Autor: FoolishGirl

 

Kälte, klirrende, eisige Kälte. Das war das erste, was er spürte. Heftige Windböen hatten die unnatürliche Hitze des Tages vertrieben und sorgten für eine Gänsehaut auf seinem nackten Oberkörper. Einen Moment lang fragte er sich, was mit seinem Hemd passiert war, konnte sich aber partout nicht daran erinnern.

Es war eine rabenschwarze Nacht. Er konnte diese Art von Dunkelheit förmlich auf seiner Zunge schmecken, auf seiner Haut spüren.
Eine dichte, bedrohlich wirkende Wolkendecke verdeckte vollkommen den Sternenhimmel. Der Mond war dadurch nur gelegentlich zu sehen, schaffte es aber mit seinem fahlen Schein nicht sein Licht auf die Erde zu werfen, um diese allumfassende Schwärze zu vertreiben.
Dicke Nebelschwaden, völlig untypisch für diese Jahreszeit, waberten zu seinen Füßen. Sie saugten sich förmlich um ihn herum fest, so dass er den Boden nicht mehr ausmachen konnte, umhüllten Grabsteine und Büsche, nahmen ihm gänzlich die Orientierung.

Das machte ihm nichts aus, er kannte seinen Weg, den er zu gehen hatte. Er konnte ihm mit geschlossenen Augen folgen, so oft hatte er ihn schon gesehen. Die Stille, die ihn umgab, war beinahe gespenstisch und ohrenbetäubend zugleich, wurde nur vom Rauschen des Windes, einem merkwürdigen Klappern, sowie gedämpften Stimmen, deren Ursprung er nicht ausmachen konnte, unterbrochen.

Sein Herz schlug schneller und er zögerte, aber er musste weiter gehen, musste seinem Pfad folgen, bis er am Ziel angelangt war. Nervös fuhr er sich mit der Hand durch sein Haar und befeuchtete mit der Zunge seine Lippen. Die Stimmen lockten ihn, trieben ihn voran. Er hatte keine Chance dieser gespenstigen Verlockung zu widerstehen.
Stolpernd setzte er seinen Weg fort und konnte sich im letzten Moment gerade noch fangen, als er merkte, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. Rutschend und schwankend kam er vor dieser ihm unergründlich erscheinenden Tiefe zum Halt.

Schwindel und Übelkeit überkamen ihn in dem Augenblick, als er bemerkte, dass er beinahe in das frisch ausgehobene Grab einer armen, verlorenen Seele gestürzt wäre. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen und starrte wie gebannt in das Loch, das längst wieder hätte aufgefüllt sein sollen.

Der Nebel verdeckte die Sicht auf den Grund, aber er wusste auch so, was ihn erwartete. Er musste es nicht sehen. Aber wie auf Kommando, er schien ausschließlich auf ihn gewartet zu haben, teilte sich der Nebel und gab den Blick auf einen dunklen Eichensarg frei. Ihm stockte der Atem, als die gedämpften Stimmen lauter wurden und auch das rhythmische Klopfen wieder erklang.

Es würde wieder passieren, wie schon so oft. Es gab kein Entrinnen, nichts was er dagegen tun konnte. Er war machtlos! Er fühlte sich so schutzlos. Nicht fähig sich zu bewegen, nicht fähig zuschreien, nicht fähig zu atmen, geschweige denn einen klaren Gedanken zu fassen.

Etwas kaltes berührte seinen Arm, zog sich zurück, um sofort wieder zuzuschlagen. Kein starker Schmerz, aber genug um ihn zusammenzucken zu lassen. Das Blut gefror ihm in den Adern. Sein Versuch sich seinem Angreifer zuzuwenden, um die Schläge abzublocken, schlug fehl. Etwas hielt ihn an seinem Platz, so dass er sich nicht umdrehen, geschweige denn sich richtig wehren konnte. Alles was er tun konnte, war blindlings nach seinem Angreifer zu schlagen. Kein leichtes Unterfangen in der Position, in der er sich befand.

Nichts... kein Gegner. Er war in dem langsam schwindenden Nebel verschwunden, der ihn zu verhöhnen schien. Keine wabernden, weißlich schimmernden Flecke mehr, die das Grauen, das ihn erwartete zumindest ein wenig abschwächen würden.

Wie unter Zwang wandte er seinen Blick wieder dem Sarg zu. Sein Schicksal war unvermeidlich. Er wollte es nicht, wollte nicht hinsehen, sondern lieber weglaufen. Aber er war an seinem Platz wie festgefroren.

Es war, als ob ihn Tausende und Abertausende unerbittliche Hände genau auf jenen Fleck hielten, ihm jede Bewegung verwehrten. Nicht einmal seine Augenlider konnte er mehr bewegen. Selbst sein Herz, das mit der Geschwindigkeit eines Dampfhammers in seiner Brust schlug, kam ihm wie ein Fremdkörper vor. Sein Magen krampfte sich zusammen in Erwartung dessen, was gleich passieren würde.

Langsam, ganz langsam, mit einem grässlich knarrendem Geräusch, das in ihm den Wunsch weckte sich die Ohren zuhalten zu können, öffnete sich der schwere Sargdeckel.
"Bitte, das kann nicht real sein. Lass es nicht passieren!"
Dieser Gedanke schoss ihm immer wieder wie ein Mantra durch den Kopf, bis er das Gefühl hatte nur noch aus dieser einzigen Bitte zu bestehen.

Er konnte sich nach wie vor nicht bewegen, nicht die Augen schließen, nicht Atmen, sich nur den unheimlichen Geschehnissen hingeben, von denen er wusste, dass sie jeden Augenblick passieren würden. So war es immer und es so würde es auch heute sein.

Aus dem jetzt ganz geöffneten Sarg streckten sich ihm zwei halbverweste Hände, deren teilweise freiliegenden Knochen selbst in dieser Dunkelheit schimmerten, entgegen. Die Finger waren wie Krallen nach ihm ausgestreckt, so wie sich die Szene auch in seinem Kopf festgesetzt hatte. Sie kamen näher und näher, so dass er jetzt auch die dazugehörigen Arme sehen konnte. Sie waren nur noch mit ein paar Lumpen, die die lange Zeit in der Erde überstanden hatten, spärlich bekleidet.
Sein Blick wanderte weiter nach oben in das Gesicht, in Augen, die nur noch als leere Höhlen vorhanden waren und doch nicht wirklich leer waren. Hunderte kleiner sich windender Würmer schienen ihn aus den Augenhöhlen heraus anzustarren. Ein leises Stöhnen entwich seiner Kehle.

Kein schöner Anblick. Ihm wurde schlecht, er schaffte es jedoch seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Kein Wunder, er konnte ja nicht einmal einen einzigen Muskel bewegen.
Jetzt hatte sich der Leichnam zu einer sitzenden Position aufgerichtet, wie er es schon unzählige Male im TV gesehen hatte.
Insgeheim wusste er jedoch plötzlich, dass ihm nichts passieren konnte. Es war nie etwas passiert. Die Hände hatten ihn nie erreicht und so würde es auch heute sein.

Erleichterung machte sich in seinem Körper breit. Erst jetzt merkte er, dass er trotz der Kälte in Schweiß gebadet war. Eine vorwitzige Strähne seines etwas zu langen Haares klebte auf seiner Stirn. Langsam merkte er, wie er mehr und mehr die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangte. Der Knoten in seinem Magen begann sich zu lösen und er bekam wieder Luft, die er dankbar tief in die Lungen saugte. Gerade als er sich sicher fühlte, passierte es.

Mit zunehmendem Wind setzte der Regen ein, durchnässte sein ohnehin schon schweißnasses Haar, peitschte wie kleine spitze Nadeln über seine nackte Haut und gleichzeitig war auch wieder sein Angreifer da.

Erneut folgte eine Serie kurzer, präziser, aber nicht zu schmerzhafter Schläge. Diesmal gegen seinen Oberkörper. Was aber noch bedrohlicher war, waren die Stimmen.
Aus den gedämpften Lauten kristallisierte sich eine weibliche Stimme, die fordernd seinen Namen rief.
"Peter... Peter"

Er wollte ihr entkommen, wusste das sie nichts Gutes bedeuten konnte. Mit der immer drängender werdenden Stimme ereichten ihn diesmal auch die Hände. Er hatte das Gefühl, als müsse ihm das Herz stehen bleiben, als sich die Klauen in seine Schultern gruben und... ihn schüttelten.

Mit einem plötzlichen Ruck fuhr Peter Caine in die Höhe. Das wütende Gesicht seiner Freundin Jordan dicht vor Augen.

"Peter, Peter. Wach auf! - Na endlich! Nun sieh dir diese Schweinerei mal an. Es ist alles nass!"

Die Realität traf ihn wie ein Schlag. Er konnte den Abspann des Horrorfilms im Hintergrund hören und blickte sich irritiert in der ungewohnten Umgebung um.
Er war in Jordans Wohnzimmer und musste, nach Abkühlung suchend, im Sessel vor dem geöffneten Fenster eingeschlafen sein. Der Fensterrahmen wurde von den heftigen Windstößen klappernd gegen die Wand geschlagen. Die jetzt durchgeweichten Vorhänge flatterten in dem Gewitterwind, der zu dem plötzlichen Temperatursturz geführt hatte und berührten seine feuchte Haut. Er blickte auf den regennassen Teppich und dann wieder in Jordans Gesicht.

Und wusste, dass der Albtraum noch lang nicht vorbei war.

Ende