Autor: Lost-Sheep
 


Mit schwungvollen Schritten lief Peter die Stufen zu seiner Wohnung hinauf. Es war zwar erst früher Nachmittag, aber der junge Priester hatte sein Tagwerk für heute bereits beendet, denn er wollte seine zukünftige Ehefrau mit einem Abendessen überraschen. In seinem Kopf wirbelten alle möglichen Zutaten herum von Kartoffeln über knackigen Salat bis hin zu knusprigem Hähnchen. Nur bei dem Gedanken lief ihm schon das Wasser im Mund zusammen. Vielleicht sollte er noch schnell einen Happen essen, bevor er sich ins Supermarkt-Getümmel stürzte. Ansonsten lief er Gefahr, dass der Einkauf erheblich größer und damit zwangsläufig auch teurer ausfiel, als geplant. Und wie oft hatte Kendra ihm schon gesagt, er solle nicht hungrig einkaufen gehen.

Mit einem Grinsen zog er seinen Schlüssel aus der Tasche. Hingegen den Gewohnheiten seines Vaters, der seit mittlerweile fünf Monaten verschwunden war, hatte er sich schnell angewöhnt das vorhandene Türschloss auch zu benutzen.

Gerade als er die Tür aufschließen wollte, wäre er fast gestolpert. Er blickte nach unten und sah eine Babytrage, die zu seinen Füßen stand. Schlagartig war ihm klar, um welche Trage es sich dabei handelte. Es schien fast, als würden ihn in diesem Moment die zwei strahlenden, blauen Augen ansehen, die dem Baby gehörten, das er vor gut zweieinhalb Jahren genau in dieser Trage auf dem Treppenabsatz des Reviers gefunden hatte. Nur dass aus dem Säugling von damals mittlerweile ein quirliges Kleinkind geworden war. Sein Patenkind Jamie.

Er kniete sich hin und betrachtete das Fundstück genauer. Sofort erschienen die Bilder aus jener Nacht vor seinem geistigen Auge. Damals hatte er noch keine Ahnung gehabt, wie man mit Kindern, besonders so kleinen, umging. Trotzdem hatte er sofort gespürt, dass Jamie sich in seiner Nähe wohl gefühlt hatte.

Niemals würde er den Moment vergessen, als sich der kleine Junge auf dem Sofa in Captain Simms Büro ganz nah an ihn gekuschelt hatte. Mit einem Lächeln dachte er an seinen ersten Windelwechsel in den Waschräumen des 101. Und auf einmal hatte er eine Melodie im Kopf. Die Melodie von 'Der Mond ist aufgegangen', die erklungen war, bevor sie Beide damals auf dem Sofa eingeschlafen waren. Die Spieluhr hing bis heute über Jamies Bett und hatte eine erstaunlich beruhigende Wirkung auf das kleine Energiebündel. Und auch Peter war nicht selten neben ihm eingeschlafen, wenn der gelbe Halbmond mit der Zipfelmütze dieses Lied spielte.

Gedankenverloren strich er über die blaue, kuschelige Decke, die in der Trage lag. Die Decke, die den kleinen Körper damals vor der Kälte der Nacht geschützt hatte.

War das alles wirklich schon zweieinhalb Jahre her? Momentan waren die Erinnerungen so lebendig, dass es ihm vorkam, als sei es gerade gestern gewesen.

Auf einmal spürte er wie sich zwei Arme von hinten um ihn legten und ihn so in die Realität zurückholten.

"Ich glaube die Überraschung ist gelungen", erklang eine sehr vertraute Stimme.

Der junge Priester blickte hoch und sah in Marys Gesicht, die ihn sanft anlächelte. Sein Patenkind hatte sich mittlerweile an seinen Rücken gekuschelt.

"Na, Ihr Beiden."

"Na, Du Einer", murmelte Jamie in den Stoff von Peters Hemd.

Der ehemalige Cop lachte leise.

"Den Spruch hat er irgendwo aufgeschnappt. Frag mich nicht wo", sagte Mary. Dann zeigte sie auf die Trage. "Wir dachten, du würdest dich vielleicht darüber freuen. Ich weiß es dauert noch ein wenig, bis euer Nachwuchs kommt, aber ich habe sie auf dem Speicher entdeckt und dachte, ich bringe sie gleich vorbei."

"Danke. Das bedeutet mir wirklich eine Menge. Immerhin fing damit alles an."

"Alles?" Jamie sah sie fragend an.

"Ja, in dieser Trage hat deine Mama dich damals zu mir gebracht. Auf das Polizeirevier, damit ich auf dich aufpasse… Und damals hast du mich mit genau so großen Augen angesehen, wie jetzt."

Der kleine Knirps nickte zufrieden. "Und bald passt du auf ein neues Baby auf."

"Genau. Aber das dauert noch ein paar Monate... Und auf dich pass ich trotzdem auch immer auf."

"Ich pass auch aufs Baby auf, weil ich bin ja schon groß", sagte Jamie grinsend.

"Er freut sich schon sehr auf euren Nachwuchs. Als ich es ihm erzählt habe, wollte er sofort los und ein Geschenk kaufen."

"Das ist aber sehr lieb von dir." Peter gab seinem Patenkind einen sanften Kuss auf die Wange.

"Und Kendra geht es auch gut?", fragte Mary.

"Ja, bis jetzt läuft alles wunderbar. Auch die Übelkeit am Morgen ist weg. Hoffen wir, dass es so bleibt. Eigentlich wollte ich gerade zum Einkaufen. Ich wollte sie mit einem Abendessen überraschen."

"Scheint als sei heute der Tag für Überraschungen", bemerkte Mary lächelnd.

"Auch einkaufen", meldete sich Jamie zu Wort.

"Ja? Was musst du denn kaufen?" Die blonde Frau sah ihren Sohn fragend an.

"Pssst… Überraschung."

Dann ging er zu Peter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. So sehr sich Mary auch anstrengte, sie konnte nicht hören, um was es ging. Nicht selten hatte sie eh das Gefühl, dass sich die Zwei auch ganz ohne Worte verstanden.

"Ah, alles klar", sagte Peter mit einem spitzbübischen Grinsen.

"Was heckt ihr Beiden jetzt schon wieder aus?" Mary blickte fragend in die Runde.

"Pssst… Überraschung", bekam sie die prompte Antwort wie aus einem Munde.

"Hallo, ihr Drei", erklang auf einmal Kendras Stimme.

Peter stand auf und umarmte sie zur Begrüßung. "Hallo Liebling."

"Möchtest du unseren Besuch nicht hereinbitten? Ich glaube, da ist es gemütlicher, als im Treppenhaus."

Der junge Priester lächelte. "Leider müssen wir schon wieder los." Er zeigte auf sich und Jamie.

"Und wo müsst ihr hin?"

"Frag nicht. Überraschung", warf Mary lachend ein. Dann griff sie nach der Babytrage.

"Und was ist das?", fragte Kendra, mittlerweile sichtlich verwirrt von all dem, was sich vor ihrer Haustür abspielte.

"Das erkläre ich dir gleich bei einer schönen Tasse Tee", antwortete Mary.

"Dann lass uns mal reingehen." Mit diesen Worten schloss Kendra die Tür auf.

"Und wir sind dann weg", sagte Peter.

"Bis später."

"Macht’s gut, Jungs."

"Bye bye Mama."

"Bye bye mein Schatz. Und viel Spaß."

Dann verschwanden Peter und Jamie.

"Gehst du einkaufen?", rief Kendra ihrem zukünftigen Ehemann noch hinterher.

"Ja."

"Hast du vorher was gegessen?"

Peters Lachen schallte durch das Treppenhaus.

Mary blickte sie verdutzt an.

"Letztes Mal sollte er drei Sachen kaufen und kam mit zwei vollen Tüten wieder. Das habe alles so lecker ausgesehen", erklärte Kendra kichernd. "Unser Kühlschrank wäre fast aus allen Nähten geplatzt. Ich glaube, wir hätten ohne Probleme eine sechsköpfige Familie satt bekommen."

Jetzt musste auch Mary lachen. Dann griff sie in ihre Handtasche und zog zwei Bananen heraus. "Meinst du das reicht?"

"Vorerst bestimmt."

Und schon erschienen Peter und Jamie grinsend eine Treppe tiefer.

"Hier fang", rief Mary und warf die gelben Früchte zu Peter. Gekonnt fing dieser sie auf. "Danke. Jamie wird schon aufpassen, dass ich nur das richtige kaufe", sagte er mit einem Zwinkern.

"Mit einem Shaolinpriester wird es wirklich nie langweilig.", sagte Kendra lachend, als die Wohnungstür hinter Mary und ihr ins Schloss fiel "Aber jetzt bin ich gespannt, was es mit der Trage auf sich hat."

"Das ist eine ganz besondere Geschichte."

Als Kendra erfuhr, welches Ereignis mit diesem Gegenstand verbunden war, wurde es ihr ganz warm ums Herz. Und der Gedanke, dass ihr Baby bald auch darin liegen würde, gab ihr ein ganz besonderes Gefühl. Ein Gefühl von Familie fernab ihrer Heimat. Und das fühlte sich einfach nur großartig an.

Ende


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