Autor: Ratzenlady
 

Peter wachte langsam aus einem traumlosen Schlaf auf und blinzelte mehrmals. Noch immer brauchte er morgens einen Moment, um zu realisieren, wo er sich befand; was sein neues Zuhause war.

Er setzte seine Füße auf den kalten Boden und ging, nur mit einer Boxershorts bekleidet, ins Badezimmer, um zu Duschen und sich fertig zu machen. Schon in einer guten Stunde hatte er seinen ersten Hausbesuch für diesen Tag zu erledigen. Er seufzte leicht, als er unter den warmen Wasserstrahl stieg und die Tropfen über seinen Körper rieseln ließ.

Es waren zwei Monate vergangen, seit er die Male angenommen, seinen Vater wieder verloren und in diese Wohnung gezogen war. Die Arbeit war sofort auf ihn übergegangen, die Menschen Chinatowns vertrauten ihm offenbar ebenso wie sie Caine vertrauten, auch wenn der junge Shaolin noch häufig den Alten um Hilfe bitten musste, meist in Bezug auf Kräuterkunde.

Jordan hatte sich vor wenigen Wochen von ihm getrennt, weil sie meinte, sie würden nicht mehr zusammen passen. War das so? Peter konnte es nicht sagen. Er hatte Jordan verdammt gern gehabt, und er glaubte auch, dass er sie geliebt hatte. Aber sie hatte die Veränderungen in seinem Leben nicht verkraftet und war zu dem Schluss gekommen, dass sie die Beziehung mit dem Cop nicht mit dem Priester weiterführen wollte. Und weil er sie so gern hatte, hatte er sie gehen lassen.

Was blieb, war Einsamkeit. Zwar hatte er den ganzen Tag mit Menschen zu tun, Menschen die ihm vertrauten und seinen Rat schätzten, aber dennoch fühlte er sich allein. Sein Vater war fort, seine Beziehung zerbrochen, seine Freunde vom Revier sah er nur noch sporadisch. Die Tatsache, dass er sie früher nahezu täglich gesehen hatte, hatte ihm immer ein Gefühl von Familie und Sicherheit gegeben, aber jetzt war dieses Gefühl fort.

Er wusste, dass sie ihn immer noch mochten und für ihn da waren, aber dennoch fühlte er sich allein. Die Fixpunkte seines Lebens hatten sich verschoben oder waren gänzlich verschwunden und hatten Leere hinterlassen.

Zuvor hatte er auch allein gelebt, daran konnte es also nicht liegen. Er hatte auch viel Zeit ohne eine Partnerin in seinem Leben verbracht, ohne sich automatisch allein zu fühlen, also fiel auch diese Ursache aus seinen Überlegungen heraus. Woran lag es also? Die Antwort war ebenso einfach wie schmerzhaft: Caine war fort. Der Vater, den er so lange tot geglaubt hatte, war gegangen und hatte ihn wieder verlassen; so wie Paul ihn vor zwei Jahren verlassen hatte.

Und die letzte Konstante, die Clique vom 101., war auch weggefallen, zumindest in der Form, wie er sie immer gekannt hatte. Er vermisste den lockeren Plausch mit den Kollegen, die bissigen Kommentare von Kermit, Blake mit seinen peniblen Forderungen nach Ordnung. Ja sogar die regelmäßigen Zurechtweisungen von Strenlich oder dem Captain fehlten ihm.

Peter schob die Gedanken beiseite und verließ mit einem Handtuch um die Hüfte das Bad, um zunächst in der Küche die Kaffeemaschine anzuwerfen und dann ins Schlafzimmer zu gehen.

Obwohl er schon zwei Monate hier war, hatte er bisher nur die nötigsten Dinge eingeräumt und eingerichtet. Neben dem Bett standen noch einige Kartons und Koffer mit seinen Habseligkeiten, die er noch nicht ausgeräumt hatte. Aber immerhin hatte er es geschafft, sich die doch spartanisch eingerichtete Wohnung etwas wohnlicher zu machen.

Die Kaffeemaschine war die erste Installation gewesen, anschließend waren die Couch und der Fernseher gekommen, und zu guter letzt, aus einer Laune heraus und trotz der eisigen Temperaturen, hatte er noch den Balkon etwas gemütlicher gestaltet, oder zumindest damit angefangen. Aber dennoch nahm nichts davon die Einsamkeit von seinem Herzen.

Peter ging durch den Trainingsraum zum großen Panoramafenster, um zu sehen, welches Wetter ihn an diesem Wintertag wohl erwartete. Der Himmel war trüb und es würde vermutlich wieder heftig schneien, sodass er sich in Gedanken ermahnte, auf jeden Fall seine Handschuhe anzuziehen, wenn er später das Haus verließ.

Als er sich rumdrehte, um sich endlich einen Kaffee zu holen, wäre er fast über eine Bananenpflanze gefallen, die ihm Skalany und Jody zum Einzug in den Loft geschenkt hatten. Das Cellophan hatte er abgemacht, aber die kleinen Deko-Schleifchen hingen immer noch daran, sodass er über sich selbst den Kopf schüttelte. Irgendwann sollte er sich mal zusammenreißen und die letzten Kennzeichen seines Umzuges beseitigen, erinnerte er sich selbst.

Als er wieder in die Küche trat blieb er erstaunt stehen und blickte zunächst skeptisch im Flur zurück, um zu sehen, ob die Haustür vielleicht offen stand. Aber sie war zu.

"Wo kommst du denn her?", fragte er und trat auf die Arbeitsplatte zu, auf der, direkt neben der Kaffeemaschine, eine kleine, rotgetigerte Katze saß und ihn mit großen Augen ansah. Peter streichelte ihr sachte über den Kopf und sofort drückte sich das Tier in seine Handfläche und bat so um mehr.

"Hast du dich verlaufen?", murmelte er und streichelte das Kätzchen weiter mit der linken Hand, während er versuchte, sich mit der rechten an dem schwarzen Wachmacher zu bedienen.

"Dich vermisst doch sicherlich schon jemand", sagte er weiter und wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass er es eigentlich besser wusste. Er konnte nicht sagen woher, aber irgendwie war er sich sicher, dass diese Katze nicht vermisst wurde. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der sein Vater manche Dinge sagte, schoss die Feststellung durch seine Gedanken, dass dieses Tier herrenlos war. Zumindest bis jetzt.

Bei näherer Betrachtung bemerkte der Shaolin, dass die Katze ein Kater war und sich offenbar pudelwohl hier fühlte. "Na. Normalerweise suchen sich die Herrchen ihre Tiere aus, aber du hältst da wohl nicht viel von", grinste er und wusste, dass er mit dem Kater nun einen Mitbewohner hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dass es nicht nur ein kurzer Besuch war.

"Dann brauchst du wohl nur noch einen Namen, was?!", gab Peter sich und dem Tier laut bekannt, dass er es gern hier behalten wollte. Er überlegte fieberhaft, aber wie es immer in solchen Situationen war, fiel ihm nichts Passendes ein.

Der Blick des Shaolin glitt zur Uhr. Er musste los, ob er wollte oder nicht, aber zuvor suchte er zwei flache Schalen aus dem Schrank und stellte sie auf den Boden. Sofort sprang der Kater elegant von der Arbeitsfläche und tapste zwischen dem Napf und Peters Füßen hin und her.

"Lass mal sehen, Kleiner. Was kann ich dir denn anbieten, bis ich heute Nachmittag nach Hause komme? Ähm…", überlegte er laut und versuchte sich krampfhaft zu erinnern, womit man Katzen füttern konnte. Er glaubte sich zu erinnern, dass Milch gar nicht so gut für sie war, wie mein meinte. Und Katzenfutter hatte er nun mal nicht im Haus.

Schließlich goss er etwas Sahne in eine Schale und füllte sie mit Wasser auf. Sofort schoss der Kater wie der rote Blitz auf die Schale zu und trank begierig. Mit einem glücklichen Lächeln beobachtete Peter den kleinen Kerl und spürte, wie er grade sein Herz an das Tierkind verlor.

"Ich bring dir so schnell es geht was zu essen, Kleiner", sagte Peter schließlich und machte sich auf, um sich wetterfest anzuziehen. Der Kater folgte ihm, setzte sich in den Flur und beobachtete ihn neugierig mit schief gelegtem Kopf.

"Lauf mir ja nicht weg, hörst du", mahnte der Shaolin zum Abschied und blieb noch eine Sekunde in der Tür stehen, um das Tier noch mal anzusehen. Tatsächlich hatte er etwas Angst, dass der kleine Kerl nachher verschwunden sein konnte. Es wunderte ihn selbst ein wenig, wie sehr dieser kleine Streuner, der sich vermutlich einfach nur in seine Wohnung verirrt hatte, das Gefühl der Einsamkeit aus seinem Herzen vertreiben konnte.

*

Peter war nervös, als er die Haustür am Nachmittag öffnete. Ob der Kater wohl noch da war? *Vielleicht hat er sich auch schon wieder davongemacht, weil er hier nichts zu essen bekommen hat*, schoss es ihm durch den Kopf. Nachdem er seine Pflichten erfüllt hatte, war Peter noch schnell einkaufen gegangen.

Jetzt trug er eine Plastiktüte mit Feucht- und Trockenfutter, dazu Leckerlis für Katzen und ein kleines Büchlein, in dem Tipps und Hinweise für neue Katzenbesitzer standen. Zusätzlich hatte er noch eine Katzentoilette und einen kleinen Sack Katzenstreu besorgt, die er in einer weiteren Tüte transportierte.

Die Bedenken des jungen Mannes zerstreuten sich ins Nichts, als der kleine Kerl aus dem Trainingsraum in den Flur huschte, kaum dass Peter die Tür hinter sich zugemacht hatte. Mit leisem Miau kam das rote Fellknäuel auf ihn zu und streichelte um seine Beine. Peter ertappte sich selbst bei einem glücklichen Lächeln im Gesicht bei der herzlichen Begrüßung.

"So Kleiner, jetzt hab ich auch was zu essen für dich. Du hast doch sicher Hunger, oder?", teilte er dem Tier mit, bückte sich kurz und streichelte ihn, dann stellte er die Tüte kurz ab und zog sich Jacke, Schal und Handschuhe aus.

Der Kater steckte sofort neugierig den Kopf in die Tüte und miaute fröhlich. Dann tapste er wieder um Peters Beine und rannte vor in die Küche.

"Du weißt genau, was ich hier habe, was?!", grinste Peter und folgte seinem neuen Mitbewohner, der schon sehnsüchtig vorm Futternapf saß und maunzte.

Als der Shaolin die Tüte auf den Tresen stellte und die verschiedenen Pappschachteln und Dosen auspackte, sprang der kleine Tiger hoch und schnupperte an jedem einzelnen Gegenstand. Schließlich schnurrte er um den Karton mit dem Trockenfutter herum und warf ihn dabei um.

"Du weißt sehr genau, was du willst, was?" Mit diesen Worten öffnete Peter die Schachtel und schüttete eine großzügige Portion in die zweite Porzellanschale. Während der Kater jetzt begierig fraß, füllte der junge Mann die Wasserschale auf und verstaute dann das restliche Futter in einem Küchenschrank.

Während sich Peters neuer Freund noch satt fraß, ging der Shaolin in den Flur und baute das Katzenklo auf. Er war grade fertig, als der rote Kater wieder zu ihm kam und wohlig schnurrend um seine Füße strich. Peter nahm ihn auf den Arm und kraulte ihn hinter den Ohren.

"Und was machen wir heute Abend? Ist ein bisschen kalt, um sich auf den Balkon zu setzen", erzählte er dem Tier, das sich genießerisch auf seinem Arm ausbreitete und liebkosen ließ.

Peter kam eine Idee. Er hatte sich spontan eine Hängematte samt Ständer für den Balkon gekauft, wenn die Tage wieder wärmer wurden. Aber so ein Gerät konnte man ja auch drinnen aufbauen.

"Na, was meinst du? Wie kuscheln uns in die Hängematte, essen Zitroneneis bis zum Umfallen und gucken dem Schnee beim Fallen zu?", fragte er den kleinen Kater, der wie um zu bejahen kurz miaute.

Also gingen die beiden in den Trainingsraum, wo der Karton an der Balkontür lehnte. Bevor Peter aber überhaupt darüber nachdenken konnte, wie man so ein Teil zusammenbaute, blieb er wie erstarrt stehen. Die meisten Kerzen waren umgefallen, viele zeigten Kratzspuren und waren kreuz und quer durch den Raum gerollt. Einige Gläser waren umgefallen, aber nicht zerbrochen. Eine in der Ecke liegende Bambusmatte hatte offensichtlich als Kratzbaum gedient.

Aber anstatt sich aufzuregen begann Peter herzlich und laut zu lachen. "Du bist aber auch ein kleiner Terrorist!", griente er und setzte den noch namenlosen Kater auf dem Boden ab, um beide Hände für die bevorstehende Aufgabe frei zu haben.

Er brauchte nicht lange, bis die Hängematte einladend vor dem Fenster stand. Der Rahmen bestand aus einer Steckverbindung mit Sicherungsbolzen, sodass er nicht einmal eine Anleitung brauchte, um sie zusammenzubauen. Jetzt schwang das große Stück Stoff sanft hin und her und wurde mit großen Augen neugierig von dem Kater betrachtet.

Peter grinste stolz, dann ging er in die Küche und holte sich die versprochene Schüssel mit Zitroneneis, das er noch im Tiefkühler hatte. Damit ging er zurück, wo sein neuer Freund immer noch in Jagdstellung dasaß und die Hängematte betrachtete. Peter legte sich genüsslich hinein, brachte sich in eine bequeme Position und schnalzte dann mit der Zunge. "Na komm, mein kleiner Terrorist!"

Der Kater bewegte noch zweimal die Schwanzspitze nach links und rechts, dann setzte er zum Sprung an und landete leicht auf Peters Oberschenkeln. Das sanfte Schaukeln schien ihm noch nicht so recht zu gefallen, mit vorsichtigen Schritten wanderte er auf den Bauch des Shaolins und rollte sich dort zusammen.

Peter kraulte ihn mit der rechten Hand gedankenverloren und dachte über seine eigenen Worte nach. Er erinnerte sich an einen Film, den er vor kurzem gesehen hatte, und in dem es auch um Terroristen ging. Wie hieß doch gleich der Kerl, der eine ganze Stadt ins Chaos stürzen wollte?

*Hätte auch nicht schlimmer aussehen können als hier*, grinste er in Gedanken und war sich sicher, dass der Name zu dem kleinen Kater passen würde, zumal die Figur ebenso rote Haare hatte, wie das Fell des Katers rot war. Aber dafür musste ihm der Name erstmal einfallen.

"Pollux!", stieß er endlich siegesfroh aus. Der Kater hob sogleich den Kopf und sah ihn fragend an, als würde er sich angesprochen fühlen.

"Gefällt dir der Name? Pollux? Ja?"

Als Antwort gab es nur ein Miau, ein Anschmiegen an Peters kraulende Finger und ein wohliges Schnurren. Peter lächelte.

Der junge Mann erinnerte sich weiter an den Film, dessen Titel er vergessen hatte. Es waren zwei Terroristen, Brüder, die sich mit einem Polizisten ein heißes Duell um eine Bombe lieferten. Auch der zweite Name fiel ihm jetzt wieder ein: Castor. Die beiden Terroristen hießen Pollux und Castor Troy.
Aus irgendeinem Grund erwärmte auch der zweite Name sein Herz, er wusste nur nicht warum…

Und während Peter nachdachte und seinen kleinen Kater streichelte, entblößte der klare Nachthimmel einen hell funkelnden Stern, der an diesem Abend wohl Peter Caines persönlicher Glücksstern war und die Einsamkeit für heute und lange Zeit aus seinem Herzen vertrieben hatte.

ENDE

 

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