Autor: Lost-Sheep
 

Mit einem Lächeln auf den Lippen lief der Shaolinpriester durch die Straßen von Chinatown. Seine Hände hatte er in den tiefen Taschen seines Mantels vergraben und bei jedem Atemzug bildeten sich kleine, weiße Wolken in der klaren Winterluft.

Auch wenn man tagsüber schon die ersten Boten des Frühlings erahnen konnte, war es am Abend immer noch empfindlich kalt. Der junge Mann freute sich schon auf seine gemütliche Wohnung und einen heißen Tee. Es war ein langer Tag gewesen, an dem er wieder zahlreichen Menschen geholfen hatte. Und genau das war es, was ihn innerlich mit einer unglaublichen Zufriedenheit erfüllte.

Seit zwei Monaten hatte er jetzt die Apotheke seines Vaters übernommen und so langsam gewöhnte er sich an sein neues Leben fernab vom 101.. Viele seiner anfänglichen Bedenken hatten sich buchstäblich in Luft aufgelöst und er wurde von der chinesischen Gemeinde meist mit offenen Armen und Herzen empfangen.

Natürlich hatte es auch Zweifler gegeben, die einem so jungen Priester nicht allzu viel zugetraut und ihn das eine oder andere Mal auf die Probe gestellt hatten. Aber auch ihnen war er stets mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnet. Eine Tatsache, über die er manchmal selber staunte. War er doch als Cop häufig aufbrausend und ungeduldig gewesen, hatte er mittlerweile eine erstaunliche Gelassenheit und Harmonie entwickelt. Vielleicht war dies ja doch seine wahre Bestimmung?

In den letzten Wochen hatte er auch viel mehr Zeit mit seinem Patenkind verbringen können. Mary hatte den kleinen Knirps oft vorbeigebracht, wenn er in der Apotheke gearbeitet und mit Lo Si neue Kräutermischungen ausprobiert hatte. Jamie zeigte schon ein erstaunliches Interesse auf diesem Gebiet und auch mit dem Ehrwürdigen verstand er sich prächtig.

*Meine Nachfolge scheint gesichert*, dachte er mit einem Schmunzeln.

Augenblicke später bog er von der Hauptstraße ab und betrat eine unbeleuchtete Gasse. Diese Abkürzung hatte er schon häufig genommen, da sie ihm gut zehn Minuten des Fußwegs ersparte. Denn bei der winterlichen Kälte, die an diesem Abend herrschte, konnte Peter es kaum erwarten, seine warme Wohnung zu erreichen.

Nach wenigen Metern nahm er die Silhouetten einiger dunkler Gestalten wahr, die auf der schmalen Straße standen und auf irgendetwas zu warten schienen. Je mehr er sich ihnen näherte, desto klarer wurde ihm, auf wen sie es abgesehen hatten.

*Scheint, als hätte ich nicht nur die Apotheke von Paps übernommen.*

"Hallo Jungs, kann ich euch irgendwie weiterhel…" Er hatte den Satz noch nicht beendet, als ihn bereits der erste gezielte Tritt im Bauch traf und ihm die Luft zum Atmen nahm. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er es hier nicht mit irgendwelchen Anfängern zu tun hatte, sondern dass diese Jungs genau wussten, was sie taten.

*Und dieses Mal taucht Paps bestimmt nicht auf, um mich hier rauszuholen*, dachte er verzweifelt, während er so gut es ging versuchte, die Schläge und Tritte abzuwehren, die scheinbar von allen Seiten auf ihn einprasselten.

Nach ein paar Minuten, die sich für ihn wie eine Ewigkeit anfühlten, registrierte er, dass die Angriffe plötzlich merklich abnahmen und er den einen oder anderen Schmerzensschrei seiner Gegner hörte, ohne, dass er sie berührt hatte.

Nur Momente später verließen ihn jedoch seine Kräfte und er merkte, wie seine Beine nachgaben. Dann sank der Shaolinpriester bewusstlos auf den kalten, harten Asphalt. Dass er dabei von zwei starken, vertrauten Armen aufgefangen wurde, nahm er schon nicht mehr wahr.

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Nachdenklich betrachtete der dunkelhaarige Detective den jungen Mann, der ganz ruhig in dem großen Bett lag. Sein Brustkorb hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus und seine tiefen Atemzüge durchbrachen die Stille des sterilen Zimmers.

Mit einer routinierten Bewegung nahm der Ex-Söldner seine Sonnenbrille ab und setzte sich auf einen Stuhl.

Wenige Minuten später öffnete der junge Priester mühsam seine Augen. Noch leicht verschwommen nahm er die Gestalt wahr, die an seinem Bett saß.

"Kermit?", flüsterte er.

"Schön, dass du wieder da bist… Aber sag mal, musst du es immer gleich mit fünf auf einmal aufnehmen ohne mir vorher Bescheid zu sagen?", entgegnete der Ältere mit einem Grinsen.

Bei dem Versuch über die Bemerkung seines besten Freundes zu lachen, merkte Peter schlagartig, dass dies keine gute Idee gewesen war. "Au."

"Tja, sie haben dir drei Rippen angebrochen. Da ist wohl erst einmal Bettruhe angesagt."

Der Priester seufzte hörbar. Er konnte es nach wie vor nicht ausstehen, krank zu sein.

"Dann warst das also du, der mir geholfen hat?"

"Ich habe dir doch versprochen, dass du immer deinen Beschützer auf den Straßen haben wirst. Und was ich verspreche, das halte ich auch."

"Danke Kermit."

Der Ex-Söldner nickte ihm mit einem zufriedenen Lächeln zu. Er war mehr als dankbar, dass sein Freund noch einmal glimpflich davon gekommen war. Wer die Kerle gewesen waren, die ihn so in die Mangel genommen hatte, wusste der Cop nicht. Aber er hatte schon aus den Jahren mit Peters Vater gelernt, dass die Shaolin Feinde hatten, die sich nicht mit normalen Methoden fassen ließen.

"Mary und Jamie warten draußen. Meinst du, du bist bereit für ein kleines, blondes Energiebündel?"

Noch bevor Peter antworten konnte, öffnete sich die Tür und das angekündigte Energiebündel flitzte auf seinen Patenonkel zu.

"Peeeteeer."

"Hallo Jamie."

Dann gab ihm der kleine Mann einen sanften Kuss auf die Wange. "Lo Si und ich machen Tee für dich. Dann bist du schnell wieder gesund."

"Das ist aber lieb von euch", antwortete er grinsend.

"Und da ist noch etwas", erklang auf einmal Marys Stimme.

Mit einem zufriedenen Strahlen im Gesicht und leuchtenden Augen überreichte Jamie das mitgebrachte Geschenk. "Für dich. Jetzt hast du auch einen."

Der junge Mann spürte, wie ihm langsam die Tränen der Rührung in die Augen stiegen. Denn was Jamie ihm da vor die Nase hielt, war ein Abbild des Teddybären, den er ihm damals im Krankenhaus geschenkt hatte.

"Passt auf dich auf." Dann legte der Knirps das Fellknäuel auf Peters Kopfkissen.

"Danke", war alles, was der junge Mann hervorbrachte.

"Bitte", antwortete sein Patenkind triumphierend.

"Er hat drauf bestanden, dass du den gleichen bekommst, wie er einen hat. Wir sind stundenlang durch die Stadt gelaufen und haben alle Geschäfte abgesucht", ergänzte Mary mit einem Lächeln. "Und wie mir scheint, hat sich die Mühe gelohnt."

Dann wandte sie sich ihrem kleinen Sohn zu. "Jetzt sollten wir Peter aber ein wenig Ruhe gönnen. Es ist schon spät."

"Ok", erwiderte der Dreijährige.

Nach einer herzlichen Verabschiedung verließen Jamie und Mary wenig später das Zimmer.

"So, dann werde ich mich auch mal auf den Weg machen. Schließlich schläft das Verbrechen nie in dieser Stadt... Gute Besserung und wenn du irgendetwas brauchst, lass es mich wissen."

"Das werde ich. Danke Kermit."

Der Ex-Söldner schloss die Tür hinter sich und verweilte noch für ein paar Momente im Flur. Mit großem Wohlwollen hatte er die kleine Szene mit Peter, Mary und Jamie beobachtet und er war mehr als glücklich, dass sein Freund diesen beiden Menschen begegnet war. Denn er wusste, dass sie dazu fähig waren den jungen Priester über die Abwesenheit seines Vaters hinwegzutrösten. Auch wenn sie ihn natürlich nicht ersetzen konnten, füllten sie die Lücke, die Kwai Chang Caine hinterlassen hatte, auf ihre ganz eigene Art und Weise.

Mit einem zufriedenen Lächeln zog er seine Sonnenbrille aus der Manteltasche, setzte sie auf und verließ Augenblicke später das Krankenhaus.

Ende


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