Peter stapfte durch den knöcheltiefen
Schnee am Seeufer entlang, den Blick fest auf die Eisfläche gerichtet,
auf der unzählige Menschen aller Altersstufen jauchzend ihre Runden
drehten. Die Kufen sangen auf dem Eis und der Himmel war tiefblau, ein
traumhafter Wintertag, dabei war es fast schon März. Doch der Winter
dauerte hier oft lange. Eine kleine Gestalt löste sich aus der Menge und lief strahlend und in Höchsttempo auf ihn zu, als sei sie mit Schlittschuhen geboren worden. Peter lächelte und ging ihr entgegen. Doch er hatte das Tempo unterschätzt; der Gesichtsausdruck des Jungen wechselte plötzlich zu Erschrecken, als er merkte, dass er nicht mehr bremsen konnte und gerade, als Peter das Eis betrat, prallte der Kleine mit voller Wucht gegen ihn. Peter blieb einen Moment die Luft weg und er rang verzweifelt mit dem Gleichgewicht. Doch vergebens, er landete höchst unsanft auf dem Hinterteil, das Kind auf seinem Bauch. Er stöhnte auf, dann begann er schallend zu lachen, schlang die Arme um seinen fünfjährigen Sohn und kugelte mit ihm auf der von Schneestaub bedeckten Eisfläche umher, bis sie beide aussahen wie die Schneemänner. Philipp kicherte, seine Mütze rutschte ihm
über die Augen und er verlor einen Handschuh. "Daddy, komm, wir machen Schneeengel!", rief Philipp und stakste auf seinen kleinen Schlittschuhen ans Ufer. Dort ließ er sich in den Schnee fallen und breitete Arme und Beine aus. Heftig rudernd fabrizierte er den schönsten Schneeengel, den Peter je gesehen hatte. Peter zögerte einen Moment, schließlich trug er nur einen Lodenmantel und keinen Schneeanzug, doch dann ließ er sich lachend neben Philipp auf den Boden fallen und tat es ihm gleich. Als sie aufstanden, begutachtete Philipp prüfend den großen und den kleinen Schneeengel, dann verkündete er: "Das da ist der Papa-Schneeengel und der ist das Kind." Peter lachte. "Jetzt komm, Philipp, Grandpa und Grandma warten sicher schon auf uns." Er nahm den Jungen bei der Hand und sie gingen zu der Stelle, wo sie den Schlitten hatten stehen lassen. Dort half Peter ihm, die Schlittschuhe auszuziehen. Einer seiner Ringelsocken war feucht, irgendwie musste Schnee in den Schlittschuh gekommen sein, wahrscheinlich bei der Schneeengelaktion. Na, am warmen Kamin würde das bald wieder trocken sein. Philipp schien es egal zu sein, er stieg in seine Stiefel und ließ sich zurück auf den Schlitten plumpsen. "Ziehst du mich, Daddy?" "Na, klar doch! Mal sehen, wie schnell wir bei Grandpa und Grandma sind!" Peter vergewisserte sich, dass sie nichts vergessen hatten und spurtete los. Philipp jauchzte hinter ihm, als ihm der Schnee um die Ohren stieb. Nach einer Weile verlangsamte Peter keuchend das Tempo. Der Weg zu Pauls Hütte, wo sie alle ein paar Tage verbrachten, führte vom See weg ein Stück durch den Wald. Staunend sah Philipp zu den hohen Bäumen mit den schneebedeckten Ästen hinauf und zog plötzlich kichernd die Nase kraus, als etwas Schnee in seinem Gesicht landete. "Es schneit, Daddy!" rief er. "Sieh mal, da!" Er zeigte auf einen Nadelbaum mit dickem Schneemantel, an dessen Nadeln überall kleine Eiszapfen hingen. Peter blieb stehen, damit sie das kleine Winterwunder genauer betrachten konnten. Philipp stieg auf den Schlitten und versuchte, die Eiszapfen zu zählen. "Neunundzwanzig, Zehnundzwanzig, Elfundzwanzig… nee, Vierundelfzig… ach, jedenfalls ganz viele," gab er schließlich auf. Vorsichtig berührte er einen mit den Fingern. "Der ist ganz kalt!", rief er überrascht. "Na klar, der ist ja auch aus Eis." antwortete Peter. Philipp brach leise knackend einen ab und steckte ihn in den Mund. "Schmeckt ja gar nicht nach Eis." stellte er enttäuscht fest. Peter grinste. "Komm weiter, Grannie Annie hat sicher ihren berühmten Schokoladenkuchen für uns gebacken." ermunterte er seinen Sohn. Philipp strahlte sofort wieder. "Kommt Großvater eigentlich auch? Er mag doch Schokoladenkuchen auch so gerne!" "Wer weiß?", tat Peter geheimnisvoll. Das letzte Stück führte bergauf und Peter musste kräftig ziehen, doch schließlich langten sie an Pauls Hütte an. Als sie den Schlitten abstellen wollten, rief Philipp plötzlich: "Vorsicht, pass auf! Nicht dahin, du machst es doch kaputt!" Er kniete nieder und befreite das kleine zarte Blümchen vom Schnee, dann suchte er eifrig einige kleine Stöckchen zusammen und baute einen Zaun um das Pflänzchen. Peter lächelte. "Weißt du, was das ist?" Philipp schüttelte den Kopf. "Ein Schneeglöckchen! Philipp, du hast den Frühling gefunden!" "Ehrlich?" Philipp staunte mit großen Augen. Peter war immer wieder fasziniert davon, wie leicht sich der gerade fünf Jahre alt gewordene Junge noch beeindrucken ließ. Da näherte sich ein Mann von der Straße her, gekleidet in Lederjacke und Hut, das silbergraue Haar fiel ihm auf die Schultern. "Großvater!", jubelte Philipp. "Großvater!" Er stürmte ihm entgegen und Caine fing ihn lachend auf. Philipp drehte sich in Caines Armen herum und wies zurück. "Großvater, ich habe den Frühling gefunden!" "Was, tatsächlich?", erwiderte Caine ernst. "Das musst du mir zeigen." Er stellte Philipp zurück auf den Boden und ließ sich von ihm das Schneeglöckchen zeigen. "Es ist wunderschön." sagte Caine. "Siehst du seine Blüten, die wie Glöckchen aussehen? Wenn du ganz genau hinhörst, kannst du sie läuten hören." Peter betrachtete lächelnd, wie sein Vater und sein Sohn nebeneinander im Schnee knieten und dem Schneeglöckchen zuhörten. "Hast du es gehört?", fragte Caine und Philipp nickte atemlos. "Das ist gut. Es ist eine gute Gabe, wenn man Dinge sehen und hören kann, die andere nicht wahrnehmen." meinte er augenzwinkernd. Dann erhob er sich und klopfte sich den Schnee ab. Peter trat zu ihm und legte ihm den Arm um. "Schön, dass du hier bist, Paps!" Caine zuckte mit der Schulter, als sei das nichts Besonderes. Philipp lief ihnen voraus ins Haus, begrüßte stürmisch Paul und Annie und fragte ungeduldig nach Kuchen und Kakao. "Er ist wie du, als du klein warst." stellte Caine trocken fest. Bald saßen sie alle um den Tisch und ließen sich Annies Schokoladenkuchen schmecken: Paul und Annie, Caine und Peter, der kleine Philipp und sogar Kelly war für diesen Nachmittag zu Besuch gekommen. Carolyn und ihr Mann hatten leider nicht frei bekommen, genau wie Philipps Mutter. Alle drei fehlten Peter schmerzlich in dieser trauten Runde... "Philipp Matthew Caine, wie siehst du denn aus?", rief Kelly plötzlich halb entsetzt, halb belustigt. Alle Blicke fielen auf den Jungen, der grinsend da saß, das ganze Gesicht und beide Hände voller Schokolade. Einen Moment herrschte peinlich berührtes Schweigen, dann brachen alle in schallendes Gelächter aus. Ende
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