Langsam ging die Sonne am Horizont auf. Peter lenkte den alten Kombi auf einen kleinen Hügel vor der Stadt und stellte den Motor ab. Er beobachtete Cass, die auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war und nun zusammengerollt da lag, mit friedlichem Gesicht und zerzauster Mähne. Peter musste lächeln. Sie war wunderschön, und sie war seine Freundin, die Frau, die zu ihm gehörte, wie der Drache zum Tiger. Er würde sie nie wieder gehen lassen, dessen war er sich schon jetzt sicher. Allein die letzten zwei Tage im Auto und in den Motelzimmern hatte sie unglaublich viel von seinen Erzählungen in sich aufgenommen, sie sich gemerkt, darauf reagiert. Peter fühlte sich ihr schon jetzt unendlich verbunden und konnte kaum glauben, dass er sie erst seit drei Wochen kannte. Er junge Shaolin stieg aus und machte leise die Fahrertür hinter sich zu. Dann lehnte er sich an den Wagen und schaute über die Stadt, die jetzt in die Morgensonne getaucht wurde. Peter hatte darum gebeten, dass sie morgens ankamen, damit er nicht sofort von hundert Leuten erkannt und überrannt wurde. Jetzt würde noch nicht viel auf den Straßen los sein. Eines der ersten Dinge, die er tun wollte, war Skalany im Krankenhaus zu besuchen. Er fühlte, dass es ihr besser ging, dass sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, hatte es schon am Tag nach der Verletzung gefühlt. Er konnte nicht sagen, woher er es wusste, er hatte keine direkte mentale Verbindung aufgebaut, es war einfach ein Gefühl im Herzen, von dem er wusste, dass es stimmte. Er hörte die Beifahrertür auf und wieder zu gehen, als sich schon Cass neben ihn stellte und den Arm um seine Hüfte legte. Er umfasste ihre Schultern. "Das ist Sloanville?", fragte sie schläfrig. Peter nickte mit wehmütigem Gesicht. Wie sehr er diese Stadt und die Menschen darin vermisst hatte, erkannte er erst jetzt. "Worauf warten wir dann noch?" Peter musste grinsen. Er zog sie an sich und küsste sie auf den Mund, ließ sich für einen Moment im Strudel der Leidenschaft treiben, ehe er wieder an die Oberfläche kam, von ihr abließ und um den Wagen ging. "Also los", sagte er mit einem Lächeln im Gesicht und einem mulmigen Gefühl in der Magengrube. Langsam steuerte er den Wagen durch die Straßen, die vor der Rush Hour leer und verlassen wirkten. Als sie nach Chinatown kamen, begann dort langsam das Treiben, die chinesischen Händler waren nun mal Frühaufsteher. Peter parkte den Kombi im Hinterhof, stieg aus und blickte am Gebäude empor. Soweit er erkennen konnte, wirkte es nicht bewohnt, aber sicher war er sich nicht. Er hatte seine Freundin gewarnt, dass sie möglicherweise ohne Bleibe waren. Cass lachte aufmunternd und schob ihn in Richtung der Treppe. Je näher Peter der Wohnung kam, umso näher spürte er das Glück, endlich zu Hause, endlich angekommen zu sein. Vorsichtig trat er durch die Tür, die nicht abgeschlossen war, so wie früher. Er spürte die starke Ausstrahlung der Räumlichkeiten, jeder Zentimeter Wand, Boden und Decke ließ Erinnerungen auf Peter niederprasseln. Er lächelte, während Cass ihn nur stumm beobachtete. Mit langsamen Schritten erforschte Peter die Wohnung, betrat jeden Raum und stellte erstaunt fest, dass noch alles an seinem Platz war, nicht mal gestohlen wurde etwas. Als er mit seinem Rundgang fertig war, strahlte er Cass an. "Ich bin zu Hause!", sagte er glücklich, und sie umarmte ihn. Dann nahm sie selbst die Einrichtung in Augenschein. "Haben Shaolin keine Türen?", fragte sie irgendwann. Peter schmunzelte. "Doch, die meisten schon. Aber mein Vater nicht, und daher…" Peter hatte ihr versucht zu erklären, wo sein Problem gewesen war, dass er zu sehr versucht hatte, seinem Vater nachzueifern und darüber vergessen hatte, wer er selbst war. Sie nickte langsam. "Ich habe schon überlegt, welche einzuziehen. Auf dem Weg hier her, als du geschlafen hast. Zumindest rechts vom Flur. Da hatte ich mir die Privaträume vorgestellt. Und hier links die Apotheke und der Übungsraum." Cass beobachtete den Enthusiasmus, mit dem Peter an die Sache heranging. Es gefiel ihr. Dann aber griff sie nach einer Zimmerpflanze, die nur noch ein dürres Gestrüpp darstellte. "Ich glaube, wie brauchen neue Blumen", sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Grinsen auf den Lippen. Peter lachte. Dann aber verging ihm das Lachen, als er hinter sich eine Stimme hörte. "Peter! Schön, dass du wieder da bist", sagte der alte Mann aufrichtig, aber es fiel dem jungen Shaolin schwer, ihm zu glauben. Cass sah von einem zum anderen, Peter hatte ihr von dem Priester, der ihn als Kind belogen hatte, erzählt. Und sie sah wie angespannt er dastand, sein Rücken hatte sich versteift, sein Gesicht wirkte versteinert. "Ich geh schon mal zum Wagen, die Sachen rausholen", ließ sie eine kurze Ausrede verlauten und verließ die Wohnung. Peter war ihr unendlich dankbar dafür. "Peter?" fragte Lo Si nach, der natürlich spürte, dass mit der Reaktion des Shaolin etwas nicht stimmte. Aber er hatte seinen Geist verschlossen, Lo Si konnte nichts wahrnehmen. "Freust du dich wirklich?", fragte Peter leise, sarkastisch, bebend. Lo Si starrte erstaunt auf dessen Rücken. "Peter, ich verstehe ni…" "Lügner!", entfuhr es ihm, ehe er darüber nachgedacht hatte. Aber er war jetzt zu zornig, um Reue für das Wort zu empfinden. Er atmete mehrmals durch, sammelte sich, ehe er beruhigt weiter sprach. "Du hast mich mein ganzes Leben lang belogen", setzte er von neuem an. Jetzt fühlte es sich an, als würden seine Gefühle ihn jederzeit übermannen. Lo Si senkte den Kopf, Peter konnte es auch ohne Hinsehen wahrnehmen. "Warum?" Nur noch ein Flüstern, ein leises Bitten. "Warum hast du meinen Vater und mich getrennt, nachdem der Tempel zerstört war? Warum hast du uns fünfzehn Jahre genommen, die wir nicht mehr aufholen können?" Peter hatte sich umgedreht, dem alten Mann in die Augen gestarrt. Die eigenen, von Tränen gerötet, forderte er nun Antworten. "Ich wollte euch beschützen", gab Lo Si zurück und breitete die Hände aus. Er konnte Peters Zorn durchaus verstehen. "Das hat Paps auch immer gesagt. Mir fällt es dennoch schwer, es zu verstehen. Wusste er, dass du Ping Hai bist?" Die Wut war verflogen, Traurigkeit und Enttäuschung weichten seinen Körper auf und ließen ihn elend aussehen. Lo Si nickte. "Ja. Aber er bat mich, es dir zu sagen, nachdem er fort ist." Peter hob erstaunt den Kopf. Noch eine Lüge. "Warum hast du es dann nicht getan? Immer noch nicht?!" "Weil du dich vermutlich von mir abgewendet hättest. Und du warst als Shaolin nicht so weit, alleine bestehen zu können. Nicht so weit wie jetzt." Peter starrte ihn fassungslos an. "Von mir aus." Er lachte kurz und sarkastisch auf. "Warum hast du mich ins Waisenhaus gebracht, mir vorgelogen du seiest krank? Warum hast du mich in diese Hölle geschickt?" "Peter, auch ich hatte Feinde. Es wäre zu gefährlich gewesen, dich bei mir zu behalten. Ich wollte immer nur dein Bestes", betonte der Alte nun noch mal. Peter schnaubte. Jetzt fühlte er wieder die glühenden Wogen in seinem Blut. "Wenn du alles getan hast, um mich zu schützen, als ich ein Kind war, warum hast du dich mir nicht zu erkennen gegeben, als ich erwachsen war und in Chinatown als Cop angefangen habe? Und erzähl mir nicht, du hättest es nicht gewusst! Du hättest es mir damals erklären können, ich hätte meinen Vater gesucht und gefunden!" Peters Gesicht war von Trauer und Schmerz verzerrt, die Dämonen seines Lebens und seiner Kindheit gruben sich nun aus seinem Unterbewusstsein wieder an die Oberfläche. Die Alpträume, die ihn so schon lange quälten. Lo Si senkte den Kopf. "Ich habe dich erkannt, Peter. Aber ich brachte es nicht übers Herz, dir die Wahrheit zu sagen. Ich wusste ja nicht, was in den Jahren mit deinem Vater geschehen war und wollte dich vor einer weiteren Enttäuschung schützen", versuchte der alte Mann sein Verhalten zu erklären. Peter fuhr sich durch die Haare und begann wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu laufen. "Warum glauben eigentlich alle Menschen zu wissen, was das Beste für mich ist?!", sagte er laut in den Raum. Dann sah er Lo Si an, bemüht zumindest etwas Ruhe zu bewahren. "Du hast mir erzählt, mein Vater sei tot! Du hast mich ins Waisenhaus gebracht, obwohl du nicht krank warst! Du hast mir die Wahrheit nicht gesagt, als wir uns hier nach all den Jahren wieder trafen und selbst als Vater wieder da war und wir uns gefunden hatten, hast du es nicht für nötig gehalten, mir endlich zu sagen, dass du Ping Hai bist! Selbst als er dich darum bat, es mir zu sagen, hast du geschwiegen! Als er starb hast du geschwiegen!" Peter blickte ihn traurig und wütend, enttäuscht und gleichzeitig rasend an, die Arme fragend ausgebreitet. Seine Stimme zitterte, der ganze Körper bebte. Der Alte senkte schuldbewusst den Kopf. Peter wurde leise, Tränen liefen jetzt über sein Gesicht. Lo Si sah ihn an. "Ich weiß, dass Vater es verziehen hat. Aber ich habe die letzten vier Monate gebraucht, um zu merken, dass ich nicht wie er sein muss. Ich deshalb weiß nicht, ob ICH das kann. Ob ich dir jemals vergeben kann." Nur noch ein Flüstern. Ein trauriger Gedanke an eine enttäuschte Freundschaft. Lo Si verbeugt sich vor Peter. "Ich werden deinen Wunsch respektieren, Peter." Mehr nicht. Peter stellte sich an die Balkontür und blickte hinaus, während der Alte die Wohnung verließ. Das war es also, das Ende einer so vertrauten Beziehung, deren Fundament aus Lügen gegossen war. *** Cassie lehnte am Wagen und schaute sich um. Aus dem Fenster rauschten schnelle Gitarrenriffs zu ihren Ohren, und sie wippte unbewusst mit dem Fuß dazu. Peter hatte ihr versucht zu erklären, wie er aufgewachsen war, welche Bedeutung dieser alte Priester, dessen Namen sie vergessen hatte, für den Verlauf seines Lebens hatte. Und dass sich herausstellte, dass es derselbe Mann war, der unter anderem Namen nun ein guter Freund war. Oder so ähnlich. Sie war sich nicht sicher. Die neue Situation machte sie allgemein unsicher, auch wenn sie nach außen hin souverän wirkte. Peter war so anders als andere Männer; er konnte ihr die Gedanken buchstäblich von den Augen ablesen, erkannte was sie bedrückte und wusste, wann sie seine Nähe brauchte. Aber es war auch unheimlich, was er erzählte. Von anderen Dimensionen, in die er durch ein Buch reiste. Dass sein Vater in die Vergangenheit entführt wurde, damit er einen Kristall stahl. Dass er Dinge beeinflussen konnte, ohne sie zu berühren. Aber sie war sicher, dass sie da hinein wachsen konnte; solange Peter sie mit einbezog, solange würde sie ihm folgen können. Es riss sie aus ihren Gedanken, als sie nun den alten Mann an sich vorbei trotten sah, er wirkte traurig und wesentlich älter, als eben noch in der Wohnung, wo er ein Lächeln auf den Lippen gehabt hatte. Langsam ging sie zurück in die Wohnung, um Peter irgendwie beizustehen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie. *** Peter spürte, wie Cassie vorsichtig den Raum betrat und auf ihn zukommen wollte, aber er hob die Hand, bat sie stumm, ihn allein zu lassen. Sie ging wieder. Inständig hoffte Peter, dass sie verstehen würde, dass er jetzt für einen Moment allein sein musste, ein paar Minuten, um sich wieder zu sammeln. Sie saß auf dem Bett und hielt ein Kissen vor ihrem Bauch, als er zu ihr kam und sich neben sie setzte. Sie hatte in der Zwischenzeit den Boden im Schlafzimmer und Wohnzimmer gefegt, das Bett frisch bezogen und sich dann niedergelassen, um zu verschnaufen. "Entschuldige", bat er leise. Sie sah ihn vorsichtig an. "Hast du die Antworten bekommen, die du wolltest?" Peter schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die Haare. "Nein, das heißt: ja, ich meine… er hat mir Antworten gegeben, aber ich weiß noch nicht, wie ich jetzt damit umgehen soll. Ich hatte gehofft, dass er es erklären kann, dass es einen Grund gab, den ich übersehen habe, aber den ich verstehen könnte." Er ließ den Kopf hängen, sie küsste ihn auf die Stirn. "Du wirst schon das Richtige tun", sagte sie in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sie es ernst meinte. Peter nickte nur skeptisch. Dann strich er sich durchs Gesicht und nahm sie in den Arm. "Was machen wir jetzt?", fragte er, mit dem Versuch eines Lächelns im Gesicht. "Du wolltest deine Kollegin im Krankenhaus besuchen. Wie wär's, wenn wir erst ein paar Kisten hoch tragen, und ich sie dann auspacke, während du sie besuchst?" "Du möchtest nicht mit?", fragte er erstaunt. Sie lächelte verständnisvoll. "Wir werden noch genug Zeit haben, deine Freunde kennen zu lernen. Aber ich fände es heute unpassend. Geh zu ihr, lass dich willkommen heißen. Vorstellen kannst du mich auch später noch." Peter küsste sie innig. Diese Frau verstand
ihn schon jetzt besser, als jede andere vor ihr. *** Peter fühlte sich gleichzeitig mulmig und voller Freude, als er mit einem Blumenstrauß in der Hand, den er unterwegs gekauft hatte, langsam die Krankenzimmertür aufdrückte. Was würde sie wohl sagen? Langsam ging er den kurzen Flur entlang und trat dann vor ihr Bett, in dem sie mit geschlossenen Augen lag, aber nicht schlief. Langsam öffnete sie ihre Lider und blickte Peter mit offenem Mund an. An ihrem Hals klebte ein dicker Verband, sie war blass. Und ihre Stimme klang merkwürdig rau und tief, als würde sie seit Wochen Kette rauchen. "Phantasiere ich?", fragte sie ungläubig. Peter senkte leicht beschämt den Kopf. "Nein, ich glaube nicht." Er trat neben sie ans Bett und umarmte seine frühere Kollegin und gute Freundin fest, ohne ihre Verletzung zu berühren. Er spürte, dass die Wunde heilte und alles gut wurde. Es schien, als wollten sie sich nicht mehr loslassen. Mary-Margaret weinte, als sie sich wieder lösten. "Oh Gott, ich bin so froh", schluchzte sie und wischte sich ihre Tränen weg. Mit strahlenden Augen sah sie ihn an, dankbar, dass er zurückgekommen war. "Ich auch! Glaub mir", versicherte er ihr. "Wie geht es dir?" "Ohne dich wäre ich tot, also geht es mit den Umständen entsprechend ganz gut. Es tut noch weh, aber es werden keine Schäden bleiben, hat der Arzt gesagt." Ihr Lächeln ließ ein wenig nach. "Bleibst du?" fragte sie vorsichtig. Ihre Augen funkelten gleichzeitig unendlich glücklich und ängstlich. Peter nickte strahlend und sie umarmte ihn noch einmal. "Wissen die anderen schon…" Der junge Shaolin schüttelte den Kopf und lachte verschmitzt. "Wenn du sie überraschen willst, solltest du bald gehen, in zehn Minuten wollte Jody vorm Dienst noch mal vorbei kommen", warnte Mary-Margaret ihn vor. Peter nickte. "Und du bist mir nicht böse?" Lachend verneinte sie. "Aber beeil dich, ich kann so ein Geheimnis nicht lange für mich behalten! Dafür freu ich mich einfach viel zu sehr!" Peter küsste sie auf die Stirn und schlich sich dann aus dem Zimmer. Noch heute würde er seine alten Freunde nach über vier Monaten endlich wieder sehen. *** Cass hatte es geschafft, die Wohnung in der Zwischenzeit auf Vordermann zu bringen. Sie war grade dabei, die CDs in die Regale zu räumen, die sie im Wohnzimmer an die Wand geschraubt hatte. "Wow, handwerklich begabt bist du auch!", griente Peter. Erschrocken drehte sie sich um. "Ich hab dich gar nicht kommen hören…" "Könnte am Krach liegen, der aus der Anlage kommt", spaßte er und fing sich dafür einen gespielt bösen Blick. Es war nicht die erste Unterhaltung über Cass' Musikgeschmack. "Das ist kein Krach, das ist Musik. Und gute noch dazu!", betonte sie und stemmte die Fäuste in die Rippen, heftig bemüht das Grinsen unterdrücken zu können. Peter stellte sich vor das Regal und las vor. "Harmful. Black Funeral. Slipknot. Slayer. Funeral for a Friend. Lay Down Rotten. Evil Breed. Das klingt alles wenig freundlich. Und außerdem schreien die mehr als dass sie singen." "Schätze mal, da werden wir uns wohl nie einig", stellte sie mit einem Schulterzucken fest und nahm den letzten Haufen CDs aus einem Karton, den sie dann auf den Stapel zu den anderen warf. Peter sah ihr zu, wie sie akribisch sortiert die Platten ins Regal stellte. Dann drehte sie sich und schaute sich um. "Fertig!", rief sie triumphierend. Peter umarmte sie. "Ich bin so stolz auf dich!", lachte er und küsste sie. Aber sie löste sich schon wieder und packte ihn an der Hand. "Und jetzt zeigst du mir Chinatown!" Keine Frage, sondern eine Forderung. *** Sie schlenderten Arm in Arm die vormittägliche Straße entlang. Immer wieder wurde Peter erkannt und die chinesischen Kaufleute und Bürger schüttelten ihm die Hand, oder verbeugten sich, taten ihre Freude kund, dass er wieder da war. Peter war so viel Aufmerksamkeit fast unangenehm, während Cassandra beeindruckt schien. "Die haben dich hier wirklich vermisst, was?", fragte sie. Peter fuhr sich durch die Haare. "Sieht ganz so aus." Die junge Frau an Peters Seite genoss die Atmosphäre von Chinatown, das geschäftige Treiben, die Menschen, die einander freundlich grüßten und sich verneigten, überhaupt so viel Achtung ihren Mitmenschen gegenüber zeigten. Aber auch die Beleuchtungen, obwohl am Tage, und die Einrichtungen der Geschäfte. Man fühlte sich wie in der Zeit zurück versetzt. Eine eigene kleine Welt, die sich diese Menschen in der Fremde aufgebaut hatten. Wieder kam ein alter Mann auf Peter zu und verbeugte sich tief. Der junge Shaolin tat es ihm gleich. Er sprach Peter auf Chinesisch an, welcher ebenso antwortete. Mit offenem Mund beobachte Cass das, bis der Mann sich wieder entfernte. "Du hast mir verschwiegen, dass du Chinesisch sprichst!", sagte sie erstaunt. "Muss ich vergessen haben", sagte er abwesend und blieb plötzlich stehen. Sein Blick war zur anderen Straßenseite gerichtet. Cass folgte ihm und sah ein großes Gebäude, eine Polizeiwache. Sie nickte verstehend. "Dein altes Revier?", fragte sie. Peter hatte ihr viel von der Zeit als Polizist erzählt, hatte versucht ihr einen Eindruck von seinem Freunden und seiner Situation zu vermitteln. Jetzt nickte er einfach nur leicht. "Du solltest rein gehen!", sagte sie und stieß ihn sanft in die Rippen. Erstaunt sah er sie an. "Und du?" "Ich geh so lange hier bummeln, du willst ja heute bestimmt noch was zu essen, und gehe dann wieder zur Wohnung. Den Weg find ich schon." Sie zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an. Peter lachte, aber sein Blick wirkte unsicher. "Was ist?", fragte sie sanft. Peter wollte sein Gesicht abwenden. "Nichts." "Hey", protestierte sie leise und zog sein Kinn zurück, damit er sie ansah. "Was ist?", wiederholte sie. Peter sah sie ernst an. "Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe ein schlechtes Gewissen." "Weil du gegangen bist?" Er nickte. "Du musstest gehen." Peter bejahte wieder stumm, aber der bittere Geschmack blieb trotzdem. Sie sah ihn fest an. "Du hast mir doch erzählt, dass es darum ging, kein schlechtes Gewissen dafür zu empfinden, wer man ist und was man tut", wiederholte sie seine Worte. "Aber das heißt nicht, dass man keine Fehler mehr macht und nie wieder ein schlechtes Gewissen haben wird." "Ich denke, wenn sie deine Freunde sind, werden sie verstehen, beziehungsweise verstanden haben, dass du gehen musstest. Es musste sein. Geh einfach da rein und lass dich feiern. Sie werden sich freuen, dich wieder zu sehen", sagte sie ihm überzeugt. Er lachte auf. "Du bist wirklich unglaublich! Ich liebe dich!", hauchte er in ihren Haaransatz. "Pass auf dich auf!" "Keine Angst, Honey!" Lachend gab sie ihm einen Abschiedskuss und ging dann die Straße zurück, vor den Auslagen hier und da stehen bleibend. Peter ging in schnellen Schritten über die Straße und blieb dann vor der Treppe stehen. Das Gefühl, endlich wieder hier zu sein und die Menschen in die Arme zu schließen, die ihm am meisten bedeuteten, forderte ihm ein breites Lachen ab. Er war unendlich glücklich, seinen Weg nach Hause gefunden zu haben. *** Das übliche Getöse kam ihm entgegen, als er das Revier durch die große Schwingtür betrat. Broderick wuselte geschäftig hinter seinem Tresen und versuchte grade einem Mann zu erklären, warum dessen Wagen abgeschleppt worden war. Peter senkte den Kopf und versuchte sich an ihm vorbei zu schmuggeln, der Seargent bemerkte ihn aber. "He sie!" Peter hob sein Antlitz. Noch bevor sein ehemaliger Kollege etwas sagen konnte grinste der Shaolin breit und legte einen Finger auf den Mund. Dann trat er in das Großraumbüro. Jody saß an ihrem Tisch und blätterte wild in einer Akte, Blake schraubte an irgendetwas rum und T.J. war nicht in Sichtweite. Kermits Tür stand offen, im Gegensatz zu der vom Captain, und Peter konnte den Rücken seines besten Freundes sehen. Einige Sekunden stand er unbemerkt da, nur Brodericks Blick im Rücken, dann bemerkte ihn Jody, als sie genervt aufblickte. Als würde er sich schämen senkte Peter den Kopf und blickte sie mit hochgezogenen Brauen an, ein Lächeln im Gesicht. Sofort schossen Freudentränen in die Augen des Detectives. "Peter!", rief sie überglücklich. Dann herrschte Totenstille, alle Augen waren auf den Priester gerichtet, der noch immer so da stand, dann aber Jody entgegenkam und sie fest umarmte. Sie schluchzte unter seiner Berührung. "Oh Gott, Peter! Ich hab dich so vermisst", weinte sie mit erstickter Stimme. Peter wusste um die Gefühle von Jody für ihn, und er wusste, dass er nichts daran ändern konnte. Sie liebte ihn, er empfand eine tiefe Freundschaft, aber eben nur eine Freundschaft für sie. Kermit war mittlerweile in seinem Türrahmen aufgetaucht und sah mit seinem obligatorischen Grinsen zu Peter. Während der Blake die Hand gab und sich freudig willkommen heißen ließ, kam der Chief um die Ecke. "Was zum…", rief er, als er die Traube aus Menschen sah. Dann entdeckte er den ehemaligen Cop und ging zu ihm. "Chief!", grüßte Peter, sie gaben sich kräftig die Hand, Strenlich klopfte ihm auf die Schulter. Langsam arbeitete sich der junge Mann zu Kermit durch, dem er auch kräftig die Hand gab und einen Blick austauschte, der keiner Worte bedurfte. Auch der Ex-Söldner war unglaublich froh, dass sein Freund zurück war. "Ich habe gehofft, dass du wiederkommst", wisperte Kermit, als sie sich kurz umarmten. Peter sah ihn an. "Ich auch." Dann öffnete sich die Bürotür des Captains. Ungläubig trat sie heraus und entdeckte sofort ihren ehemaligen Mitarbeiter. Peter wechselte einen ganz kurzen Blick mit Kermit und ging dann lachend auf sie zu. "Captain", freute er sich. Freundschaftlich gaben sie sich die Hand, und von allen anderen unbemerkt formte sie ein lautloses 'Danke' mit den Lippen. Peter winkte ab. Der junge Shaolin drehte sich um und sah in den Kreis der Menschen, die er so sehr vermisst hatte. Er fühlte ihre Freude, konnte sie förmlich mit den Händen greifen; wie hatte er nur zweifeln können?! "Wo ist T.J.?", fragte er plötzlich. Jody konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. "Auf einem Lehrgang. Irgend so ein langweiliges Seminar zum Thema Unfallverhütung am Schreibtisch oder so ähnlich. Einer musste hin, wir haben Streichhölzer gezogen, er hat verloren." Peter lachte auf. Es war also alles beim Alten. Nachdem der erste Freudentaumel verflogen war erkundigte sich Peter nach Alex Woods und allem, was damit zusammen hing. Seine früheren Kollegen klärten ihn auf, dass Woods mit Dean Spencer zusammen gearbeitet hatte, um entsprechend mit zu kassieren. Ein korrupter Cop, der den Schuss auf Kermit hatte inszenieren lassen, um sich selbst als Verdächtigen auszuschließen. Von dem Dealer aber fehlte noch immer jede Spur. "Ich hab's ja gleich gesagt", sagte Kermit mit einem Seitenblick zu Karen. Dann sah er Peter an, immer noch grinsend, "und dir soll ich von ihm ausrichten, dass er dich umbringt, wenn er dir jemals begegnen sollte." Peter zog eine Braue hoch. "Dann sollte er sich vielleicht eine Nummer ziehen und hinten anstellen", kommentierte er die Tatsache, dass ihm die Drohung eines falschen Polizisten, der hinter Gittern saß, nicht besonders bedrückte. "Möchtest du heute Abend mit ins Delancys kommen?", fragte Jody wie in alten Zeiten. Peter schüttelte den Kopf. "Nein, vielleicht am Wochenende. Es gibt da jemanden", setzte er vielsagend an, "den ich euch noch vorstellen muss. Aber erst mal soll sie sich ein paar Tage hier einleben." Er wusste, dass er Jody damit einen Stich versetzte; die anderen sahen ihn erstaunt an. "Wie wär's mit Samstag? Mary-Margaret soll Freitag oder Samstag entlassen werden, dann würde das passen. Und T.J. wäre dann auch wieder da", sagte seine blonde Ex-Partnerin merkwürdig unbeeindruckt. "Gerne!", antwortete der Shaolin-Priester und verließ kurze Zeit später das Revier wieder, um in seine Wohnung, zu seiner Freundin, nach Chinatown und in sein Leben zurückzukehren. *** Die letzte Station der Ich-Bin-Wieder-Da-Tour trat Peter am nächsten Vormittag an. Eine schrecklich nervöse Cassie im Arm stand er vor der Tür und klingelte. Es dauerte nicht lange und sie schwang auf. "Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst die Tür nicht einfach aufreißen", sagte Peter mit tränenerstickter Stimme. Annie stand wie angewurzelt. "Hallo Mom!", fügte er überglücklich hinzu und drückte sie lange und fest. Ihr Körper schüttelte sich vor Schluchzern und Freudentränen in seiner Umarmung. "Oh Peter!", brachte sie hervor, als er sie losließ. "Ich möchte dir jemanden vorstellen", sagte Peter schnell und ging aus dem Weg. "Mom, das ist Cassie", Peter sah ihr tief in die Augen und lächelte dann, "die Frau, die ich nie wieder gehen lassen werde." Annie streckte ihre Hand aus, und Cass ergriff sie. "Freut mich, Mrs. Blaisdell. Peter hat mir viel von ihnen erzählt." "Annie, bitte. Freut mich auch sehr." Dann blickte sie mit glücklichem Gesicht wieder zu Peter, "scheint als hättest du mehr gefunden, als dich selbst." Peter schmunzelte, ebenso Cass und Annie. "Übrigens sind deine Schwestern auch da. Sie spielen im Garten mit den Kindern." Peter sah sich um, er hatte den Wagen, der hinter der Hecke stand, gar nicht gesehen. Ein breites Lachen zeigte sich auf seinem Gesicht, dann ging er hinein und durch die große Glastür im Wohnzimmer, vorbei an dem hölzernen Drachen und dem Tiger, in den Garten. "Peter!", kreischte Kelly, als sie ihn sah. Auch Caroline kam hinzu und beide nahmen ihren Bruder in den Arm. Er hielt sie fest in seiner Umarmung und ließ sie nur widerwillig los; es fühlte sich so gut an, endlich angekommen zu sein. Nachdem er allen Cassandra vorgestellt hatte, erzählte er im Kreise der Familie kurz, wie es ihm in den letzten Monaten ergangen war. Dann schaute er in die strahlenden Gesichter und fühlte die Liebe in seinem Herzen. Er war wieder zu Hause, wieder in Chinatown, wieder bei seinen Freunden, bei seiner Familie, zusammen mit der Frau die er liebte. Er war endgültig angekommen! ENDE
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