Autor: Lost-Sheep
 

Es war ein kalter Winterabend in Sloanville. Unzählige glitzernde Flocken tanzten durch die eisige, klare Luft und legten sich wenig später wie eine schützende Decke über die Stadt.

Der Duft von Zimt und Vanille zog durch die Straßen und überall herrschte emsiges Treiben, schließlich waren es nur noch drei Tage bis Weihnachten.

Jeder war so mit sich selber beschäftigt, dass niemand bemerkte, wie ein kleiner Knirps unaufhaltsam auf die stark befahrene Straße zumarschierte. Auch sein vergnügtes Lachen schien niemand zu hören.

Kurz bevor der kleine Mann seine Füßchen auf den kalten Asphalt setzen konnte, tauchte eine junge Frau auf. Wo sie hergekommen war? Auch das hatte niemand bemerkt. Mit einem gekonnten Griff schnappte sie sich den kleinen Ausreißer an der Kapuze und zog ihn zurück auf den sicheren Bürgersteig. Nur Augenblicke später kam seine völlig aufgelöste Mutter aus einem der Geschäfte gestürmt.

"Timmy, was fällt dir ein? Weißt du wie gefährlich das war? Deine Geschenke für Weihnachten sind gestrichen."

Fast wäre ihr die Hand ausgerutscht, aber auf unerklärliche Weise wurde ihr Arm von einer unsichtbaren Kraft zurückgehalten.

Timmy war schon vorsorglich in Deckung gegangen und linste zögerlich hinter seinem Ärmel hervor, den er sich schützend vor sein Gesicht gehalten hatte.

Und da war wieder die junge Frau, die ihn kurz zuvor von der Straße gezogen hatte. Sie lächelte ihn an, während sie den Arm seiner Mutter festhielt. Dann zwinkerte sie ihm zu und schon war sie wieder verschwunden.

"Wo ist die Frau?", fragte der kleine Mann mit großen Augen.

"Welche Frau? Hier war keine Frau." Dann wurde er von seiner Mutter am Kragen gepackt. "Und jetzt gehen wir nach Hause. Keine Widerrede."

Zu diesem Zeitpunkt konnte der kleine Junge noch nicht ahnen, dass seine Mutter die Frau nicht hatte sehen können und dass sie wenig später noch eine große Rolle in seinem Leben spielen sollte.

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Mit einem Lächeln auf den Lippen lief Detective Peter Caine durch die verschneiten Straßen von Sloanville. Es waren nur noch drei Tage bis Weihnachten und wie in jedem Jahr hatte er viel zu spät damit angefangen die Geschenke für seine Lieben zu besorgen. Aber auch das konnte ihm seine gute Laune nicht verderben, denn es sollten die ersten Feiertage seit langem sein, die er nicht auf dem 101. verbringen würde.

Wenig später bog er in eine ruhige Seitenstraße ab.

"Das gibt es doch nicht. Anstatt sich zu freuen, dass ihrem Jungen nichts passiert ist, holt sie auch noch aus", erklang auf einmal eine weibliche Stimme hinter ihm.

Peter drehte sich um, er konnte aber niemanden sehen.

"Ich fass es nicht. Verstehe einer die Menschen." Da war die Stimme wieder.

Der junge Cop rieb sich die Augen und strengte sich an in der Dunkelheit irgendeine Silhouette zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Dann fiel ihm ein, dass er noch eine Taschenlampe in der Manteltasche hatte. Schnell griff er danach.

"Hallo? Ist da jemand?"

Keine Antwort.

Er schüttelte den Kopf und schob es auf den mangelnden Schlaf der letzten Tage. "Es wird echt Zeit, dass du ins Bett kommst, Peter Caine. Jetzt hörst du schon irgendwelche Stimmen von Leuten, die gar nicht da sind", murmelte er vor sich hin.

"Meinen sie mich? Können sie mich hören?", erklang es zaghaft. "Sind sie Peter Caine?"

"Ja, der bin ich."

Hektisch suchte Peter erneut nach der Taschenlampe und erleuchtete ein weiteres Mal das Dunkel der Nacht.

"Aber wo sind sie denn?"

"Ich bin hier. Ich sitze auf der halbhohen Mauer genau vor ihrer Nase."

"Und warum kann ich sie dann nicht sehen?"

"Normalerweise könnten sie mich auch nicht hören."

"Jetzt ist aber Schluss mit dem Versteckspiel. Das ist wirklich nicht mehr lustig."

"Das soll auch kein Spaß sein."

Peter atmete tief ein und fuhr sich durch seine dunklen Haare. "Und warum kommen sie dann nicht endlich raus?"

"Na, weil ich doch schon da bin."

"Jetzt wird es mir aber zu bunt. Nur damit sie es wissen, ich werde jetzt gehen und zwar sofort." Energisch drehte sich der junge Cop um. Seine gute Laune war zerplatzt wie eine Seifenblase.

"Nein, bleiben sie doch."

"Und warum sollte ich das tun? Damit sie mich weiter an der Nase herumführen können? Das können sie mal schön vergessen... Nicht mit mir."

"Aber ich glaube wir haben etwas zu erledigen?"

Peter verdrehte die Augen. "Wir?"

"Ich glaube, sie wurden auserwählt."

Der junge Mann war sich nun ganz sicher, dass er besser gehen sollte, bevor er völlig den Verstand verlöre. Aber irgendetwas hinderte ihn daran. So sehr er es auch wollte, er konnte einfach keinen Fuß vor den anderen setzen. "Könnten sie mich mal bitte zwicken, damit ich aus diesem Alptraum erwache?"

"Das ist kein Alptraum."

"Und was ist es dann?" Peter war innerlich so verwirrt, dass er sich an keine einzige Entspannungsübung erinnern konnte, die sein Vater ihm beigebracht hatte.

"Es ist eher ein himmlischer Auftrag."

"Und sie sind der Weihnachtsengel", stellte er ironisch fest.

"Ja genau."

"Was?"

"Ich bin ein Engel und eigentlich sollten sie mich gar nicht hören können. Nur Kinder sind fähig uns zu hören und zu sehen."

Mit aller Kraft versuchte Peter einen Schritt zu machen, um diesem Schauspiel endlich zu entfliehen. Dabei stolperte er und fiel auf den kalten Boden. Hier waren wohl wirklich irgendwelche überirdischen Kräfte am Werk.

"Hören sie mir jetzt endlich mal zu, sie kleiner Hitzkopf."

"Nun werden sie aber nicht frech." Peter warf einen bösen Blick in Richtung der Mauer.

"Gucken sie nicht so grimmig, sonst verschafft mein Boss ihnen noch eine Abkühlung."

Der junge Mann wollte gerade etwas erwidern, entschied sich aber dann es nicht darauf ankommen zu lassen. Die ganze Situation war schließlich schon skurril genug.

"Darf ich ihnen jetzt erklären, warum ich hier bin?"

"Großer Gott, ja."

"Engel reicht auch."

Peter nahm all seine gute Erziehung zusammen, um nicht laut los zu schreien. Dieser Engel oder was auch immer es war, hatte ihn wirklich langsam aber sicher zur Weißglut gebracht.

"Also?", zischte er.

"Mein Name ist Cecile und ich bin ein Weihnachtsengel. Dieses Jahr habe ich den Auftrag dem kleinen Timmy und seiner Mutter ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Und dazu brauche ich ihre Hilfe."

Peter sah sie mit großen Augen an.

"Sie fragen sich jetzt sicherlich, warum gerade sie mir helfen sollen?"

Der junge Cop nickte nur.

"Wir beobachten sie schon eine ganze Weile. Auch wenn sie manchmal ein wenig ungestüm sind, haben sie ein gutes Herz und kümmern sich um die Menschen. Sie bekämpfen die Ungerechtigkeit in dieser Stadt und das nicht nur als Polizist, sondern auch als Bürger. Wir haben gesehen, wie sie sich um den kleinen Matt gekümmert haben, weil sie einfach nicht wollten, dass ihn das gleiche Schicksal ereilt wie sie und er in dieses schreckliche Waisenhaus ziehen muss."

Der junge Cop schluckte. Seine Wut war mit einem Mal wie verflogen.

"Dafür wird Matt ihnen ewig dankbar sein, auch wenn er es vielleicht erst in ein paar Jahren begreift."

"Das war doch nicht der Rede wert", bemerkte Peter.

"Oh doch, das ist es. Was glauben sie, wie viele Menschen durch die Welt laufen ohne nach links und rechts zu schauen? Sie sind so sehr mit sich selber beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekommen, dass andere Hilfe brauchen."

"Hmmm."

"Obwohl sie in ihrem Leben schon eine Menge durchgemacht haben, haben sie immer noch Zeit und Kraft für ihre Mitmenschen übrig."

Peter spürte, wie ihm langsam die Röte ins Gesicht stieg. Für ihn war es immer selbstverständlich gewesen für andere da zu sein. "Und was wissen sie sonst noch alles über mich?", frage er leise und im gleichen Moment wünschte er sich er hätte diese Worte nicht ausgesprochen, denn er ahnte die Antwort bereits. Gleich würde Cecile ihm sicherlich erklären, dass sie sein ganzes Leben kannte, von der Zeit im Tempel, über die Jahre bei den Blaisdells und seine Arbeit als Cop.

"Ich würde sagen, ich weiß genug, um sicher zu sein, dass sie mein Mann sind."

"Gut. Auch wenn es mir immer noch vorkommt, als wäre dies alles ein Traum, würde ich doch gerne wissen, wie wir Timmy und seiner Mutter helfen können? Ich glaube, wir haben jetzt genug über mich geredet."

Cecile lächelte. Ja, Peter Caine war eindeutig der richtige für diesen Auftrag.

"Ich habe eine Nachricht von Timmys Vater und die müssen sie überbringen."

"Aber wo ist Timmys Vater? Warum kann er das nicht selber machen?"

"Er ist vor ein paar Monaten bei einem Unfall ums Leben gekommen. Seitdem macht sich Timmys Mutter schreckliche Vorwürfe, weil sie vor dem Unglück im Streit auseinander gegangen sind."

Peter schluckte.

Cecile sprach weiter: "Und ihre Unzufriedenheit bekommt nun der kleine Timmy zu spüren."

"Verstehe, aber wie soll ich ihnen klar machen, dass ich mit einem Engel sprechen kann und eine Nachricht aus dem Himmel habe?" Peter dachte gar nicht weiter über seine Frage nach. Es war einfach alles viel zu absurd.

"Keine Sorge. Das bekommen wir schon hin."

"Das sagen sie so. Schließlich bin ich derjenige der Timmys Mutter in die Augen sehen muss. Wenn ich Pech habe, ruft sie gleich die Polizei und meldet einen Verrückten vor ihrer Haustür, der behauptet, er könne mit Engeln sprechen."

"Vertrauen sie mir einfach. Ich weiß, das zählt nicht unbedingt zu ihren Stärken. Sie nehmen lieber alles selbst in die Hand."

"Ich befürchte, sie kennen mich besser, als mir lieb ist." Peter seufzte.

"Und deshalb weiß ich auch, dass es in ihrem Leben nichts gibt für das sie sich schämen müssen, auch wenn sie das manchmal glauben."

Der junge Cop lächelte sanft. "Also gut. Dann lassen sie uns den Auftrag erledigen, bevor ich mir wünsche, vor lauter Komplimenten im Erdboden versinken zu dürfen."

Das glockenhelle Lachen von Cecile erfüllte die Stille der Nacht. "Wir müssen in die Chestnut Street 43."

Als Peter sich auf den Weg zu seinem Stealth machte, malte er sich aus, wie seine Kollegen auf dem 101. reagieren würden, wenn er ihnen von seiner Begegnung erzählen würde und er war sich ziemlich schnell sicher, dass er die Ereignisse dieser Nacht besser für sich behalten sollte.

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Mit Tränen in den Augen betrachtete die junge Frau das Foto, das seit einigen Monaten eingerahmt auf dem Kaminsims stand. Es zeigte einen lächelnden Mann und einen dunkelhaarigen Jungen. Ihr Blick schweifte durch den Raum und fiel auf den kleinen Knirps, der auch auf dem Bild zu sehen war und der gerade seelenruhig auf dem Sofa schlummerte. Bei dem Gedanken, dass sie ihn heute auch fast verloren hätte, als er unbemerkt auf die Straße gelaufen war, wurde ihr ganz anders. Sie hatte ihn nicht schlagen wollen, eigentlich war sie unendlich dankbar gewesen, dass ihm nichts passiert war. Aber die letzten Monate hatten sehr an ihren Nerven gezehrt und der Vorfall heute Abend war wohl das gewesen, was man eine Kurzschlussreaktion nannte. Warum es dann doch nichts zum Äußersten gekommen war, wusste sie bis jetzt nicht. Es war ihr vorgekommen, als habe irgendetwas ihren Arm zurückgehalten.

Timmy war doch alles, was ihr von ihrem Mann geblieben war und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es ihm gut ginge. Aber die Erinnerung an den letzten Streit mit seinem Vater nagte unaufhörlich an ihrem Gewissen. Sie konnte einfach nichts dagegen tun. Ehrlich gesagt wusste sie schon nicht mehr, warum sie sich überhaupt gestritten hatte. Wahrscheinlich wegen einer Kleinigkeit, die nicht der Rede wert gewesen war. Dann war er aus dem Haus gestürmt und nur wenige Stunden später hatte die Polizei angerufen und ihr mitgeteilt, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen war.

Unaufhörlich liefen ihr die Tränen übers Gesicht. "Hätte ich dir doch nur noch einmal sagen könne, das ich dich liebe und dass es mir leid tut", flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Wer konnte das um diese Uhrzeit noch sein? Besuch erwartete sie jedenfalls nicht mehr.

"Mrs. Wyler?", erklang auf einmal eine männliche Stimme. "Mrs. Wyler, ich habe eine wichtige Nachricht für sie."

Eine Nachricht? Aber von wem? Die junge Frau näherte sich zögerlich der Tür.

"Eine wichtige Nachricht von ihrem Mann."

Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und gleichzeitig stieg Wut in ihr auf. Das konnte doch nur ein übler Scherz sein.

Erbost riss sie die Haustür auf und blickte in das Gesicht eines dunkelhaarigen Mannes, der auch noch die Frechheit besaß sie anzulächeln.

"Was erlauben sie sich eigentlich?", fuhr sie ihn an. "Mein Mann ist tot."

Peter zuckte zusammen. Er hatte es doch gewusst. Sie würde ihm nie und nimmer glauben. Im nächsten Moment schlug die Tür vor seiner Nase zu. Der junge Cop wich einen Schritt zurück.

"Hab ich es nicht gesagt?", bemerkte er resigniert.

"Na, so schnell werden sie wohl nicht aufgeben, oder?", gab Cecile zurück.

"Also gut", seufzte er und klopfte erneut an.

"Verschwinden sie. Lassen sie mich in Ruhe. Sonst ruf ich die Polizei."

Peter schluckte. Die Chestnut Street fiel ins Revier des 101. Was wenn hier gleich Jody oder Kermit auftauchen würden? Das konnte nur unangenehm und äußerst peinlich werden. "Ich glaube, ich bin doch nicht der richtige für den Job." Gerade wollte Peter sich umdrehen, als er ein weiteres Mal von einer unsichtbaren Kraft zurückgehalten wurde.

"Sagen sie ihr, nimm dir einen Koffer für mein Herz", flüsterte Cecile.

"Was soll ich sagen?"

"Nimm dir einen Koffer für mein Herz."

Der junge Mann atmete kurz durch. Was hatte er noch zu verlieren? Mrs. Wyler hielt ihn sicherlich eh schon für völlig abgehoben.

"Nimm dir ein Koffer für mein Herz", wiederholte er Ceciles Worte.

Als die junge Frau in der Wohnung diesen Satz hörte, stockte ihr der Atem. Woher konnte er das wissen? Das hatte ihr Mann immer zu ihr gesagt, wenn sie sich für eine längere Zeit hatten trennen müssen.

Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt und sah ihn mit großen Augen an. "Wo haben sie das her?"

"Das hat mir ein Engel zugeflüstert."

Mrs. Wyler war gerade im Begriff Peter das zweite Mal die Tür vor der Nase zuzuschlagen, als sie einen Widerstand spürte. Mit aller Kraft hielt Cecile die schwere Wohnungstür offen.

"Hören sie mir bitte zu, es ist wichtig. Ich möchte doch, dass Timmy endlich wieder eine glückliche Mutter hat."

"Woher wissen sie von Timmy?"

"Auch von dem…", setzte Peter zur Erklärung an.

"…Engel. Ja ich weiß." Sie seufzte und dachte kurz nach. "Ich weiß zwar nicht, ob ich das jetzt wirklich tun sollte, aber kommen sie bitte rein. Die Nachbarn müssen ja nicht alles mitbekommen."

"Vielen Dank. Ich kann ihnen versichern, dass sie es nicht bereuen werden."

Wenige Augenblicke später saßen sie im Wohnzimmer.

"Mein Name ist übrigens Peter Caine. Aber bitte nennen sie mich Peter."

"Also gut Peter. Und ich bin Leah. Aber das wissen sie vermutlich schon." Sie lächelte verlegen. Irgendwie war ihr dieser Peter Caine sympathisch, auch wenn sie noch nicht so ganz genau wusste, was sie dazu bewegt hatte, einen völlig fremden Mann mitten in der Nacht in ihre Wohnung zu lassen.

"Und das ist Timmy?" Peter zeigte auf den kleinen Mann, der schlafend auf dem gegenüberliegenden Sofa lag.

"Ja, das ist Timmy." Sofort hatte Leah ein Strahlen in den Augen. Ihr kleiner Sohn schien ihr wirklich eine Menge zu bedeuten.

Dann fiel Peters Blick auf das Foto, das auf dem Tisch lag. Er musste nicht fragen, er wusste sofort, dass der Mann auf dem Bild Timmys Vater war.

"Und sie haben eine Nachricht von meinem Mann?" Leah blickte erwartungsvoll in Peters haselnussbraune Augen.

"Ja, die habe ich. Und ich kann ihnen versichern, dass das Ganze nicht nur ihnen suspekt vorkommt."

"Was soll das denn heißen?", erklang auf einmal Ceciles Stimme.

"Na, sie müssen doch zugeben, dass es nicht alltäglich ist, dass man von einem Engel um Hilfe gebeten wird", antwortete Peter.

"Mit wem sprechen sie?". Langsam zweifelte Leah wieder an ihrer Entscheidung den dunkelhaarigen Mann in die Wohnung gelassen zu haben.

"Das klingt jetzt bestimmt ein wenig verrückt, aber ich spreche mit dem Engel, der mich gebeten hat ihnen die Nachricht von ihrem Mann zu überbringen." Der junge Cop grinste und hoffte, dass die junge Mutter ihn nicht gleich im hohen Bogen aus der Wohnung werfen würde.

"Und der Engel ist jetzt hier, hier in meinem Wohnzimmer?"

"Ja und sein Name ist Cecile."

"Ihr Name", protestierte Cecile.

"Was?", fragte Peter verwirrt.

"Es heißt ihr Name, nicht sein Name, schließlich bin ich ein weiblicher Engel, auch wenn sie das nicht sehen können. Soviel Zeit muss sein", erklärte Cecile seelenruhig.

*Ganz ruhig Peter. Bleibt jetzt ganz ruhig. Du wirst dich doch nicht ein weiteres Mal von so einem kleinen Engel aus der Fassung bringen lassen.*

"Ihr Name ist Cecile. Sie ist ein weibliches, himmlisches Wesen", verbesserte sich der junge Mann und wandte sich wieder Leah zu.

"Und sie hat mit meinem Mann gesprochen?"

"Ja und sie möchte, dass sie wissen, dass es ihm gut geht."

Leah schluckte. Peter sah sie so vertrauensvoll an, dass sie ihm einfach glauben musste. Vielleicht wollte sie es auch einfach nur.

Der junge Cop fuhr fort und wiederholte alles, was Cecile ihm ins Ohr flüsterte. "Er liebt sie und Timmy sehr und er wünscht sich von ganzem Herzen, dass sie wieder glücklich werden und ihr Leben genießen."

Dann nahm Peter ihre Hand in die seine. Er spürte, dass sie zitterte. "Der Streit tut ihm auch schrecklich leid und er bittet sie um Verzeihung."

"Ich verzeihe ihm", flüsterte Leah unter Tränen.

"Er passt immer auf sie auf. Als ihr ganz persönlicher Schutzengel sozusagen."

Dann erhob sich Peter vom Sofa. "Lassen sie uns auf den Balkon gehen, ich möchte ihnen etwas zeigen."

Leah folgte ihm ohne ein Wort zu sagen. Als sie draußen waren, deutete Peter auf einen Stern im dunklen Nachthimmel, der besonders hell zu funkeln schien. "Wenn die Sehnsucht zu groß wird, dann blicken sie zum Himmel auf den Stern, der am hellsten leuchtet. Ihr Mann kann sie in diesem Moment hören."

"Kann er das wirklich?"

"Ja", antwortete der junge Cop voller Überzeugung. Dann zog er sich leise zurück. Dieser Moment gehörte nur Leah.

"Das haben sie wirklich toll gemacht, Peter", bemerkte Cecile fast schon Stolz, als sie wieder im Wohnzimmer waren.

"Ist mein Engel also mit mir zufrieden?" Peters Stimme klang leicht belegt. Die vergangenen Minuten hatten auch ihn nicht unberührt gelassen.

"Mehr als zufrieden. Ich habe ja gleich gewusst, dass sie mein Mann sind."

"Hallo", murmelte auf einmal eine verschlafene Stimme.

"Hallo Timmy, hast du gut geschlafen?" Cecile lächelte ihn an.

"Aber sie sind doch die Frau, die vorhin den Arm von meiner Mama festgehalten hat."

"Ja, die bin ich."

"Er kann sie sehen?", fragte Peter.

"Ja natürlich kann er das, er ist doch ein Kind."

"Und wer bist du?" Timmy war vom Sofa aufgesprungen, stand vor Peter und blickte ihn kritisch an.

"Ich bin Peter und quasi ihr irdischer Kollege."

"Ach so. Und wo ist meine Mama?"

"Sie spricht gerade mit deinem Vater. Da draußen." Cecile zeigte auf den Balkon, wo Leah stand und unentwegt zum Himmel blickte.

"Mit dem Daddy-Stern", stellte Timmy lächelnd fest.

"Ja genau."

"Er hat das gewusst?" Peter blickte verwirrt in die Runde.

"Ja, das hat er. Manchmal sollten Eltern wirklich auf ihre Kinder hören. Sie können meist mehr sehen, als man glaubt."

Im nächsten Moment war Timmy aus dem Zimmer verschwunden und kuschelte sich Momente später draußen an seine Mutter.

"Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit zu gehen", flüsterte Cecile.

Fast lautlos verließen die Beiden die Wohnung. Vor dem Haus angekommen, atmete der junge Cop tief durch.

"Es war mir ein Vergnügen, Peter. Wenn ich noch einmal Hilfe brauche, weiß ich ja jetzt an wen ich mich wenden kann."

Der junge Mann lachte leise. "Das war eine wirklich ungewöhnliche Begegnung und eine Nacht, die ich nicht so schnell vergessen werde. Und entschuldigen sie, dass ich so ungehalten reagiert habe, aber es war mein erstes Treffen mit einem Engel."

"Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen."

Dann spürte der Cop etwas auf seiner Wange. War er gerade von einem Engel geküsst worden?

"Danke Peter und auf Wiedersehen."

Dann sah er einen glitzernden Punkt, der zum Himmel hinaufstieg und wenig später im Dunkel der Nacht verschwand.

Mit einem zufriedenen Seufzen stieg der junge Mann in seinen Stealth und machte sich auf den Weg nach Hause. Er war sich sicher, wenn er am nächsten Morgen erwachte, würde er die Geschehnisse dieser Nacht für Traum halten. Einen ziemlich verrückten Traum sogar.

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Drei Tage später

In freudiger Erwartung auf den Weihnachtsabend im Hause seiner Pflegeeltern Paul und Annie Blaisdell verließ Peter seine Wohnung. Fast wäre er über das Päckchen gestolpert, das auf seiner Fußmatte lag. Er blickte sich um und hob es dann auf. Wieso hatte er nicht bemerkt, dass jemand hier gewesen war? Dann entdeckte er die kleine Karte, die an einer roten Schleife hing und mit unzähligen Sternen verziert war. Er las sie aufmerksam.

Lieber Peter,

vielen Dank für Ihre Hilfe. Das werden wir ihnen nie vergessen.

Vielleicht haben sie ja Lust zu einem kleinen Umtrunk am 26. Dezember bei uns vorbeizukommen. Wo wir wohnen wissen sie ja. Wir würden uns über ihren Besuch freuen.

Frohe Weihnachten und alles Gute
Timmy und Leah

P.S.: Engel kann man nicht sehen, aber man kann ihnen begegnen.

Bei diesen Zeilen musste der junge Cop lächeln. Tja manchmal gab es wohl wirklich Dinge zwischen Himmel und Erde für die es keine logische Erklärung gab. Jedenfalls freute er sich schon jetzt auf ein Wiedersehen mit Timmy und seiner Mutter.

Ende


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