Kapitel 1 Cat schmiegte sich an Peters Arm, während sie durch den Park schlenderten. Die Sonne schien ihnen ins Gesicht und es war der erste Tag im Jahr, an dem man nur im T-Shirt bekleidet rausgehen konnte. "Was bin ich froh, dass wir uns die paar freien Tage genommen haben", murmelte sie mit einem Lächeln, "und die letzten Wochen waren auch wirklich stressig genug." "Oh ja", stimmte der junge Shaolin sofort zu. "Außerdem hatten wir schon ewig keinen Urlaub mehr." "Hatten wir zwei überhaupt schon mal Urlaub?", frage Cat etwas neckisch. "Naja…", meinte Peter und ihm ging auf, dass es tatsächlich das erste mal war, dass sie zu zweit für ein paar Tage weggefahren waren. Einfach nur, um Urlaub zu machen. Ohne besondere Hintergedanken und ohne, dass es einen besonderen Grund dafür gegeben hatte. "OK, du hast mich", meinte er schließlich und zog seine Frau an sich, wobei sie fast ins Straucheln geriet. Cat bemühte sich um einen sicheren Stand. "Hey!", beschwerte sie sich lachend. "Ich dachte, wir wollten uns die Stadt angucken, und nicht nur das Krankenhaus von Philadelphia besichtigen. Schließlich haben wir nur vier Tage." Ihre Wahl war zufällig auf die Stadt gefallen. Sie wollten einfach weg, für ein paar Tage, irgendwohin, wo es etwas zu sehen gab, ohne dass es zu unruhig und hektisch in der Stadt war. Sie hatten sich eine Ostküstenkarte an die Wand gehängt und mit einem Dartpfeil darauf geworfen, jeder einmal, mit verbundenen Augen. Peters Pfeil war irgendwo im Atlantik gelandet, Cat hatte die Stadtgrenze von Philadelphia erwischt. Und so hatten sie sich einen günstigen Flug gebucht waren kurzfristig losgezogen. "Keine Angst. Du kennst doch meine Wunderheilungskräfte", kommentierte Peter grinsend und griff nach ihrer Hand, um sie an sich zu ziehen. "Davon hab ich gehört, ja", hauchte sie, jetzt nahe vor seinem Gesicht, und gab ihm einen intensiven Kuss. "Trotzdem wären ein paar Tage mehr auch sehr schön gewesen." "Vielleicht ein anderes Mal, Süße. Aber du weißt doch, ich will Lo Si meine Pflichten nicht so lange auflasten. Im Moment sind da ein paar schwierige Patienten dabei…" "Ja, ich weiß", gab sie sich geschlagen, verzog kurz die Mundwinkel und besann sich dann aber wieder ihrer guten Laune. "Also gut. Dann lass uns die Tage so gut genießen, wie es geht." "Kermit würde jetzt sagen ‚Oh yeah’…" "Hey, nur wir zwei, hatten wir gesagt! Oder hast du den Frosch in deinem Koffer heimlich mitgekommen?", unterbrach Cat sofort, in gespielter Entrüstung. "…und Peter würde sagen ‚Ja mein Schatz, so machen wir das’, also Schatz, so machen wir’s!", rettete er sich mehr schlecht als recht. Aber sie lachten beide darüber und gingen einträchtig den schmalen Weg zwischen den Grünflächen und Bäumen entlang. "Was hältst du davon, wenn wir uns irgendwo ein nettes Café suchen, am anderen Ende des Parks? Wo man schön in der Sonne sitzen kann." Peter nickte, küsste sie auf die Stirn und legte seinen Arm wieder um ihre Schultern. Seit der Minute, in der sie gelandet waren, genoss er die Zeit fern ab von Sloanville, weit weg von seinem Job und seinen Patienten. Endlich konnte er mal komplett abschalten und die Zeit nur mit seiner Frau verbringen, die so oft hinter seiner Bestimmung zurückstecken musste. "Weißt du, wo ich auf jeden Fall noch
hin will?", begann Cat, blieb stehen und sah ihn an, "ins Hardrock-…"
Ein wildes Klingeln unterbrach sie und das Paar drehte sich erschrocken zu einem Jungen um, der unbeholfen, aber zügig auf dem Weg auf sie zu raste. Er war vielleicht sieben Jahre alt und sein Gesichtsausdruck wirkte erschrocken über das Hindernis in seiner Bahn. Aber noch viel erschrockener blickte Cat dem Jungen hinterher, der mittlerweile zwischen ihnen hindurch gerast war. Sie hatten sich nur durch einen hektischen Schritt zum jeweiligen Wegrand retten können. Das allerdings war egal. Sie starrte dem Kind hinterher und wollte nicht glauben, was sie für ein paar wenige Sekunden gesehen hatte… Peter erging es nicht anders. In dem Moment, in dem das Gesicht des Kindes gesehen hatte, war sein Herz für einen Moment stehen geblieben. Er fühlte sich von einer unsichtbaren Welle erfasst und mitgerissen, ohne sich körperlich tatsächlich vom Fleck bewegt zu haben. Er war sich sicher, aber… wie konnte das sein? Wie war das möglich? "Leo!", hörte er eine Frauenstimme rufen; eine Stimme, die er kannte… Cat drehte sich völlig perplex rum und sah ein Paar hektisch auf sie zukommen, der Blick der beiden wirkte leicht beschämt. Sie musterte die Frau eingehend, den Mann flüchtig, und ihr Magen drehte Purzelbäume. Ihr war übel, sie hatte plötzliche Kopfschmerzen und ihre Gedanken rasten wild durcheinander. Sie fühlte sich auf einmal so unendlich betrogen und belogen. Auch Peter hatte sich jetzt umgedreht und stand paralysiert knapp zwei Meter vor jemandem, den er so lange nicht gesehen und niemals erwartet hatte. "Jordan?", fragte er leise, fast flüsternd. Seine Augen und sein Kopf wanderten immer wieder von der Frau zu dem Jungen und wieder zurück. "Wie zur…", setzte er an, aber ihm fehlten die Worte. Er fühlte sich wie innerlich zerrissen, überfahren, von Jordan betrogen. Es war unverkennbar, beim Anblick des Kindes, was sie ihm vorenthalten hatte. Die braunen Augen, das dunkle Haar… er fühlte sich, als er hätte er in einen verjüngenden Spiegel geguckt. "Pe - ter", stammelte die blonde Polizistin und starrte ihn an. "Peter, ich…" "Maaaaami! Daaaaaaaaddy! Wann gehen wir endlich weiter? Wer sind die Leute?", rief der Junge seinen (teils vermeintlichen) Eltern zu. Er war etwa fünfzig Meter weiter mit seinem Rad zum stehen gekommen und stand jetzt sichtlich gelangweilt daneben. Jordan wirkte ziemlich hilflos, musste aber selbst gar nicht direkt eingreifen, denn der Mann an ihrer Seite griff ein. "Ich gehe mir ihm nach Hause. Ich glaube, du hast hier noch einiges zu klären", sagte er leise, legte ihr die Hand auf die Schulter und gab ihr einen flüchtigen Kuss. "Danke", hauchte sie kraftlos und blickte ihm dann hinterher, wie er auf den Jungen zuging, kurz mit ihm redete und dann mit ihm in Richtung Parkausgang ging. Dann blickte sie zunächst Peter an, danach die Frau mit den schwarzen Haaren, die wie angewurzelt auf der anderen Seite des Weges stand. Cat hatte alles, was bisher gesprochen wurde, nur wie durch Watte gehört, so als seien die anderen unendlich weit weg. Auch die Reaktionen und Gesichter hatte sie nicht gesehen, zu sehr war sie mit sich selbst und ihren Gedanken beschäftigt. Ihr Magen schmerzte regelrecht vor dem Schock, den sie durch den Anblick des Jungen bekommen hatte. Auch wenn es keine Kinderfotos von Peter vor der Zeit bei den Blaisdells gab, so war die Abstammung des Kindes dennoch zweifelsfrei in dem einen Augenblick zu erkennen gewesen, den sie ihn angesehen hatte. Ihr war übel und sie hatte das Gefühl, sich nicht mehr lange auf den Beinen halten zu können. Außerdem war ihr die Gesellschaft von Jordan und Peter nach diesem Erlebnis alles andere als Recht. Tatsächlich spürte sie extreme Fluchtgedanken, sie wollte nur noch weg, der Situation und den Menschen entkommen. Peter musste sich eingestehen, dass für die letzten Minuten (oder waren es bloß Sekunden gewesen?) seine Frau buchstäblich vergessen hatte. Er folgte Jordans Blick zu Cat und sein Herz setzte zum zweiten Mal an diesem Tag aus. Sie sah schrecklich aus, ihr Gesicht war blass und ihr Blick ging leer auf den Boden vor ihren Füßen. "Cat…", setzte er an, wusste aber nicht so recht, was er sagen sollte. Auch ihr musste die Begegnung mit dem Jungen einen Schlag versetzt haben. Die junge Frau blickte durch die Ansprache auf und sah Peter kurz an. Ihr wurde noch schlechter und am liebsten hätte sie sich übergeben, in der Hoffnung, dass es ihr danach besser ging. Aber das war im Park vom Philadelphia nicht wirklich eine Option, deshalb kamen die Fluchtgedanken sofort wieder hoch. Sie sagte kein Wort, starrte ihren Mann kurz an und ging dann einfach los. "Cat, ich…!", rief Peter ihr hinterher und wollte ihr folgen, aber sie lehnte ihn stumm mit einer nach hinten ausgestreckten, flachen Hand ab. Der Shaolin blieb auf der Stelle stehen und blickte ihr besorgt hinterher. Er wusste genau, dass es keinen Sinn haben würde, ihr zu folgen und mir ihr zu reden. Sie brauchte jetzt Zeit für sich, ob es ihm gefiel und zusetzte oder nicht. Peter drehte sich zu Jordan um, und die Erkenntnis, dass er offensichtlich einen Sohn hatte, den sie ihm verschwiegen hatte und die Sorge um seine Frau schlugen in diesem Moment in Wut gegen seine Ex-Freundin um. "Peter, es tut mir leid, ich… weiß einfach nicht…" "Dann lass es doch!", blaffte er sie an und fuhr sich ungestüm durch die Haare. "Du hast es offenbar acht Jahre lang nicht für nötig gehalten, etwas dazu zu sagen! Warum solltest du auch jetzt damit anfangen", knurrte er ironisch. Jordan fühlte sich angegriffen, konnte Peters Unmut aber sehr gut verstehen und feuerte deshalb nicht zurück. "Es tut mir leid", murmelte sie leise. Wo sollte sie nur anfangen? Sie erinnerte sich noch genau, wie sich damals gefühlt hatte, als sie die Entscheidungen getroffen hatte, die damals zu treffen gewesen waren. "Verdammt Jordan! Hast du nichts anderes dazu zu sagen?" Peter war noch immer aufgebracht. Das alles verwirrte ihn so unglaublich und er hatte keine Ahnung, was er denken oder fühlen sollte. Jordan senkte den Kopf. "Ich hatte… ich hatte gehofft, dass dieser Tag nie kommen würde", murmelte sie leise und schuldbewusst. "Ich…" "Du wolltest ihn mir für immer vorenthalten?" Peter war jetzt mehr als zornig. Die blonde Polizistin atmete tief durch und schien ihre Stärke zurückzufinden. "Ja, genau so ist es", sagte sie mit fester Stimme. "Wir hatten uns grade getrennt, ich bin hierher gegangen und habe zwei Wochen später festgestellt, dass ich schwanger war. Aber was hätte ich denn tun sollen? Ich war noch so verletzt von der Trennung. Und was für eine Beziehung zu Leo wäre das gewesen? Sein Vater tausende Meilen entfernt in Sloanville, wo die Menschen ihn brauchen. Meine Mom brauchte mich aber hier." Peter atmete durch. Dass es damals schwierig war, wollte er ihr ja gar nicht absprechen, aber er konnte immer noch nicht verstehen, wie sie ihm nie hatte davon erzählen können. "Ich hatte ein Recht darauf, es zu erfahren! Unabhängig von den Umständen!", betonte er eindringlich. "Herrgott, Peter! Meinst du, ich wüsste das nicht?! Ich weiß, dass meine Entscheidung moralisch falsch war, aber ich musste selbst erstmal damit klar kommen, dass ich ein Kind erwarte von einem Mann, von dem ich mich wenige Wochen zuvor getrennt hatte und der unendlich weit weg wohnte. Den ich nach dem Trennungsschmerz so schnell nicht wieder sehen wollte." Sie atmete tief durch und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Dann zog sie aus ihrer Tasche eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug, steckte sich einen Glimmstengel an und ließ die Utensilien dann wieder verschwinden. "Ich wollte damals erstmal warten. Ich musste das erstmal verarbeiten. Verdammt, ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte." Peter ließ sie reden. Er merkte, wie angespannt sie war und wie groß ihr schlechtes Gewissen auf ihrer Seele lastete. Jedes Wort, das sie sagte, entsprach der Wahrheit, das konnte er deutlich fühlen. "Vier Wochen später lernte ich Henry kennen. Er wohnte nebenan, hatte vor meiner Ankunft meiner Mutter ab und zu mal bei den Einkäufen und so geholfen. Er war ein guter Kerl… er ist ein guter Kerl, meine ich natürlich. Du hast meine Mom ja nie kennen gelernt, aber sie war nicht ganz einfach. Und es tat einfach gut, noch einen Menschen zu haben, mit dem ich reden konnte, der Verständnis für meine Situation zeigte, mich nicht verurteilte. Er unterstützte uns, wo er konnte, und eines Tages…", sie stockte und sah in Peters braune Augen, die sie damals immer hatten schmelzen lassen, "…stellte ich fest, dass wir uns in einander verliebt haben." Peter nickte zunächst. Seine Wut war verflogen, er wollte erstmal nur wissen, wie es zu der Situation gekommen war, die heute herrschte. "Und deine Mom?", fragte er, auch wenn er die voraussichtliche Antwort schon zwischen den Zeilen ihrer Erzählung herausgehört hatte. "Naja. Sie fand das alles ziemlich unmöglich. Aber wie gesagt, sie war auch nie einfach. Und ziemlich festgefahren in ihren Ansichten. Sie starb dann, als Leo grade zwei war." "Tut mir leid", bekundete der Shaolin seine Anteilnahme. "Muss es nicht, es ist schon so lange her." Jordan ging ein paar Schritte zu einem Aschenbecher, der neben einer Bank stand und drückte ihre Kippe aus. Danach ließ sie sich auf die Sitzfläche sinken und verbarg das Gesicht kurz in ihren Händen. Peter ging zu ihr rüber und setzte sich neben sie. "Erzählst du mir die Geschichte zu Ende?", fragte er versöhnlich. Auch wenn seine Gedanken immer noch unsortiert durch seinen Kopf jagten, hatte er sich soweit gefangen, dass er ihr die Möglichkeit geben konnte, sich zu erklären. "Naja, soviel gibt es da nicht mehr. Als wir feststellten, dass wir mehr als gute Freunde waren, war ich im neunten Monat. Henry und ich führten viele Gespräche über die Situation, und ohne sich aufdrängen zu wollen bot er vorsichtig an, dass er die Vaterrolle für das Baby gern übernehmen würde, wenn ich nichts dagegen hätte. Und ich muss ehrlich sagen, das hatte ich auch nicht." Peter seufzte hörbar, anklagender als er eigentlich gewollte hatte, aber diese Worte fühlten sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Dennoch schwieg er. Auch Jordan seufzte und blickte ihn an. "Henry war an meiner Seite, ich liebte ihn. Das war so schön einfach. Alles andere hätte es so furchtbar kompliziert und schwer gemacht. Es wäre für alle Beteiligten nicht einfach gewesen. Das war die komfortablere Lösung." "Der richtige Weg ist meistens der beschwerlichere", sinnierte Peter leise und gab ihr damit einen Seitenhieb. Aber er fühlte sich danach und fand, dass sie das verdient hatte. "Peter… ich will ja auch gar nicht sagen, dass das der moralisch richtige Weg war. Aber zu allem anderen wäre ich nicht im Stande gewesen. Henry und ich haben auch nichts übers Knie gebrochen. Als Leo auf die Welt kam, wurde ich als Mutter eingetragen und der Vater unbekannt. Zwei Jahre später heirateten wir und dann wurde Henry urkundlich Leos Vater. Wir heißen jetzt auch Vermont mit Nachnamen. Und Henry ist ein zauberhafter Vater… womit ich nicht sagen will, dass ich nicht wüsste, dass du auch ein wunderbarer Vater wärst…" "Wenn ich die Chance dazu gehabt hätte", sagte Peter leise und versetzte ihr den nächsten Stich. Er wusste, dass das nicht wirklich nett war und so gar nicht seiner Art entsprach, aber all das, was Jordan getan hatte, war ebenso wenig nett gewesen. "Zum Teufel Peter, ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe! … Aber auf der anderen Seite habe ich auch alles richtig gemacht!", betonte sie nach kurzer Pause und setzte erneut an. "Wenn ich mich anders entschieden hätte, hätte Leo heute zwei Dads, zwischen denen er sich hin und her gerissen fühlen müsste, würde seine Wochenenden teilweise in Sloanville verbringen, wobei er dann länger auf Flüghäfen und in Flugzeugen wäre als tatsächlich bei dir. So wie es jetzt ist, hat er EINE Familie, ohne wenn und aber. Ohne Probleme." Der junge Shaolin fühlte sich, als hätte ihm jemand eins übergebraten. "Das bin ich also für dich. Ein Problem. Gut zu wissen", brummte er resignierend. Sein Kopf dröhnte, er wusste nicht mehr so recht, was er denken sollte. "Deine Polemik kannst du dir sparen! Ich habe mir diese Entscheidung auch nicht leicht gemacht!", fuhr sie ihn an und verbarg ihr Gesicht dann wieder für einen Moment in ihren Händen. "Aber ich… hielt es dennoch für richtig. Und das tue ich noch", sagte sie abschließend. Sie hatte die Kraft in ihrer Stimme wieder gefunden. "Wow…", murmelte Peter, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. War es überhaupt noch nötig, ein solches Totschlagargument noch zu kommentieren? Was änderte es? "Du hast dich nicht verändert, Jordan. Du weißt, was du willst und setzte deinen Kopf durch." Er sah ihr tief in die Augen. "So wie früher." "Willst du jetzt etwa wehmütig an unsere Beziehung denken? Bitte Peter! So wie ich euch vorhin gesehen habe, kann man glaube ich sagen, dass wir beide glücklich verheiratet sind. Wenn auch nicht miteinander." Sie schmunzelte kurz, und Peter konnte nicht anders als einzustimmen. "Hör zu, Jordan. Das ist alles…", er fuhr sich durch die Haare, "ein bisschen viel grade. Wie wäre es, wenn wir uns später noch mal unterhalten. Ich muss unbedingt mit Cat sprechen und ich muss darüber nachdenken und… ich glaube es wäre besser, wenn wir uns später noch mal treffen. Heute Abend vielleicht. Oder morgen… ich… ich weiß nicht." Peter fühlte sich auf einmal hilflos. "Wahrscheinlich hast du Recht. Heute Abend? So um Sieben? Wenn sie will, dann kann deine Frau ja vielleicht auch… hinten am Ende vom Park ist ein netter Italiener, da ist nicht ganz so viel Trubel, man kann sich gut unterhalten." Auch Jordan wirkte auf einmal unbeholfen. "Alles klar… dann sehen wir uns heute Abend", sagte Peter und stand auf. Für eine Sekunde fragte er sich, ob er sie umarmen oder ihr nur die Hand geben sollte, aber schließlich nickte er ihr nur zu, verzog die Lippen zu der Andeutung eines Lächelns und drehte sich dann herum, um zurück ins Hotel zu gehen und endlich mit seiner Frau zu reden. * * * Kapitel 2 Wie selbstverständlich griff der junge Shaolin bereits im Aufzug in seine Tasche und zog die Schlüsselkarte für das Zimmer hervor. Erst jetzt ging ihm auf, dass sie nur eine Karte hatten und Cat somit vor verschlossener Tür gestanden haben musste. Er wurde sofort besorgt. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder sie hatte sich mit Hilfe des Hotelpersonals Zutritt verschafft, oder aber sie war wieder gegangen und befand sich jetzt irgendwo in dieser riesigen Stadt, unauffindbar für ihren Mann. Er hoffte, dass sie erstere Wahl getroffen hatte. Vorsichtig steckte er die kleine Plastikkarte in den Schlitz am Türschloss und drückte die Klinke runter, als das LED-Birnchen von rot auf grün sprang. Sofort sah er, dass die Balkontür offen stand, die weißen Stores wehten seicht in das Hotelzimmer hinein. "Cat?", fragte er leise und ging auf die offene Tür zu. Er bekam keine Antwort. "Cat?", wiederholte er, diesmal lauter. Immer noch regte sich nichts. Allerdings konnte er jetzt sehen, dass jemand auf einem der beiden weißen Plastikstühle saß; und es war eindeutig seine Frau. Erleichterung machte sich ein bisschen breit, dass sie hier war, aber ihre Haltung verriet ihm auch ihre Gemütslage. Sie hatte die Beine angezogen und die Füße auf der Sitzfläche abgestellt, die Knie nahe an ihre Brust gezogen. Die weißen Kabel ihres mobilen Players tauchten irgendwo dort zwischen ihren Beinen und ihrer Brust auf und verteilten sich dann zu den zwei Seiten ihres Kopfes, wo die Knöpfe dann in den Ohren endeten. Ihr Kopf wippte leicht im Takt, ihr Blick ging leer über die Straße auf die Hauswand gegenüber. "Oh Süße", murmelte Peter mitfühlend, aber mehr zu sich selbst. Er hatte die Worte so leise gesprochen, dass sie ihn unmöglich hatte hören können. Vorsichtig streckte er seinen Arm aus, schließlich wollte er sie nicht erschrecken, und legte ihr seine Hand auf die Schulter. Sie zuckte nur kurz, ließ sich aber sonst nicht viel anmerken. Erst nach einigen Sekunden begann sie, sich zu bewegen, den Player auszuschalten und langsam die Stöpsel aus den Ohrmuscheln zu nehmen. "Schön, dass du auch noch kommst", murmelte sie abweisend, ohne ihn dabei auch nur anzusehen, "hatte schon gedacht, du wolltest den Rest des Tages mit deinem Sohn verbringen." Ihre Stimme war eigentlich tonlos, aber dennoch schwang jede Menge Zorn darin. "Das ist er doch, oder? Dein Sohn! Von dem du es nicht mal für nötig gehalten hast, mir zu erzählen! Wie hast du das angestellt, Peter? Hast du ihn einfach ignoriert, seit wir uns kennen? Oder hast du ihn heimlich angerufen oder sogar besucht, wenn ich beruflich unterwegs war?" Sie atmete schwer, würdigte ihn aber noch immer nicht eines Blickes. Peter setzte sich auf denen anderen Stuhl, eigentlich ließ er sich eher erschöpft fallen, und fuhr sich durch die Haare. "Cat, bitte. Ich wusste nichts von ihm! Als Jordan damals fort ging, hatte ich keine Ahnung, dass sie schwanger war… ebenso wenig wie sie selbst!" Die junge Frau drehte den Kopf genauso weit wie es nötig war, um ihren Mann prüfend und skeptisch in die Augen zu sehen. "Du weißt, dass das stimmt. Ich hatte keine Ahnung. Und ich bin jetzt nicht minder verwirrt und verletzt wie du. Mich hat vorhin im Park der Schlag getroffen, als ich das Gesicht des Jungen gesehen habe, als ich Jordan gesehen habe, als mir klar wurde, was das bedeutet." Er griff nach ihrer Hand, und sie gab sie ihm bereitwillig. Tränen sammelten sich in Cats Augen. "Ich… ich glaube dir, Honey! Aber was… was passiert jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Was bedeutet das für uns, für dich, für mich?", fragte sie, unterbrochen von Schluchzern, und wischte sich eine Träne weg. Sie war so unendlich verwirrt und schämte sich darüber hinaus auch noch so sehr, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, Peter hätte ihr seinen Sohn verschwiegen. Beim Blick in seine Augen sah sie sofort, dass er ebenso ahnungslos gewesen war. "Ich weiß es nicht, Liebling", murmelte Peter und zog ihre Hand soweit zu sich, er einen Kuss darauf tupfen konnte. "Jordan weiß es auch nicht. Wie treffen uns heute Abend noch mal." Cats Kopf ruckte hoch und sah ihn an. "Wenn du möchtest, dann gehen wir zusammen, ich will dich da nicht außen vor lassen." Er küsste ihre Hand noch mal und ergriff sie dann mit seinen beiden Händen. "Wir müssen klären, wie es jetzt weitergeht. Sie ist auch verheiratet, der Junge ist auf dem Papier der Sohn ihres Mannes… sie hatten ein wundervoll unkompliziertes Leben als Familie, bis eben im Park." Cat nickte und entzog Peter dann ihre Hand, um sich durch das Gesicht zu fahren und die wilden Haare aus der Stirn zu wischen. "Mal sehen. Ich weiß jetzt noch nicht, ob ich mir das heute antun will. Kommt drauf an, wie es mir dann geht. Ich… ich kann grade nicht mehr!" "Natürlich", sagte Peter sofort und rutschte mit seinem Stuhl näher an sie heran. Dann gab er ihr einen sanften Kuss und legte den Arm um ihre Schultern. * Sie saßen eine Weile schweigend dort, ehe Cat wieder das Wort ergriff. "Und? Was denkst du dabei? Wie… wie stellst du dir das in der Zukunft vor?", fragte sie vorsichtig. "Wenn ich das nur wüsste", murmelte Peter leise und legte seinen Kopf an ihren. "Das überrennt mich grade so sehr, ich weiß überhaupt nichts mehr." Er seufzte und schloss die Lider. Cat kuschelte sich in seine Armbeuge und machte ebenfalls die Augen zu. "Das kann ich nur zu gut verstehen, Honey. Ich fühle mich, als hätte mich ein LKW überfahren. Und du… naja, bei dir war es wohl eher eine ganze LKW Kolonne." Peter lächelte leicht und drückte sie an sich. "Du triffst den Nagel auf den Kopf, Liebling. … Du triffst den Nagel auf den Kopf." * * * Der junge Shaolin war fast eine halbe Stunde zu früh bei dem Italiener, den Jordan beschrieben hatte. Er hatte sich an einen kleinen Tisch im hintersten Eck zurückgezogen und versuchte seine Gedanken zu sortieren, bis Jordan kommen würde. Beim Kellner orderte er zunächst ein Glas Wasser und begann dann nachdenklich die Papierserviette vor sich in alle möglichen Formen zu falten. Cat hatte sich dagegen entschieden mitzukommen, sie hatte nicht die Kraft für diese Begegnung, wie sie selbst sagte. Peter hatte nicht versucht sie zu überreden. Zum einen wusste er, dass es für sie hart werden würde, zum anderen empfand er es auch als die bessere Lösung. Nicht, dass er sie nicht dabeihaben wollte, aber vermutlich machte ihre Abwesenheit das Gespräch mit Jordan einfacher; zumindest ein bisschen. Die blonde Polizistin war ebenfalls früh dran und erschien eine Viertelstunde nach Peter, entdeckte ihn und setzte sich ihm gegenüber. "Hallo Peter", begrüßte sie ihn leise. Ihre Stimme war ruhig und so ausgeglichen, wie sie es in diesem Moment sein konnte. "Hi", antwortete der Shaolin knapp und beobachtete geduldig, bis sie sich gesetzt und ihre Handtasche über die Lehne des Stuhls gehängt hatte. Stille machte sich zwischen ihnen breit. "Sollen wir was essen, Peter? Ich für meinen Teil sterbe vor Hunger…", sagte sie nach einigen Sekunden und es wirkte mehr wie ein hilfloser Versuch, irgendetwas zu sagen und die Stille zu durchbrechen. "Ja, eine Kleinigkeit könnte ich auch vertragen", antwortete er und suchte auffällig Blickkontakt zu einem der Kellner, der sogleich mit zwei Speisekarten herangeeilt kam. Es dauerte nicht lange, bis jeder was Passendes gefunden und bestellt hatte. Wieder sagte niemand etwas. Peter fuhr sich durch die Haare. "So, Jordan. Wir können uns nicht ewig anschweigen oder die ganze Sache so lange hinausschieben wie möglich." Er blickte sie auffordernd an. "Wollen wir nicht erstmal essen?", konterte sie sofort, aber ihr Tonfall verriet, dass sie sich in ihrer Taktik erwischt fühlte, auch wenn sie wusste, dass dieses Gespräch so oder so unumgänglich war. Peter seufzte deutlich hörbar. "Was soll das bringen? Das ändert doch nichts." Jordan sah ihn unvermittelt an. "Stimmt. Aber trotzdem möchte ich keine Diskussion mit dir zwischen Spaghetti und Pizza führen. Bitte Peter. Lass uns essen und anschließend reden. Dann bin ich nicht mehr hungrig und wir können vielleicht auch miteinander reden, ohne dass es sich anfühlt als würden wir auf rohen Eiern balancieren." Er wusste genau was sie meinte. Der Eiertanz in den ersten Minuten hier war unangenehm und auf eine merkwürdige Weise peinlich gewesen. Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht sollten sie wirklich ein wenig Small Talk halten bis das Essen kam, sich erstmal wieder ein wenig kennen lernen. "Also gut, wie du willst", sagte er schließlich und rang sich ein dünnes Lächeln ab. * Das Gespräch vor und während des Essens zwischen ihnen war zögerlich, wurde aber mit jedem gesprochenen Satz sicherer und auch entspannter. Sie erzählten einander, was in den letzten Jahren so passiert war. Jordan zeigte sich betroffen über die Nachricht von Caines Tod, lauschte gespannt dem Bericht von Peters Wanderung und schließlich seiner Rückkehr nach Sloanville. Ihrerseits erzählte sie von ihrer Mutter, deren Tod und ihrer Wiederaufnahme der Polizeiarbeit vor zwei Jahren. "Fast acht Jahre", murmelte Jordan schließlich, tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und legte sie auf den leeren Teller. Natürlich wusste sie, wie lange es her war, wurde sich jeden Tag dessen bewusst, wenn sie in Leos Augen blickte, die nächste Geburtstagsfeier vorbereitete oder die Utensilien für das nächste Schuljahr einkaufte. Peter war allgegenwärtig, das konnte sie nicht abstreiten. Auch der junge Shaolin legte das Besteck auf den Teller und lehnte sich zurück. "Ja, acht Jahre, Jordan", gab er zurück, und seine Stimme hatte wieder eine leichte Schärfe angenommen. Nicht wirklich bösartig, aber er wollte ihr schon verdeutlichen, dass er nach acht Jahren jetzt keine Minute mehr warten wollte. Die blonde Polizistin erkannte den Wink und hielt sich die aneinander gelegten Hände vor die Lippen, um sich kurz zu sammeln und die zurecht gelegten Worte wieder zu finden. "Hör zu Peter… ich habe den ganzen
Nachmittag darüber nachgedacht, noch intensiver als die letzten Jahre,
ich habe mit Henry gesprochen, ich… wir…" "Ich möchte nicht, dass Leo erfährt, dass du statt Henry sein Vater bist." Jetzt war es raus. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie Peter, der für eine Schocksekunde gar nicht reagierte, ehe sich dann seine Miene verständnislos verfinsterte. "WAS hast du grade gesagt, Jordan?", blaffte er entsetzt und voller Zorn. Natürlich hatte er es verstanden, aber das war so ziemlich das letzte gewesen, womit er gerechnet hatte, was er hatte hören wollen. "Wie kommst du auf die Idee, ihn mir weiterhin vorenthalten zu wollen, jetzt wo ich von seiner Existenz weiß?!" Jordan atmete tief durch, straffte sich auf dem Stuhl und sah in Peters braune Augen. "Peter! Es geht hier weder um mich noch um dich. Es geht um Leo. Was glaubst du, wie er sich fühlt, wenn ich ihm jetzt auch einmal dich als Vater vorstelle? Was soll er denn denken? Er ist erst sieben, Herrgott! Das kann er doch gar nicht verarbeiten!", sagte sie in voller Ernsthaftigkeit. "Aber ich habe ein Recht darauf, meinen Sohn zu sehen, Zeit mit ihm zu verbringen! Und er hat ein Recht darauf zu erfahren, dass sein Vater ein anderer ist! Jordan, du kannst nicht einfach sagen: Bumm, so ist es!" Peter fuhr sich durch die Haare, sein Gesicht hatte eine leichte Rötung angenommen, sein sonst so freundlicher Blick hatte sich verdunkelt. "Doch, Peter, das kann ich." Der junge Shaolin wollte etwas einwerfen, aber Jordan hielt ihn mit einer Handbewegung davon ab. "Aber nicht um dich zu ärgern. Oder Henry in seinem Status zu schützen. Verdammt, nein! Es geht mit rein um Leo. Ich kann ja verstehen, dass du das aus deiner eigenen Geschichte alles anders siehst, aber versuche doch mal, dich da hineinzuversetzen. Wenn dir jemand mit sieben Jahren erzählt hätte, dass Caine nicht dein Vater ist, sondern wer-auch-immer… wie hättest du dich gefühlt? Wie hättest du dich gefühlt, wenn du jedes zweite Wochenende den Tempel hättest verlassen müssen, weil wer-auch-immer auf sein Recht pocht, Zeit mit dir zu verbringen? Selbst wenn wer-auch-immer an sich ja ein netter Kerl wäre?" Peter biss sich auf die Unterlippe und seufzte. Er hätte ihr gerne widersprochen, aber auf der anderen Seite trafen ihre Ausführungen einen empfindlichen Punkt. Er hätte den Tempel damals nicht verlassen, wenn diese Situation eingetreten wäre. Er hätte sich mit Händen und Füßen gewehrt und wen-auch-immer niemals akzeptiert. Selbst wenn er ein netter Kerl gewesen wäre. "Peter. Es tut mir leid. Wenn du mich hassen willst… bitte, dann hass mich. Du hast allen Grund und alles Recht dazu. Aber lass Leo bitte sein Leben, wie es bisher ist. Es ist das Beste für den Jungen." Sie trank einen Schluck von ihrem Wein und blickte ihn dann wieder an, auch wenn er mit leerem Blick seine Hände auf dem Tisch musterte. Jordan sprach weiter. "Wir beide wissen, dass du natürlich die Möglichkeit und das Recht hast, die Vaterschaft von Henry offiziell anzuzweifeln und einen Test durchführen zu lassen. Wir beide wissen, dass du Recht bekommen würdest. Aber bitte… BITTE Peter… tu ihm das nicht an! Um seinetwillen!", bat sie eindringlich und hoffte, dass Peter sie endlich anblicken würde. "Hast du eine Ahnung, was du da von mir verlangst?", flüsterte der Shaolin leise ohne aufzublicken. "Ich… ja… nein… ich weiß es nicht. Ich versuche es dir nachzufühlen, aber ich…", sie griff über den Tisch und nahm verständnisvoll seine Hand. Endlich sah er sie an. "Ich weiß, dass es ein sehr großes Opfer ist, was ich von dir verlange. Ich habe lange mit mir gerungen, nicht erst seit heute Mittag. Es tut mir Leid Peter. Aber ich hoffe, du weißt, was das richtige für Leo ist." Peter drückte kurz ihre Hand und entzog sich dann ihrem Griff. "Ein großes Opfer. Ja…", er fuhr sich erneut durch die Haare, schloss kurz die Lider und sah sie dann aber direkt und klar an. "Die Frage ist wohl, ob ich den Schmerz auf mich nehme oder ob ich ihm wehtue… ich weiß, wie weh es tut, wenn die eigene Welt zerbricht und in Trümmern vor einem liegt. Nein… das soll er nicht erleben." Peter erhob sich plötzlich und unvermittelt von seinem Stuhl, ausreichend Dollarscheine für ihr beider Essen auf den Tisch legend. "Leb wohl Jordan. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute für die Zukunft." Seine Entscheidung war gefallen. ENDE
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