Anmerkung des Autors: Bevor ihr die Story lest, möchte ich noch sagen, dass das Stand Alone durchaus den Blick auf einen Charakter der Serie so sehr verändern kann, dass man ihn vielleicht hinterher nicht mehr mag... aber es war mir wichtig, auch diese mögliche Seite der Person mal darzustellen. Inhaltlich wird nichts aus dieser Story jemals in meine Serie dringen, weil ich es nicht hinkriegen würde, das wieder geradezubiegen (oder eben nicht). ************ Es war Spätnachmittag, kurz bevor die Beamten des 101. Reviers an die Kollegen der Nachtschicht übergeben würden, und die Sonne stand tief über Chinatown. Kermit Griffin saß bei geöffneter Tür an seinem Schreibtisch und ließ seine Finger über die Tasten springen. Bruce Monahan hatte seine Bürotür ebenfalls geöffnet und schlug sich mit der Mitteilung des Departments herum, die ihm die Einsparungen in seinem Etat des nächsten Jahres eröffnete. Mary-Margaret Skalany nahm die Daten einer festgenommenen Prostituierten auf und musste sich dabei permanent von der Frau beschimpfen lassen und sich ihre Unschuldsbeteuerungen anhören. Jody Powell ließ sich von Shaky Blake grade den Sender mit integriertem Mikrofon erklären, den sie am morgigen Tag bei einer kurzen Undercover Aktion tragen sollte. T.J. Kincaid versuchte Frank Strenlich von dem Nutzen eines Seminares zu überzeugen, das er unbedingt besuchen, der Chief aber wegen der nahenden Urlaubszeit nicht genehmigen wollte. Ryan Walker saß an seinem Schreibtisch und versuchte eine Verbindung zwischen zwei Überfällen zu finden, die nach ähnlichem Muster ausgeführt worden waren. * * * "Walker, Besuch für Sie", rief Broderick über die Schulter in das Großraumbüro dem blonden Cop zu. Ryan hob den Kopf und sah Haley mit einem fröhlichen Lächeln auf ihn zukommen. Sofort stand er auf und gab ihr einen zarten Kuss. Kermit drehte sich zur Türöffnung, als er den Ruf des Sergeants hörte, und schielte neugierig, um was für eine Art von Besuch es sich handelte. Als er die Ehefrau seines Kollegen sah, erhob er sich aus seinem Stuhl und ging unverfänglich mit seiner Tasse zur Kaffeemaschine, um herauszukriegen, was wohl der Grund des Besuches war. Er konnte sich einfach nicht gegen sein Interesse am Leben, oder vielmehr der Vergangenheit, der Walkers wehren. "Hallo Haley", begrüßte der Ex-Söldner die sportliche Frau, als hätte er sie jetzt erst gesehen. "Hallo Kermit", sagte sie und grinste verschmitzt. Ein deutliches Zeichen von ihr an ihn, dass sie sehr genau wusste, dass er nicht zufällig Kaffeepause machte. Ryan aber gab sich ahnungslos und erkundigte sich bei seiner Frau, als wäre der Cop mit der Sonnenbrille nicht in Hörweite. "Wo ist Jo?" "Francis, das Nachbarmädchen, passt auf sie auf. Ich wollte sie nicht mitschleifen, wenn es nicht sein muss", erklärte sie. "Und?" "Alles in Ordnung." Kermit horchte aufmerksam, konnte aber absolut keine Schlüsse ziehen, worüber die beiden sprachen. Wohin wollte Haley Joanna nicht mitnehmen? Was war in Ordnung? Er hatte keine Antwort. Kam aber auch nicht mehr dazu, sich nähere Gedanken darüber zu machen… Die großen Flügeltüren öffneten sich und es kamen in militärischen Stil fünf Männer mit schweren, automatischen Waffen herein, die so schnell vorgingen und ihre Mündungen in die Menge der Leute hielten, dass die Cops keine Möglichkeit mehr hatten, sich zu wehren. "Hände hoch", rief einer der Männer mit lauter, aber ruhiger Stimme, dessen Auftreten darauf schließen ließ, dass er die Eindringlinge anführte. Die Cops gehorchten; zu groß war die Gefahr, dass mehrere Menschen innerhalb einer Sekunde durch eine Salve aus auch nur einem der Gewehre starben. "Schön. Ich sehe, wir verstehen uns", kommentierte der Anführer mit zufriedenem Blick in die Runde. "Meine Damen, meine Herren, ich will ihnen ganz kurz die Spielregeln unserer gemeinsamen Zeit erklären." "Wer zur Hölle sind sie?", unterbrach Monahan mit scharfer, autoritärer Stimme und gerecktem Kinn. "Dazu wäre ich gleich gekommen, Captain. Etwas Geduld", mahnte der Mann mit einem freundlichen, aber eisigen Lächeln. "Also, dann eben erstmal dazu: Wer wir sind, kann ihnen herzlich egal sein. Der Grund unserer Anwesenheit ist einfach: Geld." "Das Department bezahlt kein Lösegeld", unterbrach Monahan wiederum. Der Geiselnehmer atmete tief durch, stierte ihn dann ungeduldig an. "Captain, ich bitte sie nachdrücklich, mich nicht mehr zu unterbrechen. Die Stadt wird bezahlen. Glauben sie mir, ich habe da Erfahrung. Sie haben immer bezahlt. Ich mache das nicht zum ersten Mal; und es ist ein durchaus lukratives Geschäft. Alle ihre Fragen beantwortet? Schön." Kermits Gedanken rasten, das Geplänkel interessierte ihn nicht. Auch die Haltung von Ryan und Haley sagte ihm, dass die beiden überlegten, wie man die Situation entschärfen und die fünf Männer überwältigen konnte. Die Gesichter der anderen Kollegen und unbeteiligten Personen im Revier verrieten ihm, dass sie irgendwo zwischen Überlegung, Erschrecken und Angst pendelten. "Also, die Spielregeln. Da waren wir stehen geblieben, glaube ich. Zum einen: Meine freundlichen Mitarbeiter werden ihnen gleich ihre Waffen abnehmen, sofern sie welche tragen. Zum anderen: Es wird eine neue Sitzordnung geben. Die Damen werden sich in dieser Ecke des Raumes versammeln, die Herren in der anderen", erklärte er und deutete erst auf die Seite von Monahans Büro, dann zu Kermits. "Wenn die Stadt bezahlt hat, werden wir wieder gehen und sie können ihre Arbeit wieder aufnehmen. Machen sie uns keine Probleme, machen wir ihnen auch keine. Aber nicht, dass sie glauben, meine Mitarbeiter wären nette Klosterschüler. Glauben sie mir, sie haben auch Erfahrung im Geiseln töten." Ryan und Haley durchliefen die gleichen Gedankengänge. Beide waren sich sicher, dass der Kerl meinte, was er sagte; und auch genauso durchziehen würde. Das konnte eine harmlose Geschichte werden, wenn alle die Füße stillhielten, konnte aber auch blutig und mit vielen Toten enden, wenn jemand falsch reagierte. Dennoch dachten sie darüber nach, wie man die Männer überwältigen konnte, ohne dass jemand zu Schaden kam. Einer der Männer begann unterdessen damit, einen nach dem anderen abzutasten und zu entwaffnen. Als er bei Kermit ankam und keine Waffe fand, musterte er ihn auffallend skeptisch. "Sind sie ein Cop?", fragte der Anführer nach einem Moment. "Kann er nicht selbst reden?", stellte Kermit cool die Gegenfrage und nickte in Richtung des Mannes, der direkt vor ihm stand. "Kann er schon, ist aber unnötig. Also?" "Ja." "Und wo ist ihre Pistole?" Kermit brummte leise. "In meinem Schreibtisch. Oberste Schublade", gab er schließlich preis. Der Ober-Geiselnehmer warf einen Blick zur Tür, dann wieder zurück. Anschließend nickte er seinem Mitarbeiter zu. Als dieser mit der Eagle zurückkam, lächelte der Boss Kermit zu. "Freut mich, dass sie so aufrichtig zu uns sind. Das vereinfacht unsere Arbeit und hält ihren Stress auf einem Minimum." Kermit grinste nur sein kaltes, angriffslustiges Wolfgrinsen und hielt den Mund. * Es dauerte nicht lange, bis schließlich alle Personen sicher unbewaffnet waren. Die Pistolen wurden am anderen Ende des Raumes in einem Schreibtisch weggeschlossen, den Schlüssel steckte der Anführer in seine Hosentasche; aufmerksam beobachtet von allen Beteiligten. Knappe zehn Meter trennten jetzt die weiblichen Cops, zwei Prostituierte, Haley und eine ältere Dame auf der Suche nach ihrer Katze von den Männern, die alle im Polizeidienst beschäftigt waren. Nachdem alle Maßnahmen, die er im Vorfeld angesprochen hatte, durchgeführt waren, griff der Anführer zum Telefon und teilte dem Bürgermeisteramt mit, was er hier tat und was er wollte. Anschließend legte er auf und blickte zufrieden in die Runde. "Es wird vermutlich eine gute halbe Stunde dauern, bis sich die Einsatzkommandos draußen versammelt und sie einen Polizisten zur Verhandlungsführung herangeschafft haben. Dann werden sie wieder anrufen. Und wenn sie alle Glück haben, dann können sie bereits in wenigen Stunden ihre Arbeit wieder aufnehmen." "Und wenn wir kein Glück haben?", fragte Ryan mit hochgezogenen Augenbrauen. "Nun… dann könnte es ein langer, oder aber ein tödlicher Abend für sie werden. Das kommt ganz auf die Reaktion des herannahenden Polizeiaufgebotes an", erläuterte er, als spräche er über das Wetter. Keiner der Anwesenden kommentierte diese Bemerkung. Die ältere Dame japste kurz auf, die beiden Prostituierten wickelten sich besorgt in ihre kurzen Jäckchen ein, die Cops schauten einander beunruhigt an. Tatsächlich behielt der Geiselnehmer Recht, es dauerte knapp eine Dreiviertelstunde, bis das Telefon klingelte. Auffällig war, dass schon kurz nach dem ersten Telefonat sonst keine Anrufe mehr eingegangen waren, die hatte man wohl schleunigst umgeleitet oder gekappt. Deshalb durchbrach das Klingeln die Stille auch so überraschend, dass mehrere Personen erschrocken zusammenzuckten. Der oberste der fünf Männer ging zum Apparat und drückte den Knopf für die Freisprechung über den Lautsprecher. "Sie haben sich Zeit gelassen", waren seine ersten Worte, die er sprach. "Hier spricht Lt. Richardson. Ich bin befugt, mit ihnen zu verhandeln. Verraten sie mir ihren Namen auch?", stellte sich der Verhandlungsführende vor. Keiner der Cops des 101. Reviers kannte den Lieutenant oder wusste, wie der Mann einzuschätzen war. "Mein Name ist… völlig belanglos. Nennen sie mich… Gary. Gary klingt gut, oder?" "Wenn sie es so wollen, Gary. Also: Wie können wir alle unbeschadet aus dieser Situation wieder heraus kommen?" Der Geiselnehmer grinste belustigt. "Oh, das ist nicht schwer. Sie geben mir die zehn Millionen, die ich gefordert habe, und niemandem passiert etwas." "Sie wissen, dass wir die Forderungen von Terroristen nicht erfüllen können. Nicht wahr, Gary?" "Ich weiß aber auch, dass sie nicht verantworten können, wenn hier, -ich muss erst mal zählen-, ein Dutzend Cops draufgehen. Plus ein paar Zivilisten." Es herrschte ein Moment Stille am anderen Ende der Leitung. Dann erst reagierte der Polizist draußen auf die Selbstsicherheit Garys. Allerdings merkte man, dass er nicht ahnte, dass alle zuhörten. "Ich habe meine Anweisungen. Ich kann ihre Forderungen nicht erfüllen. Sie sollten sich stellen, bisher ist noch keinem was passiert." Unruhe machte sich breit. Natürlich wussten die Cops, dass die Worte das normale Statement in diesem Falle waren, trotzdem machten sie sich aber Sorgen um alle Beteiligten. Ryan musterte den Geiselnehmer aufmerksam. Er hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache und war sich ziemlich sicher, dass alles genau so laufen würde, wie der es sagte. Wenn die Polizei die Forderungen kommentarlos erfüllen würde, dann würden sie wieder frei kommen. Wenn aber nicht… er führte den Gedanken nicht näher aus, sondern konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. "Glauben sie allen ernstes, dass ich ein Polizeirevier in meine Gewalt bringe, um es kurz drauf wieder mit erhobenen Händen zu verlassen? Könnte es sein, dass sie meine Absichten nicht ernst nehmen?", sagte Gary mit hochgezogenen Augenbrauen. Ryan hatte das Gefühl, dass die Luft auf einmal brannte. Es wurde gefährlich, verdammt gefährlich, und der Mann am anderen Ende der Leitung sollte seine nächsten Worte wohl überlegen. "Ich versuche nur, sie zu überzeugen, dass ihre Aktion keine Chance auf Erfolg hat. Ich…" "Sie nehmen meine Absichten also nicht ernst?" "Natürlich nehme ich sie ernst", lenkte der Verhandlungsführer sofort ein, "aber ich kann ihre Forderungen nicht erfüllen." Kermit spannte sich ebenfalls an, auch er spürte deutlich die Gefahr, die jetzt zu eskalieren drohte. Ein Blick zu Ryan und Haley verriet ihm, dass auch die beiden Vollprofis die gleiche Bedrohung empfanden. "Wenn sie diese Möglichkeit von vornherein ausschließen, muss ich davon ausgehen, dass sie mich nicht ernst nehmen", sinnierte Gary jetzt mit deutlichem Tonfall, der Konsequenzen androhte. Aber das merkte der Mann durchs Telefon offenbar nicht. "Hören sie Gary, ich habe meine Anweisungen, ich kann ihnen nicht einfach…" weiter kam er nicht. Zwar hatten sie alle die Bedrohung gespürt, wurden aber jetzt von Garys schneller Reaktion überrumpelt. Der Geiselnehmer hatte urplötzlich seine Waffe angehoben, sie ungezielt zu den Frauen gerichtet und einmal abgedrückt. Der Schuss knallte durch das Revier und alle Augen richteten sich geschockt in die Richtung der Mündung. Haley riss die Augen auf, führte ihre Hände wie in Zeitlupe zu ihrem Bauch, sah hinunter, entdeckte Blut. Sie hob den Kopf wieder, blickte entsetzt zu Ryan, dann schlossen sich ihre Lider und sie brach zusammen. Kermit stand seitlich hinter Ryan, aber er konnte deutlich erkennen, wie sich der Körper des blonden Mannes versteifte. Der Kiefer trat so heftig hervor, dass man Bedenken haben musste, ob der Knochen das aushielt. Die Hände waren zu Fäusten geballt, so dass die Knöchel weiß wurden und sich die kurzen Fingernägel so tief in die Handfläche drückten, dass sich dünne Blutfäden über die Haut zogen. "Ryan", raunte der Ex-Söldner leise, um eine Reaktion von ihm zu bekommen. Aber er bekam keine, was seine Besorgnis nur vergrößerte. Skalany und Jody waren sofort zu Haley in die Hocke gegangen und fühlten ihren Puls. "Sie lebt", gaben sie laut bekannt und die blonde Polizistin drückte ihre Hand auf die Wunde. "Sie braucht einen Arzt!", rief sie und blickte den Geiselnehmer fordernd an. "Was ist da los? Was ist passiert, Gary?", meldete sich der verhandelnde Polizist wieder. "Ich habe versucht, sie von meiner ernsthaften Absicht zu überzeugen. Ich hoffe, sie werden jetzt anders darüber denken. Aber als Zeichen meiner Großmütigkeit werde ich ihnen die verletzte Frau vor die Tür tragen lassen und sie können sie ins Krankenhaus bringen. Natürlich nur, wenn ich jetzt mein Geld kriege", meinte Gary mit eisiger Stimme und blickte in die Runde der Cops. Bei Ryan blieb er hängen, sagte aber nichts. "Ich… werde sehen, was ich machen kann. Bringen sie die Frau zur Tür, dann gebe ich mein Bestes." "Sie geben ihr Bestes, und je nach dem Ergebnis werde ich sie zur Tür bringen", berichtigte Gary und legte dann einfach auf. Jetzt wandte er sich Ryan zu. "Die Dame gehört zu ihnen, nicht wahr? Ihre Freundin? Oder sogar Frau?" Ryan schwieg, stierte ihn nur durch seine kalten, blauen Augen an, die nichts Gutes verhießen. "Warum sagen sie nichts? Ich mache ihnen ein Angebot: Sie können mir sagen, was sie mir sagen wollen, ohne dass ich daraus Konsequenzen ziehe. Nun?" Der Ex-Agent verzog böse die Mundwinkel. "Sie haben grade ihr Todesurteil unterzeichnet. Ich werde ihr Richter und ihr Henker sein", ließ er gefühllos verlauten. Gary lachte auf. "Sie können gerne ein Urteil über mich fällen, aber zum Vollstrecken werden sie wohl kaum kommen. Ich werde dieses Revier hier unbeschadet verlassen, und sie werden mich nicht davon abhalten können." "Sicher?", fragte Ryan eisig. "Sehr sicher. Aber bleiben sie ruhig so, ihr böser Blick amüsiert mich", sagte er belustigt und wendete sich dann wieder von Ryan ab. Der blonde Cop verharrte in seiner Position, beobachtete, starrte. Er wartete auf seine Gelegenheit, egal wie lange es dauern würde. Wie ein lauernder Tiger stand er da und wartete darauf, seine Beute zu erwischen. Sein Herz war kalt. Die ersten Emotionen hatten ihn gepackt, der Schock, das Wissen um die Bedeutung der Verletzung. Er verstand genug von Anatomie und Schussverletzungen, um zu wissen, dass seine Frau überleben würde, wenn sie schnell in ärztliche Behandlung kam. Aber da war noch mehr. Das allerdings blendete er jetzt aus; alles. Blanker Hass pulsierte durch seine Adern, ließ ihn innerlich dermaßen erkalten, dass ihm sämtliche Konsequenzen irgendwelcher möglichen Handlungen völlig egal waren. * Es dauerte nur wenige Minuten des angespannten Schweigens, bis sich der Vermittler wieder meldete und verkündete, dass die Forderungen erfüllt würden. Gary hielt im Gegenzug sein Versprechen. "Ich werde zwei Cops die Frau zur Tür bringen lassen. Sie machen die Tür auf, legen sie auf davor und kommen wieder rein. Sollte einer von ihnen zu Nahe kommen oder etwas anderes probieren, werden hier drin zwei Frauen sterben; nicht nur verletzt werden", sagte er und legte wiederum auf. "Wir müssen die Lady jetzt zur Tür bringen", verkündete er in die Runde der Geiseln. Ryan machte sofort einen Schritt vorwärts, um zu Haley zu gelangen, aber Gary machte ihm einen Strich durch die Rechnung. "Sie bleiben wo sie sind", grinste er den Ex-Agent provozierend an, sich seiner Sache sicher. Der blieb stehen, sein Blick wurde noch böser, sein Hass größer. Das einzig Gute in diesem Moment war, dass Hal bewusstlos dalag. So blieb ihr zumindest für eine Weile der Schmerz erspart, der Ryans Körper bereits flutete und ihn nur noch rotsehen ließ. Der Geiselnehmer fand es allerdings nur lustig, dass der Cop so übel darauf reagierte; hatte er doch keine Ahnung, mit wem er sich da eigentlich angelegt hatte. Sein Blick glitt in die dastehenden Männer und er schien auszuzählen, wen er für die Aufgabe auswählte. Schließlich entschied er sich für Monahan und Blake, als würde es pure Freude bereiten, die beiden wohl am wenigsten dafür geeigneten Männer zu beauftragen. Ryan bebte. Er beobachtete scharf, wie Blake und der Captain zu Haley gingen, etwas unschlüssig davor standen und sich dann vorsichtig zu ihr runterbückten. Monahan schob seine Hände unter ihre Achseln, Blake nahm die Füße. Die Männer sahen sich noch einmal an, dann hoben sie sie vorsichtig hoch und bewegten sich mit ihr durch das Großraumbüro zur Tür; dicht gefolgt von einem der Bewaffneten. Kermit versuchte den Moment zu nutzen und folgte den Schritt zu seinem Kollegen, den der zuvor gemacht hatte. "Ryan", raunte er, bekam aber wieder keine Reaktion von dem blonden Cop. Der Ex-Söldner musterte ihn besorgt von der Seite, der Zustand seines Freundes ließ ihn selbst auch unruhig werden. Das konnte alles nicht mehr gut enden, davon war er überzeugt. Entweder würden die Geiselnehmer mit ihrer Masche durchkommen, oder aber man würde sie überwältigen können… und dann wollte er nicht mit ansehen, was Ryan mit Gary machen würde, wenn er ihn zwischen die Finger bekam. Die beiden Cops kamen mit ihrem Begleitschutz wieder, Blake sah zu Ryan. "Die Notärzte kümmern sich um sie", sagte er leicht unsicher und ging dann wieder dorthin, wo er zuvor auch gestanden hatte. "Sehen sie", sprach Gary jetzt wieder den Ex-Agenten an, "alles wird gut." Er hatte eine diabolische Freude daran, Ryan immer wieder zu reizen und zu verhöhnen, das war sein persönliches i-Tüpfelchen dieses Überfalls. Und jeder andere konnte es spüren, es förmlich greifen. Sie rollten die Augen, sahen ihn wütend an, schmetterten in Gedanken Hasstiraden gegen ihn. Ryan schien da noch der ruhigste zu sein. Er rührte sich nicht, verzog keine Miene. Wie ein Tiger im Gebüsch stand er da und wartete darauf, dass seine Gazelle ganz von allein nah genug heran kam, um sie zu packen und zu töten. Die Gazelle war Gary, und wie dieses scheue Tier wog er sich in absoluter Sicherheit, dass ihm nichts passieren würde, sah die Bedrohung durch die Wildkatze nicht. Zwar guckte Ryan starr auf den Anführer ihrer
Gegner, nahm aber auch die Umgebung wahr. Jede Bewegung jedes Anwesenden
wurde registriert, damit er den perfekten Zeitpunkt abpassen konnte. Er
würde früher oder später angreifen, sich auf Gary stürzen
und hoffen, dass die anderen ebenfalls schnell genug reagierten. Er wusste, dass eine glückliche Verkettung von winzigen Unaufmerksamkeiten reichte, um seine Chance zu bekommen. Zumal er aus Erfahrung ebenfalls wusste, dass die anderen Männer mit den Waffen nicht, -wie angekündigt-, einfach in die Menge schießen würden, sondern versuchen, ihn außer Gefecht zu setzen. Und das würde für die anderen Cops hoffentlich reichen, sich auf sie zu stürzen. Dieser ideale Moment würde kommen, und er musste nur warten, bis es soweit war. Und wenn es Stunden dauern würde, er würde Gary erwischen und das vergelten, was er getan hatte. Die Zeit kroch dahin. Gary telefonierte noch ein paar Mal mit den Cops draußen, stellte seine Forderungen, gab Anweisungen über die Bereitstellung, seine Flucht, machte seine Späße mit den Geiseln. Und dann, nach über zwei Stunden, war es endlich soweit. Ryans Chance war gekommen. Gary hatte seine Waffe losgelassen, sie baumelte am Schultergurt, während er telefonierte. Der Mann vor den Frauen kratzte sich grade abwesend am Hals, der vor den Männern schaute in die Richtung seines Chefs, die beiden weiteren lehnten an einem Schreibtisch und der eine bot dem anderen eine Zigarette an. Das war sie: Die Verkettung winziger Ablenkungen, die einzeln keine Auswirkung gehabt hätten, jetzt aber den perfekten Moment für Ryans Angriff boten. Er sprang nach vorne, so überraschend, dass alle anderen erschrocken zusammenzuckten, direkt auf den Mann zu, der seine Frau angeschossen hatte. Gary versuchte nach seiner Waffe zu greifen, aber Ryan war rechtzeitig da, packte sie ebenfalls und verdrehte sie so, dass der Geiselnehmer im Schultergurt gefangen war. Zeitgleich reagierte Kermit als schnellster und
griff den Mann an, der sie aus wenigen Metern entfernt bedroht hatte. Ryan interessierte das nicht. Er registrierte, dass kein Schuss fiel, was ein ausgesprochen gutes Zeichen war, aber eigentlich war es ihm völlig egal. Er schaffte es, einen Arm seines Gegners mit dem Gurt zu fesseln und so weit zu verdrehen, dass er damit handlungsunfähig war. Der Ex-Agent vergrub seine Faust in Garys Magen. Immer wieder. Er wusste genug darüber, wie man mit bloßen Fäusten innere Verletzungen und große Schmerzen herbeiführte; und genau darauf hatte er es abgesehen. Gary versuchte verzweifelt, sich mit der verbleibenden Hand zu wehren, war aber chancenlos. Mal erwischte er Ryans Kiefer mit der Faust, der aber reagierte überhaupt nicht darauf, sondern drosch einfach weiter. Während die anderen die restlichen vier Geiselnehmer überwältigten, prügelte Ryan seinen persönlichen Erzfeind durch das Revier. Er wollte ihm Schmerzen zufügen, wollte ihn verletzten, wollte ihn töten. Seine Faust regnete jetzt in kurzen Abständen mit aller Kraft auf Garys Rippen nieder, sodass sie nacheinander mit lautem Knacken und unter einem schmerzhaften Aufschrei nach dem anderen brachen. Ryan hielt ihm am verdrehten Arm auf den Beinen, sodass er nicht zu Boden sacken konnte. Es hatte nicht lange gedauert, bis die anderen vier mit Handschellen gefesselt auf dem Boden lagen, bis die Cops hilflos dastanden und zusahen, wie Ryan den Körper des Geiselnehmers in seine Einzelteile zerlegte. "Walker, hören sie sofort auf!", donnerte Monahan, blieb aber ungehört. Die Cops drehten sich kurz zu ihm um, blickten dann zu ihrem Kollegen und stellten fest, dass der nicht auf das Kommando hörte. Auch die Mahnung, dass dies ein Befehl sei, brachte ihn nicht dazu, von Gary abzulassen. Ryan schleuderte ihn grade an dem Gurt gegen die Wand, sodass Gary ungebremst mit dem Gesicht dagegen schlug; seine Nase brach, Blut strömte über seine Lippen und seinen Kiefer. Der Körper des Mannes wollte absacken, aber Ryan packte ihn im Nacken, hielt ihn auf den Beinen und schlug das Gesicht nochmals mit aller Kraft gegen den Beton. Ein Gurgeln war alles, was der zuvor so großspurige Geiselnehmer jetzt hervorbrachte, als die gebrochene Nase erneut zertrümmert wurde. Er war mehr bewusstlos als bei Bewusstsein, und in Anbetracht der Schmerzen, die ihm die gebrochenen Knochen und gerissenen inneren Organe verursachten, war das auch besser für ihn. Der frühere Agent drückte ihn jetzt fest gegen die Wand und schlug ihm von hinten in die Nieren, sodass Gary wieder nur ein dumpfes Geräusch aus seiner Kehle von sich gab, zu mehr war er einfach nicht mehr in der Lage. Die anderen sahen geschockt zu, wie ihr Kollege, -der hier war, um für Recht und Gesetz einzustehen-, den Geiselnehmer zu Tode prügelte. Sie sahen sein Gesicht, das kalt und hart war und keinerlei Gewissensbisse zeigte. Die eisigen Augen blickten auf sein Opfer, sprühten Funken, glänzten vor Hass. Sie alle ahnten, dass sie ihn nicht bremsten konnten und Schlimmes passieren würde. In Voraussicht dessen ging Monahan plötzlich schnell in sein Büro, um seine Zweitwaffe aus der Schublade zu holen. Kermit konnte es nicht mehr ertragen, auch wenn
er es durchaus nachvollziehen konnte. "Herrgott, Ryan, hör auf!",
brüllte er durch das Großraumbüro, "Es reicht!" Zum ersten Mal reagierte Ryan auf die Ansprache an ihn. *Es reicht* hallte es im seinem Kopf nach, während er Gary zum wiederholten Mal gegen die Wand rennen ließ. Das Gesicht war nun kaum noch zu erkennen, Blut hatte sich auf der Wand verteilt, rote Fäden rannen in Richtung Boden. *Es reicht* wiederholte Ryans Geist ein weiteres Mal, aber er interpretierte Kermits Worte ganz anders, als dessen Intention eigentlich damit gewesen war. "Stimmt", flüsterte er leise, mehr zu sich selbst, aber durch die angespannte Stille konnte es jeder hören. Als er Gary jetzt wieder zu sich zog, schob er ihn nicht einfach nur zurück gegen die Wand, sondern umfasste von hinten sein Gesicht, packte das Kinn und ließ sein Opfer dann nach vorne laufen. Zeitgleich riss er seinen Arm zurück. Garys Kopf wurde zur Seite gerissen, viel zu weit, und mit einem überlauten Knacken brach das Genick. Der leblose Körper fiel wie ein Sandsack zu Boden. Kermit riss sich entsetzt die Brille von der Nase und starrte Ryan ungläubig an. Er hatte es befürchtet, aber es traf ihn jetzt trotzdem wie ein Schlag in die Magengrube. Ryan hatte ihn getötet, hier, vor ihnen allen, völlig kalt. Die anderen waren ebenfalls fassungslos. Keiner wusste, was er jetzt tun sollte, alle blieben stehen und starrten ihren Kollegen an. Ryan drehte sich zu ihnen herum. Sein T-Shirt wies unzählige Blutspritzer auf, die von seinem Opfer stammten. Sein Gesicht war eine eisig kalte, emotionslose Maske, seine Augen gleichgültig, seine Haltung angriffbereit aufrecht und angespannt. Monahan war der erste, der überhaupt etwas tat und aus der Schockstarre erwachte. "Walker, was zur… sie… sie haben ihn ERMORDET!" "Und was wollen sie jetzt tun, Captain? Mich erschießen?", fragte er mit einem offensichtlichen Blick zu der Waffe in Monahans Hand und dermaßen gefühlloser Stimme, dass die anderen geschockt und erschrocken darüber waren. "Wenn es nötig sein sollte. Detective, sie sind verhaftet", begann der Captain, auch wenn erkennbar war, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte. Ryan grinste kalt. Seine Augen waren böse, sein Blick tödlich. Er breitete die Hände aus und ging einen provozierenden Schritt auf seinen Vorgesetzten zu. "Wollen sie einen unbewaffneten Mann hier vor so vielen Zeugen erschießen?" "Dass ihre Hände tödliche Waffe genug sind, haben sie grade bewiesen! Bleiben sie stehen!", versuchte der ältere ihn auf Abstand zu halten und hob die Waffe nun an. Tatsächlich hielt Ryan inne und fixierte den Captain mit durchdringendem Blick, blieb aber stumm. "Detectives, nehmen sie ihn fest", befahl Monahan jetzt über die Schulter, ohne die Augen von Ryan abzuwenden. Niemand reagierte zunächst. Sie waren sich darüber klar, dass Ryan einen Mord begangen hatte, vielleicht im Affekt, in Rage, aber es blieb ein Mord. Auf der anderen Seite konnten sie die Umstände irgendwo tief in sich durchaus verstehen. Keiner von ihnen wollte der sein, der einem geschätzten Kollegen die Handschellen anlegte. "Verdammt noch mal! Tun sie’s! … Griffin!", bellte der Captain wütend darüber, dass niemand auf ihn hörte. Kermit zögerte. Was sollte er tun? Er verstand vermutlich am Besten, was Ryan getrieben hatte, und er war vermutlich der einzige, der echtes Verständnis dafür aufbringen konnte. Und dennoch war er ein Cop… Ryan nahm ihm die Entscheidung ab. Er nahm seine Arme langsam runter und überkreuzte die Handgelenke auf dem Rücken. Ein kurzer Blick in Kermits Richtung gab dem Ex-Söldner die absolute Klarheit darüber, dass er es ihm nicht übel nahm. Langsam ging der Computerexperte in Ryans Richtung. Es war ihm absolut unwohl dabei, er wollte es nicht tun, aber er hatte auch keine andere Wahl. Sein Freund hatte ihm die Erlaubnis erteilt, jetzt hatte er keinen Grund mehr, es nicht zu tun. Und dennoch wollte er Ryan nicht in Handschellen legen. Der frühere Special-Agent starrte jetzt wieder Monahan an, während Kermit langsam um ihn herum kam und den kalten Stahl um ein Handgelenk schnappen ließ. "Warum zur Hölle hast du das gemacht? Haley wird es schaffen!", wisperte Kermit verzweifelt an Ryans Ohr, während er zögerte die zweite Schelle um das andere Gelenk zu schließen. "Haley schon", sagte Ryan leise, den Blick immer noch auf seinen Captain gerichtet, "aber das Baby nicht." Wie ein Schlag ins Gesicht trafen diese Worte die Cops. Sie waren leise gesprochen, aber durch die angespannte Stille von allen zu hören. Sie schlugen die Hände vor den Mund, rissen die Augen und Münder auf, erstarrten vor Schreck. "Oh Gott, Ryan… es… es tut mir Leid", flüsterte Kermit hilflos, die zweite Schelle immer noch offen. "Ja, mir auch", antwortete Ryan, aber in einem besonderen Tonfall. Kermit brauchte den Bruchteil einer Sekunde zu lange, um zu begreifen, was sein Kollege ihm damit sagen wollte, dass er diese Worte anders meinte. Bevor er etwas tun konnte, hatte Ryan ihn überrumpelt und in Monahans Richtung geschoben, sodass dieser nicht schießen konnte. In dieser Gelegenheit griff sich Ryan den kleinen Revolver aus der Hand des Captains, der ihn jetzt völlig entsetzt anstarrte und deutlich unsicher war, was der Ex-Agent damit tun würde. Blitzschnell öffnete Ryan die Trommel, ließ die Patronen heraus gleiten und warf sie die Treppe hinunter. Den Revolver legte er auf einen Schreibtisch. Er blickte noch einmal in die Runde und blieb einen Moment bei Kermits entsetzten, geschockten und hilflosen Augen hängen. Dann drehte er sich um und verließ das Revier. ENDE
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