Autor: Lost-Sheep
 

Paul

Es war fünf Uhr morgens, als Captain Paul Blaisdell an die Appartementtür seines Pflegesohnes klopfte. Er wusste nicht, in welchem Zustand er den jungen Cop vorfinden würde. Nur wenige Stunden zuvor war seine Partnerin Kira Blakemore in den Straßen von Sloanville umgebracht worden und Paul ahnte, dass Peter sich mal wieder die Schuld an allem gab, auch wenn keiner hatte ahnen können, dass der Schattenmörder genau in diesem Moment zuschlagen würde.

"Peter?" rief er mit gedämpfter Stimme.

Keine Antwort.

Aber hatte er etwas anderes erwartet? So war es früher schon gewesen, wenn Peter sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte, um mit all seinem Kummer alleine zu sein. Manchmal hatte Paul Stunden vor seiner Tür verbracht und auf ihn eingeredet. Irgendwann hatte er dann gehört wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Ein Zeichen dafür, dass sein Pflegesohn bereit gewesen war mit ihm zu reden. Und dann hatten sie nicht selten die ganze Nacht zusammen gesessen, bis Peter erschöpft auf seinem Bett eingeschlafen war.

Aber jetzt? Jetzt war er kein Kind mehr. Er war jetzt ein Mann. Und was er in dieser Nacht erlebt hatte, ließ sich nicht mit einem dummen Jungenstreich in der Schule vergleichen.

"Peter? Lass mich rein."

Vorsichtig drückte der Captain sein Ohr an die Tür, aber er konnte nichts hören. In der Wohnung herrschte absolute Stille. Er spürte Unruhe in sich aufsteigen. Und er wusste, dass er sich jetzt sehr überlegt verhalten musste, denn der junge Cop befand sich seit einigen Wochen auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Sein leiblicher Vater war zurückgekehrt. Wie aus heiterem Himmel war er in der Stadt aufgetaucht. Seit diesem Tag versuchte Peter seinem Vater wieder näher zu kommen und dies kostete ihn mehr Kraft, als er sich eingestehen wollte.

"Peter? Ich gehe hier nicht weg, bis du die Tür aufmachst."

Mit einem Seufzen lehnte Paul sich gegen den Türrahmen und rieb sich die Augen. Irgendwann musste sein Pflegesohn ja rauskommen. Und wenn es Stunden dauern würde.

Auf einmal hörte er ein Geräusch, dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Paul atmete noch einmal tief durch, wartete einige Augenblicke und betrat dann vorsichtig die Wohnung.

Erste Sonnenstrahlen bahnten sich langsam ihren Weg in das Wohnzimmer. Einige von ihnen fielen auf eine zusammengekauerte Gestalt, die in einer Ecke des Sofas saß. Sie hatte nichts von dem energiegeladenen, attraktiven jungen Mann, den Paul gestern noch auf dem Revier gesehen hatte. Es schien, als habe er in den letzten Stunden all seine Kraft und Lebensfreude in der dunklen Gasse verloren, in der er um seine Kollegin geweint hatte. Von den anderen Beamten, die später am Tatort eingetroffen waren, wusste er, dass sie Mühe gehabt hatten Peter von Kiras leblosem Körper wegzubewegen.

Paul spürte den Schmerz, den der junge Cop empfand. Auch er hatte in der Vergangenheit schon Kollegen verloren und sie zu Grabe getragen. Er hasste Polizeibegräbnisse, das war kein Geheimnis. Trotzdem hatte er ihnen immer die letzte Ehre erwiesen. Und genau das stand ihnen allen jetzt auch wieder bevor. Ja, dieser Beruf konnte manchmal wirklich unerbittlich und knallhart sein und er musste sich eingestehen, dass er Peter nicht immer und überall davor schützen konnte.

Zwischen Kira und Peter war es mehr gewesen, als nur eine rein berufliche Beziehung. Die blondgelockte, toughe Polizistin war eine starke Frau und ein sehr guter Cop gewesen und wie sein Pflegesohn hatte auch sie immer einen flotten Spruch auf den Lippen gehabt. Vielleicht hätte sie es geschafft bis zu Peters Herzen vorzudringen… Hätte es geschafft? Wenn er den jungen Mann jetzt so sah, war dies wohl schon geschehen.

Er war sein Pflegevater. Er kannte ihn seit über zwölf Jahren. Er hatte ihn schon oft getröstet. Aber in diesem Moment wusste auch er nicht, was er tun sollte.

Behutsam näherte er sich dem jungen Cop und setzte sich neben ihn auf das Sofa. Dann hob er die Hand, um ihn zu berühren. Um ihm zu zeigen, dass er für ihn da war. Aber nur Zentimeter, bevor er Peters Schulter mit den Fingerspitzen gestreift hätte, zog er sie wieder zurück.

Warum fühlte er sich nur so verdammt hilflos? Warum?

In der Stille des halbdunklen Appartements hörte er das leise Schluchzen seines Pflegesohnes. Das Schluchzen, das so voller Verzweiflung und Schmerz war.

So hatte er Peter noch nie erlebt. Sonst reagierte er oft ungestüm und fast schon wütend auf das Unrecht dieser Welt. Aber jetzt wirkte er nur noch wie ein Schatten seiner selbst und dieser Anblick machte Paul Angst.

Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster. Sah wie die langsam aufgehende Sonne einen neuen Tag ankündigte.

"Das habe ich nicht gewollt", hörte er auf einmal ein leises Flüstern. "Hätte ich sie doch nicht alleine gelassen… Oder hätte ich sie geschickt, um Verstärkung anzufordern… Dann hätte er mich umgebracht."

Zögerlich legte Paul dem jungen Cop eine Hand auf die Schulter. Er spürte wie sein ganzer Körper bebte. Dann drehte Peter den Kopf. Sein Gesicht war blass und tränenüberströmt. Seinen Augen gerötet.

"Warum?"

"Das weiß ich nicht, mein Sohn", antwortete Paul und blickte Peter fest in die Augen.

"Ich glaube, ich hätte mich in sie verlieben können… Vielleicht war ich das auch schon... Und jetzt ist alles vorbei… Jetzt ist sie weg… Für immer."

Paul strich ihm beruhigend über den Rücken. Er hatte doch geahnt, dass der junge Mann um mehr als nur eine Kollegin trauerte. Er trauerte um eine Freundin. Eine Freundin, die vielleicht sein Herz hätte erobern können.

"Das ist nicht fair…Warum verlassen mich immer alle Menschen, die mir etwas bedeuten? Warum? Was habe ich getan?"

"Dein Vater ist zurückgekommen", bemerkte Paul und fast im gleichen Moment wünschte er sich, er hätte diese Worte niemals ausgesprochen. Peter war eh schon aufgewühlt und jetzt noch seinen Vater zu erwähnen, war wohl nicht besonders geschickt gewesen. Der ältere Mann rechnete jetzt mit allem, sogar damit, dass der junge Cop kein Wort mehr mit ihm reden würde. Aber dieser sprach weiter und seine Stimme klang fester als zuvor.

"Aber er lässt mich nicht an sich heran. Ich habe das Gefühl, da steht immer noch etwas zwischen uns. Als würde er mir nicht vertrauen, obwohl ich sein Sohn bin… Er wirkt so distanziert."

"Das braucht Zeit." Paul spürte wie sich Peters Körper anspannte. Im nächsten Moment war er vom Sofa aufgesprungen.

"Das sagst du so. Glaubst du nicht, dass es wehtut, wenn dein eigener Vater dich zurückweist? Wenn du merkst, dass ihn etwas beschäftigt, er seine Sorgen aber nicht mit dir teilt?" Der junge Cop fuhr sich durch die Haare und blickte Paul ins Gesicht. Die Trauer von vorhin war Wut gewichen. Die haselnussbraunen Augen blitzten ihn an. Es war als stünde jetzt ein völlig anderer Peter vor ihm, als noch vor wenigen Minuten. Und diesen Peter kannte er besser. Mit diesem Peter konnte er umgehen, das hatte er in den vergangenen zwölf Jahren gelernt.

"Ich bin es wohl nicht wert. Nur weil ich jetzt ein Cop bin und kein Shaolinpriester. Ich habe doch genau gesehen, dass er enttäuscht von mir ist, als er es erfahren hat… Ich kann halt nie irgendetwas richtig machen."

"Würdest du bitte damit aufhören?"

"Womit soll ich aufhören?"

"Mit diesem Selbstmitleid." Nun erhob sich auch Paul vom Sofa. "Gib deinem Vater doch erst einmal eine Chance dich und deinen Beruf kennen zu lernen, bevor du irgendwelche Schlussfolgerungen ziehst, die wahrscheinlich gar nicht stimmen."

Peter starrte ihn mit offenem Mund an. Diese Antwort schien er nicht erwartet zu haben. Paul wusste, dass sein Pflegesohn sich gerne die Schuld an allem gab und den Fehler immer zuallererst bei sich selbst suchte. So war es auch jetzt. Er glaubte, er und sein Beruf seien der Grund dafür, dass sein Vater so zurückhaltend auf ihn reagierte.

Im nächsten Moment ließ der junge Cop den Kopf hängen.

Paul fasste ihm mit der Hand unters Kinn und zwang ihn so, ihm in die Augen zu sehen.

"Entschuldigung", murmelte Peter. "Du hast ja Recht."

Paul lächelte ihn sanft an. "Geht es dir jetzt besser?"

"Ich glaube schon."

"Was hältst du von einem Kaffee?" Mit diesen Worten ging der ältere Mann in Richtung Küche. Dann drehte er sich noch einmal um. "Ach und übrigens, Skalany hat deine Frühschicht übernommen."

"Danke Paul."

Momente später machte sich Peter auf den Weg ins Bad. Paul blickte ihm gedankenverloren nach. Er war unendlich froh und dankbar, dass sein Pflegesohn wieder er selbst zu sein schien. Auch wenn es sicherlich noch dauern würde, bis er ganz über Kiras Tod hinweg sein würde. Er hatte in seinem Leben viele Verluste hinnehmen müssen und die Angst davor war tief verwurzelt. Er würde sie wohl niemals ganz ablegen können. Dennoch war es der Familie Blaisdell gelungen sein Vertrauen zu gewinnen und ihm das Gefühl zu vermitteln ein Teil von ihnen zu sein. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher, als das Peter und sein Vater auch bald wieder zueinander finden würden.

Als er das prasselnde Wasser der Dusche aus dem Bad hörte, seufzte er leise.

"Ich liebe dich, mein Sohn."

Auch wenn sie kaum hörbar waren, kamen diese Worte aus tiefstem Herzen.

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Peter

Es war kurz vor fünf Uhr morgens, als der junge Mann zusammengekauert auf dem Sofa in seinem dunklen Appartement saß und zu begreifen versuchte, was in dieser Nacht geschehen war.

Gerade hatte er sie noch geküsst, hatte ihre warme Hand in seiner gehalten… Dann war da nur noch ihr lebloser Körper gewesen auf dem kalten Asphalt der Straße. Das Kribbeln in seinem Bauch war schlagartig Übelkeit und Angst gewichen.

Jetzt, wenige Stunden später, spürte er eine unendliche Trauer, die von seinem ganzen Körper Besitz ergriffen hatte und ihm kaum noch Raum zum Atmen ließ. Wie lange er hier schon so saß? Er wusste es nicht. Ehrlich gesagt, war es ihm auch egal.

Nachdem ihn seine Kollegen zu Hause abgesetzt hatten, wollte er nur noch alleine sein. Alleine mit sich und seinem Schmerz. Dem Schmerz, der ihn immer wieder innerlich zu zerreißen drohte und ihn glauben ließ, dass er dies unmöglich länger aushalten könne. Vielleicht wollte er in diesen Augenblicke auch sterben, nur damit es aufhörte. Ja, er wünschte sich sogar der Schattenmörder hätte ihn getötet und nicht sie. Nicht Kira.

Sie war immer so voller Leben gewesen und er hatte sofort gewusst, dass er sich in sie verlieben könnte. Schon von dem ersten Moment an, als er sie auf dem Revier wieder gesehen hatte.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn hochschrecken.

"Peter?", sagte eine vertraute Stimme.

Der junge Cop versuchte sie zu ignorieren. Er wollte jetzt niemanden sehen. Damit musste er alleine fertig werden. Schließlich war er ein erwachsener Mann und kein Kind mehr.

"Peter? Lass mich rein."

Er wusste, dass sein Pflegevater nicht so einfach aufgeben würde. Er würde warten, bis sich die Tür öffnete. So war es schon früher gewesen. Da hatte er oft stundenlang vor der verschlossenen Kinderzimmertür gestanden. Ja, Paul war ein geduldiger Mensch.

"Peter? Ich gehe hier nicht weg, bis du die Tür aufmachst."

Er hob den Kopf und blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er wusste, dass Paul im Flur stand und abwartete. Und da würde er bleiben, bis er ihn zu Gesicht bekommen würde. Bis er sich davon hatte überzeugen können, dass alles in Ordnung war. Der junge Mann dachte kurz nach. Vielleicht war es ja gar nicht so schlecht den Schmerz zu teilen. Und vielleicht musste man es ja doch nicht alleine aushalten.

Mit einem leisen Seufzen erhob er sich vom Sofa und schlich zur Tür. Er drehte den Schlüssel um und drückte auf die Klinke, so dass sich die Tür einen Spalt öffnete.

Mittlerweile fielen die ersten Sonnenstrahlen in den dunklen Raum und tauchten ihn in ein unwirkliches Licht. Aber das nahm er gar nicht wahr. Denn er saß wieder auf dem Sofa und vergrub sein Gesicht im weichen Stoff seines Pullovers.

Auf einmal merkte er, wie jemand die Wohnung betrat und sich ihm langsam näherte. Sofort hatte er den vertrauten Geruch des Aftershaves in der Nase. Paul hatte die Marke nie gewechselt, seit er ihn damals aus dem Waisenhaus geholt hatte.

Dann setzte sich sein Pflegevater neben ihn und Peter spürte seinen Blick genau, auch wenn er seine Augen nicht sehen konnte. Es war der Blick eines besorgten Vaters.

Erst hatte er versucht sein Schluchzen zu unterdrücken, aber jetzt entrangen sich leise Laute seiner Kehle. Laute, über die er die Kontrolle zu verloren haben schien. Sie durchbrachen die Stille des Raumes und es war als würden sie diesen ganz und gar ausfüllen.

Der junge Cop fühlte, wie sich eine Sehnsucht in ihm aufbaute. Eine Sehnsucht nach Pauls starken Armen, die ihn schon so oft gehalten und getröstet hatten. Aber er war wie gelähmt. Betäubt von dem Schmerz, der sich immer noch wie eine unsichtbare, aber dennoch unerträglich schwere Decke, über ihn gelegt hatte.

Trotzdem nahm er wahr, dass Paul zögerte, sich ihm weiter zu nähern.

Aber warum?

"Das habe ich nicht gewollt." Die Worte kamen langsam und fast lautlos über seine Lippen und irgendwie hatte er auch hier das Gefühl nicht wirklich die Kontrolle zu haben. "Hätte ich sie doch nicht alleine gelassen… Oder hätte ich sie geschickt, um Verstärkung anzufordern… Dann hätte er mich umgebracht."

Irgendwie schien es, als würde eine andere Person sprechen und nicht er selbst. Die Stimme, die er hörte klang auf eine eigenartige Weise sehr fremd und es fiel ihm schwer, sie als seine eigene zu erkennen.

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Gegen diesen Widerstand fühlte er wie sein eigener Körper bebte. Augenblicke später drehte er den Kopf und blickte in das Gesicht von Paul, der ihn mit seinen vertrauensvollen Augen ansah. Er wusste, dass er gerade einen erbärmlichen Anblick bot, aber das war ihm egal. Denn sofort gab sein Pflegevater ihm ein Gefühl von Geborgenheit. Ein Gefühl von Familie. Und die Gewissheit mit seinem Schmerz nicht länger alleine sein zu müssen.

"Warum?" fragte er in die Stille hinein und in der Hoffnung Paul habe eine Antwort auf die Frage, die ihn nun seit so vielen Stunden leise quälte.

"Das weiß ich nicht, mein Sohn."

Nein, auch er hatte keine Antwort.

"Ich glaube, ich hätte mich in sie verlieben können… Vielleicht war ich das auch schon... Und jetzt ist alles vorbei... Jetzt ist sie weg… Für immer."

Und wieder wurde ihm bewusst, wie endgültig die Ereignisse dieser Nacht gewesen waren. Er würde Kira niemals mehr wieder sehen. Niemals.

Die Hand auf seiner Schulter begann sich zu bewegen und strich ihm beruhigend über den Rücken. In diesem Moment war er wirklich froh, dass er die Tür geöffnet hatte, um Paul ihn die Wohnung zu lassen, auch wenn er ihm dies jetzt nicht zeigen konnte. Aber vielleicht genügte es seinem Pflegevater, dass er die Berührung überhaupt zuließ.

Dann sprach er weiter und langsam hatte er auch wieder das Gefühl Herr über seine Worte zu sein.

"Das ist nicht fair…. Warum verlassen mich immer alle Menschen, die mir etwas bedeuten? Warum? Was habe ich getan?"

"Dein Vater ist zurückgekommen", erklang dieses Mal die prompte Antwort.

Und sie traf ihn genau da, wo es am meisten wehtat. Bei den Gefühlen gegenüber seinem Vater, der erst vor kurzem wieder in der Stadt aufgetaucht war, nachdem er ihn für fünfzehn lange Jahre verlassen hatte. Eigentlich hatte er ihn nicht absichtlich verlassen. Er hatte geglaubt Peter sei bei der Zerstörung des Tempels ums Leben gekommen. Trotzdem kam der junge Mann nicht gegen das Gefühl an, sein Vater habe ihn im Stich gelassen. Er konnte machen, was er wollte, es blieben immer ein fader Beigeschmack und ein versteckter Vorwurf übrig.

Seit Kwai Chang Caine wieder da war versuchte Peter herauszufinden, wo er all die Jahre gewesen und was für ein Mensch aus ihm geworden war. Aber bis jetzt hatte er dabei nicht wirklich Erfolg gehabt.

Seine Stimme wurde fester. "Aber er lässt mich nicht an sich heran. Ich habe das Gefühl da steht immer noch etwas zwischen uns. Als würde er mir nicht vertrauen, obwohl ich sein Sohn bin… Er wirkt so distanziert."

"Das braucht Zeit."

Bei dieser Bemerkung spürte Peter, wie sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Im nächsten Moment befreite er sich von der Hand seines Pflegevaters und sprang vom Sofa auf. Wie konnte er so etwas sagen? Fünfzehn Jahre hatte er den Schmerz über den Verlust seines Vaters in sich getragen und jetzt, obwohl er wieder da war, fühlte er ihn noch immer. Waren diese Jahre nicht Zeit genug gewesen?

"Das sagst du so. Glaubst du nicht, dass es wehtut, wenn dein eigener Vater dich zurückweist? Wenn du merkst, dass ich etwas beschäftigt, er seine Sorgen aber nicht mit dir teilt?" Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und blickte Paul ins Gesicht. "Ich bin es wohl nicht wert. Nur weil ich jetzt ein Cop bin und kein Shaolinpriester. Ich habe doch genau gesehen, dass er enttäuscht von mir ist, als er es erfahren hat… Ich kann halt nie irgendetwas richtig machen." Die Worte platzten nur so aus ihm raus und sein Mund schien schneller zu arbeiten, als sein Verstand. Dies wurde ihm schlagartig bewusst, als er bemerkte, wie sein Pflegevater ihn ansah, aber noch blieb dieser ganz ruhig.

"Würdest du bitte damit aufhören?"

"Womit soll ich aufhören?"

"Mit diesem Selbstmitleid." Schon im nächsten Augenblick stand Paul ihm gegenüber, denn auch ihn hatte es nicht mehr länger auf dem Sofa gehalten. "Gib deinem Vater doch erst einmal eine Chance dich und deinen Beruf kennen zu lernen, bevor du irgendwelche Schlussfolgerungen ziehst, die wahrscheinlich gar nicht stimmen."

Obwohl sie gerade erst über seine Lippen gekommen waren, taten Peter seine Worte jetzt schon leid. Warum musste er immer so verdammt vorschnell sein? Er war doch wirklich ein Idiot. Paul versucht ihm zu helfen und alles was er tat, war, ihn anzuschreien.

Der junge Cop ließ den Kopf hängen.

Gerade vor ein paar Stunden hatte er eine Kollegin verloren und anstatt an sie und ihre Familie zu denken, war er schon wieder nur mit sich selbst beschäftigt. Manchmal würde er sich wirklich am liebsten selbst ohrfeigen.

Dann spürte er eine Hand unter seinem Kinn. Augenblicke später blickte er in die vertrauensvollen Augen des Mannes, der ihn aus dem Waisenhaus geholt hatte.

"Entschuldigung", murmelte Peter. "Du hast ja Recht."

Paul lächelte ihn sanft an. "Geht es dir jetzt besser?"

"Ich glaube schon."

"Was hältst du von einem Kaffee?" Mit diesen Worten ging der ältere Mann in Richtung Küche. Dann drehte er sich noch einmal um. "Ach und übrigens, Skalany hat deine Frühschicht übernommen."

"Danke Paul."

Momente später machte Peter sich auf den Weg ins Bad. Was würde er nur ohne seinen Pflegevater tun? Ohne den Mann, der ihn immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte?

Als er das angenehm warme Wasser der Dusche auf seinen Körper prasseln ließ, schloss er die Augen. In diesem Moment sah er ein Bild vor sich. Und es war nicht das Bild, das ihn seit Stunden nicht mehr hatte loslassen wollen. Das Bild von Kiras leblosem Körper auf dem kalten Asphalt. Nein, dieses Mal zauberte ihm das, was er vor seinem geistigen Auge sah, ein leichtes Lächeln auf die Lippen. Er sah Kira, wie sie ihn angrinste. Ihre Augen strahlten, die blonden Locken umspielten ihr hübsches Gesicht und sie schien so voller Leben. Und genau so wollte er sie in Erinnerung behalten.

"Ich werde dich niemals vergessen, Partner", flüsterte er fast lautlos. "Ich bin wirklich froh, dich kennen gelernt zu haben."

Ende


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