"Bist du sicher, dass du das allein machen möchtest?", fragte Peter leise und umfasste Cats Oberarme von hinten. Sie stand an der neuen Fensterfront und starrte in den hellgrauen Himmel, aus dem sich die ersten weißen Schneeflocken leise und friedlich lösten. "Ja. Ich muss einfach", war ihre fast geräuschlose Antwort. Der Shaolin konnte fühlen und aufnehmen, wie schwer es ihr fiel, wie traurig sie war. "Bist du dir wirklich ganz sicher?" wiederholte er noch mal vorsichtig und mitfühlend. Cat lächelte sanft, seine Besorgnis konnte sie durchaus nachvollziehen. "Ja Peter. Es ist ein Teil meiner Vergangenheit, in der es dich noch nicht gab. Ich muss einfach sehen, ob ich es kann. Ob ich es alleine kann." "Und was wenn… wenn du es nicht kannst?", gab er vorsichtig zu bedenken. Er wollte ihr nichts verbieten, aber er machte sich einfach nur Sorgen um ihr geistiges Wohl. Dieses Vorhaben konnte sie in Abgründe stoßen, aus denen das wieder herauskommen äußerst schwierig werden konnte. Aber er konnte ihren Wunsch auch verstehen. Es war das wohl persönlichste Thema in ihrem Leben, ihrer Vergangenheit. Wenn sie alleine gehen wollte, musste er sie wohl oder übel gehen lassen und hoffen, dass sie die Kraft hatte, es auch allein durchzustehen. Cat ließ seine Frage offen, sie drehte sich nur rum und sah ihm ernst in die Augen. Sie hatte keine Ahnung, was dann passieren würde. Ebenso wenig wie sie sich sicher sein konnte, ob ihre Kräfte tatsächlich reichten. Aber es war einfach an der Zeit endlich nach Hause zurückzukehren. * * * Mit zitternden Fingern umfasste Cat zögerlich den Griff des Eisentores. Panische Angst machte sich in ihr breit und ließ ihren ganzen, schmalen Körper erbeben. Das Scharnier quietschte, als sie die Klinke herunterdrückte und die Tür aufschob. Der Zugang war jetzt frei, und dennoch verharrte sie einen Moment, ehe sie tief durchatmete und mit einem wackeligen Schritt den Friedhof betrat. Allen Mut zusammennehmend ging sie wenige Meter weiter und ließ ihren Blick schweifen. Seit zehn Jahren hatte sie ebenso darauf gewartet wie davor Angst gehabt, hier her zu kommen, aber in all der Zeit hatte sie nie daran gedacht, dass sie nicht mal wusste, wo sie die Gräber ihrer Familie suchen musste. Sie hatte die Beerdigung damals nicht besuchen dürfen, das FBI hatte es ihr strikt verboten und sie wie eine Gefangene zu ihrer eigenen Sicherheit festgehalten. Und dieser Schmerz saß tief, sie hatte in der ganzen Zeit des Horrors nie die Möglichkeit gehabt, sich von ihren Eltern und ihrem Bruder zu verabschieden. Zwangsläufig wanderten ihre Gedanken zu den Momenten, als sie sie das letzte Mal lebend gesehen hatte. Sie wusste noch genau, dass sie sich mit Cosmo gestritten hatte an dem Morgen, wegen einer unbedeutenden Kleinigkeit, und dass ihr jüngerer Bruder wutentbrannt das Haus Richtung Bushaltestelle verlassen hatte. Der Wortlaut war ihr noch deutlich im Kopf, die Bösartigkeiten, die sie einander zugeworfen hatten. Und warum? Weil sie sich geweigert hatte, ihn am Nachmittag zu einem Freund zu fahren, der außerhalb der Stadt wohnte. Cosmo war 15, er hatte noch keinen Führerschein, und seine große Schwester hatte polizeiliche Ausgangssperre wegen ihrer bevorstehenden Aussage vor Gericht. Aber das hatte Cos natürlich nicht interessiert, er hatte die Ernsthaftigkeit der Situation trotz Mitchs Tod unterschätzt. Aber darum ging es dennoch nicht wirklich. Es spielte keine Rolle, warum sie sich gestritten hatten, aber es tat unendlich weh, dass ihre letzten Worte zu ihm "Vollidiot" und "Nervensäge" gewesen waren. Und sie hatte sich nie entschuldigen dürfen. Als ihre Gedanken zu ihren Eltern schweiften stiegen sofort heiße Tränen in ihre Augen. Wie eingebrannt erschien das Bild vor ihren Augen, als sie den entsetzlichen Knall hörte, herumfuhr und den Wagen lichterloh brennen sah. Ihr Vater auf dem Fahrersitz nur noch ein dunkler Schatten hinter den Flammen. Cat holte sich in die Realität zurück. Natürlich war sie hier, um diese Bilder und diesen Schmerz aufzuarbeiten, aber noch war nicht der richtige Moment, um in Tränen auszubrechen. Erst wenn sie ihre Gräber gefunden und davor niedergesunken war. Dann würde alles wieder hochkommen, und dann würde sie sich auch erlauben alles herauszulassen. Aber eben erst dann. Der Friedhof war überschaubar, sie konnte deutlich die hintere Hecke sehen, es würde also nicht allzu schwer werden, den richtigen Ort zu finden. Die aufsteigende Nervosität unterdrückend setzte sie sich wieder in Bewegung und ging zum Anfang der ersten Gräberreihe. Sie würde sich Reihe für Reihe nach hinten durcharbeiten, in der Hoffnung, möglichst bald ihr Ziel zu entdecken. Jeder Grabstein ließ ihren Magen erbeben, bis sie die Namen las und feststellte, dass sie ihr unbekannt waren. Sie merkte deutlich, wie ihre Kräfte jetzt schon nachließen, sie wollte diese Suche nicht mehr, sie wollte endlich ankommen. Verzweiflungstränen stiegen in ihre Augen und rollten über ihre Wangen, nachdem sie fast die Hälfte des Geländes angegangen waren. Sie mussten hier sein, und dennoch fühlte es sich an wie eine große Ungewissheit; zwangsläufig stellte sie sich die Frage, ob es vielleicht doch anders sein konnte, ob sie nicht hier waren. Und was dann? Sie verwarf den Gedanken. Sie mussten hier sein. Streng rief sie sich zur Ordnung und versuchte sich darauf zu konzentrieren, ihren angeschlagenen und nervösen Körper wieder mit kontrollierten Atemübungen aus dem Zittern heraus zu bekommen. Sie beobachtete angestrengt die weißen Wolken, die ihr Atem vor ihren Lippen bildete, um sich etwas abzulenken. Nach fünf Minuten, in denen sie sich bemüht hatte ihr Gehirn abzuschalten, atmete sie ein letztes tief durch, schaute der hellen Wolke nach bis sie sich in der Winterluft aufgelöst hatte, und setzte sich dann wieder in Bewegung. Sie ging weitere vier Reihen ab und spürte schon wieder die Verzweiflung in sich aufsteigen, als sie einen breiten schwarzen Marmorstein vor sich sah. Ein Gefühl sagte ihr, dass er das sein musste, und sofort wurden ihre Schritte langsamer und entsetzlich wackelig. Vorsichtig kam sie näher, zwang sich den Weg geradeaus entlang zu blicken, bis sie genau vor dem Stein stand. Ein tiefer Atemzug, dann drehte sie sich rum und starrte auf die Inschriften. Augenblicklich begann sie entsetzlich zu weinen und schlug die Hände vor den Mund. Ihr Blick fixierte die drei Namen, ihr schmaler Körper bebte, ihre Knie knickten ein und schlugen in dem weißen Kies, ohne dass sie es überhaupt merkte. Ihre Gefühle übermannten sie noch stärker, als sie erwartet hatte, und alles um sie herum verschwamm in grenzenloser Verzweiflung. Zum ersten Mal seit vielen Jahren lösten sich laute Schluchzer aus ihrer Kehle und erfüllten den Friedhof. Salven von Entschuldigungen und Bitten um Verzeihung prallten gegen die schweren Steine, die alles waren, was von ihrer Familie übrig geblieben war. * Zwei Stunden später kämpfte sie sich wieder auf ihre vor Kälte gefühllosen Beine und wischte die letzten Tränen weg. Das Zittern hatte nachgelassen, aber immer noch quälten sie der Schmerz und die Trauer in einer Grausamkeit, dass sie sie nicht in Worte fassen konnte. In der ganzen Zeit auf dem Boden hatte sie nicht darüber nachgedacht, aber jetzt, -hinterher-, wünschte sie sich Peter an ihrer Seite. Vielleicht war sie doch nicht stark genug dafür. Zwar wirkte sie nun recht ruhig, aber sie fühlte sich wie eine Glaspuppe, die kurz vorm Zerbrechen stand. Dann hörte sie plötzlich Schritte auf den Steinen hinter sich. Sie kamen näher, ziemlich nah, und verstummten dann. Cat hatte sich nicht rumgedreht, aber dennoch wusste sie, wer dort stand und unsicheren Abstand zu ihr hielt. "Ich hatte Peter ausdrücklich gebeten, niemandem davon zu erzählen", meinte sie mit schwacher, aber ruhiger Stimme, "und ganz besonders nicht dir." "Er hat es mir nicht erzählt. Ich bin von allein drauf gekommen. Er weiß nicht mal, dass ich hier bin", kam die prompte Erklärung. Der Tonfall des Ex-Söldners wirkte verunsichert, so als ob er selbst nicht wusste, ob es überhaupt richtig war, hier zu sein. "Und warum bist du hier?", fragte sie nach. Noch immer war ihr Gesicht den Gräbern zugewandt. Natürlich wusste sie die Antwort, aber sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich wollte. "Weil ich glaube, dass das, was hier vor zehn Jahren passiert ist, immer noch zwischen uns steht. Und weil ich denke, dass es nötig ist, dass wir es ausräumen", meinte Kermit leise. Es war noch nie seine Art gewesen, über seine Gefühle zu sprechen, aber er empfand tatsächlich so. Seine eigenen Schuldgefühle, jedes Mal wenn er Cat sah, trieben ihn weiter in das Dunkel, das er seine Seele nannte. Und auch wenn es zwischen ihnen nie spürbar war, so war doch der unterbewusste Gedanke da, dass es diese Barriere zwischen ihnen gab, dass Cat ihm tief in ihr drin die Schuld an allem gab und nur Peter zuliebe die Freundschaft mit ihm eingegangen war. "Hab ich dir je das Gefühl gegeben, dass es zwischen uns steht?", fragte sie nach und drehte sich jetzt zu ihm. Gerne hätte sie seine Augen gesehen, aber er verbarg sie wie gewohnt hinter den dunklen Gläsern. Kermit fiel es schwer, ihrem Blick stand zu halten. "Nein, das hast du nicht. Aber vielleicht ist es grade das, was mich glauben lässt, dass…" weiter kam er nicht, die junge Frau unterbrach ihn. "Ich hatte immer Angst davor, dass dieses Gespräch kommen würde. Und nachdem ich dich richtig kennen gelernt hatte, hatte ich gehofft, dass es nie kommen würde. Weil ich es nicht führen wollte, und du es vermutlich nie tun würdest. Jedenfalls dachte ich das", meinte sie resignierend, weil sie es immer noch nicht wollte. Zu schmerzvoll würde es werden, mit Kermit über ihre gemeinsame Vergangenheit zu reden. "Ich bin es dir schuldig, über meine Schatten zu springen", erklärte er knapp und trat von einem Bein auf das andere. Spätestens jetzt war die Barriere tatsächlich da, spürbar, sichtbar. "Und wenn ich das gar nicht will? Wenn ich es gut fand, wie es war?", fragte sie nach; wieder begann ihre Unterlippe zu beben. Wenn sie vor wenigen Minuten noch gedacht hatte, dass sie alle Tränen geweint hatte, so meldeten sich jetzt frische an und ließen ihre verquollenen Augen aufs Neue brennen. "Dann beherrscht du die Verdrängungstaktik besser als ich." Cat schüttelte kurz den Kopf, ehe sie ihn wieder offen anstarrte. "Ich habe nichts davon verdrängt, Kermit!", ergänzte sie wütend, "ich hätte es so gern. Aber es verfolgt mich, wenn auch meistens nur noch im Hintergrund, aber es ist immer da, und es wird nie wieder gehen!" Da war es, das wovor der Cop immer Angst und Bedenken gehabt hatte. Die offene Konfrontation, der Angriff auf ihn, die berechtigten Vorwürfe. In seinem Inneren war es die Bestätigung, dass sie ihn verantwortlich machte, dass er mit seinem Selbsthass richtig gelegen hatte. Cat fuhr sich unterdes durch die Haare und atmete tief durch, man konnte ihr ansehen, dass es schwierig für sie war, ihre Gedanken zu ordnen und in Worte zu fassen. "Das ist so. Damit hab ich mich abgefunden. Jedenfalls dachte ich das bis heute. Aber das alles ist nicht deine Schuld, Kermit. Du hast den Mord nicht beobachtet. Du bist nicht zur Polizei gegangen. Du hast deine Aussage nicht wieder zurückgezogen. Du hast meine Familie nicht auf dem Gewissen", führte sie auf, auch wenn ihre Stimme mit jedem Wort schwächer und zitternder wurde. Es war klar, was sie im Umkehrschluss meinte. "Es ist noch weniger deine Schuld, Kleines", versuchte er zu trösten, auch wenn sein Versuch für ihn ziemlich erbärmlich wirkte. Die Wende in ihrer Aussage nahm ihn jetzt den letzten Rest Sicherheit und Überzeugung, den er in diesem Moment noch hatte. Er wusste nicht mehr, woran er war, was das alles für ihre Freundschaft bedeuten sollte. Als Cats ganzer Körper wieder zu zittern begann, ihre Augen sich mit Tränen füllten, wusste er sich nicht mehr zu helfen und überbrückte den Abstand zwischen ihnen. Fest schlossen sich seine Arme um sie und drückten sie an seine Brust. Sie schluchzte und weinte aufs Neue, verschlang ihre Arme um seinen Rücken und drückte sich in die Umarmung. Nur ganz langsam begriff Kermit, wie sehr diese Geste ihm bedeutete, dass es die Barriere nur in seinen Gedanken gegeben hatte. So wie er sich mit Schuldgefühlen gequält hatte, hatte sie es auch getan. Cat hob ihren Kopf und löste sich wieder, ihre Hände wischten die Tränen aus ihrem Gesicht, ihre blauen Augen sahen zu ihm hoch. "Gehen wir spazieren?", fragte sie ihn und schluckte den Rest der Verzweiflung runter. Kermit nickte sofort und ging an ihrer Seite durch die Gräberreihen Richtung Ausgang. Er wusste, wo sie hin wollte, auch wenn er sich nicht sicher war, ob das wirklich eine gute Idee war. Aber vermutlich war es nötig, gehörte zu ihrer Absicht, endlich aufzuholen, wozu ihr vor zehn Jahren keine Möglichkeit geblieben war. "Ich habe mich oft gefragt, was gewesen wäre, wenn ich niemandem davon erzählt hätte. Dann hätte Gaverton mich vermutlich irgendwann getötet, aber dafür hätten die anderen leben dürfen", meinte sie nach einer Weile des Schweigens. "Nein, Kleines. Er hätte euch alle umgebracht. Du hast das Richtige getan", versuchte der Ex-Söldner wieder, ihre Schuldgefühle auszuräumen. "Aber wenn ich es doch nicht gesagt hätte…" "Hätte er es trotzdem getan. Ich kannte ihn, leider viel zu gut. Er hatte kein Gewissen. Er wäre auf Nummer Sicher gegangen und hätte euch alle umgebracht." Die Wahrheit klang grausam, aber Kermit war absolut überzeugt davon, schließlich hatte er oft genug gegen diesen skrupellosen Mistkerl gekämpft. "Vielleicht hast du Recht. Und trotzdem hilft es mir nicht", sagte sie knapp und blickte in den grauen Winterhimmel. Der Mann neben ihr nickte nur, ihm fehlten die Worte, um ausdrücken, dass er dieses Gefühl so gut kannte. "Weißt du, ich hatte es fast geschafft, mir einzureden, dass die Vergangenheit, die das FBI mir gegeben hatte, meine Vergangenheit war. Sie war soviel besser als die echte. Ich hatte fast dran geglaubt, hatte mein Leben wieder gefunden. Dann hab ich Peter getroffen, und alles wäre so gut gewesen. Ich glaube wirklich, ich hätte es geschafft, diese Lüge für den Rest meines Lebens als die Wahrheit zu sehen." "Und dann kam ich", sagte er in entschuldigendem Tonfall. "Richtig. Und dann kamst du. Und ich musste erkennen, dass die Vergangenheit mich niemals loslassen würde." "Cat, ich…", begann Kermit, blieb stehen und drehte sie an dem Schultern zu sich, um ihr in die Augen zu sehen. Über den Rand seiner Brille ließ er sie in seine von Schmerz und Schuld gezeichneten Pupillen blicken. "Du musst dich nicht entschuldigen. Ich konnte deine Sichtweise durchaus verstehen. Nur war es in dem Moment einfach zu viel, es war alles wieder hochgekommen. Und dazu Peter, dem ich alles erzählen musste. … Was im Nachhinein ja auch richtig war", meinte sie und sah ihn offen an. Ihre Augen waren so gänzlich ohne Vorwurf, dass Kermit es kaum glauben wollte. "Aber wenn Peter nicht gewesen wäre, hätte ich dich umgebracht! Wie kann es sein, dass du mich dafür nicht hasst?", fragte Kermit verständnislos nach. Dieser Punkt war ihm unbegreiflich, all die Zeit die sie mittlerweile miteinander verbracht hatten, schwebte diese Frage in seinen Gedanken. "Wer nicht am Leben hängt, hat auch keine Angst es zu verlieren", meinte sie leise und sah ihn immer noch direkt an, "versteh doch Kermit. Ich trage dir nichts nach, es gibt nichts zwischen uns. Ich liebe dich, wie ich einen Bruder lieben würde, wie ich meinen Bruder geliebt habe. Und mit dem hab ich mich immer gezofft." Ein kleines, wehmütiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Kermits Gedanken fuhren mit ihm Achterbahn. Wie schaffte es diese junge Frau, so gütig und großmütig zu sein, obwohl wie selbst schon soviel Leid hatte erfahren müssen? Es war ihm unbegreiflich. "Aber er hatte ein Recht auf deine Liebe. Das hatte ich nie", sagte er und musste nun selbst schlucken, um nicht in eine Gefühlsebene zu geraten, die seine selbst errichteten Mauern bröckeln lassen würde. "Doch, das hast du Kermit. Die Art und Weise, mit der du so oft grundlos leidest, dich selbst für Dinge verantwortlich machst, für du nichts kannst. Dein bedingungsloses Einstehen für deine Freunde, auch für mich. Deine Hingabe für den Schutz aller anderen", sie sah ihn an und lächelte ein wenig, "das alles verdient meine Liebe für dich. Ich bin dankbar, dass ich den wahren Kermit kennen gelernt habe, dankbar dass du in meinem und Peters Leben ein wichtiger Fixpunkt bist; und gerade heute mehr denn je." Kermit musste hart schlucken, Cat trieb ihm tatsächlich die Tränen und die Augen. Und trotzdem hob er den Kopf nicht an, um sich hinter den Gläsern zu verstecken. Ihre blauen Augen bohrten sich in seine, schienen bis tief in seine Seele zu reichen. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber fand einfach keine Worte. Sie lächelte ihn an und blickte dann die Straße entlang, um ihn aus dieser Situation zu befreien. Er musste nichts sagen, sie wusste auch so, wie sehr ihre aufrichtigen Worte ihn berührten. Er rieb sich die Augen unter der Brille und folgte dann ihrem Blick. "Bist du dir sicher?", fragte er nach. Sie beide wussten, was sich hinter der nächsten Straßenecke verbarg. "Bin ich. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du mich begleiten würdest. Noch einen Zusammenbruch heute halte ich allein nicht aus", meinte sie und schaute zu ihm rüber. Er trat neben sie und legte seinen Arm um ihre Schulter. "Natürlich", entgegnete er sofort und ging mit ihr weiter. Er spürte, wie ihr Körper wieder angespannt wurde, ein leichtes Zittern erreichte seine Hand auf ihrem Schlüsselbein. Er verstärkte den Druck etwas, um ihr Kraft zu geben und sie schob sich auch prompt in die Umarmung. Er konnte fühlen, wie sich ihr Brustkorb schwer hob und sie tief durchatmete. Gemeinsam gingen sie die letzten Meter, ehe vor ihren Augen das große, weiße Haus erschien, mit einem kleinen Türmchen, der früher zu Cats Zimmer gehört hatte. Die junge Frau atmete jetzt schwer, aber noch erschienen keine Tränen in ihren Augen. Kermit hielt sie fest im Arm, aber der erwartete Zusammenbruch und das Versagen ihrer Standfestigkeit blieben aus. "Es hat sich nicht verändert", meinte sie leise und betrachtete die Fassade, die Auffahrt, die Garage, den kleinen Vorgarten, die Veranda von der sie den Tod ihrer Eltern mit angesehen hatte. Auch Kermit erinnerte sich, er hatte dieses Haus auch eine Weile im Hintergrund beobachtet gehabt, ohne dabei zu merken, was sich tatsächlich abspielte, was der Grund für den Rückzug der Aussage gewesen war. "Und trotzdem ist es nicht mehr unser Haus", ergänzte sie trocken und drehte sich rum, "wenn ich es ansehe, fühle ich nichts. Meine Gefühle gehören hier nicht mehr hin, sie gehören zu meiner Familie auf dem Friedhof. … Und meiner Familie in Sloanville." Kermit lächelte ihr zu und drückte sie ein weiteres Mal. "Willst du wieder nach Hause?", fragte er nach und blickte vielsagend in den Himmel, in dem sich jetzt allmählich die Abenddämmerung zeigte. "Noch nicht. Ich habe heute Nacht noch ein Zimmer hier. Morgen werde ich kommen", meinte sie und sah ihn unverwunden an. Dem Ex-Söldner war klar, was sie ihm damit sagen wollte. Und er erkannte, dass er sich jetzt wohl keine Sorgen mehr um sie machen brauchte. "Sicher?" "Ja, danke. Ich werde morgen noch mal auf den Friedhof gehen und dann nach Hause fahren. Sehen wir uns morgen Abend?" "Natürlich, wenn du das möchtest." "Ja, das möchte ich. Ihr alle seid meine Familie und ich will mit euch zusammen sein. Und ich habe jetzt gesehen und erkannt, dass meine eigene tot und begraben ist. Vorher hatte ich sie für mich nie begraben können", erklärte sie wehmütig, lächelte ihm dann aber verhalten zu. "Du bist großartig, weißt du das eigentlich, Kleines?", murmelte Kermit, dem solche Sätze eigentlich höchstselten über die Lippen kamen. Aber Cats Worte und die Stimmung der Situation trieben ihn dazu. "Peter sagt das auch immer, muss also was dran sein", scherzte sie leise und sah ihm dankbar in die Augen. Dann umarmten sie sich noch einmal richtig fest, mit der Gewissheit, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war. "Bis morgen", meinte Kermit, grinste sie liebevoll an, drehte sich dann rum und ging die Straße entlang zurück. Cat sah ihm nach. "Ja, bis morgen", flüsterte sie. So unglaublich traurig und schmerzhaft dieser Besuch in ihrer Heimatstadt gewesen war, so glücklich machte es sie, dass sie eine neue Heimat hatte, zu der sie zurückkehren konnte. Wo geliebte Menschen auf sie warteten und sich um sie kümmerten. Und sie konnte jetzt mit gutem Gewissen die Vergangenheit begraben, so wie ihre Familie hier begraben worden war. Und mit leisem Lächeln im Gesicht ging sie den Bürgersteig entlang, direkt in eine neue Zukunft, in der sie hoffentlich nicht mehr von der Vergangenheit verfolgt werden würde. ENDE
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