Autor: Lost-Sheep
 

Peter parkte seinen Stealth vor dem Haus, in dem er viele, glückliche Stunden seines Lebens verbracht hatte. Dem Haus seiner Pflegeeltern Paul und Annie Blaisdell, die ihn vor knapp fünfzehn Jahren, wie einen eigenen Sohn in ihre Familie aufgenommen hatten.

Ein paar Minuten später stieg er die vertrauten Stufen hinauf. Hatte er früher oft zwei oder drei auf einmal genommen, erklomm er sie heute Stück für Stück, denn er war nicht alleine. Fest in seiner eigenen, hielt er die kleine Hand seines Patenkindes, das lachend ein Füßchen nach dem anderen auf die Steinplatten setzte und sich so langsam aber sicher der Eingangstür näherte.

"Besuchen wir jetzt Annie?"

"Jajaja."

Das Lachen von Jamie und Peter drang ins Innere des Hauses und zauberte der blonden, zierlichen Frau ein Lächeln auf die Lippen. Sie freute sich immer sehr über Besuch, denn seit Paul untergetaucht war, war es oft beängstigend still in dem großen Haus.

Wenig später erklang die Türglocke.

"Hallo Ihr Zwei. Schön, dass ihr da seid. Kommt rein."

"Hallo Mom." Peter gab ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange.

"Auch, auch", erklang eine kräftige Kinderstimme.

Der junge Cop hob den Knirps hoch, damit er Annie auch gebührend begrüßen konnte. Dann gingen sie gemeinsam ins Wohnzimmer und machten es sich auf der gemütlichen Couch bequem. Auf dem Tisch warteten schon zwei Tassen mit duftendem Kaffee und ein Becher mit süßem Kakao auf die Drei.

"Schau mal Jamie, was da für dich steht", sagte Peter.

"Kaukau", antwortete dieser mit großen, strahlenden Augen.

"Ja genau, und Annie macht den besten Kakao, den ich jemals getrunken habe."

"Danke, mein Sohn", bemerkte sie lächelnd.

Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, spürte sie das Glücksgefühl, das ihren Sohn durchströmte, wenn er mit Jamie zusammen war oder nur über ihn sprach. Der kleine Mann hatte das Leben von Peter in den vergangenen fünfzehn Monaten gehörig auf den Kopf gestellt.

All das erinnerte sie an die Zeit, in der Peter damals zu ihnen gekommen war. Ihr Mann Paul hatte ihn zufällig in der Turnhalle des Waisenhauses getroffen und irgendetwas hatte die Beiden sofort, wie ein unsichtbares Band, miteinander verbunden. Ab diesem Tag war er nicht mehr davon abzubringen gewesen, dieses Kind zu sich zu holen.

Auch wenn es nicht immer einfach gewesen war, hatten sie den Jungen sofort in ihr Herz geschlossen und immer dafür bewundert, wie er mit seinem Schicksal umgegangen war.

Wie ihr Mann, war auch Peter Polizist geworden. Dies zu akzeptieren war nicht einfach für Annie gewesen, wusste sie doch welche Gefahren dieser Beruf mit sich brachte. Mit den Jahren war er einer der besten Ermittler bei der Mordkommission geworden. Eine Tatsache, die ihr Mutterherz mit Stolz erfüllte. Seine Kollegen schätzen ihn sehr, auch wenn seine Methoden manchmal unkonventionell sein konnten. Aber gerade das war es, was Peter ausmachte.

Dann vor ungefähr drei Jahren hatte er seinen leiblichen Vater wieder gefunden. Aber auch das hatte nichts an ihren Gefühlen für ihn geändert. Und auch Paul hatte ihn in dieser Zeit sehr darin unterstützt, seinen Vater Kwai Chang Caine wieder neu kennen zu lernen.

Seit ihr Mann verschwunden war, gab ihr der junge Cop den Halt, den sie brauchte, um mit dem Verlust so gut es ging fertig zu werden. Und immer wieder bestärkte er sie in dem Glauben, dass Paul eines Tages wieder vor der Tür stehen würde. Dafür war sie ihrem Sohn unendlich dankbar.

"Alles in Ordnung? Du bist so still." Peters Frage riss sie aus ihren Gedanken.

"Ja, mach dir keinen Sorgen. Ich habe nur über etwas nachgedacht." Sie lächelte ihn an. "Und wärst du so lieb und würdest das Päckchen holen, das auf der Kommode im Flur liegt?"

"Ist das für mich?", fragte Peter lachend und erhob sich vom Sofa.

Wenig später versuchte Jamie das bunte Papier aufzureißen, das sein Geschenk verbarg. Dann begann sein kleines Gesicht zu strahlen.

"Auuuuutooooo."

"Ich glaube, da hast du einen Volltreffer gelandet."

Fasziniert betrachtete Jamie das Polizeiauto. Es war schwarz und weiß und hatte ein rotes Licht auf dem Dach. Mit seinem neuen Spielzeug in der Hand kletterte er auf Annies Schoß und gab ihr einen weiteren Kuss auf die Wange.

"Bitteschön, mein Schatz. Ich dachte, das wäre vielleicht das Richtige, nachdem dein Patenonkel mir erzählt hat, wie gerne du in seinem Auto mitfährst."

"Auto, Auto, Auto", erklang eine vergnügte Kinderstimme.

"Ja, das liebt er wirklich über alles. Ich bin froh, dass ich den Kindersitz überhaupt in den Stealth bekommen habe", sagte der junge Cop mit einem Grinsen.

Eine Stunde später war Jamie auf dem Sofa eingeschlafen. Das Polizeiauto, das mittlerweile kreuz und quer durchs Wohnzimmer gefahren war, parkte auf dem Tisch

"Du bist sehr glücklich."

Annies Stimme durchbrach die Stille des Raumes, der sonst nur von Jamies gleichmäßigem Atem erfüllt wurde.

"Ja, das bin ich."

Peter wusste, dass seine Mutter so etwas spüren konnte. Schon als Kind war es ihm nie möglich gewesen, ihr etwas vorzuspielen. Sie hatte ein sehr sensibles Gespür für die Gefühlswelt ihrer Lieben.

"Ich wünschte nur, Dad könnte den kleinen Mann auch kennen lernen." Peter schluckte.

"Eines Tages wird er das."

Der junge Cop atmete tief durch.

"Durch Jamie habe ich erfahren, was damals, als ihr mich aufgenommen habt, in euch vorgegangen sein muss. Ich weiß, dass ich es euch nicht immer leicht gemacht habe. Immer wieder habe ich daran gezweifelt auch wirklich zur Familie zur gehören", sprudelte es aus ihm heraus.

Vorsichtig tastete Annie nach der Hand ihres Sohnes und nahm sie in die ihre.

"Ihr habt immer wieder gesagt, dass ihr mich wie euren eigenen Sohn liebt und trotzdem habe ich es nicht nur einmal in Frage gestellt… Mom, es tut mir so leid."

"Shhhh, das muss es nicht Wirklich. Nach allem, was du durchgemacht hattest, war es sehr schwer für dich wieder Vertrauen zu irgendjemandem zu fassen. Aber wir haben darum gekämpft." Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: "Und ich glaube wir haben gewonnen."

Auch Peter lächelte bei dieser Bemerkung. "Und dafür liebe ich euch. Dafür, dass ihr mich nie aufgegeben habt."

"Wie könnte wir etwas aufgeben, dass uns mehr bedeutet, als unser eigenes Leben?"

Der junge Cop zog seine Mutter in eine feste Umarmung. Glitzernde Tränen rollten lautlos über seine Wangen und tropften auf ihre Bluse. Beruhigend streichelte sie über seinen starken Rücken. Sie wusste, dass es sehr wichtig für ihn gewesen war, ihr dies zu sagen. Und auch ihr hatte dieses Mutter-Sohn-Gespräch sehr gut getan.

Peter gab Annie noch einen Kuss auf ihre blonden Haare und löste sich dann von ihr. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.

"Danke Mom", flüsterte er.

Und mit einem Blick auf den schlummernden Jamie, hoffte er inständig dieses Gespräch auch eines Tages mit Paul führen zu können.

Ende

 

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