Autor: Lost-Sheep
 

Mitten in der Nacht hatte das Klingeln seines Telefons ihn aus dem Schlaf gerissen. Noch immer klang ihm die verzweifelte Stimme von Mary in den Ohren, genau wie das leise Wimmern von Jamie, das die ganze Fahrt nicht hatte enden wollen. Der sonst so lebhafte Junge schien all seine Kraft verloren zu haben und sein kleiner Körper hatte vor Fieber geglüht.

Mittlerweile war es früher Morgen und Peter saß im Wartezimmer des Krankenhauses. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Angst, pure Angst durchströmte seinen Körper und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder blickte er zur Tür, fast als wollte er sie beschwören, sich endlich zu öffnen.

Augenblicke später sprang er auf, um sich einen weiteren Kaffee am Automaten zu holen. Der wievielte es war? Peter wusste es nicht. Der Krankenhausflur schien endlos und kalt. Noch endloser und noch kälter als sonst.

Warum konnte er nichts tun? Er war doch Polizist geworden, um den Menschen zu helfen.

Und jetzt?

Jetzt fühlte er sich hilfloser, als jemals in seinem Leben zuvor. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich die erlösende Nachricht zu bekommen, dass es dem kleinen Knirps gut ging. Aber stattdessen war er zum Warten verdammt.

Wie lange er schon wartete? Auch das wusste er nicht. Dem jungen Cop schien es wie eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, in der für ihn aus Minuten Stunden wurden.

Langsam ließ er sich wieder auf einen Stuhl sinken und nahm ein Schluck aus dem braunen Plastikbecher. Die heiße Flüssigkeit durchströmte seinen Körper. Er atmete tief ein und aus, so wie sein Vater es ihm gesagt hatte. Aber auch das half ihm heute nicht, ein wenig Ruhe in sein Inneres zu bringen.

Immer wieder hatte er das Bild vor Augen, wie sich die weiße Tür hinter Mary, Jamie und dem Arzt geschlossen hatte und er alleine auf dem Flur zurückgeblieben war.

Er blickte aus dem Fenster und sah ein kleines Mädchen, das vergnügt im Park des Krankenhauses umherlief.

Peter dachte an das vergangene Wochenende und an den Ausflug in den Zoo, den er gemeinsam mit Mary und Jamie unternommen hatte. Es war ein traumhaft schöner Tag gewesen und sie hatten die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne in vollen Zügen genossen.

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So schnell ihn seine kleinen Füßchen tragen konnten, rannte Jamie zum Gehege der Braunbären. Viele Tiere im Zoo faszinierten den kleinen Mann, aber die Bären hatten es ihm schon auf dem Foto am Eingang angetan und er konnte es kaum erwarten, sie endlich mit eigenen Augen zu sehen.

"Oh, da hat es aber jemand eilig", lachte Peter.

"Wie gut, dass du ihm die neuen Turnschuhe geschenkt hast", fügte Mary lächelnd hinzu

Wie gebannt beobachtete der Knirps die großen, braunen Tiere, die sein Herz im Sturm erobert hatten. Dabei strahlte er über das ganze Gesicht

Peter nahm ihn auf den Arm, damit er über den Zaun des Geheges blicken konnte.

Dann zeigte Jamie mit dem Finger auf eins der Tiere. "Bär."

Der junge Cop lächelte. "Richtig. Das ist ein Bär. Und der ist groß und stark."

"Bär, Bär, Bär, …", plapperte sein Patenkind nun in einem fort.

"Mir scheint, wir haben ein neues Lieblingswort", erklang Marys vergnügte Stimme. "Und was haltet ihr Zwei von einem Picknick, damit wir auch so groß und stark, wie die Bären werden?"

"Das klingt wunderbar."

Dann wandte Peter sich Jamie zu. "Und was sagst du dazu?"

"Bääääääär", erklang die prompte Antwort.

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Auch jetzt lächelte Peter, als er an das kleine, strahlende Gesicht dachte.

Doch nur Augenblicke später wurde seine Mine wieder ernst. Was, wenn er dieses Strahlen nie mehr wieder sehen würde? Bei dieser Vorstellung spürte der junge Cop Übelkeit in sich aufsteigen und er versuchte, sich mit einem Blick aus dem Fenster abzulenken. Aber das kleine, fröhliche Mädchen war verschwunden.

"Mr. Caine?"

Peter wurde von einer Stimme aus seinen Gedanken gerissen. Er sah hoch und blickte in das freundliche Gesicht eines Arztes.

"Ja, das bin ich."

"Mrs. Graham erwartet sie. Folgen sie mir doch bitte."

"Wie geht es Jamie? Was ist mit ihm?"

"Er wird wieder gesund. Machen sie sich keine Sorgen."

Es dauerte ein paar Momente, bis sich die Worte bei Peter gesetzt hatten. Dann durchströmte ihn ein unglaublich warmes Gefühl. Ein Gefühl des Glücks und der Erleichterung. Die Ungewissheit hatte endlich ein Ende. Nun konnte er es kaum noch abwarten, sich mit eigenen Augen vom Zustand seines Patenkindes zu überzeugen.

Er folgte dem Arzt durch die langen Flure.

"Hier ist es. Gehen sie ruhig rein."

"Vielen Dank", sagte Peter mit einem Lächeln und klopfte vorsichtshalber an die Tür.

"Herein", erklang Marys vertraute Stimme.

Leise öffnete er die Tür. Jamie lag in einem Gitterbettchen und schlummerte seelenruhig.

"Peter, es ist so schön dich zu sehen." Mary kam ihm schon entgegen. Sie sah müde, aber glücklich aus.

Der junge Cop nahm sie fest in den Arm und spürte wie ihr Körper zu beben begann. Die ganze Anspannung der vergangenen Stunden schien von ihr abzufallen und ihr Schluchzen durchbrach die Stille des Raumes.

Sanft strich er über ihr Haar und redete beruhigend auf sie ein.

Langsam löste sie sich von ihm. "Danke, dass du da geblieben bist." Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht.

Peter trat an Jamies Bett und nahm vorsichtig die kleine, warme Hand in die seine. Eine einzelne Träne bahnte sich lautlos ihren Weg über seine Wange. Die Sorge um ihn hatte dem jungen Cop wieder einmal mehr deutlich gemacht, wie viel ihm das kleine Wesen bedeutete und welch große Rolle er in seinem Leben spielte.

"Ich hab dich lieb", flüsterte er.

So verweilte er einige Momente, während er den schlafenden Jungen betrachtete.

Dann wandte er sich Mary zu. "Kann ich euch noch irgendetwas vorbeibringen?"

"Sie wollen ihn zur Beobachtung noch zwei Tage hier behalten. Wir bekommen ein Mutter-Kind-Zimmer."

"In Ordnung. Dann fahr ich schnell bei auch vorbei und pack ein paar Sachen."

"Was würden wir nur ohne dich tun?"

"Ich beeil mich." Er nickte ihr zu und verließ den Raum.

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Zwei Stunden später betrat Peter erneut das Krankenhaus.

Jamie war mittlerweile aufgewacht und blickte seinen Patenonkel müde an.

"Da bist du ja wieder." Peter gab ihm zur Begrüßung sanft einen Kuss auf die Stirn.

Dann öffnete er die Tasche und hielt Jamie einen kuscheligen Freund vor die Nase. Sofort streckte dieser seine Ärmchen danach aus.

"Bär", erklang eine leise Kinderstimme, die Mary und Peter ein überglückliches Lächeln in die Gesichter zauberte.

Ende

 

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