Der junge Mann spürte eine Hand auf seiner Schulter, eine sehr vertraute Hand. Wie durch Watte nahm er eine Stimme wahr, die leise an sein Ohr drang. „Peter, Peter. Ich glaube, es ist soweit.“ Die Hand ließ ihn nicht los und die Stimme rief immer wieder seinen Namen. Ihm entglitt ein leises Seufzen, mühsam öffnete er ein Auge und blinzelte in die Dunkelheit, die ihn umgab. Dann wurde es auf einmal hell. Fast wie von Geisterhand. Er kniff die Augen wieder zusammen und versuchte sich die Decke über den Kopf zu ziehen. War er wirklich wach oder war das alles nur ein Traum? „Peter, das Baby!“ Schlagartig war der dunkelhaarige Sozialarbeiter wach und in der Realität angekommen. Die Stimme und die Hand gehörten seiner zukünftigen Ehefrau Kendra, die ihm gerade zu verstehen gab, dass sie sich schleunigst auf den Weg ins Krankenhaus machen sollten, um einen neuen Erdenbürger willkommen zu heißen. Peter sprang aus dem Bett, während Kendra sich mühsam von der weichen Matratze erhob. Wenig später hatte der junge Mann sich eine Jeans und ein T-Shirt angezogen und half Kendra in ihren Morgenmantel. „Ganz ruhig, Schatz. Wir sind gleich in der Klinik.“ Diese musterte ihren zukünftigen Ehemann von oben bis unten. Dann musste sie lächeln. „Ich glaube, ich bin gerade ruhiger als du.“ Sie deutete auf seine nackten Füße. „Glaubst du nicht, dass du irgendetwas vergessen hast?“ Peter blickte an sich herunter. „Ich.. ja… Moment.“ Hastig schlüpfte er in seine Turnschuhe, die vor dem Kleiderschrank standen. Wo war nur die innere Shaolinruhe, wenn man sie brauchte? In diesem Moment war sie jedenfalls wie weggeblasen. „Ich geh schon mal in den Flur“, bemerkte Kendra und bewegte sich langsam Richtung Haustür. „Vergiss die Tasche nicht“, fügte sie noch mit einem Grinsen hinzu, bevor sie um die Ecke bog. Peter schüttelte den Kopf und fragte sich ein weiteres Mal, wer in dieser Beziehung eigentlich der Shaolinpriester war. Schon vor Wochen hatte er sich vorgenommen, in genau dieser Situation die Ruhe zu bewahren, an alles zu denken und Kendra zu unterstützen. Aber ehrlich gesagt fühlte er sich gerade so, als müsse er in den nächsten Stunden den Nachwuchs zur Welt bringen. Sein Kopf war einfach völlig leer. Dann fiel sein Blick auf den kleinen Teddybär, der auf seinem Nachttisch saß und ihn angrinste. Den hatte er von Jamie bekommen, als dieser ihn nach einem Überfall im Krankenhaus besucht hatte. Es war seltsam und unerklärlich, aber der Gedanke an sein Patenkind ließ ihn sofort innerlich ruhiger werden. Sofort durchströmte ihn ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Ein Gefühl von Familie. Im nächsten Moment hatte er sich das kleine Fellknäuel gegriffen und nur wenig später waren Kendra und er auf dem Weg ins Krankenhaus. ---------- Der grauhaarige Mann betrat das Wartezimmer im Krankenhaus und schon im nächsten Moment umspielte ein Lächeln seine Lippen, als sein Blick auf den jungen Mann fiel, der unruhig auf seinem Stuhl saß und wirkte, als würde er am liebsten im nächsten Moment aufspringen. Stattdessen fuhr er sich mit der Hand durch seine dunklen Haare und blickte aus dem Fenster. Auf seinem Schoß lag ein kleiner Teddybär. Seinen Pflegesohn so zu sehen, erinnerte Paul an die Zeit auf dem 101., als er noch sein Vorgesetzter gewesen war. Auch damals hatte es unzählige Situationen gegeben, in denen Peters unbändige Energie die Oberhand gewonnen hatte. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass er in einem solchen Fall auf seinem Stuhl sitzen geblieben wäre. Ja, Peter hatte sich verändert, aber trotzdem erfüllte es Paul mit einem freudigen Gefühl, dass der Hotshot Cop noch immer in dem Shaolinpriester schlummerte, denn auch wenn Peters Temperament ihn in einigen brenzlige Situationen gebracht hatte, war es auch genau dass, warum er seinen Ziehsohn immer geliebt hatte. Es war einfach typisch Peter. Paul hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da kam Peter auch schon auf ihn zu. „Paul, da bist du ja endlich.“ Die beiden Männer umarmtem sich zur Begrüßung. „Du bist ja gut“, sagte Paul mit einem Grinsen, “als du mich angerufen hast, bin ich sofort losgefahren. Natürlich nicht ohne mir vorher noch etwas Vernünftiges anzuziehen. Oder hättest du gewollt, dass ich hier im Pyjama antanze?“ Der junge Mann lächelte verlegen. „Du hast ja Recht. Es kommt mir nur so vor, als sei Kendra schon eine halbe Ewigkeit im Kreißsaal. Ich möchte de Geburt doch nicht verpassen. Sie haben gesagt, sie rufen mich, wenn alles vorbereitet ist.“ „Mach dir da mal keine Sorgen, mein Sohn. Die Geburt wird wahrscheinlich einige Stunden dauern. Sie werden dir schon rechtzeitig Bescheid geben.“ „Diese Warterei macht mich ganz verrückt. Ich habe schon alles versucht, Meditation. Atemübungen, aber nichts scheint zu helfen.“ Er blickte Paul fragend an. „Na ja, man wird ja auch nicht jeden Tag zum ersten Mal Vater… Ihr werdet das schon machen. Und wenn der kleine Mann erstmal da ist, habt ihr alle Aufregung and Nervosität vergessen.“ Er legte seinem Pflegesohn beruhigend die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. „Ich musste bei Carolyns Geburt fast 13 Stunden warten. Damals war es noch nicht üblich für den Vater dabei zu sein. Ich glaube, ich habe in dieser Nacht vor lauter Auf und Ab Laufen fünf Kilo abgenommen.“ Der ältere Mann lachte leise. Auch Peter lächelte. „Ist schon erstaunlich, was diese kleinen Wesen mit einem anstellen, auch wenn sie noch gar nicht auf der Welt sind.“ „Ja, das ist es wirklich. Und wie geht es Kendra?“ „Du hättest sie sehen sollen. Sie war die Ruhe selbst. Ich frage mich wirklich manchmal, wer von uns beiden die Shaolin-Ausbildung gemacht hat.“ „Mr. Caine?“ erklang auf einmal eine weibliche Stimme. Peter drehte sich um und erblickte eine Krankenschwester, die sich suchend im Wartezimmer umsah. „Ja, der bin ich.“ „Sie können jetzt mitkommen. Es ist alles vorbereitet.“ Peter schluckte. Jetzt war es also wirklich so weit. In den nächsten Stunden würde sein Sohn auf die Welt kommen. Noch einmal spürte er Pauls Hand auf seiner Schulter. „Ich wünsche euch alles Gute. Ich werde hier warten.“ „Danke… Ach und Paul?“ „Ja.“ „Kannst du meinen Vater abholen? Er hat doch immer noch kein Telefon.“ „Aber natürlich.“ „Danke.“ Dann verschwand Peter mit der Krankenschwester hinter der weißen Tür. Paul seufzte leise und ließ sich dann auf einen der Stühle sinken. Dann nahm er den kleinen Teddybär in die Hand, den Peter auf seinem Stuhl hatte liegen lassen und es schien, als würde dieser ihn anlächeln. Er wusste welche Bedeutung dieses kleine Fellknäuel für seinen Sohn hatte und er wusste auch sofort, wem er die freudige Nachricht als nächstes überbringen würde. ---------- In dem sterilen Raum herrschte Hektik. Die junge Frau lag auf dem Bett und fühlte sich einfach nur hilflos. Sie hatte Schmerzen. Schmerzen, die ihr ankündigten, dass ihr Baby nicht mehr länger warten wollte endlich das Licht der Welt zu erblicken. Aber auch Schmerzen von denen sie nicht wusste, wie sie diese in den nächsten Stunden durchstehen sollte. „Miss Waters, oder heißt es Mrs?“ Ein Arzt blickt sie über den Rand seiner Brille erwartungsvoll an. „Miss ist schon in Ordnung, ich bin nicht verheiratet“, antwortete Kendra und fragte sich warum er das genau jetzt wissen wollte. Es wäre ihr viel lieber gewesen, er hätte ihr etwas gegen die Schmerzen gegeben. „Dann ist der junge Mann, der mit ihnen gekommen ist, nicht ihr Gatte?“ „Nein, noch nicht“, presste sie hervor. „Aber er ist der Kindsvater?“ „Ja, der bin ich“, erklang die Antwort von der anderen Seite des Raumes. „Und jetzt möchte ich sie bitten sich mit irgendwelchen organisatorischen Fragen an mich zu wenden. Ich glaube, meine Frau hat gerade wirklich etwas Besseres zu tun.“ Peter lächelte den Arzt an und konnte sich mal wieder nur wundern, wie feinfühlig einige Weißkittelträger manchmal waren. Dieser schaute nur etwas verdutzt und während er etwas Unverständliches murmelte, verließ er den Kreißsaal. „Du hast mich mal wieder gerettet“, flüsterte Kendra. „Dem hätte ich…“ „… zu gerne mal deine Meinung gesagt?“ vollendete Peter den Satz. „Ja genau.“ „Sein Glück, dass du gerade nicht dazu in der Lage bist.“ Er gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. So gut es ging, knuffte Kendra ihren zukünftigen Ehemann in die Rippen. „Schatz, spar dir deine Kraft, die wirst du noch brauchen“, bemerkte dieser mit einem spitzbübischen Grinsen. Dann setzte er sich auf den Stuhl neben ihrem Bett. „Alles Gute von Paul, er wartet draußen.“ „Danke.“ Dann durchfuhr eine weitere Schmerzwelle Kendras Körper. Sie bemerkte gar nicht, dass Peter ihre Hand in die seine nahm und beruhigend auf sie einredete. ---------- Die junge Frau schreckte hoch. War es wirklich ihr Telefon gewesen, das soeben geklingelt hatte? Schon erklang das Geräusch ein weiteres Mal. Wer rief sie denn um diese Uhrzeit mitten in der Nacht an? Sie tastete nach dem Lichtschalter neben ihrem Bett und drückte ihn. Im nächsten Moment kniff sie die Augen zusammen. Blind suchte sie nach dem Telefon auf ihrem Nachttisch. „Hallo?“ „Hallo Mary.“ „Paul? Was in aller Welt ist denn passiert, dass du mich um...“ Sie blinzelte mit einem Auge und sah auf ihrem Wecker, “… um halb drei morgens anrufst?“ „Mama?“ erklang auf einmal eine andere Stimme aus dem Flur. Augenblicke später stand Jamie in der Tür mit zerzausten Haaren und seinem Teddy im Arm. „Schatz, was machst du denn hier?“ Mary hob ihre Decke hoch und schon war der kleine Knirps in ihr Bett geklettert und hatte sich an seine Mama gekuschelt. „Entschuldige Paul, aber das Telefon hat Jamie aufgeweckt. Also was ist los?“ „Ich bin im Krankenhaus“, erklang die prompte Antwort am anderen Ende der Leitung. So langsam dämmerte es Mary. „Willst du damit sagen...“ „Ja, genau das will ich. Es ist an der Zeit, dass wir jemanden hier bei uns begrüßen. Hier in unserer Familie.“ Mary stiegen sofort Tränen der Rührung in die Augen. Sie wusste, was es Peter bedeutete. Sie wusste, was er alles für ihren kleinen Jungen getan hatte und sie wusste, dass sich ein Kind keinen besseren Vater wünschen konnte. Jamie blickte sie fragend an. „Was ist los? Warum weinst du?“ „Es ist soweit, das Baby kommt.“ Sie strich Jamie über seinen blonden Schopf und gab ihm einen sanften Kuss. „Ohhhhhhh, das Baby kommt, das Baby kommt.“ Der kleine Mann war sofort hellwach und strahlte über das ganze Gesicht, „Mary?“ Pauls sonore Stimme erklang aus dem Telefonhörer. „Ja, ich bin noch da“, sagte sie mit brüchiger Stimme, während ihr eine weitere Freudenträne lautlos über die Wange kullerte. „Kannst du mir noch einen Gefallen tun und Annie abholen? Ich in erst einmal alleine ins Krankenhaus gefahren.“ „Ja, kein Problem, Paul. Wir kommen so schnell es geht. Bis gleich… Und danke für deinen Anruf.“ „Gern geschehen. Bis gleich. Ich mach mich jetzt auf den Weg Zu Caine.“ Mary legte den Hörer auf den Nachttisch. Für einen Moment war sie wie gelähmt. Hatte Paul wirklich gesagt in unserer Familie? Der jungen Frau wurde ganz warm ums Herz. Sie hatte vom ersten Moment an gewusst, dass er ein ganz besonderer Mann war. Ein besonderer Mann, genau wie sein Pflegesohn. Dann wandte sie sich Jamie zu. „Los schnell anziehen, wir fahren ins Krankenhaus.“ Der Blondschopf war einen Moment später schon aus dem Bett gesprungen und flitzte sofort in sein Zimmer. „Das Baby kommt, das Baby kommt“, rief er über den Flur. Mary lächelte und hielt diesen Moment der Freude für immer in ihrem Herzen fest. ---------- Angespannt saß die blonde Frau auf dem Sofa im halbdunklen Wohnzimmer. Es war mitten in der Nacht, aber sie war hellwach. Vor nicht mal einer Stunde hatten sie und ihr Mann einen Anruf erhalten. Einen Anruf der sie alle mit unendlicher Freude erfüllt hatte. Ihr Enkelsohn würde in den nächsten Stunden zur Welt kommen und ihr Leben für immer verändern. Annie lächelte und musste unweigerlich an den Tag denken, an dem Peter als Teenager zu ihnen gekommen war. Er hatte drei Jahren im Waisenhaus gelebt und zuvor hatte er seinen leiblichen Vater und sein Zuhause, einen Shaolintempel, verloren. Es hatte sie alle unendlich viel Kraft gekostet Vertrauen aufzubauen, aber sie hatten niemals den Glauben daran verloren, irgendwann eine Familie zu werden. Und jetzt? Jetzt sollte der verschreckte Teenager von damals selbst Vater werden. Schon in den letzten Jahren hatte er sich aufopfernd um sein Patenkind Jamie gekümmert, den er vor fast vier Jahren auf den Stufen vor dem 101. gefunden hatte und der ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. Annie wusste, dass Peter auf diese Weise das zurückgegeben hatte, was sie und vor allem Paul, ihm entgegengebracht hatten, Vertrauen, eine Familie und bedingungslose Liebe. Es machte sie unendlich stolz, was aus Peter geworden war, auch wenn er in seinem Leben viele schmerzhafte Erfahrungen hatte machen müssen, so hatte er niemals aufgegeben. Besonders in den vergangenen Jahren, in denen Paul untergetaucht war, hatte er in keiner Minute die Hoffnung verloren, dass er zurückkommen würde. Annie wusste wie schwer es dem jungen Mann in einigen Momenten gefallen war ihr Mut zuzusprechen. Selbst wenn er sich gerne selbst seiner Trauer und Wut hingegeben hätte, hatte er seine Tränen runtergeschluckt und ihr Kraft gegeben. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein. Sie musste unweigerlich lächeln, als sie an den Moment dachte, in dem Paul auf einmal vor ihrer Tür gestanden hatte. Das war nur wenige Monate her. Und es war einer der glücklichsten Tage ihres Lebens gewesen. Und heute würde wohl ein weiterer ganz besonderer Tag dazukommen. Sie hörte wie ein Auto in die Einfahrt fuhr. Türen wurden geöffnet und wieder geschlossen und gleich darauf erklang die Türglocke. Als sie sich der Tür näherte, hörte sie schon Jamies aufgeregte Stimme und sein unverkennbares glockenhelles Lachen. Ja, auch sie hatte den kleinen Mann sofort in ihr Herz geschlossen und bald würde noch ein weiteres kleines Wesen den Weg dorthin finden. ---------- Endlich war es in dem sterilen Raum ruhiger geworden Das Stimmengewirr war verstummt. Ein Gewirr aus medizinischen Fachbegriffen, von dem die junge Frau so gut wie kein Wort verstanden hatte. Dann spürte sie eine sehr vertraute Hand in der ihren und sie wusste, woher sie die Kraft nehmen würde die nächsten Stunden durchzustehen. Als sie den Kopf ein wenig zur Seite drehte, sah sie direkt in zwei haselnussbraune Augen, die sie voller Liebe und Wärme anblickten. Sie gehörten dem Mann, den sie mehr liebte, als alles andere. ---------- Die dunkle Limousine fuhr langsam und blieb dann an dem alten Backsteingebäude stehen. Wenig später stieg Paul die Stufen zu Caines Wohnung empor. Die Tür war wie immer offen und es roch nach allerlei Kräutern und Gewürzen. Auch jetzt mitten in der Nacht brannten unzählige Kerzen und er wusste von Peter, dass der Shaolinpriester eigentlich nie schlief. „Caine?“ rief er dennoch mit gedämpfter Stimme. „Sind sie da?“ Nur wenige Augenblicke später tauchte der Shambhalameister im Türrahmen auf. „Hallo Paul“, sagte er mit einem Lächeln. Er schien wenig überrascht über die ungewöhnliche Uhrzeit, zu der Paul ihn aufsuchte. „Was kann ich für sie tun?“ „Wie soll ich es sagen?“ Paul grinste leicht. „Wir werden Opa.“ Sofort begann Caines Gesicht zu strahlen. „Dann wollen wir unseren Enkelsohn nicht länger warten lassen… Wie geht es Peter und Kendra?“ „Peter ist ein einziges Nervenbündel. Er hat gesagt, dass ihm keine Entspannungs- oder Atemübung geholfen hat. Kendra hingegen ist die Ruhe selbst.“ „Ich werde dennoch einige Kräuter und Tinkturen einpacken, die ihre helfen werden.“ Sofort begab sich der Priester zu einem seiner Regale und füllte seine Ledertasche mit allerlei Dingen, die Paul nur Rätsel aufgaben. „Und was ist mit Peter? Glauben sie nicht, er könnte auch ein paar beruhigende Mixturen gebrauchen?“ „Peter wird seine innere Ruhe schnell wiederfinden. Wahrscheinlich hat er das schon längst getan.“ Paul fragte nicht weiter. Er wusste, dass die Shaolin zu einigen Dingen fähig waren, die sich dem menschlichen Verstand entzogen. „In der Beziehung kennen sie ihn wahrscheinlich wirklich besser“, bemerkte Paul. „Aber jetzt lassen sie uns gehen. Annie, Mary und Jamie sind auch schon auf dem Weg ins Krankenhaus.“ Nur wenige Minuten später setzte sich die dunkle Limousine wieder in Bewegung. ---------- Die junge Frau spürte den kleinen, warmen Körper, der sich an sie schmiegte. Sie fühlte den regelmäßigen Herzschlag und die ruhige Atmung. Vorsichtig streichelte sie das kleine Wesen, das sie so sehr mit Glück erfüllte. Es war einfach nicht in Worte zu fassen, was sie gerade empfand. Die Schmerzen, die sie in den letzten Stunden durchgemacht hatte waren vergessen, ebenso die Strapazen der Schwangerschaft. Da war einfach nur noch pure Freude. Es war als sei ein kleiner Engel vom Himmel gefallen. Lautlos rollte ihr eine Träne über die Wange. Und als sie hochblickte sah sie, dass auch Peters Augen glitzerten. Dieser Moment gehörte nur ihnen. Ihnen ganz alleine. Dann hob der neue Erdenbürger langsam den Kopf und sah sie an. Es bestand kein Zweifel, seine Augen waren genau so haselnussbraun wie die seines Vaters. Behutsam strich sie ihm über das kleine Köpfchen, auf dem schon einige feine, dunkle Haare gewachsen waren. Sie lächelte. „Ich glaube, er kommt nach dir.“ Peter lachte leise. „Na, dann wirst du in den nächsten Jahren keine Langeweile haben.“ „Ich bin so glücklich“, fügte sie hinzu. „Ich auch… Ich liebe Dich.“ Der junge Mann beugte sich nach vorne und gab ihr einen sanften Kuss. Dann betrachtete er seinen Sohn, der immer noch friedlich unter seiner kuscheligen Decke lag. „Und dich liebe ich auch. Willkommen in unserer Familie Samuel Matthew Caine.“ Peter küsste ihn sanft auf die Stirn. Dieser Anblick ließ Kendras Augen erneut feucht werden. Sie hatte Peter oft mit seinem Patenkind Jamie gesehen, aber ihn jetzt mit seinem eigenen Sohn zu sehen, war etwas ganz besonderes. „Hier, mein Schatz“, erklang Peters Stimme, als er ihr ein Taschentuch reichte. „Danke.“ Der kleine Sam hob erneut den Kopf und blickte zu seinem Vater. Ganz langsam befreite er seine kleine Hand und streckte sie in Peters Richtung. „Ich glaube, da möchte jemand auf deinen Arm“, sagte Kendra lächelnd. Peters Augen strahlten, als er aufstand und das kleine, menschliche Wesen ganz behutsam hoch hob. ---------- Im Wartezimmer herrschte eine Mischung aus Anspannung und freudiger Erwartung. Mittlerweile hatten sich neben Paul, Annie, Mary, Jamie und Caine auch Lo Si und Kermit eingefunden. Als sich wenig später die Tür öffnete, richteten sich sechs Augenpaare auf den Arzt, der den Raum betrat. „Gratuliere, der Junge ist kerngesund und auch die Mutter hat alles gut überstanden. Wenn es so bleibt, können die Beiden morgen schon nach Hause.“ Die Anspannung wich Erleichterung. Und wenig später fielen sich alle lachend in die Arme. Paul war der erste, der seine Stimme wiederfand. „Vielen Dank. Das ist wirklich großartig.“ „Solche Nachrichten überbringe ich doch gerne. Wenn sie noch ein wenig Geduld haben, können sie den neuen Erdenbürger auch bald willkommen heißen.“ „Wir werden hier warten“, antwortete Paul. Dann verabschiedete sich der Arzt. „Ich hab Hunger“, stellte Jamie entschlossen fest. „Was hältst du davon, wenn wir uns auf den Weg in die Cafeteria machen und schauen, was es da für richtige Männer zum Frühstück gibt?“ Kermit hatte die Frage noch nicht zu Ende formuliert, da war das Energiebündel auch schon auf dem Weg zur Tür. „Danke Kermit“, sagte Mary mit einem Lächeln. „Kein Problem.“ Dann wandte er sich wieder Jamie zu. „Auf geht’s, Sportsfreund.“ ---------- Die kleinen Fingerchen bewegten sich und wenig später umklammerten sie Peters Daumen. Dieser konnte kaum glauben, wie klein die Hände von Sam waren. Winzig im Vergleich zu seinen eigenen. Aber dennoch hatten sie schon jetzt einen festen und bestimmten Griff. Gedankenverloren betrachtete er seinen Sohn, der mit geschlossenen Augen in seinem Schoß lag und sich dort sichtlich wohlzufühlen schien. Peter spürte die Wärme, die von dem kleinen Wesen ausging und er erinnerte sich an jene Nacht vor fast vier Jahren, in der er schon einmal einen kleinen, hilflosen Säugling auf dem Schoß gehabt hatte, sein Patenkind Jamie. „Ich bin mir sicher Jamie wird sich freuen, dich endlich kennenzulernen“, flüsterte er. „Er konnte es kaum erwarten.“ Der kleine Sam schmatze leise und kuschelte sich noch enger an Peters Körper. „Da draußen warten sogar eine ganze Menge Leute auf dich, mein Sohn.“ Mein Sohn. Der junge Mann konnte kaum beschreiben wie es sich anfühlte diese beiden Worte zu sagen. Es waren weitaus mehr als nur zwei Worte, es war ein unfassbares Glücksgefühl zu wissen, dass der Zwerg auf seinem Schoß wirklich sein Sohn war. Als würde Sam wissen, was sein Vater gerade dachte, öffnete er die Augen und sah ihn an. Peters Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Es war das erste Mal, dass der Kleine ihn so ansah und sein Blick ging Peter durch und durch. „Ja, sieh dir nur ganz genau an mit wem du es ab jetzt zu tun haben wirst. Die nächsten Jahre wirst du schon mit mir auskommen müssen.“ Augenblicke später schlossen sich die kleinen Augen und die regelmäßigen Atemzüge verrieten Peter, dass Sam wieder eingeschlafen war. „Ruh dich nur aus, das waren ein paar anstrengende Stunden für dich und deine Mama.“ Dann wanderte Peters Blick zu Kendra, die friedlich schlummernd in ihrem Bett lag. Der junge Mann war sich sicher, dass er nicht fähig gewesen wäre die Stunden der Geburt durchzustehen. Dafür bewunderte er seine zukünftige Ehefrau zutiefst. „Du weißt gar nicht wie stolz ich auf dich bin… auf euch“, murmelte er in die Stille des Raumes. Für die nächsten Minuten blieb er einfach stumm sitzen und genoss den Moment mit seiner Familie. Dann legte er den kleinen Sam wieder vorsichtig in sein Bettchen, das direkt neben Kendras stand. „Bis gleich, Ihr Beiden.“ Fast lautlos verließ er das Zimmer. ---------- „Na, da scheint ja jemand wirklich Hunger zu haben“, bemerkte Kermit mit einem Grinsen, als er dabei zusah wie Jamie sich den dritten Pfannkuchen schmecken ließ. Er selber trank nur eine große Tasse Kaffee. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, aber irgendwie hatten ihn die letzten Stunden mehr mitgenommen, als er jemals zugeben würde. Sein bester Freund war Vater geworden. Sein bester Freund, der für ihn immer wie ein kleiner Bruder gewesen war. *Mensch Kleiner, ich glaube jetzt bist du endgültig erwachsen.* In Gedanken versunken, sah der Ex-Söldner aus dem Fenster. „Na, Ihr Beiden.“ Eine sehr vertraute Stimme holte ihn wieder in die Realität zurück. „Peeeteeer“. Jamie war sofort aufgesprungen und umarmte seinen Patenonkel stürmisch. „Ich hab dich so vermisst.“ „Jetzt bin ich ja wieder da.“ Mit diesen Worten strich er ihm sanft über seine blonden Haare, eine Geste, die bei den Beiden fast schon einem Ritual glich und ihnen ein Gefühl von Geborgenheit gab. Kermit hatte sich mittlerweile auch von seinem Stuhl erhoben und ging grinsend auf Peter zu. „Herzlichen Glückwunsch, Kumpel.“ Dann zog er den jungen Shaolinpriester in eine feste Umarmung. „Wie geht es den Beiden?“ „Alles bestens, sie ruhen sich gerade aus.“ „Kann ich dir irgendetwas Gutes tun?“ „Ja, ein Kaffee wäre ganz wunderbar.“ „Kommt sofort… Papa“, sagte Kermit mit einem Zwinkern. „Peter?“ „Ja, Jamie.“ „Wann kann ich das Baby sehen?“ Sein Patenkind sah ihn erwartungsvoll an. „Er schläft gerade, aber wenn ich meinen Kaffee getrunken habe, können wir ja mal nachsehen, ob er wach ist.“ „Oh fein.“ Jamie grinste über das ganze Gesicht. „Du Peter.“ „Ja?“ „Und wann kann ich mit ihm Fußball spielen?“ Peter lachte leise. „Ich fürchte, das wird noch eine Weile dauern. Das musst du wohl erst einmal noch weiterhin mit mir Vorlieb nehmen.“ „Oder mit Kermit“, fügte der kleine Mann hinzu. „Oder mit Kermit“, bestätigte Peter. „Ihr redet über mich?“ Mit einem Lächeln stellte der Ex-Söldner einen Becher mit dampfendem Kaffee auf den Tisch. „Wohl bekomm's.“ „Danke…. Jamie wollte wissen, ab wann er mit Sam Fußball spielen kann und ich habe ihm erklärt, dass er dabei wohl erstmal noch auf uns zurückgreifen muss.“ „Du wirst sehen, der Kleine wird schneller groß, als du gucken kannst. Siehst du doch hier an deinem Patenkind.“ „Apropos Patenkind“, bemerkte Peter. „Ja?“ Kermit sah ihn leicht irritiert an. „Du verbringst doch gerne Zeit mit Jamie, oder?“ „Ja, sehr gerne sogar.“ Der Cop war sich noch nicht sicher, worauf sein Freund hinaus wollte. „Und auch, wenn du nach außen gerne den harten Kerl gibst, hast du doch einen ziemlich weichen Kern.“ Kermit grinste. „Ja, wenn ich will, kann ich ganz lieb sein.“ „Ich habe mit Kendra schon vor einiger Zeit darüber gesprochen.“ „Über meinen weichen Kern? Ich glaube so etwas kann man vor einer Frau wie Kendra nicht lange verbergen.“ „Scherzkeks“, sagte Peter grinsend. Dann wurde er ernst. „Nein, darüber, wer in Sams Leben die Rolle einnimmt, die ich in Jamies Leben übernommen habe.“ Schlagartig wurde Kermit klar, worauf sein Freund hinaus wollte. Er schluckte. „Kermit, möchtest du Sammys Patenonkel werden? Wir würden uns sehr freuen.“ „Ja“, antwortete dieser mit erstickter Stimme. Er als Patenonkel von Peters Sohn? Er, der Ex-Söldner. Auch Jamie war ganz still geworden und sah Kermit an. Es schien, als könne er gerade nicht wirklich zuordnen, ob der Cop glücklich oder traurig war. Doch dann verzog sich dessen Gesicht zu einem breiten Grinsen. Die beiden Männer umarmten sich ein weiteres Mal. „Ich werde immer für euren Knirps da sein. Das verspreche ich dir.“ „Darüber mache ich mir überhaupt keine Sorgen“, entgegnete Peter. Dann wandte er sich an Jamie. „Na was meinst du, sollen wir mal gucken, ob Sam wach ist? Er möchte bestimmt zu gerne seinen neuen Spielkameraden kennen lernen.“ „Au ja.“ Jetzt kannte der kleine Wirbelwind kein Halten mehr. „Ob er wohl sehr enttäuscht sein wird, dass Sam erstmal die meisten Zeit schlafen wird?“ Peter sah Kermit fragend an. „Ach, er ist doch ein cleveres Kerlchen, er wird das sicherlich verstehen.“ Dann atmete Kermit tief durch. „Und jetzt möchte ich aber bitte endlich mein Patenkind kennenlernen.“ „Zu Befehl, Herr Patenonkel“, entgegnete Peter mit einem Lächeln. Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Station, wo der kleine Sam wenig später von seiner ganzen Familie herzlich begrüßt wurde. Seiner ganz besonderen Familie. Ende
|
zurück zum Autoren Index zurück zum Story Index
|