Peter schlug die Augen auf. Wenig später schweifte sein Blick durch den vertrauten Raum. Er war in seinem alten Zimmer. Seinem Zimmer im Haus seiner Pflegeeltern Paul und Annie Blaisdell. Aber warum? Er konnte sich partout nicht erinnern, wie er hierher gekommen war? Und warum lag er am helllichten Tag im Bett? Der junge Cop seufzte hörbar und rieb sich die Augen. Was hatte das alles zu bedeuten? Dann bemerkte er, dass sämtliche Erinnerungen an seine Jugend und seine Zeit auf der Polizeischule fehlten. Kopfschüttelnd stand er auf und einige Augenblicke später öffnete er die Tür. Als er sich der Treppe näherte, hörte er zwei Stimmen. Zwei Stimmen, die er sehr gut kannte. "Bist du dir wirklich sicher?" "Ja, das bin ich, mein Schatz." Als Peter das Wohnzimmer betrat, sah er wie seine Pflegeeltern auf dem Sofa saßen. Aber irgendetwas war anders. Pauls Haare waren viel dunkler und auch Annie sah aus wie… wie damals. Damals als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Den jungen Mann beschlich ein seltsames Gefühl. Nicht nur, weil er auf der Anrichte Kinderfotos seiner Schwestern sah, anstatt der Bilder von Carolyns Hochzeit, sondern auch weil seine Pflegeeltern ihn gar nicht zu bemerken schienen. "Mom? Dad?" fragte er zaghaft. Doch keiner der Beiden zeigte eine Reaktion. Was wurde hier gespielt? Der junge Mann sah wie Paul Annies Hand in die seine nahm und ruhig weiter sprach, so als habe Peter den Raum niemals betreten. "Der Junge hat eine Chance verdient. In dem Waisenhaus wird er zugrunde gehen, das ist der völlig falsche Platz für ihn. Aus ihm könnte wirklich etwas werden. Ich glaube, er ist ziemlich intelligent und sensibel, auch wenn er das nicht gerne gegenüber Fremden zeigt. Aber da war etwas in seinen Augen. Annie, ich kann es nicht in Worte fassen, aber ich glaube, wir wären die Richtigen, um dem Jungen zu helfen." So langsam beschlich Peter ein Verdacht, um was und vor allem um wen es hier ging. Aber warum wurde er gerade Zeuge dieser Unterhaltung? Dieser Unterhaltung, die vor über dreizehn Jahren statt gefunden hatte? Wie war dies möglich? Und warum konnte er sich seinen Pflegeeltern nicht weiter nähern? "Bist du dir sicher, dass wir das wirklich schaffen? Er ist immerhin schon fünfzehn und hat schon eine Menge durchgemacht. Könnte es nicht sein, dass wir uns ein wenig überfordern, wenn wir ihn aufnehmen? Ich denke, er wird viel Aufmerksamkeit brauchen. Du musst auch an Kelly und Carolyn denken… Du kannst ihn ja nicht einfach nach ein paar Wochen wieder wegschicken, wenn es nicht funktioniert. Dann weiß er ja bald gar nicht mehr, wo er hingehört." "Aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich es nicht versuchen würde. Dieser Peter Caine hat wirklich etwas Besseres verdient." Annie seufzte und lächelte dann sanft. "Wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast... Ich gebe zu, dass ich nach wie vor Bedenken bei der ganzen Sache habe. Vielleicht völlig unbegründet. Aber ich bin gerne bereit Peter erst einmal kennen zu lernen." Bei diesen Worten seiner Frau, begann Pauls Gesicht zu strahlen. "Du wirst sehen, dass der Junge etwas ganz besonderes ist." Als Peter das hörte, musste er unwillkürlich schlucken. Auch er erinnerte sich, dass er bei der ersten Begegnung in der Turnhalle direkt eine Verbundenheit zu Paul gespürt hatte, auch wenn er erst nicht bereit gewesen war, sich dies auch einzugestehen. Denn mit dem Einzug ins Waisenhaus hatte er sich geschworen niemanden mehr an sich heran zu lassen. Der Schmerz nach dem Verlust seines Vaters und seiner Freunde bei der Zerstörung des Tempels, hatte ihn fast umgebracht. So war es für ihn nur logisch gewesen keinem Menschen mehr den Weg in sein Herz zu öffnen, denn er glaubte, sich so vor weiteren seelischen Qualen schützen zu können. "Also gut, du hast mich überzeugt." Annies Stimme riss Peter aus seinen Erinnerungen. Paul gab ihr einen sanften Kuss. "Und du tust es auch nicht nur für mich?" Auch wenn Annie blind war, schien es in diesem Moment so, als würde sie ihrem Mann direkt in die Augen sehen. "Nein, ich tu es nicht für dich, ich tue es in erster Linie für Peter." Peter spürte wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Es wurde ihm ein weiteres Mal bewusst, was Paul und Annie alles auf sich genommen hatten, um ihm eine Chance zu geben. Obwohl sie schon zwei Kinder hatten, obwohl Annie blind war und obwohl sie wusste, dass sie die meiste Zeit mit ihrem neuen Pflegekind verbringen würde, wenn Paul auf dem Revier war, hatten sie ihn zu sich geholt. Verstohlen wischte sich der junge Mann mit dem Handrücken über seine feuchten Wangen. Am liebsten hätte er seine Pflegeeltern in diesem Augenblick ganz fest in den Arm genommen, aber er war ja nur ein Zuschauer. Ein Zuschauer bei einem Teil seiner Vergangenheit, der sein Leben für immer verändern würde. Und dieses Schauspiel fühlte sich mehr als seltsam an. "Danke, mein Liebling. Ich bin mir sicher, dass wir diese Entscheidung nicht bereuen werden… Das Waisenhaus hat vorgeschlagen, dass Peter uns erst einmal für ein paar Stunden am Wochenende besucht. Natürlich unter Aufsicht." Peter musste sich schon sehr anstrengen, Pauls letzte Worte zu verstehen und irgendwie verblasste auch langsam das Bild seiner Pflegeeltern auf dem Sofa. Der junge Mann rieb sich die Augen, aber es war vergeblich. Das Bild schien unaufhaltsam immer weiter weg zu rücken. Dann spürte er auf einmal etwas Kaltes. "Paul, er wacht auf." Mühsam öffnete Peter seine Augen und blickte dann in das Gesicht seiner Pflegemutter, das er nur verschwommen wahrnahm. "Mom?" flüsterte er. Vorsichtig nahm sie den nassen Waschlappen von seiner Stirn und berührte diese dann sanft mit ihrer Hand. "Ich glaube das Fieber ist gesunken." Peter blickte seine Mutter fragend an. Kurze Zeit später betrat auch Paul lächelnd den Raum. Erst jetzt bemerkte Peter, wo er sich befand. In seinem alten Zimmer. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er heute schon einmal hier gewesen war. Er fühlte sich aber momentan nicht im Stande nur einen klaren Gedanken zu fassen. "Was ist passiert?" fragte er heiser, während Annie ihm ein Glas mit kühlem Wasser reichte. Peter setzte sich auf und nahm einen Schluck. "Kannst du dich nicht erinnern?" "Ich war auf dem 101… und jetzt bin ich hier." "Du bist heute morgen schon mit Fieber aufs Revier gekommen, hast aber drauf bestanden noch deinen Bericht zu schreiben. Nur eine Stunde später konntest du dich kaum noch auf den Beinen halten. Also habe ich dich in mein Auto verfrachtet und hierher gebracht." Als Peter seine Pflegeeltern ansah, beschlich ihn irgendwie das Gefühl ihnen danken zu müssen. Warum genau, wusste er nicht. "Danke… Für alles." "Aber dafür musst du dich doch nicht bedanken… Und nächstes Mal bleibst du gleich im Bett. Verstanden?" Paul hob mahnend den Zeigefinger, musste aber nur Augenblicke später lachen. Auch Peter grinste. "Es ist schön dich gerade heute bei und zu haben", bemerkte Annie. "Warum?" "Weil es heute genau dreizehn Jahre her ist, dass du bei uns eingezogen bist. Und dafür bin ich immer noch unendlich dankbar." Annie nahm die Hand ihres Mannes in die ihre. "Paul hat sofort gewusst, dass wir diese Entscheidung niemals bereuen werden." Bei diesen Worten erschienen vor Peters innerem Auge Bilder. Bilder, die er nicht zuordnen konnte. Bilder von seinen Pflegeeltern auf dem Sofa im Wohnzimmer. Pauls Haare waren viel dunkler als heute… "Ich glaube, du solltest dich jetzt noch ein wenig ausruhen, mein Sohn", bemerkte Paul und die Bilder vor Peters geistigem Auge verloschen wieder. Nur Augenblicke später gähnte er herzhaft. Dann blickte er zu seinen Pflegeeltern. "Ich liebe euch." "Wir dich auch, mein Schatz." Seine Mutter gab ihm einen Kuss auf die Stirn und wenig später verließen Annie und Paul das Zimmer. "Danke, dass ihr immer an mich geglaubt habt", murmelte Peter in die Stille des Raumes, bevor er in einen tiefen, erholsamen Schlaf fiel. Ende
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