Kapitel 1 Peter nahm einen Schluck aus seinem Pappbecher, verzog aber sofort angewidert das Gesicht. "Kalt", brummte er unzufrieden und stellte das Kaffeegefäß wieder in die Halterung im Armaturenbrett. "Natürlich", antwortete Kermit, ebenfalls grimmig. "Bei dem Wetter kann der Kaffee auch nicht länger als fünf Minuten warm bleiben. Und die haben wir schon lange hinter uns." Peter nickte zustimmend. "Und mit diese Möhre unter dem Hintern kann es auch noch Stunden dauern, bis wir ankommen. Hoffentlich kommen wir überhaupt durch." "Noch gibt es im Funk keine Hinweise auf Straßensperrungen. Weder wegen Überflutungen, noch wegen umgestürzter Bäume", beruhigte Kermit. Zwar war er auch nicht glücklich über ihren spontanen Einsatz, aber er schien ihn besser zu verkraften als sein junger Partner. Die beiden Cops waren von Captain Blaisdell angewiesen worden, einen festgenommenen Drogendealer sofort nach Cleaveland zu überstellen, damit das FBI ihn dort verhören konnte. Die Sache eilte und der Verdächtige war offenbar so wichtig, dass sie zum einen sofort aufbrechen mussten, Herbststurm hin oder her, und zum anderen auch den Gefangentransporter statt eines Privatwagens nehmen mussten. Der Regen peitschte heftig auf die Frontscheibe, unablässig schoben die Wischer das Wasser beiseite, scheinbar nur um Platz für neues zu machen. Der Donner übertönte das im Hintergrund laufende Radio und immer wieder erhellten Blitze den dämmrig dunklen Himmel. Kermit lenkte den Wagen, und ein Blick auf seine Anzeigen verriet ihm, dass sie bei aktueller Geschwindigkeit –und mehr war absolut nicht drin- noch drei Stunden unterwegs sein würden. Ohne Zwischenfälle. Wenn der Sturm wirklich noch zu Problemen im Verkehr führen würde, war nicht absehbar, wie lange sie brauchen würden, um ihren Verdächtigen abzuliefern. "Und das ganze morgen auch wieder zurück mit der Kiste!", schien Peter die gleichen Gedanken gehabt zu haben. "Fahrspaß ist was anderes", grummelte er vor sich hin. Eigentlich wollte der Ex-Söldner seinem Freund grade deutlich zu verstehen geben, dass sein Gemecker ziemlich nervt, kam aber nicht mehr dazu. "VORSICHT!", brüllte Peter auf einmal überrascht. Kermit verriss das Lenkrad. Direkt vor ihnen hatte sich von dem Hang zu ihrer Rechten eine große Erdmasse samt den Nadelbäumen darin gelöst und schoss nun als Schlammlawine auf die Straße und in den Abhang zu ihrer Linken hinunter. Die Bremsen kreischten protestierend, während der Transporter über den Nassen Asphalt rutschte. Der Schlammberg kam immer näher und würde sie begraben, sollten sie nicht vorher zum Stehen kommen. Dann aber brach das Heck aus, das Quietschen hörte kurz auf, setzte aber gleich wieder ein. Der Wagen hatte seine Richtung geändert, schoss jetzt nicht mehr auf die Lawine, sondern auf den Abhang zu. Kermit krallte sich am Lenkrad fest, wohl wissend, dass er an der Richtung nichts mehr verändern konnte. Auch Peter beschränkte sich in seinem Schock darauf, Halt in dem Wagen zu suchen und klammerte sich an den Plastikgriff in der A-Säule. Dann erreichte der Transporter die Leitplanke, schob sie unter sich zusammen, kippte laut klappernd über den Rand der Asphaltdecke und überschlug sich den Hang zwischen Büschen und Geröll hinab, direkt in die tosende Schlammlawine. *** Kermit kam in absoluter Dunkelheit langsam wieder zu sich. Sein Kopf dröhnte und sein ganzer Körper fühlte sich wie ein riesiger Muskelkater an. Aber sonst schien er unverletzt. "Peter?", frage er in die Fahrerkabine, während er sich langsam aufrichtete und ertastete, dass der Wagen offenbar halbwegs grade zum Stehen gekommen sein musste. Jedenfalls war die Sitzbank unter und das Lenkrad vor ihm. "Peter?", wiederholte er, als er keine Antwort bekam. Ein eiskaltes Gefühl beschlich ihn und er tastete hektisch nach dem Schalter für die Innenraumbeleuchtung, der irgendwo in der Mitte des Wagenhimmels sein musste. Endlich fand er das kleine Stück Plastik und legte es um. Für einen Moment kniff er die Augen zusammen, obwohl die kleine Glühbirne im Verhältnis zu anderen Lichtquellen kaum Helligkeit verbreite. Allerdings reichte es, um Kermit für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. "Oh shit", murmelte er leise, während er seinen Partner betrachtete. Peter lag mehr auf dem Beifahrersitz, als dass er saß. Sein Kopf war leblos zur Seite geneigt, eine heftig blutende Wunde an der Stirn, die schon den Schulterbereich seines hellblauen Hemdes tiefrot verfärbt hatte. "Peter!", stieß Kermit hervor und hoffte, dass sein Freund wie durch ein Wunder zumindest die Augen öffnete, aber nichts passierte. Kermit wollte auf der Sitzbank herüberrutschen und drückte sich im Fußraum ab, allerdings durchfuhr ihn sofort ein heftiger Schmerz im linken Knöchel. "Verdammte Scheiße", fluchte er und blickte an seinem Bein hinab. Er zog die Hose ein Stück hoch und sah seinen Knöchel im diffusen Licht deutlich angeschwollen und bläulich verfärbt. Sein Blick glitt wieder zu Peter, diesmal forschend auf die Brust des Cops gerichtet, die sich (*Gott sei Dank*) langsam hob und senkte. Kermit rieb sich die Augen, um währenddessen zu überlegen, wie er weitermachen sollte. Er wusste, dass im hinteren Bereich des Transporters noch der Verdächtige war, der bisher keinen Ton von sich gab, aber der musste warten, bis Peters Wunde versorgt war. Außerdem musste er sich ihrer Gesamtsituation gewahr werden, aber das war mit einem Blick auf die Frontscheibe erledigt: Er sah nur den braunen Querschnitt der Schlammlawine, fest an das Glas gepresst. Ebenso bei den beiden Seitenfenstern. Sie waren in der Erdmasse eingeschlossen. *Jetzt fehlt nur noch, dass der Verbandkasten nicht da ist* knurrte er in Gedanken und lehnte sich nach vorne, um unter die Sitzbank sehen zu können. Der orangene Plastikkasten lag dort, wo er hingehörte und ließ sich problemlos von dem Cop aus seiner Halterung nehmen. Kermit warf einen weiteren prüfenden Blick auf Peter, dessen Zustand sich nicht verändert hatte: Blut lief aus seiner Stirn, über die Wange und die Backe, den Hals entlang auf die Schulter und versickerte dort im Hemd. Außerdem hob und senkte sich seine Brust in langsamen Abständen. Erst jetzt sah der Ex-Söldner auch, dass Peters rechte Schulter ziemlich deformiert aussah und sich in einer unnatürlichen Position befand, ebenso wie sein rechter Unterarm. Er musste sich während den Überschlägen die Schulter ausgekugelt und den Arm gebrochen haben. Kermit stöhnte auf. Diesmal nur mit Hilfe des rechten Fußes und seiner Hände rutschte Kermit näher an seinen Freund heran, bis er direkt neben ihm war. "Erst mal deine Blutung stoppen, dann sehen wir weiter", murmelte er leise, als wollte er seinem bewusstlosen Partner Mut machen. Er klappte den Verbandkasten auf seinem Schoß auseinander und zog ein paar Päckchen heraus, deren Verpackung er rüde aufriss. Zunächst tupfte er das Blut mit einem desinfizierenden Tuch von der Wunde, dann presste er eine dicke Wundauflage darauf, die er anschließend mit zwei Rollen Verband um den Kopf fixierte. Er konnte nur beten, dass dies die Blutung zumindest ein wenig stoppen würde. Jetzt widmete er sich der Schulter seines Freundes. Vorsichtig hob er den Kragen des Hemdes an, um darunter einen Blick auf das Gelenk werden zu können. Die Haut war leicht blau verfärbt, das Gelenk eindeutig an der falschen Stelle. Er war erleichtert, dass die Schulter wohl tatsächlich nur ausgerenkt und nicht etwa zertrümmert war. Kermit überlegte, ob er die Schulter einrenken sollte, aber noch fand er keinen Grund dafür, seinem Freund Schmerzen zuzufügen. Das sollten die Rettungskräfte machen, wenn sie eintrafen, die verfügten sicherlich über mehr Fachkenntnis auf diesem Gebiet. *Die Rettungskräfte* schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt, wo Peters Kopfwunde versorgt war, klappte er den Funktionsschalter des Funkgerätes auf ON, um Hilfe zu rufen, aber nichts passierte. "Komm schon!", befahl er und schlug gegen den Metallkasten, der allerdings weiterhin ohne Funktion blieb. Einen knurrenden Ton aus der Kehle würgend zog er sein Handy aus der Tasche und klappte es auf. Er wollte schon die 911 eintippen, als er auf dem Display erkannte, dass er kein Netz hatte. Nicht mal ein Notruf über Fremdnetz war möglich. Langsam glitt sein Blick wieder auf die Scheibe vor sich. "Wie tief zu Hölle sind wir vergraben?", sagte er schaudernd in die Stille. Er verzichtete darauf, auch Peters Handy aus dessen Tasche zu ziehen. Wenn es auch kein Fremdnetz für Notrufe gab, konnte auch Peter keinen Empfang haben. Kermit rieb sich erneut verzweifelt die Augen. Wie lange würden sie hier unten überleben können? Wie lange würden sie Luft zum Atmen haben? *Das kommt darauf an…* überlegte er und drehte sich langsam zu dem vergitterten Fenster hinter sich um *…wie viele Menschen atmen*. Mit einem Ratsch schob er das Gitter beiseite und blickte in den hinteren Raum des Wagens. Er war leer. Das gesamte Heck war deformiert, die Türen nicht zu sehen, dafür war etwa die Hälfte des Raumes mit Schlamm gefüllt, der offenbar durch die offenen Türflügel eingedrungen war. "Na super. Wenigstens muss ich mir und den keine Gedanken mehr machen", sagte Kermit mit einem fast schon gleichgültigen Tonfall. Wieder rieb er sich die Augen und überlegte, wie es weitergehen sollte. Er blickte auf die Uhr, um festzustellen, dass es noch über zwei Stunden dauerte, bis man sich ernsthafte Sorgen um sie machen würde. Ob die Luft solange reichte? Und ob Peter so lange durchhielt? Er blickte wieder auf die Scheibe und versuchte irgendwo in der braunen Masse einen Hinweis darauf zu finden, wie tief sie begraben waren und welche Konsistenz die Erde hatte. Würde sie den Wagen fluten, wenn er das Fenster herunterkurbelte? Kermit glaubte nicht daran, schließlich konnte er im Heck sehen, dass dort der Fluss recht schnell versiegt war. Trotzdem konnte es sein, selbst wenn die Erde am Fenster fest war, dass es oben noch regnete und wenn man sich dann durchgrub würde der Tunnel geflutet. *Und Peter würde hier unten noch sitzen und wahlweise ertrinken oder ersticken* vervollständige er in Gedanken. Erneut drehte er sich nach hinten rum und drückte auf den Schalter für die Beleuchtung des Transportraumes. Die Lampe flackerte einige Sekunden, ehe sie sich entschied, tatsächlich Licht zu verbreiten. Kermit betrachtete sich den Schlamm etwas genauer, um zu sehen, ob sich der Verdächtige nicht vielleicht sogar rausgegraben hatte und es einen bestehenden *und sicheren* Tunnel gab. "Nichts", knurrte er leise. Ihr Passagier musste herausgeschleudert worden sein, bevor sie unter der Lawine begraben wurden. Kermit frage sich unweigerlich, ob er es wohl überlebt hatte, aber eigentlich interessierte ihn das nicht halb so viel, wie sein eigenes und Peters Schicksal. Nochmal schätze er die Raummaße ab und versuchte sich an das benötigte Luftvolumen zu erinnern, um grob vorauszusehen, wie lange es dauern würde, bis sie hier unten erbärmlich erstickten. Besorgt musterte er seinen Freund, dessen Atmung noch flacher zu werden schien, während er die Zahlen überschlug. Das Ergebnis war auch nicht motivieren. "2 Stunden, Partner", sagte er in Richtung des bewusstlosen Cops, "bis dahin werden sie uns nicht finden, fürchte ich." Kurz legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, um anschließend wieder Peter anzusehen. "Und du nicht durchhalten", ergänzte er kaum hörbar beim Blick auf den Kopfverband, der sich schon wieder rot verfärbt hatte. *** Paul Blaisdell saß an seinem Schreibtisch, die Tür zum Büro seiner Mitarbeiter geöffnet. Der Wind heulte um das Backsteingebäude und peitschte die Regentropfen gegen die Fensterscheiben, immer wieder erhellten Blitze den wolkenverhangenen Himmel. Der Blick des Captains wanderte zu der großen Wanduhr, die sich beharrlich dem Mitternachtsstand näherte. Kermit und Peter waren grade zwei Stunden unterwegs und es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie sich melden konnten, dass sie angekommen sind. Die Türen zum Revier flogen auf und Jody kam hastig herein. Ihre blonde Mähne hing nass an ihrem Gesicht herunter, die schwarze Lederjacke glänzte durch die Feuchtigkeit. "Pfui Teufel!", fluchte sich und schüttelte sich demonstrativ, "bei dem Wetter sollte man nicht mal einen Hund vor die Tür schicken!" *Und schon gar nicht seinen Sohn und seinen besten Freund* fügte Paul in Gedanken hinzu und blickte erneut auf die Uhr. Er würde drei Kreuze machen, wenn die beiden unbeschadet in Cleaveland ankamen. Paul hätte die beiden am liebsten gar nicht losgeschickt, aber das FBI hatte Druck gemacht und schließlich rief der Commissioner an, um mit aller Deutlichkeit klar zu machen, dass der Transport noch in dieser Nacht stattfinden sollte, Unwetter hin oder her. ‚Schließlich waren sie ja Cops und nicht aus Zucker‘. Der frühere Söldner verzog erbost das Gesicht. ‚Nicht aus Zucker‘ war eine Seite, jemanden wegen ein paar Stunden einer solchen Gefahr auszusetzen eine ganz andere. Er schwor sich, dass wenn irgendetwas Außerplanmäßiges passieren sollte, er persönlich dem Commissioner aufs Dach steigen würde. *** Kermit erneuerte Peters Kopfverband und konnte zumindest feststellen, dass die Blutung sich verlangsamte, aber leider noch nicht gestoppt war. Nachdem er die Binde fixiert hatte, schwang er sein linkes Bein auf die Sitzbank und griff das Klebeband und eine dickere elastische Binde aus dem Kasten. Vorsichtig zog er den Schuh und den Socken von seinem Fuß und krempelte das Hosenbein hoch, dann begann er die elastische Binde fest um den Knöchel zu wickeln. Das Ende fixierte er zunächst notdürftig und danach richtig mit dem restlichen Tape, mit dem er den Fuß zusätzlich versteifte, bis die Rolle aufgebraucht war. Dann zog er den Schuh wieder darüber. Er lehnte sich nochmal zu Peter und legte ihm die Hand an die Halsschlagader. Der Puls war langsam und gleichmäßig. "Ich hol dich hier raus, Partner", versprach er leise. Dann blickte er sich in der Fahrerkabine um, ob er etwas langes Dünnes fand, womit er sich in dem Schlamm vorantasten konnte, um sich gegeben falls rechtzeitig zurückzuziehen, wenn ihm Wasser oder loser Schlamm entgegen kamen. Schließlich entdeckte er eine Rolle Schweißdraht unter dem Sitz in einer Werkzeugkiste zwischen Hämmern und Zangen. Er griff danach, richtete sich auf und schob sich wieder auf seinen ursprünglichen Platz hinter dem Lenkrad. Probeweise trat er mit seinem lädierten Fuß gegen das Bodenblech. Zwar schmerzte er noch, aber es war erträglich; und musste es einfach bleiben, wenn er sich wirklich durch den Schlamm und hoch auf die Straße kämpfen konnte. "Also dann", machte er sich selbst Mut und rollte den Schweißdraht etwa einen Meter weit ab. Dann begann er vorsichtig, das Fenster herunterzukurbeln. Zunächst ein paar Zentimeter, als ihm aber nur ein paar Krümel Erde entgegen kamen schließlich fast in voller Tiefe. Er drückte den Draht hinein, bis der komplette Meter verschwunden war, allerdings wurde es nicht leichter, also schien er die Schlammdecke noch nicht durchbrochen zu haben. Zaghaft begann er mit seinen Händen die senkrechte Erdwand anzukratzen und die Brocken in den Fußraum zu befördern. Zu seinem Glück bröckelte immer nur so viel ab, wie er mit seinen Fingern anstieß, er schien also keine kleine Lawine ins Wageninnere loszutreten. Viel lieber hätte er sich vom Heck des Wagens nach oben gegraben, aber die Luke in der Zwischenwand war leider zu klein zum hindurchkriechen gewesen, sodass er hier auf engerem Raum die herausgebuddelten Erdmassen unterbringen musste, während er aufpasste, dass sein Partner durchhielt und schlussendlich gerettet werden konnte. Nachdem Kermit sich etwa einen halben Meter weit gegraben hatte, schob er wieder den Draht vor, der sich aber nach wie vor mit gleichbleibendem Widerstand bewegte. Er legte den Draht beiseite und kniete sich auf die Sitzfläche, um sich selbst im Falle einer größeren Ablösung im Fußraum nicht mit der Erde festzusetzen. Immer wieder fielen ihm Fußballgroße Brocken entgegen, die er eigentlich noch gar nicht hatte lösen wollen, aber die schlimmen Überraschungen blieben aus. Er hatte sich bereits über einen Meter in die dunkle Masse gegraben, als er mit seinem Draht deutlich spürte, dass er durch die Oberfläche gebrochen war. Es war also nicht mehr weit, aber dafür umso gefährlicher. Kermit schob den Draht jetzt immer wieder vor und zurück, wackelte daran und versuchte das winzige Loch zu verbreitern, um zu sehen, ob vielleicht Wassermassen dadurch ins Wageninnere strömten. Es rieselte leicht aus dem größer werdenden Kanal, aber mehr passierte nicht. "OK, der Moment der Wahrheit." Kermit grub sich weiter voran, die Knie mittlerweile auf dem Türrahmen aufgestützt, und merkte deutlich, dass die Erde unter seinen Fingern jetzt weicher wurde. Der Fahrersitz war mittlerweile stark bedeckt und Kermit schob mit einem Bein immer wieder etwas davon in den Fußraum, der sich rasch füllte. Schließlich merkte der Ex-Söldner, wie seine Hände über ihm durch die weiche Deckschicht brachen und sofort vom Regen benetzt wurden. Vorsichtig tastete auf der Oberfläche und stellte fest, dass es zwar noch regnete, aber bei weitem nicht so stark und es war auch kein Sturzbach entstanden dort, wo er sich durchgrub. Die Wahrscheinlichkeit war also gering, dass der Wagen unter ihm mit Wasser volllief. Nach und nach schob er die restliche Erde nach oben aus dem Loch und erreichte schließlich den nötigen Durchmesser, um hindurchkriechen zu können. Es war fast dunkel draußen, nur durch seine bereits an die Dunkelheit gewöhnten Augen konnte er grobe Umrisse von Steinen und Bäumen erkennen. Erschöpft fiel Kermit auf den Rücken und ließ sein Gesicht vom sanften Regen benetzen, während seine Beine noch im Loch baumelten. Allerdings gönnte er sich nur eine Minute Ruhe, ehe sich wieder aufrichtete und die Augen rieb. Er blickte er hoch zur Straße, auf der er allerdings keine Lichter sehen konnte und auch ein erneuter Blick auf sein Handy verschaffte ihm Ernüchterung. Offenbar hing das fehlende Netz nicht damit zusammen, dass sie unter der Lawine begraben waren, sondern damit, dass wahrscheinlich irgendwo ein Sendemast vom Unwetter in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er ließ seinen Blick schweifen. Im Osten konnte er noch entfernte Blitze am Horizont sehen, wahrscheinlich tobten dort auch noch die heftigen Sturmböen und Regengüsse, die sie hier so überrascht und in die Bredouille gebracht hatten. Kermit überlegte, wie er am besten vorging, um möglichst schnell Hilfe für Peter zu bekommen. Am liebsten wäre er sofort losgelaufen, die Straße entlang, bis er endlich auf ein Auto stieß oder im schlimmsten Fall den nächsten Ort erreichte, der nach seiner Erinnerung etwa sechs Meilen zurück lag. Von dort könnte er die Rettungskräfte alarmieren. Allerdings merkte er sofort, dass es ihm Bauchschmerzen bereitete, seinen Freund unten im Wagen zurückzulassen. Was, wenn das Unwetter drehte, wenn die Regenfälle wieder stärker wurden oder die Wände im Tunnel einbrachen? Wenn er den begrabenen Wagen vielleicht mit den Helfern nicht mal mehr wiederfand? Das konnte er nicht riskieren. *Ich hole ihn raus, dann sehen wir weiter*, sagte er zu sich selbst und überlegte, ob er verantworten konnte, ihn vielleicht anschließend in der stabilen Seitenlage zurück zu lassen, um so schnell wie möglich Hilfe holen zu können. "Gott steh mir bei", schickte er ein Stoßgebet gen Himmel, ehe er sich langsam wieder in seinem selbstgegrabenen Tunnel hinabgleiten ließ. Peter saß unverändert auf seinem Platz. Kermit musste sich unweigerlich fragen, ob sein Freund in der Zeit, die er gegraben hatte, blasser geworden war, oder ob es nur an dem fahlen Licht lag. Er rutschte auf Knien über die Sitzbank zu seinem Partner und fühlte zunächst den Puls, der nach wie vor schwach, aber gleichmäßig schlug. Jetzt richtete er sein Augenmerk verstärkt auf die ausgerenkte Schulter. Er hatte sich überlegt, wie er Peter herausziehen konnte, allerdings ging das wahrscheinlich nicht, ohne die Schulter wieder einzurenken und Peter entsetzliche Schmerzen zu bereiten. Außer er war schon so weit weg, dass er das nicht mehr spürte… *** "Blake, haben Sie schon was aus Cleaveland gehört", fragte Paul Blaisdell ungeduldig seinen Mitarbeiter. "Nein Captain. Noch nicht", entgegnete dieser und warf einen Blick auf die Uhr. "Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie bei dem Wetter so zügig durchkommen. Es wird bestimmt noch ein oder zwei Stunden dauern, bis wir was von ihnen hören", versuchte er zu beruhigen. "Funken Sie sie an", befahl Paul weiter. Blake rückte verhalten seine Brille zurecht. "Das geht leider nicht, überall sind Leitungen und Masten beschädigt worden, der Funk ist großflächig gestört, aktuell ist da kein Durchkommen." "Handy?" "Auch nicht." Paul knurrte etwas in sich hinein. Dass drehte er sich um und ging wieder in sein Büro. Seine Magenschmerzen breiteten sich aus und er hoffte inständig, dass er sich diese Sorgen umsonst machte. Er versuchte sich damit zu beruhigen, dass wenn wirklich etwas passiert sein sollte, Caine auf wundersame Weise da sein und helfen würde. Dann aber fiel ihm ein, dass der Shaolin-Priester aktuell nicht in der Stadt, ja nicht mal im Land war, sondern den Alten nach China begleitet hatte. Dennoch konnte Paul nicht ahnen, dass es noch viel schlimmer um seinen Sohn stand, als er befürchtete. *** "OK, Partner, beiß die Zähne zusammen", sagte Kermit zu der bewusstlosen Gestalt vor sich. Dann setzte er sich Peter auf den Schoß, um den Körper zu fixieren, und zog seinen Arm mit aller Kraft nach oben. Obwohl das Gelenk schon ziemlich angeschwollen war, spürte der Ex-Söldner, wie es langsam wieder in seine Position rutschte. Peter stöhnte und verzog kurz angestrengt das Gesicht. "Hey?", fragte Kermit sofort und musterte ihn genauer, seine Hand wieder an die Halsschlagader legend. Der Puls seines Freundes ging jetzt etwas schneller, dafür allerdings auch etwas unregelmäßig. Aber er war nach wie vor ohne Bewusstsein. Kermit beeilte sich und zog den Verbandkasten hervor. Jetzt könnte er sich dafür ohrfeigen, dass er das gesamte Pflaster verbraucht hatte, denn er musste Peters rechten Arm wegen der ausgekugelten Schulter und dem Bruch im Unterarm am Körper fixieren, um nicht noch größeren Schaden anzurichten. Mit den restlichen im Kasten verbliebenen Mullbinden legte er den Arm angewinkelt am Oberkörper fest, so gut es ging. Auch der unverletzte Arm wurde fixiert. Dann packte er den regungslosen Körper und zog ihn über die Sitzbank zu dem Fenster mit dem Tunnel. Obwohl es eigentlich recht kalt draußen und auch im Wagen war, lief dem Cop jetzt der Schweiß in Strömen über Gesicht und Körper. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit. Er rollte den Schweißdraht etwas weiter ab und zog ihn vorsichtig unter Peters Achseln durch, um ihn anschließend auf dem Rücken zu verdrehen und die Schlaufe so zu sichern. Viel lieber hätte er ein Seil genommen oder etwas anderes, nicht ganz so dünnes und festes, aber seine Möglichkeiten waren stark begrenzt. *Das tut mir mehr weh als dir*, schoss es ihm durch den Kopf, auch wenn er nicht wusste, wie viel Schmerz er seinem Freund damit zufügen würde. Nochmals ließ er seinen Blick durch die Kabine schweifen und fand eine zusammengerollte, alte Decke unter der Sitzbank. Diese drückte er so gut es ging zwischen Peters Körper und den Draht, um den Druck etwas abzupolstern, wenn er ihn daran durch den Tunnel hochziehen würde. Kermit schob sich jetzt an Peter vorbei in den Tunnel, die Rolle mit dem Draht stetig abwickelnd, bis er oben herauskam und sich neben dem Loch postieren konnte. Es regnete immer noch gleichmäßig, die erhellenden Blitze hatten sich weiter von ihnen entfernt, der Donner war kaum noch zu hören. Allerdings fegte jetzt ein empfindlicher Wind um seine von Regen und Schweiß durchnässte Gestalt. Vorsichtig begann er jetzt an dem Draht zu ziehen und spürte deutlich Peters Gewicht am anderen Ende. Das dünne Metall schnitt ihm in die Finger und Kermit hörte für einen Moment auf daran zu ziehen. Stattdessen wickelte er den Überschuss wieder auf die Rolle und packte diese, um wieder Zug auszuüben. Langsam ging er mit der Rolle in der Hand rückwärts und zog damit den Körper seines Freundes in dem schrägen Tunnel Richtung Oberfläche. Allerdings wurden seine Bemühungen von einem heftigen Stöhnen unterbrochen. Sofort hielt er inne und wollte schon zu dem Loch hechten, allerdings wäre Peter dann vermutlich wieder nach unten gerutscht. So weh es ihm in der Seele tat, das musste jetzt sein. Kermit zog weiter und das Stöhnen verstärkte sich. Wesentlich lauter wurde es, als der dunkle Schopf des Cops an dem Lochrand erschien und über die Kante auf den weichen Boden glitt. Er zog widerwillig weiter, bis der Oberkörper und die Hüfte ebenfalls das Loch verlassen hatten, Peter keuchte jetzt regelrecht, hustete und stöhnte schmerzerfüllt. Kermit ließ die Rolle fallen und wollte zu ihm eilen, kam allerdings nur einen einzigen Schritt weit. Er spürte einen heftigen Schlag auf dem Hinterkopf, dann wurde die Welt um ihn schwarz. *** Kapitel 3 Peter fühlte sich, als würde er in der Hölle aufwachen. Rotglühender Schmerz zog durch seinen Körper und zunächst hatte er keine Erinnerung, was passiert war oder wo er sich befand. Nach und nach spürte er den nassen Untergrund unter seinem Rücken, den Regen auf seinem Gesicht und die Tatsache, dass seine Schmerzen vom Kopf und von seiner Schulter herrührten. Und er konnte seine Arme nicht bewegen. Fast schon panisch begann er wild den Versuch, seine Arme von seinem Oberkörper zu lösen, wurde allerdings von dem heftigen Schmerz in seiner Schulter gestoppt. "Was zur…", murmelte er leise und unverständlich in das Dunkel, welches ihn umgab. Immer wieder driftete er ab in den schwarzen Nebel, der zwar Schmerzfreiheit versprach, aber trotzdem nichts Gutes verheißen konnte. Er spürte, dass jemand über ihm stehen musste, es zog an seiner Jacke, an seinem Hosenbund, dann war der Mensch wieder weg. *Kermit!*, schoss es ihm durch den Kopf wie bei einem Geistesblitz, und allein das tat ihm höllisch weh. Allmählich kamen die Bilder zurück, die herabtosende Schlammlawine, wie der Wagen ins Schleudern gekommen war, dass sie den Hang hinabstürzten. Für den jungen Cop war die Sache klar. Er musste aus dem Wagen geschleudert worden sein, Kermit wahrscheinlich auch. Und wahrscheinlich auch genauso verletzt hier irgendwo liegen. Mit aller Kraft rollte Peter sich auf die Seite und machte die Augen auf, um seine Umgebung wahrzunehmen. Zwar war es im ersten Moment stockdunkel, aber seine Pupillen gewöhnten sich innerhalb weniger Augenblicke daran und er erkannte die Umrisse seines Freundes drei Meter von ihm entfernt auf dem nassen Boden liegen. "Kermit", keuchte er leise, sein Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. "Keine Angst, der wacht schon wieder auf", antwortete eine fremde Stimme, die Peter in seinem Zustand nicht zuordnen konnte. Erst als sich der Mann direkt vor sein Gesicht hockte und ihm mit Peters eigener Waffe davor rumwedelte, erkannte den Cop den Verdächtigen, den sie hatten überführen sollen. Offensichtlich hatte es auch ihn herausgeschleudert… nur hatte er es wohl besser überstanden und sie beide entwaffnet. Kermit stöhnte leise auf und regte sich langsam. Seine Hand glitt unterweigerlich auf seinen Hinterkopf, wo sich eine dicke Beule gebildet hatte. Ruckartig blickte er nach oben, um festzustellen, was passiert war und wer ihn attackierte, und starrte sofort in den Lauf von Peters Pistole und in das Gesicht von Vincent Murdoch. "Guten Morgen Dornröschen", sagte der grinsend und deutete Kermit mit dem Lauf der Pistole an, aufzustehen und zu Peter rüber zu gehen. Der Ex-Söldner tat nichts lieber als das. Eilig ging er die paar Schritte zu seinem Freund und hockte sich neben ihm hin. Mit Erstaunen stellte er fest, dass der junge Mann ihn mit offenen Augen ansah und offenbar richtig zu Bewusstsein gekommen war. "Hey Partner, alles klar?", fragte Kermit leise. Peter nickte knapp, wobei seine Lider allerdings ein wenig flatterten. "Ich…", begann er krächzend, stockte kurz und setzt neu an. "Ich bin gefesselt." Kermit machte sich sofort an den Binden zu schaffen, mit denen er seinen Freund fixiert hatte. "Das war ich", erklärte und erntete sofort einen leicht skeptischen Blick. "Du hast dir bei dem Unfall die Schulter ausgekugelt. Ich musste sie wieder einrenken. Und dein Unterarm ist auch gebrochen. Den linken Arm hab ich nur festgemacht, um dich aus dem Wagen holen zu können." Der junge Mann verstand nicht alles, was Kermit ihm sagte. Dafür war der Nebel in seinem Kopf einfach zu dicht. Deshalb nickte er nur, obwohl das Gesagte seiner eigenen Theorie über den Unfall widersprach. Aber das konnte später geklärt werden, wenn die Kopfschmerzen abnahmen und sie ihren Geiselnehmer irgendwie losgeworden waren. Kermit löste die Binde um Peters linken Arm und auch den Draht, der um den Oberkörper des jungen Cops geschlungen war. "OK, das war’s. Deinen rechten Arm kannst du erst mal nicht gebrauchen, der muss so bleiben. Alles klar?" Peter nickte wieder. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört und sogar die Wolken hatten sich soweit verzogen, dass der Halbmond zum Vorschein kam und die Szenerie erhellte. "Das ist ja alles sehr rührend, aber jetzt schaff deinen Freund auf die Beine!", sagte Vincent Murdoch eindringlich, auch mit Blick auf den Himmel, der die Umgebung jetzt ziemlich hell erscheinen ließ. Kermit drehte sich erschrocken rum. "Er kann nicht gehen!", protestierte er sofort. "Er kann auch nicht hier liegen bleiben. Außer du erlaubst mir, dass ich ihn erschieße. Alles klar, Bulle?", fragte Murdoch eisig. Kermit biss sich auf die Lippe und drehte sich dann wieder zu Peter. "Also gut", sagte er widerwillig und packte Peter unter dem gesunden Arm. "Schaffst du das?", fragte er leise seinen Freund. "Muss ja", presste Peter hervor, während er nochmal tief einatmete und sich dann schmerzerfüllt mit einem Arm und Kermits Hilfe auf die Beine stemmte. Ihm war sofort schwindelig und der Nebel in seinem Kopf breitete sich weiter aus. Peter nahm alle innere Kraft zusammen, um ihn zurückzudrängen. Würde er versagen, würde er sterben, das wusste er genau. Und deshalb musste er so lange durchhalten, bis sie irgendwie aus dieser Misere heraus kamen. "Geht doch!", griente Murdoch und wedelte dann mit dem Lauf der Pistole in Richtung des Waldstückes, das etwa hundertfünfzig Meter vor ihnen begann. Kermit und Peter setzten sich langsam in Bewegung, der eine schleppend, der andere humpelnd und die Last des anderen tragend. Sie kamen nicht besonders schnell voran, erreichten aber schließlich den Wald, ohne dass irgendwo auch nur Anzeichen von Rettungskräften oder anderer möglicher Hilfe aufgetaucht waren. Selbst zwischen den Bäumen reichte das Mondlicht für Vincent Murdoch noch aus, um die beiden Cops in sicherem Abstand vor sich herzutreiben. Regelmäßig blickte er auf Kermits und Peters Handy und wartete darauf, endlich die Möglichkeit zu bekommen, einen Anruf zu seinem Kontaktmann abzusetzen, damit er abgeholt würde. Peter strauchelte immer wieder, seine wenige verbliebene Kraft schwand von Minute zu Minute und die Wurzeln und Äste auf dem Waldweg machten ihm das Gehen auch nicht einfacher. Bei jedem Schritt glaubte er, dass er einen weiteren nicht schaffen würde, aber immer wieder schlurfte sein Fuß nach vorne und verschaffte ihm mehr oder weniger sicheren Stand. Peter wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, es konnte alles zwischen einer und fünf Stunden sein. Ihm war heiß und schwindelig, und mit jedem überraschenden Schritt schien seine Temperatur und seine Orientierungslosigkeit zu steigen. "Kermit", flüsterte er irgendwann keuchend. "Was, Partner?", fragte der Ex-Söldner sofort, für den auch jeder Schritt beschwerlicher wurde. Sein Fußknöchel tat durch das zusätzliche Gewicht scheußlich weh bei jedem Schritt, Peters schwache Standfestigkeit auszugleichen raubte ihm zusätzlich seine Kräfte. Dennoch war er nicht bereit, seinem Körper nachzugeben, denn er hatte keine Ahnung, wie Murdoch darauf reagieren würde. Allerdings nahm Peter seinem Freund die Entscheidung ab. "Ich kann nicht mehr", flüsterte er so kraftlos, dass nur ein "nicht mehr" zu hören war. Dann brach der junge Cop trotz Kermits Halt zusammen und landete halb bewusstlos auf dem durchnässten und mit Laub bedecktem Waldboden. "Was soll das?", fragte Murdoch genervt und wedelte wieder mit der Waffe darum. "Aufstehen und weitergehen", befahl er sofort. "Er kann nicht mehr!", zischte Kermit sofort aufgebracht. Murdoch verzog gleichgültig das Gesicht. "Und? Hat mich das bisher interessiert?" "Sie verstehen mich nicht. Er KANN nicht mehr. Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen oder damit drohen, ihn zu erschießen. Es geht nicht", sagte Kermit und hielt den Atem an. Sein Schädel pochte ungemein, ebenso sein Fuß. Murdoch zuckte die Schultern und schien sich zu überlegen, wie er weitermachte. Wieder blickte er kurz auf die Handydisplays, wurde aber enttäuscht. "Tja, eigentlich waren mir ja zwei Geiseln lieber als eine, aber ich glaube nicht, dass mir dein Freund hier gefährlich werden kann." "Wir können ihn doch nicht…" "Nein? Doch, können wir. Und wenn du weiter rumheulst, dann erschieße ich ihn für dich, damit du dir keine Sorgen mehr machst, ob er einen Schnupfen bekommen könnte. Klar soweit?" Kermit atmete tief ein und hielt die Luft für eine Sekunde an. Wenn er diesen Typen nur zwischen die Finger kriegen könnte. Er blickte auf Peter herab und wieder gefror ihm das Blut in den Adern. Es war empfindlich kalt geworden, aber auf der Stirn des jungen Mannes standen Schweißtropfen. "OK", gab sich Kermit schließlich geschlagen. "Darf ich noch?", fragte er und zeigte auf den Körper vor seinen Füßen. "Aber keine Abschiedstränen", sagte Murdoch ironisch und grinste den Ex-Söldner provozierend an. *Wenn ich dich erwische*, warf Kermit ihm in Gedanken an den Kopf, brummte aber nur leise und beugte sich dann zu seinem Freund herab. "Hey Partner, bist du noch da?", fragte er und packte seinen Freund, um ihn an einen nahen Baum zu ziehen und dort anzulehnen. Dabei merkte er, dass Peter nicht nur schwitzte, sondern seine Stirn und sein Hals kochend heiß waren. Er musste über 39°C Fieber haben. Peter nickte nur schwach. Zu mehr fühlte er sich nicht mehr im Stande. Seine Lider flatterten und öffneten sich maximal noch bis zu Hälfte, sein Körper kochte und zitterte gleichermaßen und der Nebel in seinem Kopf wurde allmählich undurchdringbar. "Scheiße verdammt", murmelte Kermit zu seinem Freund, als er ihn genauer musterte. "Ich kann dich hier nicht zurücklassen!" "Muss", gab Peter leise zurück und sah ihm für einen Moment, so lange wie er es kräftemäßig konnte, in die Augen und nickte dann. "Geh", keuchte er. "Sobald ich kann, rufe ich dir Hilfe. Halt durch Partner!", beschwor Kermit ihn und drückte kurz seine gesunde Schulter. Er unterdrückte jeden Impuls, dem Geiselnehmer sofort an die Kehle zu springen und stand auf. Mit zusammengebissenen Zähnen warf Kermit ihrem Peiniger einen eisigen Blick zu, der schien allerdings unbeeindruckt. "Weiter?", fragte der Cop zornig. "Gleich. Erst mal ziehst du deine Krawatte aus und legst deine Hände auf den Rücken. Jetzt, wo du niemanden mehr tragen musst, sehe ich dich lieber gefesselt", grinste er und fing das rote Stück Stoff, dass er zugeworfen bekam. Murdoch warf einen Blick auf Peter und ging näher an ihn ran. Demonstrativ setzte er einen Fuß auf die verletzte Schulter des Mannes am Boden. Peter stöhnte auf und versuchte, sich unter dem Schuh herauszuwinden, aber er schaffte es nicht. "Hey, verdammt lassen sie…" "Nur, dass du nicht auf dumme Ideen kommst. Wenn ich strauchle, könnte ich ihm verdammt wehtun. Also jetzt: Hände auf den Rücken!" Kermit zischte kurz, drehte sich aber sofort um legte seine Hände widerstandlos nach hinten. Peters schmerzerfülltes Stöhnen ließ ihn jeden Gedanken daran verdrängen, eventuell einen Überwältigungsversuch zu starten. Wenn Murdoch auf Peter fiel, konnte er den geschwächten Cop vielleicht sogar umbringen, und diese Gefahr war ihm einfach zu groß. Nachdem die Krawatte fest um seine Handgelenke geschlungen war, drehte sich Kermit nochmal zu Peter um, der inzwischen von Murdoch entlassen worden war und keuchend am dem Baum lehnte. "Halt durch!", wiederholte er nochmal. Er wollte Peter nicht hier sitzen lassen, aber er hatte einfach keine Wahl. "Los, auf geht’s!", blaffte Murdoch und stieß seine Geisel in den Rücken. Kermit drehte sich ab und ging langsam weiter, seinen Freund zurücklassend. Er versuchte nicht daran zu denken, dass in diesen Wäldern noch wilde Raubtiere lebten und der nächste Mensch hier wahrscheinlich erst in ein paar Wochen vorbeikommen würde, weil der Wald durch die Sturmschäden zunächst gesperrt würde. … Niemand sah die Tränen der Verzweiflung und Wut auf seinen Wangen, als er zwischen den Bäumen weiterging. *** Paul ging unruhig in seinem Büro auf und ab. Es war inzwischen fünf Uhr morgens. Schließlich trat er in die Tür und blickte ernst zu Blake. "Und?", fragte er trocken. "Nichts, Captain", antwortete dieser und rückte seine Brille zurecht. "Sagen Sie Blake, haben unsere Transporter eigentlich GPS? So wie die Geldtransporter?", fragte er weiter. Die Idee war ihm erst vor ein paar Minuten gekommen, dass er die beiden vielleicht auf diese Weise finden konnte. "Nur der ganz neue. Die alten haben das nicht." "Wir sollten das nachrüsten", murmelte er nachdenklich und kam an Blakes Schreibtisch. "Haben Sie eine Idee, wie wir die beiden finden können, wenn der Funk komplett ausgefallen ist?" "Nein, Captain. Wobei…", begann er und griff dann hektisch nach der neuesten Statusmeldung über die Unwetternacht. "Was?", fragte Paul sofort und richtete sich angespannt auf. "Moment… hier… also das…", stammelte Blake und zog ohne weitere Worte eine Karte aus seiner Schreibtischschublade. "Blake!" "Äh, natürlich Captain. Verzeihung", entschuldigte der sich und breitete auf einem freien Tisch die Karte aus, den Statusausdruck noch in der Hand. "Also. Ein Teil der durch Unwetter und Blitzschlag beschädigten Funktürme sind inzwischen wieder in Betrieb. Alles rund um Cleaveland. Das Gebiet um die Strecke, die die beiden genommen haben ist so gut abgedeckt, dass wir die Wahrscheinlichkeit auf ein Funkloch auf fast Null herabsetzen können. Die…" "Blake! Kurz und knapp", brummte Paul ungeduldig. "Und so, dass wir es auch verstehen", setzte Jody hinzu, die neben Mary-Margaret stand und ebenso angespannt zuhörte und sich Sorgen machte. Blake rückte sich seine Brille zurecht und fuhr auf der Karte die Straße nach bis zu einem bestimmten Punkt. "Irgendwo auf dieser Strecke müssen die beiden sein", sagte er ernst und warf einen demonstrativen Blick auf die Uhr, "das heißt, dass sie seit mindestens fünf Stunden dort festsitzen wo auch immer sie festsitzen." Paul starrte Blake ungläubig an, dann fuhr er sich fassungslos übers Gesicht. Er musste nicht laut aussprechen, dass diese Zeit normalerweise reicht, um irgendwo an eine Festnetzleitung oder sonstige Kontaktmöglichkeiten zu kommen. Außer man konnte sich nicht so bewegen, wie man wollte. *Oder man war tot*, zwang ihm sein Verstand auf, aber er verdrängte diesen Aspekt sofort wieder. "Wir fahren die Strecke ab!", sagte Paul sofort und stand auf, wurde aber unterbrochen. "Tut mir Leid Captain, aber die Strecke ist gesperrt, an mehreren Stellen sind Bäume umgebrochen und Erdmassen haben sich gelöst. Da ist kein Durchkommen." "Dann besorgen Sie mir einen Hubschrauber!", sagte der Captain genervt. Er wollte so schnell wie möglich los, um zu sehen, was passiert war. "Es sind keine Verfügbar, alle zu Rettungseinsätzen unterwegs", sagte Blake und traute sich kaum, seinem Vorgesetzten in die Augen zu sehen. Denn er verstand sehr gut, wie Paul sich fühlte und auch er machte sich Sorgen, aber aktuell gab es keine Möglichkeit, vom Revier wegzukommen. Paul schlug mit der Faust auf den Tisch und knurrte etwas Unverständliches. Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort in sein Büro und warf die Tür hinter sich zu. "Und jetzt?", fragte Mary-Margaret unsicher in die verbliebene Runde. "Jetzt müssen wir weiter warten und hoffen, dass wir bald was von Kermit und Peter hören", antwortete Jody und ließ ihre Augen besorgt schweifen. "Ich warte nicht länger", sagte Paul, urplötzlich schon wieder in der Tür erschienen. "In zwanzig Minuten landet ein Hubschrauber für uns an dem kleinen Flughafen im Ostend. Blake!", rief er den Cop mit einem Kopfnicken. Der Polizist holte seine Waffe aus der Schublade und packte in Windeseile die Karte und noch ein paar Dinge in eine kleine Tasche, dann folgte er dem Captain. Draußen saß Paul bereits im Wagen, als Blake nachkam und auf dem Beifahrersitz Platz nahm. "Sagen Sie Captain, wie haben Sie so schnell einen Hubschrauber bekommen?", fragte er vorsichtig. Paul warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Mitarbeiter und hob die Brauen verschwörerisch. "Jemand schuldete mir noch einen Gefallen", war alles, was er dazu sagte. "Natürlich", entgegnete Blake verhalten lächelnd. Den Rest der Fahrt schwiegen sie, bis Paul den Wagen auf das kleine Rollfeld lenkte, auf dem bereits ein Helikopter im Scheinwerferlicht stand, davor ein Mann in Soldatenkluft und -haltung, der auf sie zu warten schien. "Sir?", fragte der vermeintliche Soldat, als die beiden Cops auf ihn zugelaufen kamen. "Captain Paul Blaisdell, ich nehme an, Sie warten auf uns", sagte Paul. "Ja, Sir. Wie lauten Ihre Instruktionen?" "Blake, die Karte", sagte Paul zunächst und nutzte den Moment, um einen Blick nach Osten zu werfen. Die Dämmerung würde in ein paar Minuten beginnen und ihnen so zumindest ein klein wenig bei ihrer Suche helfen. Blake hatte die Landkarte mittlerweile ausgebreitet und zog einen dicken roten Stift hervor. Damit malte er beim Sprechen die Straße nach. "Es geht um diese Straße, maximal bis hier", sagte er und blickte dann wieder zu Paul. "Wie lange kann der Vogel in der Luft bleiben?" "Über vier Stunden, Sir. Er ist mit Zusatztanks ausgerüstet." "Sehr gut. Wir fliegen die Strecke ab. Überall dort, wo Hindernisse auf der Straße liegen, Bäume oder irgendetwas anderes bleiben wir in der Luft stehen und begutachten die Stelle ganz genau. Wir suchen einen grauen Polizeitransporter, der vermutlich irgendwo auf dieser Strecke steckengeblieben oder verunglückt ist. Haben Sie verstanden?" "Ja, Sir." "Gut, dann los!", befahl Paul und ging zur anderen Seite des Hubschraubers, Blake stieg hinten ein. Fünf Minuten später waren Sie in der Luft und im direkten Anflug auf die Verbindungsstraße, die Peter und Kermit genommen hatten. *** Kapitel 4 Kermit stolperte, konnte sein Gleichgewicht aber im letzten Moment wiederfinden. Sein Fuß tat mittlerweile höllisch weh und das enge Tape schnitt in das geschwollene Fleisch. "Herrgott, beweg dich!", polterte Murdoch von hinten und stieß seine Geisel zornig in den Rücken. Jetzt fiel Kermit vorneüber. Da er sich nicht mit den Händen anfangen konnte, fiel er unangenehm auf Schulter und Gesicht und stieß einen wütenden Laut aus. "Je öfter Sie mich zu Fall bringen, umso langsamer kommen wir vorwärts!", knurrte er grimmig. "Lass das mal meine Sorge sein, Bulle. Und jetzt steht wieder auf!" Während Kermit sich mühsam auf die Beine kämpfte und dabei versuchte, das linke Bein möglichst nicht zu belasten, zog Murdoch die zwei Handys aus der Hosentasche und schaute auf die Displays. "Der Notruf geht wieder, das ist doch was. Dann dürften wir auch bald wieder Empfang haben." Murdoch grinste siegessicher. Kermit dachte nicht darüber nach, ob es gut oder schlecht war, was er jetzt sagte, aber sein schlechtes Gewissen ließ ihn nicht schweigen. "Dann lassen Sie mich einen Notruf für meinen Kollegen absetzen!", forderte er ein. Er wäre auch bereit gewesen, darum zu betteln, wenn es denn nötig sein würde. "Vergessen Sie‘s!" "Bitte! Und Sie müssten sich dann auch nicht wegen Polizistenmord verantworten, wenn er das nicht übersteht", führte Kermit weiter aus, eine innerliche Gänsehaut am ganzen Körper. "Polizistenmord?" Murdoch lachte auf. "Wenn schon wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Verbindung mit unterlassener Hilfeleistung. Das ist halb so wild, wenn man einen guten Anwalt hat." Der Ex-Söldner hätte dem Geiselnehmer am liebsten das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, aber er hatte keine Chance in der aktuellen Situation. Die Krawatte war unlösbar um seine Handgelenke geschlungen und sein Knöchel ließ kaum noch schnelle Bewegungen zu. Er musste hier stehen und sich verhöhnen lassen, während er unablässig daran dachte, wie es Peter wohl ging und wie lange er durchhalten konnte. "Los jetzt, weiter! Dort den Hügel hinauf!", sagte Murdoch schließlich und zeigte auf eine Anhöhe. "Vielleicht hab ich da oben endlich Empfang. Und dann ist der Zauber auch ganz schnell vorbei", versprach er und grinste wieder. Kermit ersparte sich die Frage, was ‚vorbei‘ in diesem Zusammenhang für ihn heißen würde und drehte sich stattdessen wortlos in besagte Richtung und begann unter Schmerzen, den Hügel hinaufzusteigen. *** "Peter, wach auf!" … "Du musst aufwachen!" … "Peter!" … * Der junge Cop öffnete die Augen einen Spalt weit. Es war wieder hell geworden und Nebel waberte durch den Wald, die Sonne ließ Schatten darauf tanzen. Das Licht tat ihm in den Augen weh und verstärkte seine Kopfschmerzen ins höllische, sodass er die Lider wieder heftig zusammenkniff. Die Dunkelheit hieß ihn wieder warm willkommen, aber irgendwo tief in ihm drin verhinderte etwas, dass er wieder abdriftete. Er glaubte, dass es Caine war, obwohl dies eigentlich nicht ging, da der Shaolin Priester aktuell in Asien weilte. Aber dennoch hatte ihm jemand gesagt, dass er aufwachen musste, hatte ihn jemand gewarnt. Gewarnt? Wovor gewarnt? Peter hörte jetzt ein Rascheln in seiner Umgebung, dann ein leises Fauchen. Mühsam öffnete er die wieder Augen und ertrug den aufflammenden Schmerz in seinen Augen, um zu sehen, was das Geräusch verursacht hatte. Er blickte in die großen gelben Augen eines hellbraunen Pumas, der sich einige Meter vor ihm im Laub hingehockt hatte und ihn beobachtete. Jetzt, da Peter ihn ansah, fauchte dieser kurz und drückte sich ein wenig näher an den Waldboden. Peter keuchte und versuchte, näher an den Baum zu rücken und sich dadurch ein wenig aufzurichten. Der Erfolg war mäßig, aber er saß etwas grader als zuvor. Dafür raubte ihm alleine das unglaublich viel Kraft und er musste ein paar Mal durchatmen, um bei Bewusstsein zu bleiben. Der Puma fauchte aufgrund der Bewegung seines potentiellen Opfers auf, machte einen Satz zurück und hockte sich dort wieder hin. Er schien nicht von Peter ablassen zu wollen. *Wenn ich nicht aufgewacht wäre*, überlegte Peter langsam und sah der Wildkatze in so fest in die Augen wie er konnte. Allerdings war er sich nicht sicher, ob dies bei Katzen wirklich so sinnvoll war. Aber sein Blick war die einzige Waffe, die er aktuell zur Verfügung hatte und er konnte nur hoffen, dass er das Tier so einschüchtern konnte. Wieder fauchte der Puma leise und schlich sich zwei Meter voran durch das Dickicht. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete Peter eingehend. Peter sah sich um und tastete mit seiner linken Hand so weit nach hinten wie er konnte. Irgendwo dort musste doch ein Ast oder etwas sein, womit er sich vielleicht gegen das hungrige Tier verteidigen konnte. Er wusste, dass die Idee wahnwitzig war, aber er musste sich an jeden Strohhalm klammern, der sich ihm bot. Tatsächlich erreichte er einen Ast, der einen guten Meter lang war und den er mit der linken Hand zu sich heranziehen konnte. Allerdings war er sich nicht sicher, wie oft seine Kraft zulassen würde, damit auszuholen, ehe der Nebel in seinem Kopf den Kampf endgültig gewann. Er schwitzte und fror gleichzeitig. Seien Hand, die den Stock auf den Schoß gezogen hatte, zitterte unkontrolliert. Immer wieder wollten seine Lider zufallen, sein Kopf dröhnte und die Dunkelheit darin war der einzige tröstende Ort, der ihm in dieser Lage zur Verfügung stand. * "Bleib wach, mein Sohn! Du musst wach bleiben!" *** Es war mittlerweile die Vierte Straßensperrung, die sie sich aus dem Helikopter genauer ansahen. Forschend betrachtete Paul den ansteigenden Hang mit dem riesigen herausgebrochen Loch. Über die Straße erstreckte sich ein meterhoher Schlamm- und Bäumeberg, der sich links von der Straße im Abhang weiterstreckte und dessen Ausläufer ziemlich weit reichten. "Sir, sehen Sie", sagte der Söldner plötzlich und zeigte auf die zerstörte Leitplanke auf der Abhangseite der Straße. Auch waren deutlich Spuren zu sehen, die sich von dort bergab fortsetzen. Paul schaute genauer hin. Auf jeden Fall war dort etwas heruntergestürzt, von dem jetzt nichts mehr zu sehen war; etwas ziemlich schweres, das über einen normalen PKW hinausging. Das Fahrzeug musste unter der Lawine begraben sein. Und wenn es Peter und Kermit waren… "Captain! Dort!", sagte Blake und zeigte auf ein rundes Loch in der Schlammdecke, mit nicht mal einem Meter Durchmesser. "Gehen Sie dort runter! Das will ich mir ansehen", befahl Paul dem Piloten. "Ja Sir." "Haben Sie etwas zum Graben an Bord? Eine Schaufel?", fragte der Captain während des Landeanflugs. "Einen Klappspaten, Sir." "Bringen Sie ihn mit zu dem Loch, wenn der Vogel auf dem Boden ist." "Ja Sir." Paul sprang heraus, als die Kufen des Helikopters die Erde berührten, dicht gefolgt von Blake. Er erreichte das Loch und betrachtete es etwas genauer. "Der Wagen muss hier drunter irgendwo sein, hier hat sich jemand rausgegraben", sagte er, "aber was macht der Draht hier?" Blake hockte sich hin und betrachtete ihn genauer. "Auf jeden Fall ist Blut dran, Sir. Genauso wie an dieser Mullbinde", er hob eine dreckige Binde auf und zeigte sie dem Captain. Paul nickte und wandte sich jetzt an den eintreffenden Piloten. "Der Tunnel verläuft schräg. Graben Sie also hier auf den Tunnel, dann müssten wir auf das Fahrzeug stoßen." "Ja Sir", antwortete der Söldner wie immer und begann zu graben. "Blake, wenn sich jemand dort herausgebuddelt hat, wo ist er hin? Schauen Sie, ob Sie Fußspuren oder sonst irgendetwas finden!", wies Paul an und fuhr sich dann mit den Händen übers Gesicht. Wenn das hier wirklich Peter und Kermit waren, wo waren sie dann hin verschwunden? Und wer von beiden war verletzt? Er blickte auf die Spuren, die von der Straße herunterreichten. Ein blechernes Geräusch unterbrach seinen Gedankengang. "Sir, der Wagen. Ein grauer Transporter", sagte der Söldner und stieg aus dem Loch, um Platz für Paul zu machen. "Gott verhüte", flüsterte Peters Pflegevater so leise, dass es niemand hörte, während er den schrägen Weg abwärts ging, bis er am Fenster ankam. Das Innere des Wagens verriet ihm sofort, dass es der Transporter von Peter und Kermit war, vor dem er hier stand. Die Sitzbank war leer, allerdings entdeckte er das Blut auf der Beifahrerseite, dass ihm das seine in den Adern gefrieren ließ. Auch der geplünderte Verbandkasten beunruhigte ihn zusätzlich. Er wusste nicht, wer von beiden gefahren war, aber das tat auch nichts zur Sache. Entweder sein Pflegesohn oder sein bester Freund war verletzt, schlimm verletzt nach dem Verbrauch des Verbandmaterials zu schließen. Und jetzt ergab auch die Metallschlaufe einen Sinn. Einer von beiden konnte sich wahrscheinlich nicht selbst retten und musste den Tunnel hoch gezogen werden. "Wo steckt ihr?", flüsterte Paul und lehnte sich jetzt soweit in das Wageninnere vor, dass er sich mit den Händen auf der Sitzbank abstützen und einen Blick durch die Luke in den hinteren Wagenteil werfen konnte. Er war leer. Blake wartete oben und sah seinen Captain fragend an, als dieser wieder hoch kam. "Nun?" "Es ist der Transporter", sagte Paul so normal er konnte. "Und dieser Murdoch ist auch verschwunden", ergänzte er. Und als er diese Worte aussprach, befiel ihn ein so ungutes Gefühl, dass er Gänsehaut am ganzen Körper bekam. "Ich habe da hinten ein paar Spuren gefunden, aber sie sind etwas unklar. Und auch nicht durchgehend", sagte Blake und ging vor zu der Stelle, von der sprach. "Hier." Paul und auch der Söldner betrachteten die Spuren eingehend, die wirklich kein klares Muster zu erkennen ließen. "Darf ich, Sir?", fragte ihn den Piloten schließlich. "Wenn Sie etwas beitragen können, nur raus damit!", antwortete Paul sofort und hörte jetzt aufmerksam zu. "Diese Spuren hier, das waren zwei Personen. Der eine hat den anderen gestützt. Sehen Sie hier, diese zwei Füße haben stark geschlurft. Aber auch der andere schien nicht ganz rund zu laufen. Er hat den einen Fuß mehr belastet als den anderen." "Er hat ja auch jemanden gestützt", versuchte Blake diesen Umstand zu erklären. "Nein", antwortete der Söldner. "Wenn es nur das wäre, dann würden die Belastungen genau andersrum sein. Dieser hier hat den einen gestützt, war aber selbst verletzt. Vermutlich am linken Bein oder der linken Hüfte." Paul betrachtete die Spuren und die Richtung, in die die Fußspitzen zeigten. Der Wald. *Warum um alles in der Welt sollten sie in den Wald gehen?*, fragte er sich in Gedanken. Das ergab keinen Sinn. "Sir?", unterbrach der Pilot die Gedankengänge. "Ja, ja, ja, sprechen Sie doch einfach!" "Hier ist ein weiteres Paar Füße. Ein einzelnes. Es muss noch eine dritte Person gegeben haben, die hinter den beiden gelaufen ist." Paul und Blake sahen sich besorgt an. "Murdoch", sprach der Captain schließlich aus, was sie befürchteten. "Die Fußspuren hören hier schon wieder auf. Wie sollen wir wissen, wohin sie gelaufen sind?", fragte Blake schließlich und sah auf die Uhr. "Außerdem haben sie über sechs Stunden Vorsprung." "Dafür dürften sie wesentlich langsamer gewesen sein. Sie sind in den Wald. Und wenn wir Glück haben sind die Spuren dort vom Regen nicht verwaschen. Wir müssen uns beeilen!", sagte er und blickte die beiden anderen an. "Vom Helikopter aus werden wir im Wald nichts sehen", bemerkte Blake besorgt. "Versuchen Sie es! Ich denke, Sie", er zeigte auf den Söldner", wissen, wie man eine solche Suche durchführt. Versuchen Sie die beiden zu finden." "Ja Sir." "Und hören Sie mit diesem verdammten ‚Sir‘ auf! … Ich werde zu Fuß gehen, Sie beide fliegen. Viel Glück!", sagte Paul und drehte sich dann auch sofort ab, um zum Wald zu laufen. "Warten Sie einen Moment, Sir", sagte der Söldner plötzlich und machte eine kurze Geste. Dann rannte er zum Helikopter, griff etwas aus dem Innenraum und kam damit zurück. "Nehmen Sie dieses Hochleistungs-Walkie-Talkie mit. Damit können Sie zumindest uns erreichen und Ihre Koordinaten durchgeben, wenn Sie etwas gefunden haben." Er zeigte auf ein Displayfeld im Gerät. "Hier werden Ihnen die Daten angezeigt. Damit können wir Sie finden." "Danke", sagte Paul und steckte das Walkie-Talkie an seinen Gürtel. Dann rannte er los. Der Pilot und Blake kehrten eilig zum Hubschrauber zurück und stiegen wenige Momente später in die Luft auf. Paul hatte grade die Bäume erreicht, als er das Rotorengeräusch über sich hinwegsausen hörte. "Bitte lass alles gut werden!", schickte er ein Stoßgebet gen Himmel, als er nach weiteren Spuren von den drei Personen suchte. Das ungute Gefühl im Nacken, dass die Zeit drängte. *** Endlich auf der Kuppe des Hügel angekommen, ließ Kermit sich ins Laub fallen und schloss die Augen. Sein Fußgelenk hatte den anstrengenden Aufstieg nicht gut überstanden und tat so unsagbar weh, dass er glaubte, nie wieder aufstehen zu können. "Du bleibst schön da liegen", sagte Murdoch, als er lächelnd auf das Handydisplay schaute und dann eine Nummer eintippte. "Ich werde wohl kaum wegrennen", presste Kermit zynisch zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Murdoch lehnte sich etwa acht Meter entfernt an einen Baum und hielt das Mobiltelefon ans Ohr. Es schien einen Moment zu dauern, bis sich jemand meldete. "Vince hier … Ja, du Genie. Gib mir Sonny … Verdammt dann hol ihn! … Ja … Nein, Boss … Ja … Ich hab keine Ahnung. Irgendwo in der Pampa. Aber bereitet alles vor. Sobald ich eine Straße oder einen Ort gefunden habe, melde ich mich wieder. Sind die Straßen wieder frei? … Mist … Einen Helikopter? Sehr gut … Ja … Moment." Murdoch drehte sich zu Kermit. "Hat eines dieser Handys GPS?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. "Ja", brummte dieser, "mein Handy hat GPS. Es ist das grüne." Der Cop hatte nicht mal die Augen geöffnet, um die Frage zu beantworten. Murdoch nahm Peters Handy jetzt wieder ans Ohr, während er Kermits aus der Tasche zog und die GPS-Daten herauslies. "Da sind wir aktuell. Wenn ich eine Lichtung oder ähnliches gefunden habe, melde ich mich wieder … Alles klar … bis nachher." Er legte auf und grinste. "Jetzt müssen wir nur etwas finden, wo man mich abholen kann. Irgendein Ort, wo ein Helikopter landen kann." Kermit nickte. Was er gehört hatte reichte ihm, um genau zu wissen, wie es jetzt weitergehen würde. Nur was Murdoch mit ihm machte, wenn der Hubschrauber da war, das konnte er nicht einschätzen. "Los, hoch mit dir!", befahl Murdoch jetzt und ging auf seine Geisel zu. Er trat Kermit, der sich grade mühsam versuchte vom Boden zu erheben, gegen das verletzte Bein, um ihn aufzuscheuchen. Der Ex-Söldner stieß einen Schmerzenslaut aus. "Wenn Sie glauben, dass es dadurch schneller geht, erreichen Sie nur das genaue Gegenteil", knurrte er wütend und rollte sich dann auf die Seite, um über das rechte Bein aufzustehen. Als er wieder auf den Füßen stand, versuchte er probehalber das Gewicht auf das linke Bein zu verlagern und spürte einen brennenden Schmerz in Gelenk. Kermit konnte sich zwar halbwegs gut orientieren und auch in etwa abschätzen, wie weit sie gegangen waren, aber er konnte seine Position nicht so gut einordnen, dass er gewusst hätte, wo die nächste freie Fläche war. Er hoffte nur, dass es nicht allzu weit war und er es schaffen würde, die Strecke zu bewältigen. "Los, die Richtung!", befahl Murdoch und zeigte nach Norden. "Wir laufen so lange geradeaus, bis wir einen geeigneten Platz finden. Klar soweit?" Kermit nickte nur grimmig und fing dann an, in der angewiesenen Richtung davon zu humpeln. Der Weg nach Norden ging weiter bergauf, was für seinen Fuß weniger gut war. Auf der anderen Seite war er nicht in der Position die Route zu beeinflussen. Deshalb schwieg er und kämpfte sich unter Schmerzen langsam vorwärts. *** Als Peter seine Augen öffnete, wusste er nicht, ob er wieder weggedriftet war oder ob er nur geblinzelt hatte. Allerdings saß der Puma inzwischen nur noch eineinhalb Meter von seinen Füßen entfernt, also musste er doch einige Zeit bewusstlos gewesen sein. Die Raubkatze starrte ihn gierig an, ihre großen gelben Augen ließen keine Sekunde von ihm ab und immer wieder schlich sie sich um ein paar Zentimeter nach vorne, ihr Opfer dabei genau beobachtend. "Verschwinde", murmelte Peter und hob den Stock ein wenig an. Der Puma wich ein Stück zurück, allerdings nicht so weit wie beim letzten Mal. Sie gab nur die Millimeter nach, die sie zuvor nach vorne geschlichen war. Offenbar wollte sie sich nicht mehr von ihrem Frühstück abbringen lassen und gab deshalb kaum Raum zurück. Sie bleckte die Zähne und fauchte, dann stand sie ein wenig auf und machte einen Schritt nach vorne. Peter atmete tief durch und nahm all seine Kraft zusammen. Seine Kopfschmerzen waren unerträglich geworden und auch seine Schulter bereitete ihm die Hölle. Zudem brach sein Kreislauf allmählich zusammen, der kalte Schweiß an seinem Körper klebte und ließ ihn gleichzeitig frieren und schwitzen. Er wusste nicht genau, woher der Gedanke in dem schwarzen Nebel kam, aber er erinnerte sich plötzlich an eine Lektion im Tempel, die sein Vater ihm gegeben hatte. Es ging darum, über sich selbst zu wachsen und ungeahnte Kräfte aus seinem Inneren zu aktivieren. Der Junge Cop wusste instinktiv, dass darin seine einzige Chance lag und er begann, die Atemübung durchzuführen, wie sein Vater es ihm vor so vielen Jahren beigebracht hatte. Inzwischen hatte der Puma einen weiteren Schritt nach vorne gemacht und stand jetzt fast unmittelbar vor Peters Füßen. Er fauchte erneut, diesmal aber nicht so verhalten, sondern aggressiv und angriffslustig. Peter brachte die Atemübung zu Ende und sammelte seine Kraft. Dann holte er mit dem linken Arm aus und schwang den Ast auf Augenhöhe des Pumas von links nach rechts über seine Beine. Die Wildkatze wich erschrocken einen Schritt zurück und fauchte ihn jetzt spürbar zornig an. Der junge Mann keuchte erschöpft und ließ die Hand auf seine Beine sinken. Tatsächlich fühlte er sich stärker als noch vor ein paar Minuten und sogar im Stande, den Schwung noch ein oder zweimal zu wiederholen. Auch wenn sein Kopf und sein Körper ein einziger pochender Schmerz waren. Der Puma fauchte erneut und setzte jetzt eine riesige Pranke vor die andere, fauchte und streckte dann den Kopf vor. Wieder schwang Peter den Ast und traf die Katze diesmal damit an der Schnauze. Das Tier jaulte gequält auf, trat einen Schritt zurück und ging aber sofort in die Hocke. Peter wusste nicht, wie ihm das so schnell auffallen konnte, aber er erkannte die Haltung des Pumas und reagierte schnell genug auf das springende Tier. Er zog den Ast wieder auf seine rechte Seite und traf den Kopf des Pumas im Flug. Allerdings verlor er durch den Aufschlag den Halt an dem Ast, das Stück Holz glitt ihm aus der Hand und flog in unerreichbare Entfernung. Der Puma jaulte erneut schmerzerfüllt auf. Er war neben Peter gelandet und rollte sich dort ab, sofort mit mehreren großen Sprüngen sichere Entfernung zwischen sich und sein Opfer zu bringen. Von dort fauchte er wieder aggressiv und begann erneut, sich anzupirschen. Hatte er eben noch unerklärbare Kräfte gehabt, hatte Peter jetzt das Gefühl, dass er in sich zusammenfiel. Die Stärke, die er gefühlt hatte, schwand aus seinen Gliedern und hinterließ nur eine bleierne Schwere. In seinem Kopf zog der schwarze Nebel sich dicht zu und schien ihm ‚ein warmes Willkommen‘ zurufen zu wollen, jenseits des unmenschlichen Schmerzes in seinem Körper. Als der Puma seinen finalen Sprung ausführte, war Peters Geist schon wieder jenseits dieser Welt. *** Kapitel 5 Paul rannte so schnell er konnte. Im Wald waren die Spuren der drei Männer ziemlich gut zu erkennen und so musste er keine Zeit damit verschwenden, nach der richtigen Richtung zu suchen. Er war sich nicht sicher, ob es sein Instinkt als Vater oder als Police Captain war, der ihm im Inneren sagte, dass er sich beeilen musste, aber er vertraute darauf und lief deshalb unablässig weiter, auch wenn das Maximum seiner Ausdauer eigentlich schon längst erreicht war. "Bitte lass mich nicht zu spät kommen", keuchte er leise und sein Atem bildete kleine Wolken in der kalten Morgenluft, als er ein lautes Fauchen hörte. Sofort blieb er stehen, zog seine Waffe und suchte mit den Augen die Quelle des Geräuschs. Als erstes sah er den Puma, dessen Schwanz sich langsam hin und her bewegte und der sich hinhockte, dann erst sah er Peter drei Meter davon entfernt bewusstlos am Baum lehnend. Sein Vaterherz setzte für einen Moment aus, aber der Cop in ihm reagierte blitzschnell, hob die Pistole an, zielte und feuerte auf den inzwischen abgesprungenen Puma. Mitten im Flug schwang der Leib der Wildkatze auf einmal zur Seite und prallte ungebremst auf den Waldboden, wo er leblos und verdreht liegenblieb. "Peter!", brüllte Paul, während er auf seinen Pflegesohn zulief. Sein Herz wollte stehenbleiben, als er schließlich direkt vor ihm stand und die regungslose und verletzte Gestalt betrachtete. Der Kopfverband war durchgeblutet und schmutzig, sein Hemd an der Schulter voller Blut, der rechte Arm bandagiert und die andere Schulter merkwürdig angeschwollen, das Gesicht blass und mit Schweißtropfen übersäht. "Oh Gott, Junge", flüsterte er fassungslos und hockte sich zu ihm hinab, eine Hand an seinen Hals legend. Er fühlte nur einen schwachen Puls, bei dem man nur hoffen konnte, dass es einen nächsten Schlag geben würde. Paul zog das Walkie-Talkie von seinem Gürtel und rief den Helikopter. Der Pilot meldete sich umgehend und der Captain informierte ihn und Blake kurz über die Lage und seine Position. "Sir, da können wir nichts machen. Keine Möglichkeit zum Landen in der Nähe, außerdem keine medizinische Einrichtung an Bord. Ich werde einen entsprechenden Rettungshubschrauber für Sie rufen." "Tun Sie das, aber beeilen Sie sich!", sagte Paul und strich währenddessen seinem Sohn vorsichtig über die Haare. "Captain, ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen", versprach Blake. Dann wurde die Verbindung beendet. Paul legte das Funkgerät beiseite und setzte sich neben Peter. Tränen schossen im in die Augen, er konnte es nicht ertragen seinen Jungen so zu sehen, er wirkte so zerbrechlich und verletzbar. Für einen Moment war er in Pauls Augen wieder das Kind, das er damals aus dem Waisenhaus geholt hatte, so jung und schutzbedürftig. Das Funkgerät neben seinen Knien knisterte kurz, dann war Blake wieder dran. "Hören Sie mich Captain?" "Ja Blake, reden Sie", antwortete Paul sofort. "Der Rettungshubschrauber wird in etwa 15 Minuten da sein. Die haben Ihre exakten Koordinaten und werden Sie finden, bleiben Sie wo Sie sind. … Wie geht es Peter?" "Nicht gut. Hoffen wir, dass der Hubschrauber rechtzeitig kommt. … Danke Blake", sagte Paul mit erstickter Stimme und beendete das Gespräch. Dann fuhr er sich durch die Haare und begann von seinen Gefühlen überwältigt neben seinem Sohn an zu weinen. *** "Traumhaft!", sagte Murdoch erfreut, als sie nach einer Dreiviertelstunde weiteren Laufens zwischen den Bäumen hindurch auf eine großzügige Lichtung traten. Dann stieß er Kermit in den Rücken, damit dieser hinfiel. Der Ex-Söldner stieß einen kurzen Laut aus und rollte sich dann auf die Seite. Das war also der Moment der Wahrheit. Der Hubschrauber würde nicht lange brauchen, und dann musste Murdoch entscheiden, was er mit seiner Geisel machte. Kermit schauderte. Er hatte überhaupt keine Chance sich irgendwie zu wehren und musste sich allein darauf verlassen, dass der Verbrecher ihn nicht unnötig abknallte. Murdoch zog wieder die zwei Handys aus der Tasche und telefonierte mit dem einen, während er mit dem anderen seinen Standort abfragte und dann schließlich durchgab. Sein siegessicheres Grinsen verriet, dass der Helikopter bald ankommen würde. *** Paul horchte nach dem lauter werdenden Rotorengeräusch über sich und sah auch bald den roten Bauch des Rettungshubschraubers. Er strich Peter übers erleichtert über die Haare. "Halt durch mein Sohn", flüsterte er ihm zu. Der Zustand des jungen Cops hatte sich nicht verändert und Paul fürchtete noch immer, dass es auf jede Minute ankam, um seinen Jungen zu retten. Die Trage und zwei Sanitäter wurden mit einer Seilwinde abgelassen. Sie schoben Paul beiseite und untersuchten Peter hastig, legten ihm eine Halskrause und hoben ihn schließlich sachte auf die Trage. "Was hat er, Doc?", fragte Paul aufgeregt. "Ein Schädeltrauma, eine ausgekugelte Schulter und so wie es aussieht hält sein Kreislauf nicht mehr lange durch. Wir müssen uns beeilen! Hier, ziehen Sie das an!" Er gab Paul ein Geschirr in die Hand, in das dieser schnell einstieg und es festzurrte. Während die zwei Notärzte Peter in der Trage sicherten, holte er das Funkgerät des Söldners hervor und rief den Helikopter. In knappen Worten berichtete er Blake, dass sie grade abgeholt wurden und nun ins Krankenhaus flogen. Auf seine Frage, ob es eine Spur von Kermit gäbe, musste er sich mit der Antwort zufrieden geben, dass Blake und der Söldner weitersuchen würden, bis sie ihn gefunden hatten. Zunächst wurden Peter und der eine Sanitäter nach oben gezogen, dann kam die Seilwinde zurück und Paul hakte sich zusammen mit dem Notarzt dort ein. Paul betete, dass alles schnell genug ging und sein Sohn wieder auf die Beine kommen würde. Ansonsten würde er sich nie verzeihen, dass er ihn und auch Kermit in dieses Unwetter geschickt hatte. Die Tatsache, dass zu seinem schwerverletzten Sohn auch noch sein bester Freund vermisst wurde, machte die Last auf seiner Seele doppelt so schwer. *** "Sehen Sie mal", sagte der Pilot und zeigte auf einen zweiten Hubschrauber, der am Horizont erschien. "Ist das Peters Rettungshubschrauber?", fragte Blake hoffnungsvoll und kniff die Augen zusammen. "Nein, sieht nicht so aus", antwortete der Söldner und beobachtete den Vogel weiter. "Das ist eine Privat-Heli. Aber was will der hier?" "Das frage ich mich auch", murmelte Blake nachdenklich. "Soll ich ihn anfunken?" "Nein!", sagte der Cop sofort. "Noch nicht. Ich will erst sehen, wo er hin will. Vielleicht haben wir ja Glück und der Hubschrauber führt uns zu Kermit und diesem Murdoch." Der Pilot nickte und verfolgte weiter seinen Kurs, um kein Aufsehen zu erregen. Tatsächlich schien sich der andere Pilot nicht von ihm beeindrucken zu lassen und startete seinen Sinkflug. "Dort", sagte der Söldner und zeigte auf eine Lichtung, einige hundert Meter vor ihnen. "OK, da will er hin. Funken Sie ihn im Namen der Polizei an und fragen Sie ihn, was er hier will", sagte Blake und hörte gespannt zu. Er hätte den Ruf auch selbst vornehmen können, aber sein Pilot war sicherlich versierter in der Funkersprache. "Sie antworten nicht", sagte der Söldner schließlich. "Aber sie drehen ab!", sagte Blake triumphierend. Los, gehen Sie in der Lichtung runter! Ich verwette meine Pension, dass Murdoch dort unten ist!" "Ja Sir", antwortete der Pilot. Er grinste und schien irgendwie Spaß daran zu haben, dass es jetzt aufregender werden konnte. "Haben Sie eine Pistole?", fragte Blake, während sie im Sturzflug auf die Lichtung zuflogen. "Natürlich", antwortete der und griente wieder. "Dann machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie sie eventuell benutzen müssen", meinte Blake und kontrollierte seine eigene Waffe. Zu seinem eigenen Erstaunen war er ganz ruhig und konzentriert, fast als würde die Situation ihn über sich hinauswachsen lassen. *** Kermit lag auf der Seite, etwa zwei Meter von Murdoch und zwanzig von den Bäumen entfernt und beobachtete, was sich zutrug. Der erste Helikopter befand sich schon im Landeanflug unterhalb der Baukronen, als er plötzlich stockte und dann wieder abhob und davonflog. Murdoch quittierte das mit einem ärgerlichen fragenden Ausruf. Kaum war der eine verschwunden, tauchte ein anderer Hubschrauber im Sinkflug auf, der sich der Lichtung näherte und zur Landung ansetzte. Murdoch schien zu merken, dass er mit Kermit keine Chance zum Rückzug hatte und ging deshalb zu dem verletzten Cop. Er trat ihm gegen die Schulter, sodass sein Opfer auf den Bauch rollte und stellte ihm fest einen Fuß auf den Rücken. Dann richtete er Peters Beretta auf den Kopf des Polizisten und wartete auf die Personen, die aus dem Helikopter sprangen. Kermit war mehr als erstaunt, als er Blake aus dem Hubschrauber steigen sah, die Waffe im Anschlag. Neben ihm tauchte ein Mann auf, den der Cop nicht kannte, aber eindeutig als Soldat (*falscher Helikopter*) oder Söldner identifizierte. Er ersparte sich die Frage nach dem ‚wie‘ und war einfach froh, diesen beiden bewaffneten Männer zu sehen. Auch wenn der Lauf von Peters Pistole einen Meter über seinem Kopf wenig beruhigend war. "Polizei! Lassen Sie die Waffe fallen!", rief Blake, die auslaufenden Rotoren übertönend. Murdoch lachte nur auf. "SIE lassen die Waffen fallen, oder ihr Kollege hier stirbt!" "Wenn Sie ihn erschießen, erschießen wir anschließend Sie. Sie können nicht gewinnen!", rief Blake und kam näher. Er war sich der besseren Verhandlungsposition eigentlich sicher, dennoch fürchtete er, dass Murdoch seine Drohung wahrmachen würde. Das konnte er einfach nicht zulassen. "Tja. Darauf lasse ich es zur Not ankommen", sagte er provozierend und grinste dann Blake zu, der jetzt unsicher zu werden schien. *Komm schon, lass dich nicht weichkochen*, beschwor ihn Kermit in Gedanken. Wenn die beiden jetzt ihre Pistolen aufgaben, dann war es vorbei. "Was erwarten Sie? Dass wir sie einfach mit dem Heli abhauen lassen?", fragte Blake. Seine zusammengekniffenen Augen funkelten auf merkwürdige Weise, was allerding nur Kermit zu sehen schien. Murdoch grinste aufgrund Blakes Bemerkung. "ICH kann das Baby bestimmt nicht fliegen. Aber ich bin mir sicher, dass ihr Pilot mit dem nötigen Druckmittel durchaus bereit wäre…" Weiter kam er nicht. Blake hatte, während Murdoch redete und sich dadurch ablenken ließ, auf ihn geschossen und den Arm mit der Waffe getroffen. Die Beretta flog in hohem Bogen davon, Murdoch kreischte vor Schmerz auf und versuchte mit der anderen Hand die Eagle aus dem Hosenbund zu ziehen. Kermit ließ das nicht zu. Er trat seinem Peiniger mit dem gesunden Fuß die Beine weg, sodass er stürzte und unsanft auf dem Rücken landete. Mit dem gleichen Fuß trat er seine eigene Waffe außer Reichweite des Geiselnehmers. Blake und der Söldner hatten sie inzwischen erreicht und machten sich sofort daran, dem Verbrecher Handschellen anzulegen und ihn kampfunfähig zu machen. Dann wandten sie sich Kermit zu und halfen ihm auf die Beine. "Alles klar, Kermit?", fragte Blake und blickte besorgt auf das verletze Bein. "Bei mir schon, aber wir müssen zu Peter, er ist…" "… bereits in Sicherheit. Der Rettungshubschrauber holt ihn grade ab. Der Captain hat ihn gefunden", unterbrach Blake mit einem aufmunternden Nicken. "Wie geht es ihm?", fragte Kermit sofort, während er von Blake gestützt zum Hubschrauber humpelte; gefolgt von Murdoch im Schlepptau des Piloten. "Wohl nicht so gut, hat der Captain gesagt", antwortet Blake zurückhaltend. Kermit sagte nichts mehr. Es war auch so schon schlimm genug und unverzeihlich, was er getan hatte. Er empfand es schon fast als heuchlerisch, sich jetzt nach dem Befinden seines Freundes zu erkundigen, wo er ihn doch vor ein paar Stunden selbst zurückgelassen hatte. Wie sollte er jemals Peter wieder unter die Augen treten? Oder gar Paul? Und erst Caine? Kermit fühlte sich jetzt auf einmal so unendlich schuldig. Er zermarterte sich seinen Kopf, wie damit umgehen, was er sagen sollte. Wie erklärte man etwas so Unverzeihliches? Er war nicht der Meinung, dass das eigene Leben Grund genug dafür war, Peter sich in seinem schlechten Zustand selbst zu überlassen. *Wer mich zum Freund hat, braucht keine Feinde mehr*, ging es ihm durch den Kopf, während der Helikopter direkt auf Sloanville und das Krankenhaus zuhielt, in welches Peter nur zehn Minuten zuvor eingeliefert worden war. *** Paul saß im Wartebereich des Krankenhauses und hatte das Gesicht in die Hände gestützt. Erst jetzt merkte er so richtig, was er mit seinem Lauf durch den Wald seinem eigenen Körper angetan hatte, der so viel Bewegung nicht mehr gewohnt war. Den Piloten hatte er mit freundlichem Dank an seinen Boss entlassen und von Blake hatte er sich einen kurzen Bericht darüber geben lassen, was bei Kermits Befreiung und Murdochs Festnahme passiert war. Des Weiteren hatte er Skalany zu sich nach Hause geschickt, um Annie Bescheid zu geben, was passiert war. Jetzt war alles getan und geklärt und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen. Die Ärzte hatten ihm nur sagen können, dass sich das Gewebe um die aus- und wieder eingerenkte Schulter wohl entzündet hatte und diese Entzündung den Körper des jungen Mannes zu vergiften drohte, aber eine Prognose konnten sie ihm nicht geben. Man musste er sehen, wie die Antibiotika anschlugen und so lange würde er auf der Intensivstation beobachtet werden. Das war die Einschätzung des Notarztes gewesen, hier im Krankenhaus hatte noch niemand mit ihm gesprochen und so langsam machte ihn die Warterei wahnsinnig. Wenigstens Kermit sollte bald behandelt sein und zu ihnen stoßen können, was Paul schon ungemein trösten würde. Schließlich beschränkten sich seine Sorgen nicht allein auf seinen Pflegesohn, sondern auch auf seinen langjährigen Freund. Als sich die Tür zum Wartebereich öffnete, blickte Paul hoffnungsvoll empor, sah aber statt eines Arztes seine Frau, Skalany und auch Caine, der mit den beiden Frauen den Raum betrat. "Annie", sagte Paul sofort und kam seiner Frau entgegen. Er nahm ihre Hand und führte sie zu einem Stuhl. "Bitte, Mister Blaisdell, was ist passiert? Was ist mit Peter?", fragte Caine leise, aber die Sorge und Verwirrung in seiner Stimme war deutlich zu hören. "Setzen Sie sich doch", sagte Paul und zeigte auf einen Stuhl. Dann begann er zu erzählen, was sich seines Wissens zugetragen und wie er Peter gefunden hatte. "Genaueres wird uns Kermit sagen können, er wird aber noch behandelt." "Wie geht es ihm?", fragte Annie leise. "Er hat sich am Fuß verletzt. Wie schlimm genau weiß ich nicht. Aber eigentlich sollte er bald verarztet sein, dann können wir ihn fragen", sagte Paul matt. Er fühlte sich auf einmal so unendlich schwach und müde, als würde die Sorge um Peter wie ein schwerer Felsbrocken auf ihm lasten und ihm alle Kräfte abverlangen. * Kermit stand mit seinen Krücken vor der Schwingtür des Wartesaals und zögerte. Er konnte durch das Fenster sehen, wie sie alle zusammensaßen. Ganz besonders Paul, Annie und Caine. Die Eltern des Mannes, der durch seine Schuld so schwer verletzt war und mit dem Leben rang. Den er einfach liegengelassen hatte, als der ihn am meisten gebraucht hatte. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie zumindest Paul und Caine ihn ansehen würden, wie ihm die Wut und die Verachtung zeigten, die er verdient hatte. Wie sie ihm sagten, was er schon wusste: Dass er allein schuld war! Kermit drehte sich vor der Tür um und ging den Gang zurück. Bestimmt war in der anderen Richtung irgendwo auch ein Ausgang, durch den er das Krankenhaus verlassen und sich ein Taxi rufen konnte. Ihm fehlte die Kraft, ihnen jetzt schon gegenüber zu treten. Er wusste, dass es kommen würde, aber wenn irgend möglich wollte er es hinauszögern. Er malte sich in Gedanken aus, wie er zu Hause seine Kündigung schreiben würde, vielleicht seine Sachen packen und fortgehen, irgendwohin wo er keine geliebten Menschen mehr verletzten konnte. Kermit hatte das Gefühl, dass sich Schmerz und Tod für seine Lieben wie ein roter Faden durch sein Leben zogen; und er wollte das nicht mehr. Niemand sollte mehr Schaden erleiden, nur weil er den Fehler gemacht hatte, Kermit seinen Freund zu nennen. Damit musste einfach Schluss sein. Draußen angekommen winkte er ein Taxi heran und nannte dem Fahrer seine Adresse. Dann legte er den Kopf zurück und rieb sich die geschlossenen Augen. Wenigstens die Schmerzen waren durch das Schmerzmittel, das er im Krankenhaus bekommen hatte erträglich geworden und so konnte er sich ganz seinem Selbstmitleid hingeben, bis das Taxi vor dem Wohnkomplex hielt und der Cop sich auf den Weg in seine vier Wände machte. * Die Wartenden standen sofort auf, als ein Arzt den Wartesaal betrat. "Sind Sie die Angehörigen von Mister Caine?", fragte der Mediziner ruhig. "Ich bin sein Vater", antworteten sowohl Caine als auch Paul sofort und sahen sich für einen Moment an. "Sein Pflegevater", ergänzte Paul erklärend. "Sagen Sie Doktor, wie geht es Peter?", fragte Annie umgehend und klammerte sich an der Hand ihres Mannes fest. "Sein Zustand ist kritisch. Der Bruch des rechten Unterarmes ist zu vernachlässigen, glatt gebrochen, wir haben ihn eingegipst. Auch die Schädelprellung samt Platzwunde an sich wäre halb so schlimm, auch wenn er dort ordentlich geblutet hat und vermutlich noch eine Weile mit Kopfschmerzen zu kämpfen haben wird." Der Arzt atmete kurz durch. "Das Hauptproblem liegt in der Entzündung seiner Schulter. Er muss sich bei dem von den Rettungskräften erwähnten Unfall die Schulter ausgerenkt haben und später muss sie wieder eingerenkt worden sein. Allerdings war das Gewebe dann schon so angeschwollen, dass das Einrenken mehr geschadet als genützt hat. Aufgrund der Reibung hat sich alles entzündet und diese Entzündung hat den ganzen Körper angegriffen. Wir haben ihm eine große Portion Antibiotika verabreicht und ihn ins künstliche Koma gelegt." Annie japste auf, auch die anderen machten erschrockene Geräusche. Koma war ein Wort, das niemand gern hörte, der im Krankenhaus um einen lieben Menschen bangte. "Zumindest bis morgen oder maximal übermorgen", beschwichtigte der Arzt ruhig. "Dann sehen wir, ob das Antibiotikum anschlägt. Wenn wir diese Entzündung in den Griff bekommen, dann wird ihr Sohn wieder gesund", beendete er und schaute in die Runde. Annie sprach aus, was sich niemand zu fragen traute. "Und wenn sie die Entzündung nicht in den Griff bekommen?", hakte sie den Tränen nahe nach. "Dann…", setze er an und blickte hilflos in Pauls und Caines Gesicht, "dann kann uns nur noch ein Wunder helfen. Es tut mir leid, dass ich ihnen nicht mehr Hoffnung machen kann." Paul nickte. "Danke, Doktor", sagte er nur setzte sich dann wieder mit seiner Frau, um sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. "Kann ich zu ihm?", fragte jetzt Caine höflich. "Tut mir leid, aber heute sollte Mister Caine keinen Besuch bekommen. Ich rate Ihnen, nach Hause zu gehen und zu schlafen. Morgen Vormittag kann ich Ihnen mehr sagen." Er nickte nochmal allen zu, dann verschwand er durch die große weiße Schwingtür. Peters Familie und Freunde sahen sich gegenseitig unsicher an. Keiner wollte der erste sein, der aufbricht und das Krankenhaus einfach so verlässt, mit der unsicheren Nachricht im Hinterkopf und diesem beklemmenden Gefühl im Bauch. "Ihr solltet tun, was der Arzt gesagt hat und nach Hause gehen", sagte Paul schließlich müde und stand mit Annie zusammen auf. "Und was ist mit dir?", fragte Annie überrascht. "Ich will nur noch schnell nach Kermit sehen. Wahrscheinlich gipsen sie ihn grade ein", sagte Paul und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange. "Skalany bringt dich bestimmt wieder nach Hause, ich komme bald nach." Die brünette Polizistin nickte nur verständnisvoll und reichte Annie ihren Arm. "OK Paul", sagte Annie leise und lehnte sich an ihren Mann, "aber mach dir nicht zu viele Gedanken! Peter wird wieder gesund!", flüsterte sie ihm ins Ohr, ehe sie ihn kurz anlächelte und dann Mary-Margarets Hand ergriff. Paul wartete dort, wo er stand, bis alle anderen gegangen waren. Dann trat er durch die Schwingtür in den Bereich der Notaufnahme und erkundigte sich nach Kermit. Ehe die Schwester am Tresen etwas sagen konnte, tippte ihm ein Arzt auf die Schulter. "Sie fragen nach Mister Griffin? Darf ich fragen, wer sie sind?" "In erster Linie sein Freund, aber auch sein Captain", sagte Paul und zeigte dem Doktor seine Marke. "Wie geht es ihm, wird er noch behandelt?" Jetzt schien auch der Arzt irritiert. Er zog die Augenbrauen zusammen und musterte Paul. "Ich habe ihn vor einer halben Stunde mit einem angebrochenen Knöchel und einen dicken Gips entlassen." Paul starrte den Arzt nur an und wollte nicht glauben, was er hörte. Allerdings sagte ihm auch eine kleine Stimme im Hinterkopf, warum Kermit nicht zu ihnen gestoßen war. "Dieser Sturkopf", murmelte er leise. "Bitte?" "Nichts … Danke Doc", sagte Paul schnell und verließ dann auch das Krankenhaus, um seinem Freund einen Besuch abzustatten. Auch wenn dieser ihn sicher nicht sehen wollte, so wie er ihn kannte. * Kapitel 6 Kermit schüttete einen weiteren Whiskey in einem Zug herunter. Die braune Flüssigkeit brannte in seiner Kehle, betäubte aber gleichzeitig seinen körperlichen und seelischen Schmerz und war ihm deshalb herzlich willkommen. Sein Geist begann zu verschwimmen und er schüttete sich ein weiteres Glas ein. Hauptsache, er war so schnell betrunken, dass er irgendwann einfach umfiel und traumlos schlief. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken, was er diesmal wieder getan hatte, wen er diesmal verletzte und in Gefahr brachte. Das Hämmern gegen die Tür ließ ihn einen Schluck neben sein Glas vergießen. "Ach verdammt!", knurrte er mehr als wütend und knallte die Flasche auf den Tisch. Er überlegte, das Klopfen zu ignorieren, glaubte aber zu wissen, wer dort vor der Tür stand. Es konnten nur Paul oder Caine sein. Und der eine würde irgendwann durch die Wand gehen, während er den anderen auch gut genug kannte, um zu wissen dass dieser nicht verschwinden würde, ehe er ihn einließ. Kermit wollte nicht mit Peters Vater reden, egal mit welchem. Warum war er überhaupt hier? Nur um ihn zu fragen, wie er ihn nur zurücklassen konnte. Warum er überhaupt diesen verdammten Unfall gebaut hatte. Und wie um alles in der Welt er jetzt noch in den Spiegel sehen konnte. Das war es, was sie von ihm hören wollten, davon war er fest überzeugt. Er kippte das volle Glas seine Kehle runter, ehe er langsam mit seinen Krücken auf die Haustür zu wankte. "Kermit, mach die verdammte Tür auf, ich weiß, dass du da drin bist!", rief Paul jetzt und hämmerte erneut gegen das mehrfach gesicherte Holz. "Was willst du, Paul?", fragte der Ex-Söldner durch die Tür. Seine Stimme klang weich und es gelang ihm nicht mehr hundertprozentig, sich zu artikulieren. "Mit dir reden, Kermit. Mach die Tür auf und lass mich rein", versuchte es der Captain jetzt etwas versöhnlicher. Kermit ergab sich seinem Schicksal und öffnete die Haustür. Als sich Paul an ihm vorbeischob, strauchelte er und taumelte gegen die Wand. Paul erkannte die Situation in einem Blick auf seinen Freund und die fast leere Whiskeyflasche. "Mann Kermit, was soll das?" "Was meinst du?", fragte der Cop völlig überdreht, während er von der Tür wieder aufs Sofa humpelte. "Was soll was? Ich hatte einen Scheißtag und lasse ihn jetzt mit einem Gläschen ausklingen! Was ist schon dabei?" Paul fuhr sich über das Gesicht und seufzte. Das konnte schwieriger werden, als gedacht. "Beruhige dich, alter Freund." "Warum bist du hier Paul?", fragte Kermit schnippisch. "Weil ich nicht zulassen kann, dass du in Selbstmitleid versinkst und dir den Verstand wegsäufst. Also stell das Glas weg und rede mit mir!" "Schreib mir nicht in meinem Haus vor, was ich zu tun habe!", blaffte Kermit zornig und griff demonstrativ nach der Whiskeyflasche. Paul war schneller, zog die Flasche an sich und warf sie aufgebracht gegen die Wand, wo sie zerschellte. "Hör auf mit diesem verdammten Mist! Ich bin dein Freund und ich will dir helfen!" Kermit schwieg für einen Augenblick und rieb sich die Augen. "Wie kannst du das? Wie kannst du hier herkommen ohne mir sagen zu wollen, dass ich daran schuld bin, was Peter passiert ist?", fragte er kleinlaut und zog die Brille ab. Paul beugte sich vor und legte Kermit eine Hand auf die Schulter. "Oh Mann, manchmal frage ich mich wirklich, wie du auf solche Ideen kommst. Es gibt nichts, woran du schuld bist! Im Gegenteil! Wenn ich das, was ich gesehen habe, richtig deute, dann hast du ihm das Leben gerettet, verdammt! Und nichts anderes!" "Ach ja? Was meinst du? Als ich den Wagen den Abhang runter gejagt habe oder als ich ihn einfach schwerstverletzt im Wald zurückgelassen habe? Komm schon Paul, sag mir wann ich ihm das Leben gerettet haben soll", sagte Kermit verzweifelt. Paul blieb ruhig. "Als du den Tunnel aus dem Wagen gegraben hast, damit ihr zwei nicht erstickt. Wenn du das nicht getan hättest, wärt ihr beide jetzt tot. Hör auf damit, dir Vorwürfe für etwas zu machen, für das du nichts kannst. Was du auch denken magst, dann merk dir bitte folgendes: Ich als Peters Vater empfinde nichts anderes als tiefen Dank für das, was du getan hast!" Kermit starrte ihn an, als hätte er einen Geist gesehen. "Du… bist nicht wütend auf mich? Überhaupt nicht? Obwohl ich…" "Kermit! Es gibt keinen Grund wütend auf dich zu sein. Weder für mich, noch für Annie oder Caine. Du hast so gut gehandelt, wie du in diesem Moment konntest. Wir haben es DIR zu verdanken, dass Peter überhaupt noch am Leben ist … auch wenn es im Moment am seidenen Faden hängt", fügte er kleinlaut hinzu. "Wie geht es ihm?", fragte Kermit vorsichtig. "Sein Schultergelenk hat sich entzündet, und die Entzündung hat den ganzen Körper angegriffen. Er wird mit Antibiotika behandelt und die Ärzte können nur hoffen, dass es anschlägt", gab Paul kurz wieder und fuhr sich übers Gesicht. Jetzt war es Kermit, der ihm tröstende Worte zusprach. "Du weiß, wie stark er ist. Er wird es schaffen. Gottverdammt, wenn er das da draußen überstanden hat, dann wird er es doch auch in einem Krankenhaus überstehen!" "Du hast Recht, er ist ein harter Kerl, was?!", meinte Paul mit dem Anflug eines Lächelns in den Mundwinkeln. "Das hat er von seinem Vater", antwortete Kermit sofort und sah Paul über seinen Brillenrand hinweg an, damit dieser die Botschaft in den Worten auch auf jeden Fall richtig verstand. "Und ein bisschen von seinem durchgeknallten Computerfreak-Kollegen", meinte Paul und lachte. "Apropos...", fiel Kermit auf einmal ein, "was hast du eigentlich mit Blake gemacht? Der war Rambo und Terminator in einer Person, ganz ohne Stottern und Zittern. Das letzte Mal, dass ich ihn so gesehen habe, ist verdammt lange her." Seine Stimme war zwar verwundert, aber voller Anerkennung für seinen Kollegen. "Ja, ich weiß. Ich habe gar nicht mit ihm gemacht, außer ihm die Chance zu geben, mal zu zeigen was in ihm steckt, als es unbedingt nötig war. Und ihm habe ich vor allem DEIN Leben zu verdanken", sagte Paul schließlich und drückte kurz die Schulter seines Freundes. Kermit grinste. Auch er würde Blake ewig dankbar sein und voller Hochachtung an das Verhalten des Cops denken. "Wenn ich noch was zu trinken hätte, würde ich jetzt mit dir auf ihn anstoßen", sagte er schließlich. "Nicht nötig. Ich glaube immer noch, dass du genug hattest. Schlaf dich aus", sagte Paul und stand auf. "Sehen wir uns morgen im Krankenhaus?" Kermit nickte erst zögerlich, dann überzeugter. "Oh yeah." *** Kermit fühlte sich noch immer fürchterlich, als er durch den hellen Krankenhausflur humpelte. Sein Kopf dröhnte und auch sein Knöchel schmerzte noch etwas. Aber in erster Linie war es die Unsicherheit, die es ihm übel werden ließ. Hinter der Schwingtür warteten aller Voraussicht nach mindestens Paul, Annie und Caine darauf, etwas von Peter zu hören. Und auch wenn Paul am Abend zuvor die Zweifel im Großen ausräumen konnte, so war ein Rest davon noch immer im Kleinen verblieben und nagte von innen an ihm. Diese Zweifel konnte nur der Gang durch die weiße Tür beseitigen. Oder begründen. Der Ex-Söldner atmete tief durch und schob die Tür dann mit einer seiner Krücken auf. Paul lächelte ihm zu, als er ihn sah, während Annie noch rauszufinden versuchte, wer dort gekommen war. Auch Caines Gesicht wirkte erfreut. "Hallo Kermit", sagte Annie schließlich, als sie das Geräusch von Krücken auf dem Linoleum hörte. "Hallo Annie", antwortete der Cop leise und kam langsam näher. In keinem Moment seines Lebens war er froher darüber gewesen, die grünen Gläser auf der Nase sitzen zu haben und somit den Menschen gegenüber nicht direkt in die Augen sehen zu müssen. Denn auch wenn alles, was Paul gesagt hatte wahr zu sein schien, so konnte er nicht verstehen, woher sie diese Größe nahmen, sein Handeln nicht so zu interpretieren, wie er selbst es tat. Kermit hatte sich grade auf einem Stuhl niedergelassen, als der Arzt das Wartezimmer betrat und auf die kleine Gruppe zukam. Sofort erhob er sich wieder und blickte den Mediziner nervös an, denn dessen Miene war ernst und undurchsichtig. "Wie geht es Peter?", fragte Caine langsam und verschränkte die Hände ineinander. "Nun, er hat eine harte Nacht hinter sich. Das Antibiotikum war hochdosiert und hat seinen Kreislauf stark belastet, aber an Ende konnte es sich wohl doch gegen die Entzündung durchsetzen." Annie atmete erleichtert auf, auch Kermit seufzte. "Die Blutwerte haben sich verbessert, die Entzündung geht zurück. Ich habe eben die Anweisung gegeben, ihn aus dem künstlichen Koma zu holen. Er wird in der nächsten Stunde aufwachen. Sie können gerne zu ihm, allerdings bitte nicht mehr als zwei auf einmal. Er wird müde und schwach sein, wenn er aufwacht", führte er Arzt zu Ende und sah die vier aufmunternd an. "Gott sei Dank", flüsterte Paul und drückte Annies Hand. "Mister und Misses Blaisdell, bitte, gehen Sie zuerst zu ihm", sagte Caine auf einmal und warf zuerst Paul einen Blick zu, dann wanderten seine Augen kurz zu Kermit. Paul nickte verstehend, dann lächelte er. "Ich danke Ihnen, Caine", sagte er knappe und folgte dann zusammen mit Annie dem Arzt. Caine wandte sich zu Kermit, der sich einen Schritt hinter Peters Eltern zurückgehalten hatte. "Geht es Ihnen besser?", fragte der Shaolin-Priester freundlich. Kermit wusste sofort, dass die Frage nicht um seinen Knöchel ging, sondern um das, was Caine wusste, obwohl er es eigentlich nicht wissen konnte. "Ja, ich denke schon", sagte der Cop schließlich langsam. "Und ich erspare mir, Sie zu fragen, woher Sie davon wissen", fügte er mit gehobenen Augenbrauen hinzu. "Nun", begann Caine und breitete die Arme ein Stück aus, "es ist nicht schwer, einem Mann anzusehen, dass er Schuldgefühle hat." Der Ex-Söldner, der es gewohnt war, dass ihm niemand auch nur überhaupt eine Gefühlsregung ansehen konnte, seufzte kurz auf. "Kermit. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass Sie niemand für das Schlimme verantwortlich macht, was meinem Sohn passiert ist. Wohl aber dafür, dass er es überlebt hat!", betonte Caine und lächelte dankbar. Kermit erwiderte das Lächeln und nahm dann die Brille ab, um ihm in die Augen zu sehen. "Ich danke Ihnen, Caine", antwortete er tief berührt. *** Das Licht blendete ihn zunächst und er kniff die Augen zu. Die Sonne musste rumgekommen sein und ihm nun direkt ins Gesicht scheinen. Und irgendwo vor der Sonne musste der Puma mit seinen funkelnden Augen und den scharfen Zähnen hocken, der ihn zum Frühstück verspeisen wollte. Sein Schädel dröhnte noch immer und auch der Nebel in seinem Kopf war noch da, wenn auch nicht mehr so schwarz wie zuvor. Seine Schulter schmerzte auch noch, aber all das fühlte sich an wie durch Watte, als würde er irgendwo neben seinem Körper stehen. Ehe sich Peter fragen konnte, ob er vielleicht tot war, hatte er seine Lider so weit geöffnet, dass er in die Gesichter von Paul und Annie blickte, vor der Kulisse eines Krankenhauszimmers. Er versuchte ihre Namen auszusprechen, aber er bekam nur ein Krächzen heraus. "Schhhh, ganz ruhig Peter", flüsterte Annie und tastete nach seiner Hand. Paul goss aus einer Kanne ein Glas Wasser ein und hielt es Peter mit einem Strohhalm hin. "Hier, trink erst mal was, Junge", sagte er mit einem leisen Klos im Hals. Dankbar zog der junge Cop ein paar Schlucke durch das Plastik, um seine Kehle zu befeuchten. Er war immer noch leicht verwirrt, schließlich hatte der Puma bereits zum Sprung angesetzt, als er abgedriftet war. Wie hatte er das überstehen können? "Der Puma?", fragte er leise und kniff die Augen zusammen. "Wie..? Wer..?" "Mach dir keine Gedanken darum, der Puma fällt niemanden mehr an", sagte Paul augenzwinkernd. "Du?" Paul nickte knapp. "Und eins sage ich dir: Mach mir nie wieder so große Angst!", versuchte er mit einem Schmunzeln anzubringen, aber ihm war deutlich anzusehen, wie mitgenommen er war. Peter lächelte so gut es ging. Sein Kopf wurde allmählich klarer und ihm fiel auf einmal siedend heiß ein, was bis eben im Nebel verborgen war. "Kermit?", fragte er vorsichtig, auf einmal eine riesige Angst vor schlechten Nachrichten in der Magengegend. "Es geht ihm gut. Sein Fuß ist angebrochen, aber sonst ist alles in Ordnung. Mach dir um ihn keine Sorgen, er macht sich genug um dich", meinte Annie und lächelte. Auch wenn sie nicht mit dem Freund der Familie gesprochen hatte, so wusste sie doch ganz genau, wie er tickte. "Er wartet draußen, zusammen mit deinem Vater", fügte sie noch hinzu. Peter nickte dankbar. Er war müde und seine Augenlider wollten wieder zufallen, aber zunächst wollte er auch Caine und Kermit sehen. Vor allem seinem Freund musste er noch danken, dass er ihm das Leben gerettet hatte. Paul und Annie schienen seine Gedanken zu lesen und standen auf. "Wir kommen später wieder, wenn du etwas fitter bist", sagte er und legte ihm sachte die Hand auf die Stirn. Peter wollte grade nach den anderen Besuchern fragen, als Annie ihm zuvor kam. "Wir schicken sie dir rein, ok?", fragte Annie sanft. Peter nickte. "Danke", flüsterte er lächelnd. Er schloss die Augen und versank wieder in seinem Kissen, um einen Moment Kraft zu tanken, bis die beiden anderen kamen. Er wollte gerne in der Lage sein, mehr als ein paar einzelne Worte herauszubekommen, wenn er Kermit dankte und seinen Vater in die Arme schloss. Als er die Zimmertür hörte, öffnete er die Augen wieder. Caine sagte nichts, sondern trat an das Bett seines Sohnes, beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann ergriff er seine Hand und drückte sie fest. "Ich sollte dich vielleicht nicht mehr alleine lassen", sagte er mit einem Lächeln. Peter grinste bubenhaft. "Keine Sorge, Paps. Solange ich Kermit in meiner Nähe habe, kannst du ruhig in Urlaub fahren", sagte er mit rauer Stimme und warf seinem Freund einen bedeutenden Blick zu. Der Ex-Söldner fühlte sich mehr als gerührt und war froh, dass Peter seine feuchten Augen nicht sehen konnte. Mehr als ein verstehendes und unendlich dankbares Nicken brachte er zur Antwort nicht zustande. Peter lächelte die beiden an, als ihm die Augen wieder zufielen und er in einen heilenden Schlaf fiel; glücklich und erleichtert, diese Menschen seine Familie und Freunde nennen zu dürfen. ENDE
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