Autor: Lost-Sheep
 

When it’s thicker than blood
Then we call it love
And that’s what love is for

(Bruce Guthro: "Gwyneth’s Song”)

Es war schon fast Mitternacht, als Peter seine Wohnung erreichte. Mit einem zufriedenen Seufzen ließ er sich auf seine Couch sinken und gähnte herzhaft.

Den Abend hatte er mit seinem Patenkind verbracht. Mary war mit ein paar Freundinnen Essen gewesen und so hatte der junge Cop auf ihren allergrößten Schatz aufgepasst.

Jamie machte seit wenigen Wochen seine ersten Gehversuche und hielt seinen Patenonkel ganz schön auf Trab. So war es auch an diesem Abend gewesen. Peter hatte sich nur für einen Moment umgedreht und schon versuchte der kleine Knirps in Richtung Küche zu tapsen. *Immer hungrig. Genau wie ich*, dachte er mit einem Grinsen.

Gedankenverloren ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, bis seine Augen das Bild des Mannes fixierten, der ihn wie einen eigenen Sohn in sein Haus und seine Familie aufgenommen hatte. Das Bild von Paul Blaisdell, das seit seinem Verschwinden im Bücherregal stand, und ihn immer wieder daran erinnerte, wie schmerzlich er ihn vermisste.

Bei ihrer ersten Begegnung war Peter zwar schon fünfzehn Jahre alt gewesen, aber so, wie er nun Jamie bei seinen ersten Gehversuchen begleitete, hatte ihn auch sein Pflegevater damals begleitet, als er seine ersten Schritte in ein neues Leben gemacht hatte. In ein Leben abseits der Tempelmauern, abseits des Waisenhauses und ohne seinen geliebten und tot geglaubten Vater.

Der junge Cop schluckte. Nicht nur, weil ihn die Erinnerungen an diese Zeit zutiefst anrührten, sondern auch, weil er nun ahnen konnte, was Paul für ihn empfand, auch wenn er nicht sein leiblicher Sohn war.

Peter hatte es den Blaisdells nicht einfach gemacht, ihn gern zu haben und trotzdem hatten sie ihn vom ersten Moment an geliebt, wie ihr eigen Fleisch und Blut. Immer wieder hatte der junge Cop Zweifel daran gehabt, auch wirklich zur Familie zu gehören.

Er erinnerte sich an ein Gespräch mit Paul im Gebäude der Gerichtsmedizin. Damals trieb Tan sein Unwesen in der Stadt und es wurde ein Undercover-Cop gesucht. Peter hatte sich wie geschaffen für den Einsatz gefühlt, aber sein Ziehvater hatte versucht ihn davon abzubringen, weil er wusste wie gefährlich es werden konnte. Auch in dieser Situation, die nur wenige Jahre zurücklag, waren Peter Zweifel daran gekommen, wirklich ein Teil der Familie zu sein und im Eifer des Gefechtes hatte er dies auch zu Paul gesagt. Beim Blick in seine Augen war ihm schlagartig klar geworden, wie sehr er ihn damit verletzt hatte.

Sofort sah er auch jetzt Pauls Gesicht vor sich und er schämte sich noch heute für seine Worte. Wie hatte er jemals daran zweifeln können, dass er ihn liebte, wie seinen eigenen Sohn?

Seit Jamie in sein Leben getreten war, wusste er, dass so etwas möglich war. Er fühlte es selber, immer wenn er den Kleinen sah oder nur an ihn dachte. Da gab es eine Art von Liebe, die nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun hatte. Eine Liebe, die Peter schon gespürt hatte, als er zum ersten Mal in die blauen Augen des kleinen Wesens geblickt hatte und die ihn seit jener Nacht mit Glück und Wärme erfüllte.

Wie schwer musste es Paul damals wirklich gefallen sein, ihn zurückzulassen? Nur der Gedanke daran, Jamie irgendwann nicht mehr in seinem Leben zu haben, versetzte Peters Herz einen schmerzlichen Stich und er hoffte inständig, dass dieser Moment niemals kommen würde.

"Paul, ich wünschte, du könntest jetzt hier sein und den kleinen Knirps kennen lernen", flüsterte er in die Stille des Raumes hinein. "Und ich könnte dir sagen, dass ich es damals einfach nicht besser gewusst habe."

Dies war einer der Momente, in denen er sich nach nichts mehr sehnte, als dass es an der Tür klopfte und er den Mann, der seinem Leben eine neue Wendung gegeben hatte, endlich wieder in die Arme schließen konnte.

Peter nahm ein Kissen und drückte es fest an sich. Lautlos bahnten sich glitzernde Tränen ihren Weg über seine Wangen.

Wie würde er reagieren, wenn Jamie eines Tages an seiner Liebe für ihn zweifelte? Er war zwar nicht sein Pflegevater, aber so lange es keinen neuen Mann an Marys Seite gab, fühlte er eine väterliche Verantwortung dem Kleinen gegenüber. Und selbst, wenn es irgendwann einen Ersatzvater geben würde, hoffte er, immer einen Platz in Jamies Leben zu haben.

Das Klingeln des Handys riss ihn aus seinen Gedanken.

"Caine", sagte er mit heiserer Stimme.

"Hallo Peter. Hier ist Mary", erklang eine fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung. "Habe ich dich geweckt?"

"Nein, keine Sorge." Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Alles in Ordnung bei euch?"

"Ja, alles bestens. Ich wollte nur fragen, ob du morgen Lust hast mit uns einen Ausflug in den Tierpark zu machen. Jamie schläft nicht wieder ein, bevor er nicht weiß, ob du mitkommst."

"Du kannst ihm sagen, dass ich ihn vor den wilden Tieren beschützen werde."

"Peter kommt", hörte er Mary sagen.

Im Hintergrund erklang das glockenhelle Lachen seines Patenkindes.

"Ich hole euch so gegen 10 Uhr ab. Gute Nacht, Ihr Beiden."

"Du bist ein Schatz. Bis morgen."

Peter legte das Telefon auf den Tisch und lehnte sich zurück. Mit einem Lächeln betrachtete er noch einmal das Foto seines Pflegevaters.

"Danke Paul. Danke für alles."

Ende

 

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