Autor: Lost-Sheep
 

Palm Beach

Nachdenklich stieg Kendra aus ihrem Wagen. Immer wieder ging ihr das eine Bild durch den Kopf. Das Bild, als Peter hinter der Milchglaswand im Flughafen verschwunden war. Verschwunden für immer?

Wenig später betrat sie ihr Haus. Langsam ging sie durch alle Räume. Fast so, als habe sie die Hoffnung Peter in einem von ihnen zu finden. Aber es herrschte absolute Stille. Und eine Leere, die sie vorher nie hier gespürt hatte. Sie hatte lange alleine hier gelebt, aber diese Leere war völlig neu für sie. Wie hatte es ein einziger Mensch geschafft, dieses Haus mit so viel Leben zu füllen und jetzt so leer zurück zulassen?

Die junge Frau trat auf die Terrasse. Ihr Blick schweifte über den Strand und das Meer. Sie hatte diesen Ort immer sehr geliebt. Das Meer hatte ihr immer ein Gefühl von Freiheit gegeben. Und jetzt? Jetzt ließ es eine Sehsucht in ihr aufsteigen. Eine Sehnsucht nach dem Mann, den sie an diesem magischen Platz zum ersten Mal gesehen hatte. Ein leichtes Lächeln zog sich über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie er meditierend im Sand gesessen hatte.

Kendra seufzte leise und ging ins Schlafzimmer. Hier hatte er heute Morgen noch neben ihr gelegen, hier hatten sie stundenlang geredet und hier hatten sie sich leidenschaftlich geliebt.

Dann fiel ihr Blick auf ein weißes Stück Stoff, das unter dem Bett hervorguckte. Sie hob es auf. Es war ein T-Shirt von Peter. Die junge Frau vergrub ihre Nase in dem weichen Stoff und atmete tief ein. Es roch nach seinem After Shave. Ein Geruch, den sie glaubte niemals mehr in ihrem Leben zu vergessen.

Sloanville

Gedankenverloren stieg Peter in seinen Stealth. Es war bereits dunkel und einzelne Regentropfen fielen aus dicken Wolken, die unbeweglich über der Stadt hingen. Als der junge Cop den Motor startete, ging das Radio an. "I will always love you" dröhnte ihm aus den Lautsprechern entgegen. Mit genervtem Blick drehte er den Knopf auf lautlos. Eine Liebes-Ballade war nun wirklich das Allerletzte, was er jetzt hören wollte.

Er wollte einfach nur nach Hause und niemanden mehr sehen. Immer wieder sah er Kendra vor sich. Wie sie am Flughafen gestanden hatte. Wie ihr die Tränen über das Gesicht gelaufen waren. Und das alles war seine Schuld. Er hatte sie dort zurück und mit ihrem Schmerz alleine gelassen.

Dass sein eigener Schmerz ihn fast wahnsinnig machte, interessierte ihn in diesem Augenblick nicht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt sich Vorwürfe wegen Kendra zu machen.

Nur weil er nicht bereit gewesen war sein Leben hier aufzugeben. Konnte er eigentlich einmal in seinem Leben eine richtige Entscheidung treffen? Sofort kamen ihm die Worte seines Vaters in den Sinn. Die Worte über seine Bestimmung. Vielleicht wäre es ja seine Bestimmung gewesen alle seine Zelte in Sloanville abzubrechen und nach Palm Beach zu ziehen?

Vielleicht?

Was wäre wenn?

Peters Gedanken drohten sich im Kreis zu drehen.

Aber er hatte sich nun mal entschieden hierhin zurückzukehren. Denn hier gab es auch eine ganze Menge Menschen, die ihn liebten und denen er ebenfalls sehr wehgetan hätte, wäre er Hals über Kopf nach Palm Beach gezogen.

Aber gab es hier auch eine Frau, die sein Herz so sehr berühren konnte wie Kendra?

Noch lange saß Peter in seinem Auto, bevor er die Treppen zu seinem Appartement hochstieg.

Nachdem er eine Dusche genommen hatte, versuchte er es mir einer Meditation. Er hoffte sich so wenigstens für eine Weile aus dem Karussell seiner Gedanken befreien zu können.

Zwanzig Minuten später verließ er seine Wohnung und machte sich auf den Weg zu seinem Vater. Er wusste, dass sich in seinem Leben etwas ändern musste. Wenn es schon nicht dir Frau fürs Leben sein konnte, dann gab es noch einen anderen Weg.

---------------------------------------------------------------------------------------------------

Vierzehn Monate später

Zögerlich betrat die junge Frau das Gebäude. Sie blickte sich um und sah einen dunkelhaarigen Mann, der sogar hier eine Sonnebrille trug. *Kermit*, schoss es ihr durch den Kopf. Das konnte nur Kermit sein. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging mit verhaltenen Schritten auf ihn zu.

"Kann ich ihnen helfen?" erklang auf einmal eine Stimme.

Sie blickte nach rechts und sah einen groß gewachsenen Mann, der eine Uniform trug.

"Ähm… ja.. Ich möchte gerne zu Detective Caine."

Kaum waren die Worte über ihre Lippen, kam der Cop, von dem sie vermutete, dass es Kermit war, geradewegs auf sie zugeschossen.

"Caine? Detective Peter Caine?"

"Ja, genau", antwortete sie leise. In ihr machte sich eine unglaubliche Erleichterung breit. Zumindest wusste man hier, von wem sie sprach.

"Er arbeitet nicht mehr hier… Tut mir leid."

"Er ist nicht mehr hier? Aber wo ist er denn? Ist er versetzt worden?" Sie sah die beiden Männer hilfesuchend an. Die Erleichterung wich Verzweiflung.

"Darüber kann ich ihnen leider keine Auskunft geben", antwortete der Sonnenbebrillte.

"Aber ich muss ihn finden… Ich muss einfach wissen, wo er ist." Langsam stiegen Tränen in ihre Augen. Sollte alles umsonst gewesen sein?

"Jetzt beruhigen sie sich erst einmal…Am besten gehen wir in mein Büro. Da können wir ungestört reden."

Dort angekommen ließ sich die junge Frau auf einen Stuhl sinken.

"Mein Name ist übrigens Griffin. Kermit Griffin." Der Cop streckte ihr die Hand entgegen.

"Waters. Kendra Waters." Sie drückte seine Hand und blickte dann wieder auf den Boden. Es war wirklich unangenehm, wie sie sich hier gerade aufgeführt hatte und sie wollte gar nicht wissen, was die Leute auf dem Revier jetzt von ihr dachten.

"Möchten sie etwas trinken?"

"Ja, gerne. Danke."

Augenblicke später stellte Kermit ihr ein Glas Wasser vor die Nase.

"So und jetzt noch einmal schön von vorne. Woher kennen sie Peter Caine?"

"Ich habe ihn vor einem Jahr in Palm Beach kennen gelernt."

Kermit wurde schlagartig klar, wer da gerade vor ihm saß. Das musste die Frau sein. Die Frau, die seinem besten Freund seit einem Jahr nicht mehr aus dem Kopf gegangen war.

"Und ich muss ihn unbedingt wieder sehen. Ich muss ihm etwas Wichtiges sagen… Lebt er denn noch in dieser Stadt?"

Kermit nahm seine Brille ab.

"Ja, er lebt noch hier."

Seine Worte zauberten Kendra ein Lächeln ins Gesicht. Nein, eigentlich war es mehr als das, es war fast schon ein glückseliges Strahlen.

"Alleine?" Die junge Frau konnte einfach nicht anders.

Kermit lächelte milde.

"Das soll er ihnen alles selber erzählen… Gehen sie einfach nach Chinatown und fragen sie nach Caine. Da wird man wissen, wo sie ihn finden können."

"Danke Detective Griffin… Danke… ich weiß gar nicht wie ich das jemals wieder gut machen kann."

Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Aber sie war sich nicht sicher, ob der Cop das genau so witzig gefunden hätte wie sie. Also beließ sie es bei einem herzlichen Händedruck und machte sich auf den Weg nach Chinatown.

Mit geschlossenen Augen saß der junge Mann auf der Dachterrasse. Es schien, als sei er eins mit sich und der Welt. Dass diese Welt aber in wenigen Augenblicken gehörig durcheinander gewirbelt werden würde, ahnte er in diesem Moment nicht. Noch nicht. Er atmete ruhig ein und aus.

"Peter?"

Konnte denn das sein?

"Peter?"

Nein, das konnte doch nicht wahr sein. Der junge Mann überlegte, ob er wohl während seiner Meditation eingeschlafen war und gerade träumte.

"Peter?" Diesmal wurde die Stimme schon lauter.

Irgendetwas in ihm sträubte sich, jetzt die Augen zu öffnen. Denn er war sich sicher, dass die Stimme, die da gerade seinen Namen rief, in diesem Moment wieder verschwand. So wie immer in den letzten Monaten

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Ein Lächeln zog sich über seine Lippen. Wie lange hatte er sich nach dieser Berührung gesehnt.

"Peter, wach auf."

Er überlegte, ob er es vielleicht doch mal wagen sollte vorsichtig ein Auge zu öffnen. Aber was, wenn dann alles wieder mal nur eine Illusion gewesen war?

Dann spürte er zwei weiche Lippen auf seiner Wange. Zwei sehr vertraute Lippen. Zwei Lippen, die ihm seit über zwölf Monaten nicht mehr aus dem Kopf gegangen waren.

Konnte das noch ein Traum sein?

Er atmete tief ein. Es roch nach… nach… nach Kendra. In diesem Augenblick schlug er seine Augen auf und blickte in das Gesicht, nach dem er sich so lange gesehnt hatte.

Die junge Frau lächelte.

"Aber wie… warum…" Er war nicht fähig einen sinnvollen Satz zustanden zu bringen. Er war einfach überwältigt.

Um ganz sicher zu gehen, rieb er sich die Augen. Aber Kendra war immer noch da. Er war wirklich kein Traum. Es war Realität. Sie stand hier auf seiner Dachterrasse. Es kam Peter vor, als sei sie noch tausendmal schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre blauen Augen strahlten ihn an.

Augenblicke später sprang er auf und zog die blonde Frau in eine stürmische Umarmung. Es schien, als wolle er sie niemals mehr loslassen.

"Hey langsam, junger Mann", sagte Kendra lachend.

Er löste die Umarmung ein wenig und blickte ihr direkt in die Augen.

"Es ist so schön dich zu sehen."

In der jungen Frau machte sich eine unbändige Freude breit. Er hatte sie also wirklich auch vermisst. Es war alles nicht umsonst gewesen.

"Aber wie kommst du denn hierher?"

"Mit dem Flugzeug."

Peter verdrehte die Augen und grinste über das ganze Gesicht.

"Ach, da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen."

"Deswegen erzähl ich es dir ja", antwortete sie kichernd.

Dann sah sie ihn an. Sie musste jetzt einfach loswerden, was sie ihm schon so lange hatte sagen wollen.

"Das letzte Jahr war einfach schrecklich… Und mir wurde klar, dass ich daran etwas ändern muss. Ich habe immer versucht mir einzureden, dass das mit uns Beiden einfach nicht mehr als ein Urlaubsflirt war. Dass es zwei traumhafte Wochen waren. Aber dass danach jeder wieder in sein Leben zurückkehren würde… Dass du mein Herz gestohlen hast, wollte ich mir lange nicht eingestehen. Ich habe mich mit anderen Männern getroffen, habe mich in die Arbeit gestürzt. Aber irgendwann wusste ich, dass ich dich wieder sehen muss. Dass sich unsere Liebe einfach nicht leugnen lässt. Dass es mehr als ein Urlaubsflirt war." Fast lautlos fügte sie hinzu. "Dass du die Liebe meines Lebens bist."

So jetzt war es raus. Peter blickte sie wie gebannt an.

Was hatte dies zu beuteten? Dass er sich über ihren Besuch freute, hieß ja noch lange nicht, dass er sie immer noch liebte. Schließlich hatte er sich im vergangenen Jahr nicht einmal bei ihr gemeldet. Seine Worte am Flughafen waren die letzten gewesen, die sie von ihm gehört hatte. Aber auch sie hatte ihn nicht angerufen. Wie oft hatte sie den Hörer in der Hand gehabt, nur um ihn Augenblicke später wieder einzuhängen, ohne überhaupt seine Nummer gewählt zu haben.

Der junge Mann wusste einmal mehr nicht, was er sagen sollte. Soeben hatte sie genau das ausgesprochen, was ihn in den vergangenen Monaten auch gequält hatte. Auch er hatte sich in die Arbeit gestürzt, nachdem er mit seinem Vater aus dem Shaolin-Tempel zurückgekehrt war ohne die Brandmale anzunehmen. Er hatte eine Beziehung mit einer Kollegin angefangen. Mit Jordan Maguire. Aber dort hatte er niemals die Liebe gefunden, die er gesucht hatte. Körperlich vielleicht, aber Jordan hatte niemals das Verständnis für ihn gehabt, dass er eigentlich gebraucht hätte. Dann kurz nachdem er dem Polizeidienst den Rücken gekehrt hatte, hatte sie ihn verlassen. Sie war an die Westküste gegangen. Und ehrlich gesagt war er nicht wirklich traurig darüber gewesen. Denn tief in seinem Herzen liebte er nur eine Frau und die stand gerade vor ihm und sah ihn erwartungsvoll an.

Wie gerne hätte er ihr das alles sofort gesagt, aber irgendwie glaubte er nicht die richtigen Worte finden zu können. Also zog er sie ganz nah an seinen Körper und presste seine Lippen auf die ihren.

Minutenlang verweilten sie in einem leidenschaftlichen Kuss, der sie alles um sie herum vergessen ließ. Dann lösten sie sich voneinander und blickten sich atemlos an.

"Ich glaube das genügt mir als Antwort", sagte Kendra überglücklich. "Das Küssen hast du jedenfalls nicht verlernt."

Peter strahlte über das ganze Gesicht

"Was hältst du von einem Kaffee? Ich glaube, wir haben eine Menge zu bereden?"

"Gute Idee."

Gemeinsam gingen sie in die Küche und setzten sich wenig später auf die Dachterrasse.

Bis in die Nacht hinein blieben sie dort sitzen, immer wieder tauschten sie kleine Zärtlichkeiten und Berührungen aus und auch Peter fand endlich die richtigen Worte, um seine Gefühle zu beschreiben. Es schien, als sei direkt wieder dieses Vertrauen da. Dieses Vertrauen, das die Beiden schon seit ihrem ersten Date am Strand von Palm Beach verbunden hatte. Immer wieder blickten sie sich an, fast so, als könnten sie immer noch nicht fassen, dem anderen wieder so nah zu sein. Als könnten sie nicht fassen, dass die Sehnsucht, die sie seit Monaten gequält hatte, endlich der Vergangenheit angehörte.

Sie verloren kein Wort darüber, warum der eine sich beim anderen nicht gemeldet hatte. Warum sie ein Jahr keinen Kontakt gehabt hatten. Es fiel kein einziges vorwurfsvolles Wort, kein Wort der Schuldzuweisung.

Es schien, als hätten beide akzeptiert, dass dieses Jahr Trennung wohl wirklich notwendig gewesen war. Notwendig, um sich darüber klar zu werden, wem ihr Herz wirklich gehörte. Mit wem sie ihr Leben verbringen wollten. Auch wenn es für Peter und Kendra eine schmerzvolle Zeit gewesen war, hatten sie Beide auch eine Menge daraus gelernt. Und dass sie jetzt wieder zusammen waren, ließ sie all das vergessen.

Weit nach Mitternacht machten sie sich auf den Weg ins Bett. Eng aneinander gekuschelt lagen sie unter den Laken und genossen die Nähe des anderen. Schon bald hörte Peter Kendras gleichmäßigen Atem.

Der Mondschein fiel auf ihr Gesicht und Peter konnte seinen Blick kaum von ihrem Antlitz abwenden. Er spürte ihre weiche, warme Haut an seinem Körper. Sie war wirklich hier. Hier bei ihm. Hier in Sloanville.

Sie hatte ihr Leben in Palm Beach aufgegeben, um hier bei ihm zu sein. Wie sollte er das jemals wieder gut machen? Wie?

Ihr Laden und ihr Haus würden in den nächsten Tagen verkauft werden. Der Laden und das Haus, die schon ihrer Mutter gehört hatten und mit denen sie eine Menge Erinnerungen verband. Sie hatte gesagt, dass sie alle wichtigen Erinnerungen in ihrem Herzen trug und es an der Zeit war, das Kapitel Palm Beach zu schließen.

Die junge Frau hatte sich sogar vorab schon einmal unverbindlich informiert. Für ein Haus direkt am Strand gab es viele Interessenten und den Laden würde wahrscheinlich ihre Freundin Sally übernehmen, die Peter im letzten Jahr auch kennen gelernt hatte. Nur durch ihre Hilfe war es ihm und Kendra überhaupt möglich gewesen so viel Zeit miteinander zu verbringen.
Kendra musste morgen früh nur noch den Makler anrufen und ihr kleines Haus würde in wenigen Tagen einen neuen Besitzer haben.

Woher nahm sie die Stärke, das alles hinter sich zu lassen?

Ja natürlich, auch er hatte sich vor nicht allzu langer Zeit von seinem Beruf als Polizist getrennt. Aber er lebte nach wie vor noch in der gleichen Stadt. Er konnte seine Kollegen und Freunde sehen, wann immer er wollte. Sie waren nicht tausende von Meilen entfernt.

Der junge Mann spürte, wie sich langsam Erwartungen in ihm aufbauten. Erwartungen bei denen er sich ganz und gar nicht sicher war, ob er sie erfüllen könne. Was wenn Kendra hier nicht glücklich werden würde? Wenn das Leben hier nicht ihren Ansprüchen genügte? Und was war mit ihm? Konnte seine Liebe zu ihr auch im Alltag bestehen?

Mit einem Seufzen fiel Peter in einen unruhigen Schlaf.

-------------------------------------------------------------------------------------

"Frühstück ist fertig."

Schläfrig öffnete Peter seine Augen.

"Guten Morgen." Kendra kam lächelnd auf ihn zu und gab ihm einen sanften Kuss.

"Morgen", murmelte er.

Die junge Frau sah in kritisch an.

"Hast du was?"

So sehr er sie auch liebte. Manchmal wünschte er sich, sie würde ihm nicht immer gleich ansehen, dass ihn etwas beschäftigte.

Dann setzte Kendra sich abwartend auf die Bettkante und der junge Priester wusste, dass es jetzt keine Ausflüchte mehr gab.

"Ich habe gestern Nacht über etwas nachgedacht", begann er langsam.

"Und ich nehme mal an, das hat etwas mit mir zu tun?"

"Ja, hat es… Es ist nur...", stotterte Peter. Warum fielen ihm einfach nicht die passenden Worte ein? "Wie soll ich das jemals wieder gut machen?"

"Wie sollst du was wieder gut machen?"

"Na, dass du alles aufgegeben hast, um hier bei mir zu sein?"

Kendra blickte ihm tief in seine haselnussbraunen Augen. "Liebling, das war eine Entscheidung, die ich ganz alleine getroffen habe… Was nützt es mir, wenn ich in Palm Beach sitze, mein Herz aber hier bei dir in Sloanville ist?"

"Aber…" Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, legte sie ihm den Finger auf die Lippen.

"Es gibt kein aber. Du fragst dich jetzt sicher, ob du das auch für mich getan hättest? Ob du Sloanville verlassen hättest, um bei mir in Palm Beach zu sein. Habe ich Recht?"

"Ja."

"Ob ich hier neue Freunde finden werde und einen Job? Ob unsere Beziehung hier genauso laufen wird wie letztes Jahr? Ob ich den Shaolinpriester genauso lieben werde wie den Cop?"

Woher wusste sie, was ihm alles durch den Kopf ging? Langsam wurde ihm klar, dass Kendra diese Entscheidung sicherlich nicht Hals über Kopf getroffen hatte. Sondern dass sie sich eine Menge Gedanken darüber gemacht hatte. Sie meinte es wirklich absolut ernst.

"Peter, ich kann dir keine Antworten auf all diese Fragen geben. Noch nicht. Aber ich weiß, dass ich mich all diesen Herausforderungen stellen werde, weil das Wichtigste in meinem Leben jetzt endlich bei mir ist."

Der Shaolinpriester merkte wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Die Tränen, die er im letzten Jahr immer zurückgehalten hatte, weil er stark hatte sein wollen. Stark für Kendra. Momentan fragte er sich jedoch ernsthaft, wer hier mehr Stärke besaß.

Er war gegen seine Gefühle einfach machtlos und überglücklich. Unaufhörlich liefen ihm die Tränen über die Wangen und bahnten sich lautlos ihren Weg in sein Kissen.

Im nächsten Moment fand er sich in Kendras Armen wieder. Mit sanften Bewegungen strich sie ihm beruhigend über den Rücken und war einfach nur da. All das, wonach er sich in einer Beziehung gesehnt hatte. All das konnte diese Frau ihm geben. In ihrer Gegenwart konnte er einfach nur Peter sein. Mit all seinen Ängsten und Schwächen. Und das fühlte sich einfach nur großartig an.

Nach einer Weile löste sie die Umarmung und umschloss sein Gesicht sanft mit beiden Händen.

"Versprich mir eins." Sie sah ihn eindringlich an. "Versprich mir, dass du mir immer alles erzählen wirst, was dich beschäftigt besonders, wenn es uns Beide betrifft. Ich weiß, dass du in der Vergangenheit oft alleine warst. Alleine mit deinen Dämonen und alleine mit all deinen Ängsten. Und ich weiß auch, dass es dir nicht immer leicht fällt deine Gefühle zu zeigen, weil du einfach zu oft enttäuscht worden bist. Aber ich wünsche mir aus tiefstem Herzen, dass du mir gegenüber immer aufrichtig sein wirst."

"Ich kann es dir nicht versprechen… Aber ich werde es versuchen", antwortete er mit tränenerstickter Stimme.

Vorsichtig wischte sie ihm die Tränen aus dem Gesicht und reichte ihm ein Taschentuch. Dann gab sie ihm einen zärtlichen Kuss.

"Sag mal, wann hast du eigentlich das letzte Mal im Bett gefrühstückt?"

Und schon war sie in der Küche verschwunden.

Der junge Shaolinpriester blickte ihr nach und ließ sich dann wieder in die weichen Kissen fallen. Womit hatte er einen solchen Engel verdient?

Vier Wochen später

Ganz leise drang Musik an Kendras Ohr. Sie lag im Bett und öffnete langsam ihre Augen. Peter war bereits am frühen morgen zu einem Patienten gegangen und sie hatte sich noch einmal in das gemütliche Bett gekuschelt.

Ihr Blick schweifte durch den Raum. An der Wand hing ein Foto aus dem letzten Sommer. Ein Foto von Peter und ihr. Das Bild war auf der Strandpromenade entstanden. Damals hätten sie wohl Beide nicht geglaubt, dass sie jetzt ein gutes Jahr später, gemeinsam in Sloanville leben würden. Heute wusste sie, dass auch der junge Priester schon damals mehr für sie empfunden hatte, als nur die vergängliche Liebe eines Urlaubsflirts. Von dem Foto hatte er sich nie trennen können. Er hatte es einfach nicht übers Herz bringen können. Kendra lächelte, denn ihr war es genauso ergangen. Irgendwann hatte sie das Bild zwischen dicken Büchern verschwinden lassen und gehofft es so eines Tages vergessen zu können.

Aber schon damals hatte sie Peter längst in ihrem Herzen getragen.

Sie hatte über ein Jahr gebraucht, um es sich endlich einzugestehen. Sich einzugestehen, dass dieser dunkelhaarige und äußerst attraktive Mann der einzige war, der sie wirklich glücklich machen konnte. Wie viele Nächte hatte sie wach gelegen und darüber nachgedacht, was sie tun könnte, um ihn endlich wieder zu sehen. Aber dann waren die Zweifel gekommen, ob er wohl das gleiche empfand.

Ja, er hatte es gesagt in jenen warmen Sommernächten von Palm Beach, aber hatte er es auch so gemeint? Sie hatte in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Partner gehabt, der ihr die Sterne vom Himmel hatte holen wollen und dann war alles zerplatzt. Zerplatzt wie eine Seifenblase.

Aber irgendwann hatte sie es einfach nicht mehr ausgehalten. Sie hatte endlich Klarheit gewollt. Denn sie war sich sicher gewesen, selbst wenn Peter sie schon längst vergessen haben sollte, konnte sie das Kapitel mit dieser Gewissheit endlich abschließen.

Wie viele Briefe hatte sie angefangen. Briefe in denen sie versucht hatte ihm zu erklären, was sie empfand. Alle waren irgendwann zerknüllt im Mülleimer gelandet und sie hatte gewusst, dass es nur einen Weg gab. Drei Tage später hatte sie das Ticket nach Sloanville gebucht.

Und jetzt? Jetzt hatte sie hier ein neues Leben begonnen. Ein Leben mit dem Mann ihrer Träume. Lautlos lief ihr eine Träne über die Wange. Sie war so unbeschreiblich glücklich.

In den letzten vier Wochen hatte ihr Leben eine völlig neue Wendung bekommen. Sie hatte erfahren, dass Peter jetzt ein Shaolin-Priester war wie sein Vater und dass dieser seit einigen Wochen auf Wanderschaft war und auf der Suche nach seiner tot geglaubten Frau. Peters Mutter.

Sie hatte Annie kennen gelernt. Die Frau, die Peter wie ihren eigenen Sohn angenommen hatte. Die ihm soviel Liebe gegeben hatte und die seit über zwei Jahren auf die Rückkehr ihres Mannes wartete. Nichtsdestotrotz strahlte sie soviel Optimismus und Lebensfreude aus. Auch wenn Kendra sie erst so kurz kannte, war sie bereits voller Bewunderung für diese zierliche Frau, die ihr Schicksal so tapfer ertrug.

Die Gang vom 101. zählte nun auch zu ihrem Bekanntenkreis. Da war Kermit, der ihr geholfen hatte, Peter wieder zu finden. Sie war ihm immer noch unendlich dankbar dafür und mittlerweile hatte sie ihm dies auch mit einer herzlichen Umarmung danken können. Er hatte seine Brille abgenommen und herzhaft gelacht, als sie ihm gestanden hatte, dass sie sich dies am ersten Tag auf dem Revier nicht getraut hatte. Er mochte zwar nach außen ein wenig hart und kühl wirken, aber sie wusste, dass er für die Menschen, die ihm etwas bedeuten durchs Feuer gehen würde. Ohne Kompromisse und ohne einen Augenblick zu zögern. Und sie war stolz, dass Peter zu diesen Menschen zählte.

Da waren Jody und Mary-Margaret. Zwei wirklich starke Frauen, die Peter schon seit Jahren kannten und seine Partner gewesen waren.

Kendra waren die Blicke mit denen Jody Peter ansah nicht entgangen. Auch wenn sie immer wieder scherzhaft betonte, dass sie über ihre unerfüllte Liebe zu ihm hinweg war, spürte Kendra, dass da immer noch eine Sehnsucht war. Aber wer konnte es der blond gelockten Polizistin verdenken? Wenn jemand wusste, dass es möglich war, sich unsterblich in den jungen Priester zu verlieben, dann war es wohl Kendra selbst.

Mary-Margaret hingegen wartete wie ihr ehemaliger Partner sehnsüchtig auf Caines Rückkehr. Sie und Peters Vater waren ein Paar, wenn auch nicht im üblichen Sinne. Die Beziehung zu einem Shambhala-Meister war wohl auch einfach mit Nichts zu vergleichen und spielte sich auf einer anderen Ebene ab. Aber auch Kendra hoffte auf seine baldige Rückkehr, denn sie war mehr als gespannt auf diesen Mann namens Kwai Chang Caine, denn sie wusste schon jetzt, dass er ein ganz besonderer Mensch sein musste.

Mit seiner ehemaligen Kollegin Kelly hatte Peter auch eine Beziehung gehabt. Das war gewesen, bevor er Kendra kennen gelernt hatte. Heute war sie mit dem Chief Frank Strenlich zusammen. Es gab auf dem Revier wohl niemanden, der gegensätzlicher zu Peter hätte sein können. Frank war einige Jahre älter, hatte immer noch den Haarschnitt eines Marine und eine untersetzte Figur.

Und da waren noch der Technikspezialist Blake, von dem niemand so genau wusste, wie er eigentlich mit Vornamen hieß. Einige nannten ihn liebevoll "Shaky". Der junge Cop Roger Chin und der rothaarige Sohn des Commissioners namens TJ.

Und natürlich nicht zu vergessen die Frau, der sie alle unterstanden. Captain Karen Simms. Sie war auf das Revier gekommen, nachdem Peters Pflegevater Paul Blaisdell untergetaucht war. Anfänglich hatte Peter einige Auseinandersetzungen mit ihr gehabt, aber irgendwann hatte sie gelernt mit den Eigenarten des ehemaligen Cops umzugehen. Darüber hinaus war sie die Frau in Kermits Leben. Ehrlich gesagt hatte Kendra es zuerst gar nicht glauben können, denn auch die nach außen so stark wirkende Polizistin und der Ex-Söldner waren ein wirklich außergewöhnliches Paar. Noch hatte Kendra auch nicht so ganz herausgefunden, was die Beiden eigentlich verband, aber sie wusste sehr genau, dass man gegen die Liebe einfach machtlos war.

So wie sie machtlos gewesen war gegen ihre Gefühle zu Peter. Alleine dieser Gedanke zauberte ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht.

Dann dachte sie an zwei Menschen, die in Peters Leben eine ganz wichtige Rolle spielten und die Kendra schon nach so kurzer Zeit ebenfalls in ihr Herz geschlossen hatte. Bei den Beiden konnte man auch einfach nicht anders. Mary und ihr kleiner Sohn Jamie, das Patenkind von Peter. Als sie bei ihrem ersten Treffen gesehen hatte, wie liebevoll sich der junge Priester um den kleinen Jungen kümmerte, war ihr ganz warm ums Herz geworden. Und natürlich hatte sie auch daran gedacht, was wohl wäre, wenn Jamie bald einen kleinen Spielkameraden bekommen würde. Aus den Erzählungen von Mary wusste sie bereits, dass sie sich keine Sorgen darüber machen musste, ob Peter wohl ein guter Vater sein würde.

Der ehemalige Cop hatte den Beiden das Leben gerettet, hatte Mary ihr erzählt. Ohne ihn hätte sie nicht gewusst, wie ihr Leben weiter gegangen wäre, nachdem sie Jamies Vater verlassen hatte. Er war einfach immer für sie da gewesen. Und Mary war für ihn da gewesen. Sie hatte ihn getröstet, als sein Vater gegangen war und sie hatte sich um ihn gekümmert, als er nach einem Überfall im Krankenhaus gelegen hatte. Die Beiden verband eine sehr tiefe Freundschaft und Kendra hoffte, dass sie in der jungen Frau vielleicht auch eine gute Freundin finden würde.

Kendras Blick fiel auf den kleinen Teddy, der auf Peters Nachttisch saß und sie mit seinen schwarzen Knopfaugen ansah. Den hatte er von Jamie bekommen. Der kleine Junge hatte ein unerschütterliches Vertrauen in seinen Patenonkel und liebte ihn zutiefst.

Die Geschichte von Mary, Jamie und Peter hatte ihr noch einmal mehr deutlich gemacht, was für einen besonderen Menschen sie in dem jungen Mann gefunden hatte. Einen Menschen, den sie niemals mehr gehen lassen wollte.

Gedankenverloren schloss sie die Augen und sah Bilder vor sich. Bilder von denen sie wusste, dass sie sehr bald Wirklichkeit werden könnten. Bilder, von denen sie schon vor einem Jahr manchmal geträumt hatte. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie jetzt greifbarer waren, als jemals zuvor.

Nur Augenblicke später sprang sie aus dem Bett und machte sich so schnell es ging auf den Weg in die Stadt.

---------------------------------------------------------------------------------------------------

Als Peter abends nach Hause kam, war es bereits dunkel. Es war ein sehr langer, anstrengender Tag gewesen und er freute sich schon auf Kendra und auf sein Bett.

Als er die Wohnung betrat, registrierte er sofort, dass keine einzige Lampe brannte, es herrschte absolute Dunkelheit. Zum Glück war er dazu fähig auch so seinen Weg zu finden. Aber er spürte wie Unruhe in ihm aufstieg. Was hatte das zu bedeuten? Und vor allem wo war Kendra?

Vorsichtig betrat er den großen Wohnraum. Er sah wie sich unzählige kleine Flammen in den Fensterscheiben spiegelten und die Dachterrasse in ein warmes Licht tauchten. Immer noch ein wenig unsicher näherte er sich der Terrassentür, die offen stand.

Und schon erblickte er Kendra. Sie stand inmitten des Lichtermeers und strahlte mit den Kerzen um die Wette. Sie trug ein wunderschönes türkisfarbenes Kleid und ein paar blonde Strähnen umspielten ihr Gesicht.

Auf dem Tisch stand ein Tablett. Es war gefüllt mit Sand und obenauf befand sich ein Herz. Ein Herz gelegt aus Muscheln. In der Mitte funkelte etwas im Lichtschein. Was es war würde der junge Priester sehr bald wissen.

Peter trat nach draußen und blickte sie erwartungsvoll an. Er spürte, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, um Fragen zu stellen.

Sie streckte die Hände nach ihm aus und er nahm sie zärtlich in die seinen. Sie fühlten sich warm und weich an.

Kendra sah ihm tief in die Augen. Und dort sah sie genau das, was sie vom ersten Moment an so gefesselt hatte. Diese Wärme und dieses Vertrauen.

"Peter", sagte sie leise. "Ich liebe dich mehr, als alles andere auf der Welt. Du bist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte."

Der junge Shaolinpriester musste schlucken, als er diese Worte hörte und er ahnte, was in den nächsten Minuten auf ihn zukommen würde.

"Als ich dich das erste Mal gesehen habe, meditierend am Strand vom Palm Beach, da habe ich gewusst, dass ich genau dich ansprechen und um Hilfe bitten muss… Und ehrlich gesagt, ich konnte auch gar nicht anders. Es war als hätte mich eine unsichtbare Kraft zu dir getrieben."

Kendra atmete tief durch und hielt Peters Hände noch ein wenig fester.

"Die Tage mit dir waren einfach wie ein Traum und ich habe jeden Tag gehofft, ich würde niemals mehr aufwachen… Doch der Tag des Abschieds kam und ich dachte wirklich, es zerreißt mir das Herz, als du am Flughafen verschwunden bist."

Im flackernden Licht der Kerzen konnte man sehen, wie sowohl Kendras als auch Peters Augen feucht wurden.

"Ein Jahr lang habe ich mich nach deiner Nähe gesehnt… Ein Jahr lang habe ich versucht dich zu vergessen… Aber du hattest dir schon längst einen Platz in meinem Herzen erobert… Wo immer du auch bist, möchte ich auch sein."

Lautlos rollte eine glitzernde Träne über die Wange des Shaolinpriesters, aber er blickte weiterhin fest in Kendras Augen. Und er spürte wie ihre Hände in den seinen zitterten.

"Peter… Willst du mich heiraten?"

Jetzt liefen auch ihr die Tränen über die Wangen.

"Ja, ich will", antwortete er kaum hörbar.

Dann zog er die junge Frau eng an seinen starken Körper und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss. "Ich liebe dich", flüsterte er in ihr Ohr. "Ich liebe dich."

Sie vergrub ihre Nase in dem weichen Stoff seines Hemds und da war wieder dieser Geruch. Der Geruch nach seinem After Shave.

Minutenlang standen sie eng umschlungen auf der Dachterrasse umringt von unzähligen Kerzen, die im Dunkel der Nacht hell flackerten.

Dass bei diesem unvergesslichen Moment ihres Lebens noch jemand dabei gewesen war, ahnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ende


zurück zum Autoren Index      zurück zum Story Index