Autor: Lost-Sheep
 

Gedankenverloren lauschte Peter den regelmäßigen Atemzügen, die leise an sein Ohr drangen. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Genauso musste sich das Glück anfühlen.

Fast lautlos erhob er sich von seinem Stuhl und näherte sich dem Kinderbettchen, das seit fast einer Woche nun nicht mehr verlassen in dem großen Schlafzimmer stand, sondern ein kleines Wesen beherbergte. Ein kleines Wesen, das Peters Leben von einer Sekunde auf die andere verändert hatte und das ihn mit einer tiefen Zufriedenheit und großem Stolz erfüllte.

Der kleine Sammy schlummerte seelenruhig unter seiner wärmenden Decke, direkt neben dem kleinen, grünen Kuscheldrachen, den Kermit seinem Patenkind beim letzten Besuch mitgebracht hatte und der von nun an auf ihn aufpassen sollte, wenn der Ex-Söldner mal gerade nicht zur Stelle war. Bei diesem Gedanken musste Peter grinsen. Seinen besten Freund hatte es ganz schön erwischt, der kleine Knirps wickelte ihn jetzt schon mühelos um den Finger.

Der junge Mann seufzte leise und beobachtete seinen Sohn eine ganze Weile. Dann beugte er sich vorsichtig herunter und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. "Ich liebe dich."

Als er sich wieder aufrichtete fiel sein Blick auf den Tisch, auf dem ein in Leder eingebundenes Buch lag. Dieses hatte er gestern von seinem Vater bekommen.

"Das ist für dich." Mit einem Lächeln übergab Caine seinem Sohn ein Buch. Aber es war nicht irgendein Buch.

Peter schlug es auf, aber er sah nur weiße Seiten. Er blickte zu seinem Vater.

"Du fragst dich, warum ich dir ein leeres Buch schenke?"

"Ja…" Peter zögerte kurz, bevor er weiter sprach. "Hat das irgendetwas mit einer Familientradition zu tun? Einer Familientradition, die es schon bei meinem Urgroßvater gab?" Der junge Mann lächelte.

"Das hast du sehr gut erkannt, mein Sohn."

"Danke Paps… Dad." Dann klappte er das Buch wieder zu und strich über das glatte Leder, das die noch unbeschriebenen Seiten schützte.

"Gern geschehen", gab der Priester mit einem Zwinkern zurück. "Und pass auf, dass dein Sohn sich das "Paps" nicht bei dir abguckt."

Peter lachte leise. Er wusste, dass Caine es nicht mochte, wenn er ihn so nannte, dennoch war er sich nie sicher, ob den Priester die kleinen Kabbeleien nicht in Wirklichkeit amüsierten.

Das immer lauter werdende Schreien seines Sohnes riss Peter aus seinen Gedanken.

Augenblicke später beugte er sich über das Bettchen. Sammy sah ihn mit großen Augen an und verstummte schlagartig.

"Daddy ist ja da."

Behutsam nahm Peter den Kleinen samt Decke hoch. Sofort legte dieser sein Köpfchen auf die starke Schulter seines Vaters, ganz so als würde er spüren, dass er sich an diesem Ort sicher fühlen konnte.

"Weißt du, ich habe gerade an deinen Großvater gedacht, an deinen Großvater Caine."

Mit diesen Worten ging Peter zum Tisch und berührte das kühle Leder des Buches mit den Fingerspitzen.

"Dieses Buch hat er mir gegeben." Er hob es hoch und zeigte es Sammy. "Und eines Tages wird es dir gehören, mein Sohn."

In diesem Moment hob der Knirps seinen Kopf und sah Peter an. Der junge Mann blickte direkt in die haselnussbraunen Augen, die seinen eigenen zum Verwechseln ähnlich waren und schon jetzt eine Wärme ausstrahlten, die jeden sofort in ihren Bann zog.

Auch Peter war fasziniert, es war fast als würde er in einen Spiegel schauen. Er war in der Vergangenheit oft darauf angesprochen worden, aber erst jetzt wurde ihm klar, was diese Augen ausstrahlten. Es war fast als könnte man Liebe und Vertrauen darin ablesen und das obwohl Sam gerade mal eine Woche alt war.

Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie Kendra reagiert hatte, als sie bemerkte, dass Sam dieses besondere Merkmal von seinem Vater geerbt hatte. Sie hatte tief durchgeatmet und sich dann gefragt, wie sie sich gegen zwei so treu guckende Augenpaare wehren sollte, die darüber hinaus noch den beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben gehörten. Dennoch hatte ihr Gesicht bei dieser Feststellung gestrahlt, denn sie wusste, dass nur ein Blick in diese ganz besonderen Augen genügte, um sich geborgen zu fühlen.

Fast unbemerkt hatte Sam seinen Kopf wieder auf Peters Schulter gelegt. Der junge Mann strich ihm sanft über die dunklen, weichen Haare, die sich wie Seide anfühlten und der Kleine kuschelte sich noch enger an seinen Vater.

Dieser spürte den kleinen Körper ganz nah an seinem, die stetigen Atemzüge, den kräftigen Herzschlag und die angenehme Wärme, die dieses winzige Geschöpf in sich trug.

Peter hatte das Gefühl, er könnte ewig genauso stehen bleiben und seinen erstgeborenen Sohn auf dem Arm halten, um ihn wissen zu lassen, dass er immer für ihn da war. Ihn wissen zu lassen, dass er niemals alleine sein würde.

Er selbst kannte dieses Gefühl nur allzu gut. Er wusste, wie es schmerzte und wie es drohte einem den Verstand und den Glaube an das Gute auf dieser Welt zu rauben. Aber er wusste auch, dass er ohne diese Erfahrungen nicht der Mensch geworden wäre, der er heute war. Es hatte lange gedauert bis er zu dieser Erkenntnis gekommen war, denn zuerst waren da nur Trauer und Wut gewesen und die Frage, ob sein Leben jemals wieder einen Sinn haben könne.

Auch heute erinnerte er sich noch genau an den Tag, an dem er erfahren hatte, dass sein Vater beim Tempelbrand umgekommen war, an die lieblosen Jahre im Waisenhaus und an den Tag, an dem ihn auch sein Ziehvater Paul verlassen hatte.

Aber es hatte auch so viele wunderschöne Tage und Zeiten gegeben vor der Zerstörung des Tempels, im Hause Blaisdell, als er Kendra kennen gelernt hatte, als erst sein Vater und dann auch noch sein Pflegevater zurückgekehrt waren. An dem Tag, als er Jamie und Mary getroffen hatte und bei der Geburt des kleinen Wesens, dass gerade auf seinem Arm eingeschlafen war.

Peter atmete tief durch und ihm wurde klar, dass es vielleicht wirklich an der Zeit war seine Erfahrungen auf Papier festzuhalten. Nicht nur, um Sam später die Möglichkeit zu geben es nachzulesen, sondern auch für sich ganz persönlich.

Denn wie lange hatte er an schlechten Erfahrungen festgehalten und darüber all die schönen Momente vergessen? Wie lange hatte der Zorn ihn beherrscht und nicht nur ihm, sondern auch seinen Mitmenschen das Leben schwer gemacht?

Der junge Mann seufzte leise und wusste, dass dies alles ein Teil seines Lebens war, ein Teil von ihm, ein Teil von Peter Caine.

Das Kribbeln in seinem Arm brachte ihn wieder in das Hier und Jetzt zurück. Es fühlte sich an, als sei ein ganzer Ameisenstaat darin unterwegs.

Er wandte sich seinem schlafenden Sohn zu.

"So, mein Schatz, Daddy bringt dich jetzt wieder in dein Bettchen."

Mit diesen Worten legte er ihn vorsichtig zurück auf die weiche Matratze und deckte ihn zu.

"Schlaf gut und süße Träume."

Dann versuchte er das taube Gefühl in seinem Arm los zu werden, was ihm dank einiger Entspannungsübungen auch gelang.

Wenig später setzte er sich an den Schreibtisch und schlug das Buch auf.

Die Stille des Raumes wurde nur von den regelmäßigen Atemzügen des kleinen Sam durchbrochen.

Peter nahm einen Stift in die Hand, setzte dessen Spitze auf das Papier der ersten Seite und fing an zu schreiben.

"Liebes Tagebuch,…"

Und so wurde diese ganz besondere Tradition der Familie Caine fortgesetzt, genauso wie Peters Urgroßvater sie bereits vor vielen Jahren begonnen hatte.

Ende

 

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