Es war Nacht geworden in Sloanville. Die Sterne funkelten von einem tiefschwarzen Himmel, der Lärm des Tages war fast schon bedächtiger Stille gewichen und ein kleiner, blonder Junge schlummerte seelenruhig unter seiner wärmenden Bettdecke. Dann erklang eine Stimme. Eine Stimme, die seinen Namen flüsterte. „Jamie?“ Die Stimme wurde lauter. „Jamie?“ Langsam öffnete der Vierjährige ein Auge und blinzelte in die Dunkelheit seines Kinderzimmers. Nur das kleine Nachtlicht in Form eines Lämmchens leuchtete in der Steckdose nahe der Tür. „Jamie?“ „Ja?“ antwortete der Knirps ein wenig unsicher, denn die Stimme, die seinen Namen rief, hatte er noch nie zuvor gehört. Wo kam sie so plötzlich her? Und wer hatte sich um diese nachtschlafende Zeit in sein Zimmer geschlichen? Vorsichtig tastete er nach dem Schalter auf seinem Nachttisch und drückte ihn. Sofort wurde er von dem hellen Lichtschein geblendet und kniff die Augen zusammen. Einige Momente später blickte er sich um. Er konnte niemanden sehen, er war alleine, alles schien wie immer. Und wo war die Stimme auf einmal? „Hallo?“ fragte er vorsichtig, nicht sicher, ob er das alles nur geträumt hatte. „Ich bin hier“, erklang die prompte Antwort. „Wo?“ Mittlerweile hatte Jamie sich aufgesetzt, konnte aber noch immer niemanden entdecken. „Und wer bist du?“ „Wenn du mich findest, wirst du es wissen. Aber mach bitte schnell.“ „Wie soll ich denn schnell machen, wenn ich nicht weiß, wo du bist?“ „Ich kann dir nicht helfen, ich weiß nur, dass es da, wo ich bin, ziemlich dunkel ist.“ Jamie warf die Decke zurück und krabbelte aus dem warmen Bett. Ein kurzer Schauer durchfuhr seinen Körper. Jetzt im Herbst war es nachts schon ziemlich frisch und durch den Spalt des gekippten Fensters war eine ganze Menge dieser kalten Luft hereingekommen. „Brrrrr.“ „Aua, mein Bein“, bemerkte die unbekannte Stimme und ließ Jamie sein Frösteln vergessen. „Tut es so weh?“ „Ja, ich liege hier schon eine ganze Weile und das ist nicht gerade bequem.“ „Ist es da, wo du bist, weich oder hart?“ „Ähm… ich glaube weich… und ziemlich eng.“ „Gut, dann kannst du schon mal nicht in den Kisten oder Schubladen sein“, stellte der Blondschopf fest. „Am besten konzentrierst du dich darauf, wo meine Stimme herkommt. Dann müsstest du mich doch ziemlich schnell entdecken können.“ „Ok. Dann erzähl mal was.“ „Oder soll ich was singen?“ fragte die Stimme. „Kannst du auch.“ Jamie hörte ein leises Räuspern. Dann erklang ein Kinderlied. „Ich geh tanzen mit dem Bär(‘n), denn das Tanzen mag er sehr.“ „Oh, ich mag Bären. Sing weiter.“ „Einmal hin - einmal her. Das Tanzen fällt dem Bär’n nicht schwer. Ja ich wär’ so gern wie er, dann könnt’ ich tanzen, wie ein Bär.“ Jamie stellte sich in die Mitte des Zimmers und konzentrierte sich auf die singende Stimme. Er hatte solche Übungen schon mehrmals mit Peter oder Kwai Chang Caine gemacht. Und jetzt versuchte er sich an all das zu erinnern, was er dabei gelernt hatte. „Und er zeigt mir seinen Schritt, ja, da tanzen alle mit. Einmal hin - einmal her.“ Es schien als käme die Stimme von der Seite, wo sich die Tür befand. Lautlos ging Jamie ein paar Schritte in diese Richtung, dann lauschte er wieder. „Seht er nimmt die Arme rauf und dann tanzt er mit dem Bauch.“ Die Stimme wurde lauter. Dann stand Jamie vor seiner Zimmertür, an der einige Haken befestigt waren. An einem Haken hing sein Rucksack. Behutsam öffnete er den Reißverschluss und der Gesang wurde noch lauter. „Ich hab dich.“ „Oh wirklich“, antwortete die Stimme. „Aber hier ist es immer noch so dunkel.“ Jamie stellte sich auf die Zehenspitzen und linste in den Rucksack. Dann zog er seinen Pullover raus. „Oh, jetzt ist es hell“, verkündete die Stimmer erfreut. “Kannst du mich sehen?“ Der kleine Junge warf einen zweiten Blick in das Innere. „Hallo!“ rief ihm die freudige Stimme zu. Jamie kniff die Augen zusammen und öffnete sie ganz vorsichtig wieder. Das konnte doch nicht wahr sein. Das war doch unmöglich. „Ich bin’s. Könntest du mich freundlicherweise hier rausholen, ich glaube mein Bein ist verdreht.“ Jamies Gesicht begann zu strahlen. „Du kannst sprechen?“ „Ja manchmal. Und auch nur, wenn mich jemand so lieb hat wie du… aber könntest du mich jetzt bitte…“ „…rausholen. Ja natürlich.“ Geschickt nahm Jamie den Rucksack vom Haken und trug ihn zu seinem Bett. Dann legte er ihn behutsam hin und griff hinein. Augenblicke später kam sein Teddy zum Vorschein. „Danke“, seufzte dieser. „So ist es besser.“ „Tut dein Bein sehr weh?“ „Ach es geht schon wieder.“ „Sonst bringe ich dich zu Peter. Er kann dir bestimmt helfen. Er ist ein Shaolinpriester.“ „Ich weiß. Wir haben ihn ja oft genug zusammen besucht.“ „Tut mir wirklich leid, dass ich dich im Rucksack gelassen habe. Das mache ich sonst wirklich nie. Aber ich war so müde.“ „Ich glaube, ich verzeihe dir.“ Jamie grinste. „Gut. Ich verspreche dir auch dich nie mehr da drin zu lassen.“ „Schließlich hast du mich ja doch noch gerettet“, stellte der Teddy fest. „War ein anstrengender Tag, nicht wahr?“ „Ja, erst war ich im Kindergarten und dann hat Peter mich abgeholt.“ „Du meinst uns“, lachte das Fellknäuel leise. „Ja uns.“ „Du hast Peter gern“, stellte der Teddy fest. „Ja sehr sogar. Er ist einfach toll.“ „Ja, das ist er. Ich glaube, ich habe ihn auch sehr gern.“ „Er kann so viel, vor allem Kung Fu. Und er weiß soviel. Und er ist so stark“, zählte Jamie auf. Beim Gedanken an seinen Patenonkel begannen seine Augen zu strahlen. Dann blickte er seinen Teddy fragend an. „Sag mal, kann Peter auch mit seinem Teddy sprechen?“ „Das weiß ich nicht… Aber ich denke schon, schließlich hat er auch ein gutes Herz, manchmal ein zu gutes.“ „Das hat Mama auch schon gesagt.“ „Dass er ein zu gutes Herz hat?“ „Ja.“ Jamie seufzte leise und blickte aus dem Fenster. „Dann möchte ich auch ein zu gutes Herz haben.“ „Warum?“ „Weil ich mal so sein will wie Peter. Weil ihn alle gern haben und er jedem hilft.“ Der Teddy lächelte sanft. Es schien fast, als wüsste er schon jetzt, was einmal aus dem kleinen Jungen, der gerade auf der Bettkante saß, werden würde. Jamies herzhaftes Gähnen unterbrach den Moment der Stille. „Ich glaube, wir gehen jetzt besser schlafen, damit wir auch so groß und stark wie Peter werden“, schlug der Teddy vor. Im nächsten Moment war Jamie schon unter seine kuschelige Decke geschlüpft. Das Fellknäuel legte er behutsam neben sich. „Gute Nacht. Ich hab dich lieb.“ „Gute Nacht. Ich hab dich auch lieb.“ Ende
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