Autor: Lost-Sheep
 

Mary ging den langen, hellen Flur entlang *501, 502, 503, 504*. Sie blieb einen Moment vor der Tür mit der Nummer 505 stehen und blickte in die Augen ihres kleinen Sohnes, der sie ansah und keinen Mucks von sich gab.

Zögerlich klopfte sie an und öffnete dann langsam die Tür. Sofort fiel ihr Blick auf Peter. Er hatte die Augen geschlossen und seine Brust hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus. Dieses Bild versetzte ihr einen Stich ins Herz. Es war ungewohnt für sie den jungen Cop so zu sehen. Er sah so verletzlich und hilflos aus, wie er da in dem großen, weißen Krankenhausbett lag. Und all das war ihre Schuld. Nur weil er für sie noch einmal schnell in den Supermarkt gefahren war. Hätte sie die Milch nicht fallen lassen, wäre dies alles nicht passiert. Mary stiegen Tränen der Wut in die Augen. Der Wut auf sich selbst.

Sie hatte Peter zum Essen eingeladen und wollte Jamie noch schnell ein Fläschchen machen, als ihr die Packung aus der Hand gerutscht war. Also hatte sie Peter angerufen und ihn gebeten noch schnell beim Supermarkt anzuhalten. Das nächste, was sie von ihm hörte, war, dass er in der Notaufnahme des Krankenhauses eingeliefert worden war. Ein Amokschütze hatte im Laden wie wild um sich geschossen und Peter in der Schulter getroffen. Das war vor vier Tagen gewesen.

"Hallo", flüsterte auf einmal eine vertraute Stimme und riss sie aus ihren Gedanken.

Jamie fing an zu lachen und streckte die Ärmchen nach seinem Patenonkel aus, der sie Beide anblicke und müde lächelte.

Verstohlen wischte Mary sich die Tränen weg.

"Alles in Ordnung?", fragte Peter.

"Das sollte ich wohl besser dich fragen", erwiderte Mary.

Peter grinste sie schief an. "Mach dir mal keine Sorgen um mich. Ich habe schon ganz andere Sachen überlebt. Außerdem versorgt mich Paps bestens mit allen möglichen Kräutermixturen."

Bei diesen Worten musste sie lächeln. Auch sie hatte Peters Vater mittlerweile kennen und schätzen gelernt.

Langsam wurde Jamie auf ihrem Arm unruhig. Vorsichtig setzte sie ihn auf das Bett. Sofort kuschelte sich der Kleine an Peter.

"Na du, ich habe dich schon vermisst", sagte dieser mit leiser Stimme, legte seinen Arm beschützend um das kleine Wesen und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

"Er dich auch."

Mit diesen Worten ließ sich Mary auf einen Stuhl sinken. Dann sah Peter sie noch einmal eindringlich an. "Ist wirklich alles ok?"

"Ja, alles Bestens." Sie wich seinem Blick aus und schaute aus dem Fenster.

Peter wusste genau, dass dem nicht so war. Er hatte doch genau die Tränen auf ihren Wangen gesehen und hoffte inständig zu erfahren, was Mary beschäftigte.

Doch dann klopfte es und Dr. Smith betrat den Raum.

"Oh, guten Tag. Sind sie Mr. Caines Familie?" Er gab Mary die Hand.

"Ähm..Nein, mein Name ist Mary Graham, ich bin eine gute Freundin. Und das ist mein Sohn Jamie." Sie deutete auf das Bett.

"Und mein Patenkind", fügte Peter mit einem Lächeln hinzu.

Jamie sah den Arzt mit seinen großen, blauen Augen an.

"Darauf wäre ich an ihrer Stelle auch stolz, Mr. Caine." Dann schaute er in seine Akte. "Ihre Wunde verheilt gut und auch alle Werte sind in Ordnung. Haben sie noch starke Schmerzen?"

"Es ist auszuhalten."

"Dann steht ihrer baldigen Entlassung nichts mehr im Wege. Aber versprechen sie mir, dass sie es erst einmal nicht übertreiben, wenn sie zu Hause sind." Der Arzt sah ihn eindringlich an.

"Versprochen", sagte Peter mit einem engelsgleichen Gesichtsausdruck.

"Haben sie jemanden, der ihnen helfen kann?"

"Ich könnte bei meinem Vater wohnen. Er hätte sicherlich nichts dagegen."

"Oder bei uns", erklang auf einmal Marys Stimme.

"Ich möchte euch aber keine Umstände machen", erwiderte der junge Cop.

"Mach dir darüber keine Sorgen. In unserer neuen Wohnung ist genug Platz. Jamie kann bei mir schlafen und dann stellen wir in seinem Zimmer ein Gästebett für dich auf. Kermit hilft uns dabei sicherlich gerne. So habe ich dann endlich mal eine Gelegenheit, mich für all das zu revanchieren, was du in den letzten Monaten für uns getan hast." *Und außerdem wärst du ohne mich gar nicht in dieser misslichen Lage*, fügte sie in Gedanken hinzu. Dann blickte sie direkt in seine braunen Augen.

"Ok, aber nur, wenn ich euch wirklich nicht zur Last falle."

"Das tust du nicht." Dann wandte sie sich ihrem Sohn zu. "Und was meinst du? Soll Peter bei uns einziehen?"

Jamie strahlte über das ganze Gesicht.

"Ich glaube, er ist auch einverstanden", sagte Mary.

Dr. Smith schlug die Akte zu. "Dann dürfen sie uns übermorgen verlassen, wenn es keine Komplikationen mehr gibt." Er wandte sich Mary zu. "Und sie passen auf ihn auf. Ich hab hier schon so einiges über Peter Caine gehört", sagte er mit einem Zwinkern.

"Das ist alles übertrieben", bemerkte der junge Cop grinsend.

"Es war mir ein Vergnügen, Mrs. Graham. Mr. Caine, wir sehen uns ja noch." Dann verließ der Arzt das Zimmer.

Peter gähnte herzhaft und seine Augenlider wurden immer schwerer.

Vorsichtig nahm Mary Jamie hoch. "Ich glaube, dein Patenonkel braucht jetzt seine Ruhe."

Sie lächelte ihn an. "Wir sehen uns dann übermorgen."

"Ich werde Kermit fragen, ob er mich abholen kann…Danke für euren Besuch, ihr Beiden."

"Es war uns ein Vergnügen und gute Besserung."

Dann verließen sie Peters Zimmer und der junge Cop fiel in einen tiefen und erholsamen Schlaf.

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Zwei Tage später betrat Kermit Griffin das Krankenhaus. Er klopfte kurz an Peters Tür und öffnete sie dann.

Peter saß auf seinem Bett. Sein Arm ruhte in einer Schlinge und er war noch etwas blass um die Nase. Als er seinen Freund erblickte, verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln.

"Hallo Kermit. Schön dich zu sehen."

"Hey Kumpel, alles in Ordnung? Können wir abhauen?"

Der junge Cop nickte und erhob sich vom Bett. Kermit schnappte sich die Tasche und gemeinsam verließen sie das Gebäude.

Nach einer halben Stunde hatten sie die Wohnung von Mary und Jamie erreicht. Sie waren dort vor vier Wochen eingezogen. Das Mehrfamilienhaus lag in einer ruhigen Wohngegend und die Beiden fühlten sich dort sehr wohl. Mary hatte eine Stelle in einer Anwaltskanzlei bekommen und Jamie besuchte eine KiTa im gleichen Stadtteil.

Gerade als Kermit klingeln wollte, flog die Tür auf.

"Hallo Ihr Zwei. Kommt rein."

Mary grinste die Freunde an, die sie etwas verdutzt anblickten.

"Ich habe dein Auto vom Fenster aus gesehen."

"Ach so, ich dachte schon du hättest jetzt auch solche Fähigkeiten wie Peters Vater", scherzte Kermit.

"Der war übrigens auch schon da und hat Tee für dich vorbeigebracht."

Peter verdrehte die Augen. "Na hoffentlich ist das eine andere Mischung, als die im Krankenhaus."

"Jetzt bekommt ihr aber erst einmal einen Kaffee."

Die Drei gingen ins Wohnzimmer, wo Jamie auf dem Teppich saß und mit Bauklötzen spielte. Peter gab ihm zur Begrüßung einen Kuss auf seine blonden Haare.

Nachdem sie ihren Kaffe getrunken hatten, zeigte Mary Peter sein Zimmer.

"Das Bett habe ich eigenhändig aufgebaut", sagte Kermit nicht ohne Stolz.

"Na dann weiß ich ja, an wen ich mich wenden muss, falls es zusammenkracht." Er zwinkerte Mary zu.

Der Ex-Söldner versuchte finster zu gucken, was ihm allerdings nur mäßig gelang. Er freute sich einfach viel zu sehr, dass sein Freund schon wieder zu Scherzen aufgelegt war. Denn immer wieder hatte er das Bild vor Augen, wie Peter bewusstlos und verletzt auf dem kalten Supermarktboden gelegen hatte. So hatte er ihn gefunden, als er zum Einsatz gerufen worden war, ohne zu wissen, dass sich sein Freund unter den Opfern befand. In solchen Momenten wurde ihm immer wieder deutlich, wie sehr ihm sein jüngerer Kollege am Herzen lag.

Er klopfte dem jungen Cop freundschaftlich auf die unverletzte Schulter. "Sieh mal einer an. Kaum aus dem Krankenhaus raus, wird er schon wieder frech."

Dann wandte er sich Mary zu. "Jetzt muss ich euch aber leider alleine lassen. Die Pflicht ruft."

"Ich bring dich noch zur Tür."

Mary und Kermit verließen das Zimmer, während Peter seine Sachen auspackte.

"Wenn ihr irgendetwas braucht, ruf mich an."

"Danke Kermit."

Er nickte ihr zu und machte sich auf den Weg zum Revier.

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Nachdem Jamie am Abend friedlich eingeschlafen war, machten es sich Mary und Peter auf der Couch gemütlich.

"Hast du wegen mir geweint?", fragte Peter auf einmal in die Stille hinein.

Mary sah ihn überrascht an.

"Im Krankenhaus. Hast du wegen mir geweint?"

Die junge Frau schluckte. Irgendwie hatte sie immer noch gehofft, Peter hätte es nicht bemerkt. Dann brach es aus ihr heraus.

"Es ist alles meine Schuld. Wärst du meinetwegen nicht noch einmal in den Supermarkt gefahren, wärst du nicht angeschossen worden… Peter… es tut mir so leid."

Sie hatte Tränen in den Augen und konnte ihm nicht ins Gesicht blicken. Peter nahm ihre Hand in die seine.

"Du konntest doch nicht wissen, dass dort so ein Irrer auftauchen würde. Mach dir deshalb bitte keine Vorwürfe."

"Das sagst du so... Hätte ich die blöde Milch nicht fallen lassen", antwortete sie mit tränenerstickter Stimme.

"Es geht mir doch wieder gut. Die Wunde wird verheilen. Und das hätte wirklich überall passieren können."

"Aber… als ich dich da hab liegen sehen… im Krankenhaus... Peter, da…"

"Shhhh." Der junge Cop unterbrach sie. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie vorsichtig an sich.

Einige Minuten saßen sie so da, bis Mary sich wieder beruhigt hatte. Dann sah Peter sie an.

"Versprich mir bitte, dass du dir keine Vorwürfe mehr deswegen machst."

Mary wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte in seine haselnussbraunen Augen.

"Versprochen."

Der junge Cop lächelte zufrieden und hoffte inständig, dass sie es auch so meinte.

Ende

 

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