auf. Als sein Vater endlich aufsah, hielt er seinem Blick stand. „Du warst so lange unterwegs, fünfzehn Jahre lang. Bin ich es wert, dass du bleibst?“ Bin ich es wert, dass du mich auffängst, wenn ich wieder abstürze? Und wenn ich es bin, warum hast du dich damals von mir abgewandt?

Er schloss die Augen erst, als sich eine Hand in dieser inzwischen wieder so vertrauten Geste an seine Wange legte.

„Ich bin hier.“

Es lag kein besonderer Ausdruck in der Stimme seines Vaters – weder Ärger noch Resignation, noch... Aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Er wusste nicht, was er tun musste, um den Priester dazu zu bringen, Gefühle zu zeigen – und er war zu müde dafür. Für den Moment musste es reichen. Ein Abend war nicht genug, einen Dämon zu jagen und zu vertreiben, der ihm so lange gefolgt war. Vielleicht würde ein Leben dazu nicht ausreichen.

Peter öffnete die Augen und blickte seinen Vater an. Er versuchte sich an einem Lächeln und es schien zu funktionieren. „Wie wär’s mit einem Abstecher an die Bar?“, meinte er leichthin. „Ich glaube, ich sollte auch mal einen von diesen Grashoppern versuchen.“

„Wasser wäre besser für dich“, entgegnete sein Vater streng, doch da war keine Strenge in seinem Gesicht oder seinen Augen. Nein, wie immer wirkte er ausgeglichen und ruhig.

„Sei’ kein Spielverderber, Paps.“ Peter beobachtete ihn durch halbgesenkte Wimpern, doch auch auf die ungeliebte Bezeichnung hin folgte kein Tadel. Sein Puls beschleunigte sich, während er auf eine Reaktion wartete – doch sie blieb aus. „Ich kann dich auch nach Hause fahren, wenn du das lieber willst“, setzt er etwas kleinlauter hinzu.

„Nein, ich...“ Caine stockte, etwas das äußerst selten vorkam, und korrigierte sich. „Wenn du mir die Freude machst, den Rest des Abends mit mir zu verbringen?“

Peter zögerte. Er sah sich nach Annie und Paul um, doch die beiden saßen an ihrem Tisch und unterhielten sich mit Frank Strenlich und ein paar anderen Gästen. Niemand würde auffallen, wenn er früher ginge und außerdem hatte er nach dem ganzen Theater heute ohnehin die Nase voll. Sein Blick fiel auf Tyler, die sich gerade von ihren Bandkollegen trennte. Sie schien ihm im gleichen Moment zu entdecken, denn sie winkte und machte sich daran, den Raum zu durchqueren. Sie würde sauer sein, wenn er sie sitzen ließ – und das gerade jetzt, da ihre Beziehung sich wieder gebessert hatte.

Er wandte den Kopf, blickte seinen Vater an. „Ja, gerne.“ Er nahm Caine am Arm und führte ihn Richtung Fahrstuhl. „Du hast irgendetwas von einer Übung erzählt, im Tempel... war ich gut darin? Ich erinnere mich nicht mehr.“ Er spürte den fragenden Blick seines Vaters auf sich, als sie darauf warteten, dass sich die Türen des Lifts öffneten. Verdammt, wo blieb der lahme Kasten nur? Tyler musste sie gleich eingeholt haben und er wollte um jeden Preis eine Szene vermeiden. Endlich glitten die beiden Türhälften geräuschlos auseinander und er zerrte seinen Vater fast in die Kabine. Er drehte sich um und sah gerade noch Tylers wütenden Gesichtsausdruck, bevor sich die Türen wieder schlossen. Seltsamerweise machte es ihm nichts aus. Der einzige Mensch, der in seinem Leben noch Bedeutung hatte, stand neben ihm...

Ende


Küchenphilosophie

"It is the function of a father. To be what is needed." - The lacquered box

Noch nie schien der Lift für die Fahrt in den achtzehnten Stock so lange gebraucht zu haben. Peter gähnte und streckte sich, als er aus der Kabine in den Flur seines Stockwerks trat. Seine Lider fühlten sich an, als wären sie innen mit Sandpapier gepolstert. Ein anstrengender Tag lag hinter ihm und was er sich jetzt noch wünschte, war etwas Essbares in seinem Kühlschrank aufzutreiben – oder sich Pizza zu bestellen – und dann ins Bett zu kriechen. Das Ende seiner Beziehung zu Kelly hatte auch das Ende regelmäßiger Abendessen bedeutet. Seine Mom hatte – halb im Scherz, halb Ernst - ihm angeboten, ihm das Kochen beizubringen, doch Peter konnte sich dazu nicht aufraffen. Allein schon, was man dafür alles einkaufen musste. Und diese mysteriösen Unmengen an Töpfen und Pfannen und Kasserollen, die er in Annies Küche gesehen hatte. Nein, danke, das war nichts für ihn. Sein Magen knurrte und er bereute, dass er nicht mit Kermit und Jody ins Chandler’s zum Essen gegangen war – aber Donnie Double D hatte versprochen im Revier anzurufen – was er dann nicht tat, und worüber Peter noch ein Wörtchen mit ihm zu sprechen gedachte.

Auch wenn seine Augen nach stundenlangem Starren auf den Bildschirm seines PCs schmerzten, Peter sah sofort, dass die Tür zu seinem Appartement nur angelehnt war. Ein Adrenalinschub vertrieb die Müdigkeit aus ihm und er griff nach seiner Beretta, als er lauschte und dann vorsichtig die Tür weiter aufschob. Das Schloss sah nicht danach aus, als wäre es aufgebrochen worden – oder aber von einem Profi, der keine mit dem bloßen Auge sichtbaren Spuren hinterließ. Bedauerlicherweise war es nicht das erste Mal, dass er sich in so einer Situation befand...

Im Flur, im Wohnzimmer, brannte Licht. Der Esstisch war für Zwei gedeckt. Wenn er nicht genau wüsste, das Kelly verreist war, hätte er darauf getippt, dass sie ein Überraschungs-Versöhnungs-Essen plante. Außerdem hatte sie keinen Schlüssel mehr. Nach der Sache mit dem Brujo, als sie wieder einmal auszog, hatte sie den Wohnungsschlüssel auf dem Couchtisch liegen lassen. Ein Räuspern schreckte Peter aus seinen Gedanken hoch und er wirbelte herum.

Sein Vater blickte ihn über die Küchenzeile hinweg mit erhobenen Augenbrauen an und wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab.

Einen Moment war Peter sprachlos, dann brach ein aufgebrachtes „PAPS!“ aus ihm hervor.

„Peter.“ Caine lächelte, sichtlich unberührt von dem ungnädigen Empfang.

„Was zum Teu...“, Peter schluckte den Rest hinunter. „Was machst du hier?“

Der Priester strahlte ihn an, als hätte Peter eben Worte von unglaublicher Weisheit von sich gegeben. „Ich koche für meinen Sohn Abendessen.“

„Abendessen?“, wiederholte Peter verständnislos. Essen? Die Vorstellung seines Vaters über Essen bestand aus Reis. Und er hasste Reis. „Das ist... ähem... nett von dir. Wirklich nett“, fuhr er lahm fort, als Caine ihn erwartungsvoll ansah. „Wie komme ich zu diesem unerwarteten Vergnügen?“

Uncharakteristischerweise zögerte Caine mit einer Antwort. „Du hast dich darüber beklagt, dass ich dich zu sehr einenge. Und auch wenn mein uneingeladenes Eindringen...“ - bei diesen Worten spielte ein leise-ironisches Lächeln um seinen Mund – „...eher einen gegenteiligen Eindruck erweckt, würde ich gerne mit dir darüber sprechen.“

Es war richtig, dass er seinen Vater angeschrieen hatte, ihn in Ruhe zu lassen – und das im Revier, vor seinen Kollegen. Peter fühlte noch immer die Verlegenheit über diesen Ausbruch, der von seinem Vater vielleicht provoziert worden war, aber sicherlich von ihm zu unangemessenen Proportionen aufgeblasen wurde. Außerdem war es doch klar gewesen, dass er damals nicht ganz er selbst gewesen war, sondern unter dem Einfluss des Brujo stand. Er hatte gedacht, sein Vater hätte das ganze inzwischen vergeben und vergessen. Das hätte er eigentlich besser wissen müssen. Sicher war ihm vergeben worden – aber vergessen war ganz sicher nichts. „Ja, okay. Wenn du meinst“, erwiderte er und fuhr sich durch die Haare. „Aber ich dachte, wir hätten das schon geklärt.“

Caine machte eine vage Geste mit der Hand. „Du hast mich in den letzten Wochen sehr selten besucht.“

„Ich hatte viel zu tun“, verteidigte sich Peter sofort. „Das weißt du. Außerdem hättest du ja auch bei mir vorbeikommen können.“

„Du wolltest deinen Freiraum.“

Die Worte wurden leise, ohne besonderen Ausdruck gesprochen. Trotzdem wirkten sie wie eine Ohrfeige. Würde das eigentlich immer so weitergehen, das er etwas sagte und ihm das noch Wochen später um die Ohren geschlagen wurde? Peter seufzte. Warum musste sein Vater nur jedes Wort auf die Goldwaage legen. Er blickte Caine an und da war etwas in den Falten und Linien, die die müden Gesichtszüge des Priesters prägten, das ihn zögern ließ. Fühlte er sich vielleicht einsam? Aber nein, das konnte nicht sein. Da waren ständig Menschen, die seine Hilfe brauchten, seinen Rat suchten, Schüler und Patienten und Freunde, halb Chinatown ging bei ihm ein und aus... Er blinzelte, als er versuchte, diesen neuen Gedanken einzuordnen. Er schien fast niemals allein und oft genug ärgerte sich Peter darüber, dass sein Vater keine Zeit fand, sich mit ihm zu beschäftigen – da war immer jemand anderes und so war es schon immer gewesen. Niemals allein... aber das bedeutete nicht, dass man nicht einsam sein konnte. Wie hieß es? Man ist niemals einsamer als umgeben von Menschen...

„Peter?“

„Hmh?“ Er sah auf und begegnete dem nachsichtigen Lächeln seines Vaters. „Was ist?“

„Du hast keinen Tee.“

„Tee?“, wiederholte Peter irritiert. Seit wann änderte sein Vater so einfach das Thema? Oder war es, wie er argwöhnte, kein Wechsel, sondern nur ein Aufschub... „Klar habe ich Tee. Irgendwo steht eine Packung. Ich glaube, Kelly hat sie gekauft.“ Er schob die Hände in die Tasche. Wundervoll, Tee und Reis. Das wurde ein Abend wie früher. Ob nicht doch eine winzige Chance bestand, seinen Vater zu Bier und Pizza zu überreden? Wem machte er etwas vor. Eher drehte sich die Erde rückwärts.

„Ah, du meinst diese?“ Caine hielt eine Teepackung hoch und Peter nickte.

„Ja. Man kann auch Tee aus Beuteln trinken, weißt du, Paps.“

Caine zog einen Teebeutel heraus und ließ ihn an seiner Schnur baumeln. Sein Gesicht war verdächtig unschuldig, als er fragte: „Und wo füllt man das Wasser in den Beutel?“

Einen Moment lang war Peter sprachlos, doch dann wurde ihm klar, dass er auf den Arm genommen wurde und brach in Lachen aus. Einen Augenblick später stimmte auch sein Vater mit ein. Er legte Caine den Arm um die Schulter und sagte: „Okay, jetzt lass’ mich mal einen Blick in den Kochtopf werfen. Ich verhungere!“

Ende


Redemption

Wo sich Lo Si aufhielt, war meist eine Teekanne nicht weit, und auch jetzt füllte der Ehrwürdige schweigend die beiden Teeschalen nach. Er hielt das dünne Porzellan in seinen knorrigen Händen und betrachtete den Rücken des jüngeren Mannes, der von ihm abgewandt aus dem Fenster blickte. Die Ruhe und der innere Friede, der sonst das Wesen von Kwai Chang Caine ausmachten, waren sichtlich nicht-existent. Noch während der Apotheker überlegte, welche Worte den jüngeren Priester aus seiner düsteren Stimmung befreien konnten, nahm er eine Änderung in ihrer unmittelbaren Umgebung wahr. Wie eine Sturmwolke, die sich anschickte, das Loft zu fluten, eilten dem Neuankömmling Frustration und Ärger voraus – für den alten Mann und seine über Jahrzehnte trainierten Sinne so sichtbar wie eine Wolke am Himmel.

Lo Si nickte, stellte seine Teeschale ab und machte sich daran, eine dritte zu füllen, obwohl er wusste, dass Tee nicht genügen würde, um Peter zu besänftigen. Selbst nach all der Zeit, die er mit Vater und Sohn verbracht hatte, erstaunte und faszinierte ihn noch immer, wie Caine auf die Stimmungen seines Sohnes reagierte und sie reflektierte – genau wie Peter instinktiv die Gefühle seines Vaters aufnahm und sie zu seinen eigenen machte. Doch im Gegensatz zu Kwai Chang Caine hatte Peter weder die nötige Erfahrung, noch eine ausreichende Ausbildung, um seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Er konnte den Ursprung dessen, was er fühlte, nicht sehen und fiel so von einer Verwirrung in die nächste. Es war Zeit, dass der Junge sein Training beendete. Doch Caine weigerte sich, darauf Einfluss zu nehmen und beharrte darin, dass es Peters eigene Entscheidung sein müsse. Er war der – irrigen – Ansicht, es gäbe für seinen Sohn eine Wahl... Lo Si schüttelte gedankenverloren den Kopf. Selbst als Bojaja hatte Peter in erster Linie wie ein Polizist gehandelt, nicht wie ein Shaolin. Sollte es zu spät für ihn sein? War zu viel Zeit verloren?

Er sah auf und entdeckte, das Caine sich umgedreht hatte und ihn fragend ansah. Lo Si lächelte. Zweifellos ließ ihn das Alter sorglos werden, denn sonst wäre der andere Priester nicht in der Lage gewesen, auf den Pfad aufmerksam zu werden, den seine Gedanken genommen hatten. „Ein Besucher ist auf dem Weg in deine Wohnung, mein Freund“, sagte er überflüssigerweise. Lo Si wusste, dass Caine nicht fragen, sondern darauf warten würde, dass er zuerst von seinen Gedanken sprach. Doch es gab... Dinge... von denen auch ein Kwai Chang Caine nichts erfahren durfte, bevor die Zeit dafür gekommen war.

Der jüngere Priester seufzte leise. „Peter“, stellte er fest. „Er ist noch immer sehr... aufgebracht.“

Lo Si neigte zustimmend den Kopf. „Es kommt der Zeitpunkt, wo jeder sich dem Tiger stellen muss“, zitierte der alte Mann. Er sah Überraschung über Caines Gesicht huschen, als der seine eigenen Worte vernahm und lachte das glucksende, heisere Lachen, das so typisch für ihn war. „Obwohl es in diesem Fall eher ein Tigerjunges sein mag, das gekommen ist, seine Krallen an einem Erwachsenen auszuprobieren.“

Wieder flog schattengleich Emotion über das Gesicht des jüngeren Priesters – doch dieses Mal war es klare Missbilligung des – wenngleich harmlosen – Spottes. Lo Si machte eine unterstreichende Geste mit der Hand. Wenn es um Peter ging, war Kwai Chang Caine zu nachsichtig; zu stolz auf das, was sein Sohn erreicht hatte, zu stolz um zu sehen, woran es Peter mangelte. Und Arroganz hatte Caine schon einmal den ultimativen Preis gekostet – den Verlust seines einzigen Sohnes und des Tempels...

Doch jetzt stand weitaus mehr auf dem Spiel und Lo Si spürte, dass Caine heute nur noch wenig mit dem gebrochenen, demütigen Mann zu tun hatte, der vor kaum mehr als zwei Jahren in diese Stadt kam. Peters Liebe hatte ihn verändert – aber es bestand trotz all dem Guten, das aus diesen Veränderungen erwuchs doch auch die Gefahr, dass Caine zu vieles dafür opferte, diese Liebe nicht zu verlieren. Einschließlich seines Lebens. Seine Abhängigkeit von seinem Sohn hemmte nicht nur dessen Entwicklung, sondern auch Caines eigene Fortschritte.

Peters Anwesenheit lenkte Caines Aufmerksamkeit von Lo Si und auf seinen Sohn, der - etwas atemlos nach der schwungvoll genommenen Treppenflucht - im Eingang der Apotheke stand. Er trat zu ihm, hob eine Hand um eine wirre Haarlocke aus Peters Stirn zurück zu streichen, ließ sie jedoch wieder sinken, als Peter ihm auswich. Er verschränkte die Finger ineinander und wartete.

Peter trat um ihn herum, tiefer in den Raum und hielt ruckartig inne, als er Lo Si entdeckte. „Oh... äh... Hallo, Lo Si”, sagte er, der Ton seiner Stimme weniger freundlich als seine Worte. „Ich muss mit meinem Vater sprechen.“

„Setz’ dich, Peter und trinke Tee mit uns“, erwiderte Lo Si und ging wortlos über den Mangel an Respekt hinweg, den Peter ihm entgegenbrachte. Er akzeptierte dies im Wissen, dass Peters Wut andere Wurzeln hatte. Das Problem war, dass Peter dies nicht wusste. Außerdem überhörte er geflissentlich die - wenn auch unausgesprochene - Aufforderung „sich dünne zu machen“, wie es eins von Xiaolis Kindern vor kurzem formuliert hatte.

„Ich will keinen Tee.“ Peter starrte seinen Vater an, der den Blick ruhig zurückgab.

Lo Si lehnte sich zurück. Da er die Dickköpfigkeit von Vater und Sohn kannte, versprach die kommende Diskussion einigen Unterhaltungswert...

„Worüber möchtest du mit mir sprechen?“ Caines Ton offenbarte Geduld und Bereitwilligkeit.

Peter fuhr sich nervös durch die Haare. Es fiel ihm sichtlich schwer, ruhig stehen zu bleiben, doch war in dem Raum nicht wirklich Platz genug für ihn, seine Anspannung durch Bewegung abzuregieren. Er zwang sich, so still zu stehen, wie er es als Kind gelernt hatte. „Es ist wegen Paul“, begann er. „Ich muss wissen... ich muss wissen, ob dir klar ist, was du getan hast.“

„Ich wurde um Hilfe gebeten und ich habe mich bemüht, zu helfen.“ Caine blickte seinen Sohn an. „Es war keine Lösung, ihn zu jagen und einzusperren, während der wirkliche Mörder vielleicht entkommt.“

„Du verstehst das nicht, Vater! Du hast einem Mordverdächtigen bei der Flucht geholfen. Das ist eine Straftat. Du hättest mich einweihen müssen, anstatt mich mit Ausreden abzuspeisen. Du hättest mir sagen müssen, worum es überhaupt geht, anstatt zuzusehen, wie Styles Paul und mich nach Belieben manipulierte und herumschob.“

„Ich konnte dem Mann, der meinen Sohn bei sich aufnahm, meine Hilfe nicht verweigern“, entgegnete Caine tonlos, seine neutrale Stimme ein Gegenpunkt zu Peters immer erregteren Worten.

„Du verstehst das einfach nicht, oder? Du willst das gar nicht verstehen. Ich bin Polizist. Und wenn ich Ermittlungen anstelle, dann spielt es keine Rolle, in welchem Verhältnis ich zu dem Verdächtigen stehe. Was du getan hast, ist...“ Er brach ab, rieb sich über den Mund, als wolle er die Worte abwischen oder zurückhalten.

„Was ich getan habe, ist...?“, wiederholte Caine. Uncharakterischerweise hielt er den Blick nun auf seine verschränkten Hände gerichtet.

„Was du getan hast, war ein Vertrauensbruch“, sagte Peter sehr leise.

Neue Falten erschienen auf Lo Sis zerfurchter Stirn. Er hatte nicht erwartet, dass der junge Mann die Wunden, die er empfangen hatte, nun seinem Vater zufügte. Peters Unsicherheit war fast mit Händen zu greifen. Der Ehrwürdige beschloss sich einzumischen. „Peter, es ist die Pflicht deines Vaters...“

Doch Caine hob eine Hand, ohne ihn anzusehen, und stoppte seine Worte mit dieser simplen Geste. „Meister, bitte. Das ist etwas, das Peter und ich selbst klären müssen.“ Er sah seinen Sohn an. „Ich habe nichts von dem, was ich erfahren habe, vor dir verborgen gehalten.“

„Nein“, stimmte Peter bitter zu. „Aber du – und du ganz allein - hast den Zeitpunkt bestimmt, an dem du mich eingeweiht hast. So funktioniert das aber nicht. Ich bin kein Kind mehr. Du hast kein Recht mehr, Entscheidungen für mich zu treffen oder mir Informationen vorzuenthalten, nur weil du glaubst, ich könnte damit vielleicht nicht umgehen.“

In der Stille, die sich seinen Worten anschloss, war das Piepsen seines Pagers sehr laut. Peter warf einen wütenden Blick auf das kleine Gerät an seinem Gürtel und zuckte dann mit den Schultern. „Ich muss das Revier anrufen. Du hast ja kein Telefon, also werde ich das von meinem Wagen aus erledigen.“ Wieder fuhr er sich durch die Haare. „Wenn ich kann, komme ich zurück. Wenn nicht... dann müssen wir uns ein anderes Mal weiter darüber unterhalten.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich auf dem Absatz herum und verließ das Loft beinahe fluchtartig.

Lo Si wandte seine Aufmerksamkeit wieder Caine zu, der noch immer in der Mitte des Raumes stand, die Arme überkreuzt, die Hände umschlossen seine Oberarme fest genug, dass die Fingerknöchel hell aus der Haut hervortraten. „Söhnen fällt es oft sehr schwer, ihren Vätern zu verzeihen“, sagte der alte Mann. „Väter dagegen verzeihen ihren Söhnen häufig leichter und rascher – um sich nicht ihren eigenen Fehlern stellen zu müssen, die sie in ihren Kindern reflektiert sehen.“

„Es war kein Fehler, Paul Blaisdell zu helfen“, erwiderte Caine steif.

„Peter fühlt sich zwischen dir und Paul Blaisdell hin- und hergerissen. Er findet so niemals die innere Balance, die er dringend braucht.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“, der Shaolin antwortete mit ungewohnter Heftigkeit. „Ich kann nicht wieder fortgehen und ihn Paul Blaisdell überlassen. Peter ist mein Sohn.“

Lo Si ignorierte diesen Einwurf. „Peter kam zu dir, weil er sich von Paul Blaisdell betrogen fühlte. Der Mann, der wie ein Vater zu ihm war, sollte ein kaltblütiger Mörder sein. Er kam zu dir, damit du ihm sagst, dass er sich irrt. Statt dessen schicktest du ihn weg und er empfand dies als neuerlichen Verrat.“

„Ich hätte ihm zu diesem Zeitpunkt nichts sagen können – nichts, das er hören wollte.“ Caine blickte auf. „Und wir beide wissen sehr wohl, dass Paul Blaisdell zu einem kaltblütigen Mord in der Lage ist, auch wenn er in diesem Fall unschuldig war.“

Lo Si nickte. “Aber Peter kennt und versteht die Vergangenheit dieses Mannes nicht so wie wir. Niemand außer Paul Blaisdell selbst weiß, welche Dämonen noch in den Schatten auf ihn warten. Dies war nur der erste Angriff und der richtete sich bereits gegen seine Familie. Zu vieles ist ungelöst geblieben, das nun auf ein Ende wartet.“

„Du... kannst ihn sehen? Seine Zukunft deuten?“

Lo Si hob die Schultern in einer unbestimmten Geste, wie Caine das sonst oft tat. „Nur er kann in seine Zukunft sehen. Paul Blaisdell wird diese Stadt verlassen, und die Aufmerksamkeit der Geister der Vergangenheit, die ihn jagen, auf sich zu ziehen“, fuhr er fort und erhob sich. „Nur so kann er seine Familie schützen. Und auch Peter.“

„Woher weißt du das?“ Peter war unbemerkt zurückgekehrt. Er stand in der Tür, blass, eine Hand gegen den Türrahmen gestützt, als brauche er den Halt. „Woher kannst du das wissen?“ Er sah seinen Vater an. „Wusstest du auch davon? Hat Paul irgendetwas angedeutet, hast du mit ihm gesprochen?“

Caine schüttelte den Kopf.

„Der Pager... das war Strenlich. Er hat mir gesagt, dass Paul seinen Abschied eingereicht und sein Büro im Revier geräumt hat. Und dass Paul... dass Paul und Mom auf dem Weg hierher wären.“

„Sie sind bereits angekommen“, erwiderte Caine leise. Er nickte und wandte sich zum Gehen. „Ich werde dich mit ihnen alleine lassen. Aber ich bin in der Nähe.“ Er verschwand durch eine Tür in einen der hinteren Räume – genau wie Lo Si das bereits kurz zuvor getan hatte.

„Paps...“ Peter zögerte, dann ging er hinaus auf den Balkon. Ein paar Minuten später trat Paul Blaisdell neben ihn, um sich zu verabschieden...

Ende


Vermächtnisse

Der alte Shaolin richtete sich überrascht auf, als er Schritte auf dem Kiesweg knirschen hörte, der zu dem kleinen Haus im Cottage-Stil führte, in dem er seit fast dreißig Jahren lebte, wann immer er sich in Frankreich aufhielt. In den letzten Jahren war es sein ständiges Heim geworden, als sein Gesundheitszustand seinem Wanderleben ein Ende setzte. Es war noch früh am Tag, außer in Notfällen kam um diese Zeit kein Besuch zu ihm. Und dies war kein Notfall, so viel konnte er in der Aura des Ankömmlings spüren. Matthew konzentrierte sich etwas mehr und dachte mit einem Anflug von Bedauern an eine Zeit, zu der es ihn weniger Anstrengung gekostet hatte, seinen Besucher zu identifizieren. Er ignorierte den Schmerz in seinen alten Knochen und griff nach seinem Gehstock, um sich aufzurichten. Als Père Vashon um die Ecke des Häuschens bog und den gutgepflegten Garten betrat, kam ihm Matthew entgegen.

Père Vashon umschloss die Hand, die ihm gereicht wurde, mit beiden Händen und lächelte. Da war etwas neues, friedvolleres in den Augen und dem Gesicht des Shaolin. Das Wissen, dass sein Sohn und sein Enkel noch am Leben waren, und es ihnen gut ging, schien eine unsichtbare Last von Matthew Caine genommen zu haben. Aber dennoch war da mehr, als an der Oberfläche zu erkennen war. „Ich sehe, du bist sehr beschäftigt, alter Freund“, sagte der Priester und blickte anerkennend auf die Rosenrabatten, die offensichtlich kürzlich von überhandnehmendem Unkraut befreit worden waren.

Matthew seufzte. „Als ich ein Junge war, ließ mich meine Mutter die Beete in ihrem Gemüsegarten jäten, wenn ich ungezogen war, anstatt mir zu erlauben, mit meinen Freunden zu spielen. Heute...“ Er räusperte sich – und wechselte das Thema. „Was führt dich zu dieser frühen Stunde zu mir, alter Freund? Wie geht die Renovierung der Kirche voran?“

Père Vashon folgte dem Shaolin ins Haus. „Um ehrlich zu sein, ich bin vor Natalie geflohen. Ihr Vater hat mich in seinem Wagen mitgenommen und hier abgesetzt. Ihre Energie ist scheinbar grenzenlos. Sie erinnert mich...“ Der Priester lächelte und warf Matthew einen Blick zu. „Sie erinnert mich sehr an deinen Enkel Peter.“

„Peter ist... ja, er erinnert mich sehr an Kwai. Als Kind war mein Sohn... so neugierig auf das Leben. Er hatte so viele Fragen – und dachte, ich würde alle Antworten kennen.“

Vashon faltete die Hände. „Sie sind sehr rasch in die USA zurückgereist. Ihr hattet nicht sehr viel Zeit für ein Wiedersehen.“

Der Shaolin zögerte merklich, als ihm klar wurde, dass dies der eigentlich Zweck des Besuches war. Vashon kannte Matthews Vergangenheit. Die Jahre und die gemeinsame Aufgabe hatten eine Brücke zwischen den beiden Priestern geschlagen. „Peter ist Polizist. Er konnte nicht sehr lange Urlaub nehmen. Und mein Sohn wird in der Gemeinde gebraucht, in der er jetzt lebt.“

„Ich bin sicher, da sie nun wissen, dass du hier lebst, werden sie dich bald wieder besuchen“, meinte der katholische Priester.

Matthew erhob sich, mühsamer als sonst, schwer auf seinen Stock gestützt. Er trat zu einem Fenster, berührte die Blätter eines Kräuterstocks, der zu empfindlich war, um im Freien zu wachsen. „Ich weiß es nicht“, gestand er. „Es ist vielleicht zu viel... verlangt. Ich bin für meinen Sohn nur eine vage Erinnerung und für Peter ein Fremder. Welchen Anspruch könnte ich auf einen Platz in ihrem Leben erheben?“ Er drehte sich um, und schüttelte den Kopf. „Ich verbringe bereits den Rest meiner Zeit damit, die erste Hälfte meines Lebens zu bereuen. Es ist zu spät für mich – und warum soll ich dieses Vermächtnis an meinen Sohn und meinen Enkel weitergeben. Sie haben ihre eigenen Wunden.“

Père Vashon blickte ihn an. „Verzeih’ mir, alter Freund, wenn ich auf unsere lange Freundschaft zähle und mir erlaube, dir eines zu sagen: Ich denke, du hast Angst, deinen Sohn zu lieben, Matthew. Vielleicht fürchtest du dich auch vor seiner Liebe – oder welche Gefühle er auch immer für dich hegen könnte, gute wie böse.“ Er stand mühsam auf. „Ich habe mit Kwai Chang gesprochen, während Peter bei dir war. Du hast dieses Vermächtnis bereits weitergeben. Auch er hat seinen Sohn verlassen, mehr als einmal. Aber er ist zu Peter zurückgekehrt. Es gibt immer Hoffnung, mein Freund. Auch wenn es nur die Hoffnung auf Verzeihung ist.“ Der katholische Priester griff in eine Tasche und zog eine Visitenkarte hervor, die er in die Mitte des Tisches legte. „Die habe ich von Natalie. Auf der Rückseite steht Peters Privatadresse. Vierzig Jahre sind genug, Matthew – lass nicht noch mehr Zeit verstreichen.“ Er nickte Matthew zu, dann ging er.

Der alte Shaolin blieb lange am Fenster stehen, bevor er zum Tisch trat und die Visitenkarte in die Hand nahm. Er zögerte, doch dann durchquerte er den Raum, wo in einer Ecke ein alter Sekretär stand. Matthew legte die Visitenkarte in eine der zahllosen kleinen Schubladen und schob sie sanft zu. Vielleicht war er zu alt, um noch genügend Mut aufzubringen...

Ende


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