Autor: Lost-Sheep
 

"Nochmal, nochmal. Hopp, hopp", rief Jamie lachend und blickte seinen Patenonkel mit strahlenden Augen an.

Dieser schien von diesem Vorschlag weniger begeistert. "Wirklich? Nochmal?"

"Jajaja", ertönte die prompte Antwort.

"Also gut."

Seufzend nahm der junge Cop den kleinen Knirps erneut auf den Schoß.

"Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt dann schreit er…"

Das glockenhelle Kinderlachen erfüllte den ganzen Raum.

Peter wusste nicht, wie oft er dieses Spiel heute schon gemacht hatte, aber so langsam taten ihm die Arme und Beine weh. Immerhin war der kleine Mann in der Zwischenzeit fast zwei Jahre alt und kein Federgewicht mehr.

Der junge Cop war durch sein regelmäßiges Kung Fu Training gut in Form, aber dieses Spiel schien Muskelpartien zu beanspruchen, von deren Existenz er bisher nichts geahnt hatte. Und so hoffte er inständig, dass Jamie bald die Müdigkeit übermannen würde, denn mittlerweile war schon dunkle Nacht über die Stadt hereingebrochen.

"Fällt er in den Graben, dann fressen ihn die Raben…"

Jamie war übers Wochenende zu Besuch bei Peter. Mary war zu ihren Eltern geflogen, da ihre Mutter mit Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert worden war und sie ihrem kleinen Sohn nicht zumuten wollte, zwei Tage in der Klinik zu verbringen.

"Fällt er in die Hecken, dann fressen ihn die Schnecken..."

Sie hatte Peter auf dem Revier angerufen, als hätte sie geahnt, dass ihm ein freies Wochenende bevorstand. Natürlich hatte er sich sofort bereit erklärt das Babysitting zu übernehmen. Aber so langsam kamen ihm Zweifel, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Er war sich sicher, dass ihn ab morgen ein schmerzender Muskelkater quälen würde.

"Fällt er in den Sumpf, dann macht der Reiter plumps."

*Au* Peter verzog das Gesicht, als er Jamie auffing und er ahnte, was als nächstes kommen würde.

"Nochmal, nochmal", erklang schon wieder eine vergnügte Kinderstimme, bevor der junge Cop seinen Gedanken überhaupt zu Ende führen konnte.

"Bist du denn gar nicht müde?" Peter sah in fragend an und es könnte auch sein, dass etwas Flehendes in seinem Blick lag.

"Nein."

"Auch nicht ein bisschen?"

"Neeeeiiiiiiin… Nochmal. Hopp, hopp"

"Wenn ich das gewusst hätte."

Aber was tat er nicht alles für sein geliebtes Patenkind und so standen ihm nach weiteren drei Runden die Schweißperlen auf der Stirn und er war sich nicht mehr sicher, ob er den Zwerg beim nächsten Mal noch auffangen könnte, oder ob ihn seine Kräfte endgültig verlassen würden.

Dann begann Jamie zu gähnen und Peter spürte, wie ein Gefühl der Erleichterung seinen Körper durchströmte. Es musste dort oben doch irgendwo jemanden geben, der Mitleid mit ihm hatte.

"Da ist aber jemand müde."

Jamie grinste ihn an.

"Heia."

Eine viertel Stunde später hatten es sich die Beiden auf dem Sofa bequem gemacht. Jamie trug seinen rot geringelten Schlafanzug und hielt den Bär, den Peter ihm damals im Krankenhaus geschenkt hatte, fest in seiner kleinen Hand. Eng an seinen Patenonkel gekuschelt, genoss er dessen Nähe in vollen Zügen. Vorsichtig zog der junge Cop eine kuschelige Decke über den kleinen Körper und streichelte ihm sanft über seine blonden Haare.

Plötzlich durchbrach das Klingeln des Telefons die Stille des Raumes.

"Caine."

"Hallo Peter, ich bin's", erklang Marys Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Hallo Mary, alles in Ordnung bei euch?"

"Ja. Meiner Mutter geht es schon viel besser. Wenn alles so bleibt wird sie am Montag entlassen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin. Und wie geht es euch?"

"Freut mich zu hören. Hier ist alles bestens." Und mit einem Lächeln ergänzte er: "Wir hatten einen anstrengenden Tag."

Dann hielt der junge Cop Jamie den Hörer ans Ohr.

"Mama?"

"Hallo, mein Schatz. Hast du Spaß bei Peter?"

"Jaaaaa", antwortete er mit einem Strahlen im Gesicht.

"Ich bin morgen wieder da. Du fehlst mir. Ich hab dich lieb"

"Auch lieb."

"Gibst du mir nochmal deinen Patenonkel?"

"Hopp, hopp", brabbelte Jamie fröhlich.

Der junge Cop nahm den Hörer wieder an sich.

"Mein Flieger geht morgen Nachmittag. Ich hole Jamie dann gegen Abend ab."

"Kein Problem. So lange er nicht wieder den ganzen Tag Hoppe Hoppe Reiter spielen will", lachte Peter.

"Hopp, hopp."

"Ja, das haben sie letzte Woche in der KiTa gelernt. Hoffe er hat dich nicht allzu sehr strapaziert."

"Nein, mach dir keine Sorgen. So kann ich mir wenigstens das Fitnesstraining sparen."

"Na, wenn das so ist… Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und eine gute Nacht. Gib Jamie einen Kuss von mir. Und danke Peter."

"Das mache ich doch gerne. Bis morgen."

Dann legte er auf. Vorsichtig beugte er sich zu Jamie runter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. "Der ist von deiner Mama."

"Mama lieb." Der kleine Mann lächelte zufrieden und schmiegte sich dann wieder an Peters Körper.

Langsam spürte der junge Cop auch Müdigkeit in sich aufsteigen. Es war ein langer, ereignisreicher Tag gewesen. Nach einem gemütlichen Frühstück hatten sie einen ausgiebigen Spaziergang im Park gemacht und die Sonnenstrahlen genossen. Jamie war mittlerweile schon recht flink auf seinen kleinen Füßchen und Peter hatte alle Hände voll zu tun gehabt, den kleinen Mann im Auge zu behalten.

Zum Mittagessen hatten sie sich mit Caine in Chinatown getroffen und am Nachmittag den Spielplatz besucht.

Dort hatte Jamie sich mit einem kleinen Mädchen in seinem Alter angefreundet. Sie hatte braune Locken und hieß Emma. Zusammen hatten die Beiden den halben Sandkasten umgegraben und großen Spaß dabei gehabt.

In der Zwischenzeit hatte Peter sich mit Emmas Mutter unterhalten. Sie hatten über erste Zähne, Sprechversuche, Spielzeug und Kinderkrankheiten geredet.

Bei dem Gedanken musste der junge Cop grinsen. *Wenn mich meine Kollegen so sehen würden. Ihr Hotshot-Cop zwischen hellblauen Schnullern und Fencheltee.*

Hätte ihm vor zwei Jahren jemand gesagt, dass er seine freien Wochenenden so verbringen würde, wie hätte er wohl reagiert? Damals hatte er noch nicht ahnen können, wie unbeschreiblich gut es sich anfühlen würde, für einen kleinen Erdenbewohner da zu sein.

Ja, es machte ihn glücklich und erfüllte ihn mit einer tiefen, inneren Zufriedenheit, wie er sie zuvor nur selten gespürt hatte. Die Zeit mit Jamie hatte ihm eine völlig neue Wertigkeit im Leben vermittelt und ließ in die Frage, was wirklich wichtig war, mit ganz anderen Augen sehen.

Mit einem Lächeln wandte er sich wieder seinem Patenkind zu.

"Was hältst du davon, wenn wir ins Bett gehen?"

Jamie nickte ihm müde zu, bevor er ausgiebig gähnte.

Peter nahm ihn vorsichtig hoch und trug ihn ins Schlafzimmer. Dort hatte er ihm ein Reisebettchen aufgestellt, aber der Knirps hatte offensichtlich andere Pläne, wo er die Nacht verbringen wollte.

"Da", sagte er und zeigte auf Peters Bett.

"Du möchtest bei mir schlafen?"

"Ja. Da Heia."

Jamies Worte zauberten Peter ein Lächeln ins Gesicht. "Na dann."

Behutsam legte er den Kleinen auf sein Bett und deckte ihn liebevoll zu.

"Ich bin gleich wieder da."

Als er zehn Minuten später aus dem Bad kam, war Jamie schon im Land der Träume. Sein gleichmäßiger Atem erfüllte den Raum und der junge Cop betrachtete ihn für einige Augenblicke.

Dann krabbelte auch er vorsichtig unter die warme Decke und gab ihm einen sanften Kuss auf seine blonden Haare.

"Gute Nacht, mein Kleiner. Ich hab dich lieb."

Peter legte seinen Arm schützend um den kleinen Jungen. Wie damals in jener Nacht, als er Jamie vor dem Revier gefunden hatte und sie auf der Couch des Captains eingeschlafen waren.

Minuten später schlummerte auch der junge Cop seelenruhig.

So ein Tag als Ersatzdaddy konnte wirklich anstrengender sein, als ein Einsatz auf dem 101.

Ende


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