Peter nahm Cat in die Arme und gab ihr einen sanften Kuss. "Übermorgen bin ich zurück", flüsterte er und wurde fast von der Lautsprecheransage im Check-In Bereich übertönt. Sie nickte nur und schmiegte sich an seine breite Brust. "Ich werde dich trotzdem vermissen", murmelte sie in sein T-Shirt, hob dann den Kopf und lächelte ihn an. "Aber jetzt mach', dass du weg kommst, der Flieger wartet nicht auf dich", schmunzelte sie aufmunternd. Der Shaolin zog sie noch einmal fest in seine Arme, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und löste sich dann. "Ich liebe dich!" "Ich liebe dich auch", entgegnete Cat sofort, strahlte ihn an und schob ihn dann förmlich in Richtung des Schalters. "Bis übermorgen." Peter lachte kurz auf, gab ihr noch einen letzten Kuss und stellte sich dann hinten in der Schlange am Check-In an, während Cat ihm kurz nachblickte und dann die Halle wieder zum Parkhaus verließ. Während sie zum Stealth ging dachte sie über Peter und seine Reise nach. Sie war fest davon überzeugt, dass Peter das stemmen würde und auch mit einem Lächeln zurückkam. Aber ein leiser Zweifel, eine Sorge blieb, dass die Trauer ihn erschlagen und erneut auffressen würde. * Cat hatte noch nicht einmal die Autoschlüssel weggelegt, als das Telefon klingelte. Schnell ging sie ins Wohnzimmer und griff nach dem Mobilteil. "Caine", meldete sie sich gehetzt. Sie hatte nicht einmal aufs Display geguckt, wer anrief. "Ich bin's Kleines", gab sich Kermit zu erkennen. "Alles klar bei euch?" "Ja", antwortete sie gedehnt und etwas irritiert, als wäre die Frage außergewöhnlich. Aber eigentlich begann der Ex-Söldner nahezu jedes Telefonat mit diesen Worten. "Wirklich? Klingt grade nicht so", murmelte Kermit sofort und wurde misstrauisch. In seinem Kopf entwickelten sich schon wieder die wildesten Bilder, was wohl bei den Caines los sein konnte. "Doch, alles in Ordnung. Ich bin nur grade erst nach Hause gekommen und ziemlich platt. Was kann ich für dich tun?", fragte sie, während sie wieder in den Flur ging und sich nebenher die Schuhe auszog. "Ich wollte Peter, oder auch euch beide natürlich, fragen, ob ihr heute Abend ins Delancys wollt. Du weißt schon, um Peter auf andere Gedanken zu bringen." Cat nickte, obwohl sie wusste, dass ihr Gesprächspartner das natürlich nicht sehen konnte. "Also das mit den anderen Gedanken kannst du vergessen. Und das Delancys auch. Peter ist nicht da, ich habe ihn eben zum Flughafen gebracht", erklärte die junge Frau. "Er fliegt hin?" "Ja." "Dann hoffe ich mal, dass das eine gute Idee ist", seufzte Kermit; unsicher, ob Peter das ohne Schaden für seine Seele überstand. "Er ist stark, Kermit. Und außerdem ist es ja auch fünf Jahre her. Er schafft das schon. Sonst hätte ich ihn nicht fliegen lassen", sagte sie mit einem leichten Auflachen und ließ sich auf dem Sofa nieder. "Du hast wahrscheinlich Recht. Und was machst du heute Abend, so ganz allein zu Haus?", erkundigte er sich interessiert. "Schlafen! Ich bin hundemüde und werde heute wohl sehr früh ins Bett marschieren. Heute morgen vier Stunden Redaktionssitzung, dann noch zwei Artikel geschrieben und dann Peter zum Flughafen. Dabei im Stau und Zeitdruck… du weißt schon." "Oje. Dann will ich dich nicht länger stören. Gute Nacht, Kleines!" "Gute Nacht, Kermit", antwortete sie lächelnd und legte auf. Es war doch immer wieder schön zu hören und zu fühlen, wie viele Sorgen sich ihre Freunde um sie und Peter machten. Aber eigentlich müsste Kermit Peter gut genug kennen, um zu wissen, dass sich dieser an diesem Tag von nichts und niemandem ablenken lassen würde. Cat dachte an das Gespräch, das sie mit ihrem Mann zu seiner Idee geführt hatten. ”Ich bin ihm immer nahe, das weiß ich. Aber trotzdem… ich will es einfach tun. Es ist so, als ob mich eine unsichtbare Kraft dort hin zieht. "Dann hoffe ich, dass es eine gute Kraft ist", entgegnete sie Peter vorsichtig. Sie wusste, dass sie ihm die Idee nicht ausreden konnte und auch gar nicht wollte. Aber sie wollte ihn darauf aufmerksam machen, dass dort vielleicht auch ein dunkles Loch auf ihn warten konnte. "Das ist es. Das weiß ich", antwortete er überzeugt. "Ich wünschte, du hättest ihn kennen lernen können!" "Das wünschte ich auch", gab sie wehmütig lächelnd zurück und fühlte eigene Traurigkeit in sich aufkommen. Natürlich hatte sie mit Paul einen wunderbaren Schwiegervater gewonnen, aber sie wusste mittlerweile so viel von Kwai Chang Caine, so viel geheimnisvolles auch, dass sie diesen Mann zu gern einmal getroffen hätte. "Und?", fragte Peter sie nach ihrer Meinung zu seinem Plan. "Flieg. Ich werde es dir sicher nicht verbieten. Das könnte ich doch auch gar nicht", gab sie lächelnd zurück, in Gedanken immer noch bei Peters Vater, den sie nie hatte kennen lernen dürfen. Sie fand sich selbst auf dem Sofa wieder und war sich nicht sicher, ob nur in Gedanken versunken oder vielleicht sogar eingenickt war. Ihr Blick glitt auf die Uhr an der Wand, die erst kurz nach acht anzeigte. Dennoch verließ ein herzhaftes Gähnen ihren Rachen und sie stand langsam und schwerfällig auf. Sie ging ins Bad, um eine schöne heiße Dusche zu nehmen, sich die Zähne zu putzen und anschließend ins Bett zu verschwinden. Während sie sich ihrer Kleidung entledigte schweifte ihr Geist schon wieder zu ihrem verstorbenen Schwiegervater ab. Warum kam ihr das ausgerechnet heute so heftig in den Sinn? Klar, Peter hatte die Reise ans Grab angetreten, um morgen zum fünften Todestag dort zu sein und zu meditieren, aber er redete doch auch sonst sehr viel von diesem geheimnisvollen Mann. Und trotzdem: noch nie waren die Gedanken so hartnäckig geblieben und hatten sie so gefesselt. Caine. *Er muss schon etwas verdammt Besonderes gewesen sein* schoss es ihr durch den Kopf, als sie in die Dusche stieg. Sie hatte schon so vieles von ihm gehört, so viele Geschichten und Erzählungen von Peter, aber auch den anderen auf dem Revier oder dem Alten, dass sie schon immer traurig war, nie seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Aber heute war dieses Bedauern größer denn je. Nur mit einem großen Handtuch bekleidet verließ die junge Frau eine Viertelstunde später das Badezimmer und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich frische Wäsche und ein weites T-Shirt zum Schlafen überwarf. Anschließend ließ sie sich in die Kissen sinken und schloss die Augen. Sie versuchte alle Überlegungen abzuschalten, konzentrierte sich darauf, wie ihre Glieder schwer wurden und ihr Körper sich beruhigte. Kurz danach versank sie in einen tiefen Schlaf. * * Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Sie stand mitten auf einer grünen Wiese, und in alle Richtungen erstreckte sich das Gras bis zum Horizont. Sie dreht sich herum, aber es gab nichts anderes. Mit Gras bewachsene Ebene, soweit das Auge reichte. Die junge Frau blickte an sich hinunter. Sie trug dieselbe Kleidung wie am Tag, dieselben Stücke, die sie doch abgelegt hatte. Träumte sie? Sie war sich nicht so sicher, sie fühlte sich so real, so echt, nicht so schwammig wie sonst im Traum. Plötzlich merkte sie, dass sie nicht allein war. Sie konnte nicht sagen, woher sie das so genau wusste, aber sie war sich absolut sicher, dass jemand hinter ihr stand. Und sie wusste sogar, wer. Langsam drehte sie sich herum und blickte in das Gesicht, das sie bisher nur von Fotos kannte und welches sie nun freundlich anlächelte. Sie ertappte sich bei der innerlichen Frage, wie sie ihn ansprechen sollte. Caine? Kwai Chang? Dad? Mr. Caine? Sie hatte keine Ahnung und sah ihn deshalb nur etwas schüchtern an. "Sie… sie sind…", stotterte sie hilflos, weil sie auf diese –in einer solchen Situation in ihren Augen irgendwie alberne- Frage keine Antwort fand. Schließlich war dies ein Traum. Oder irgendetwas anderes in dieser Art. "Bitte", sagte Caine ruhig und legte ihr die Hände auf die Schulter, "du bist eine Tochter für mich, trägst denselben Namen, liebst Peter ebenso wie ich. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ich ein Vater für dich sein dürfte. Nenn mich einfach Caine. Oder, wenn du möchtest, auch gerne Vater. Nur nicht…" "Paps", fiel sie ihm ins Wort und grinste kurz. Caine lachte leise auf und nickte leicht. Sein gütiges Lächeln nahm Cat jede Unsicherheit, seine Hände auf ihren Schultern verströmten Wärme in ihren Körper. "Caine", sagte sie leise und blickte ihm in die Augen. "Es freut mich sehr, dich endlich einmal zu treffen. Auch wenn ich nicht weiß, wie…", sie machte eine ausladende Handbewegung auf die Umgebung und zog die Brauen hoch. "Das WIE ist nicht wichtig. Wir sind hier. Und ich freue mich, dass wir nun Gelegenheit haben, einander kennen zu lernen. Verbindet uns doch das Wichtigste in unser beider Leben." Jetzt war es Cat, die nickte. "Peter", sagte sie und dachte zwangsläufig daran, dass er so viele Meilen von ihr entfernt grade an Caines Grab stand und trauerte. Auch wenn sie ihn gehen gelassen hatte, ganz wohl war ihr dabei dennoch nicht. "Sein Geist ist stark. Mach dir nicht allzu viele Sorgen um ihn. Das ist eine Lektion, die ich leider erst nach dem Tod gelernt habe", las Caine offenbar ihre Gedanken und legte ihr eine Hand auf die Wange. "Es ist schon verrückt", sagte sie und blickte ihrem Schwiegervater tief in die Augen. "Wenn du das sagst, klingt es richtig. Wenn ich es zu ihm sage, klingt es das auch. Aber wenn ich allein bin, dann bin ich mir da nicht mehr so sicher", erklärte sie ihre Gedanken und war verwundert, wie leicht es ihr fiel, ihm all das zu erzählen, ohne irgendwelche Bedenken oder Vorbehalte. Das war wohl ein Teil von Caines Zauber, von dem sie schon so viel gehört hatte. "Das ist nicht verrückt. Es ist nur menschlich. Wenn wir einen Menschen lieben, mehr als uns selbst, dann kommen automatisch Ängste davor auf, diesen Menschen zu verlieren. Ohne die Verbindung zu seiner Seele." Er zuckte langsam die Schultern. "Wir müssen nur aufpassen, dass die Angst kleiner bleibt als die Liebe." Cat nickte und blickte in die Ferne. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihre Reise wohin-auch-immer bald vorbei sein würde. "Jetzt verstehe ich, warum Peter dich so sehr verehrt", murmelte und sie sah ihn wieder an. "Ich wünschte, wir hätten im Leben die Zeit gehabt, dieses kleine Gespräch zu führen." "Meine Zeit im Leben war gekommen, ehe deine an Peters Seite begonnen hatte. Das ist der Lauf des Universums." Er machte eine allumfassende Handbewegung. "Aber sei dir sicher, Castor, ich bin immer bei euch. Vielleicht könnt ihr mich nicht immer erreichen, aber ich bin da. Nach den Möglichkeiten, die mir jetzt noch gegeben sind. Mein Geist ist bei euch." "Nur dass Peter geübter darin ist, dich zu sehen und zu hören", sagte sie ohne Vorwurf, sondern mit ein wenig Wehmut. "Wenn du gelernt hast, auf die leisen Töne deines Herzens zu hören, dann wirst auch du mich hören können. Wenn deine Augen die Fähigkeit erlangt haben, in dich hinein blicken zu können, wirst du auch mich wieder sehen." Cat standen fast die Tränen in den Augen. Sie konnte es nicht erklären, aber Caines Worte berührten sie so sehr, auch wenn es doch eigentlich nur eine Aufzählung dessen war, was sie nicht konnte. NOCH nicht konnte, wenn sie seinen Worten glauben wollte. "Es wird von ganz allein kommen. Vertrau mir. Und vertrau dir", sagte Caine und legte ihr nun beide Hände auf die Wangen. In seinen Augen stand der nahende Abschied. Cat legte ihre Hände auf seine und blickte dankbar in seine dunklen Pupillen. "Danke", hauchte sie erstickt und lächelte. Caine lächelte zurück, nickte und löste dann die körperliche Verbindung zu ihr. "Bis zum nächsten Mal, meine Tochter", sagte er und verschwand in einem plötzlich aufkommenden Nebel, der Cat vollständig einhüllte, sodass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte. "Bis zum nächsten Mal", flüsterte sie in den Nebel. "Bis zum nächsten Mal, Caine." * * Schlagartig öffneten sich ihre Lider in der Dunkelheit des Schlafzimmers. Cat war sofort hellwach und die Bilder ihres Traumes waren absolut klar, die Worte hallten noch in ihren Ohren. Caine. Sie war ihm tatsächlich begegnet. Dem Mann, von dem sie schon so viel gehört hatte, und dennoch nichts wusste. Ein Mann, genauso geheimnisvoll und nebulös, wie er immer beschrieben worden war. Die junge Frau lächelte in den dunklen Raum hinein. Es war kaum nach Mitternacht, aber sie fühlte sich so erholt und voller Kraft, dass sie sich im Bett aufsetzte. Die Begegnung mit ihrem Schwiegervater war auf der einen Seite mit so wenigen Worten ausgekommen und so kurz gewesen, hatte aber dennoch irgendetwas in ihr ausgelöst. Es war ein Gefühl, wie wenn man etwas wieder findet, dass man vor langer Zeit verlor. Etwas, von dem man glaubte, dass es nie wieder auftauchen würde. Aber das war es nicht allein. Caine war ihr nicht nur heute kurz begegnet, sondern er hatte ihr gesagt, dass mehr in ihr steckte, dass sie in der Lage sein würde, -irgendwann-, von sich aus Kontakt zu ihm aufzunehmen, ihn zu sehen und zu hören. Langsam legte sich Cat wieder ins Bett und starrte an die Schemen an der Decke. Sie lächelte immer noch, als sie mit dem Gedanken an Caine und seine Worte einschlief. Ganz ohne Angst und Sorge. ENDE
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