Autor: TempleGirl
 

Peter fuhr die ländliche Straße entlang. Das hügelige Land breitete sich vor ihm aus und leuchtete in den herrlichsten Gelb- und Rottönen, fast wie ein Gemälde. Der Indian Summer war wohl die beste Zeit, um Urlaub auf dem Land zu machen, dachte er bei sich. Er hatte sich ein paar Tage frei genommen, die er mit seinem Vater verbringen wollte. Sie taten das so einmal im Jahr und diesmal hatte Caine den Zielort bestimmt und bislang ein Geheimnis daraus gemacht. Er hatte nur bemerkt, dass Peter Entspannung nötig habe und er den richtigen Ort dafür kenne.

"Wo müssen wir jetzt lang, Paps?", fragte Peter, als sie sich einer Kreuzung näherten. Caine wies mit einem Kopfnicken nach rechts.

Sie fuhren schon mehrere Stunden und Peters Magen knurrte bereits bedenklich. Die Sonne stand schon tief und er hoffte, dass sie bald ihr Ziel erreichen würden.

Als er die Kurve genommen und die nächste Hügelkuppe überwunden hatte, lag ein weitläufiges Farmgelände vor ihnen. Rechts und links der Straße zogen sich Weidezäune entlang und Peter sah zahlreiche prachtvolle Pferde grasen. Inmitten des großzügigen Weidelandes eingebettet lag eine große Ranch. Das Gebäude wirkte gepflegt und die vorgelagerte Veranda war liebevoll mit üppigen Blumentöpfen dekoriert. Ein Schaukelstuhl versprach Gemütlichkeit.

Caine wies auf die Einfahrt. "Wir sind da."

Peter parkte den Wagen neben einem etwas klapprig wirkenden Kleinbus, auf dessen Ladefläche er Futtersäcke entdeckte.

Als sie ausstiegen, öffnete sich die Haustür und ein älterer Mann mit grauem Vollbart und einer Pfeife im Mundwinkel trat heraus. Er betrachtete die Neuankömmlinge einen Moment lang abwartend, dann hellte sich sein Gesicht auf und er trat mit ausgebreiteten Armen auf Caine zu.

"Caine, mein alter Freund, bist du es wirklich? Lass dich ansehen! Gut siehst du aus!"

"Ihr kennt euch?", fragte Peter perplex, bekam aber keine Antwort.

Caine lächelte. Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. "Ich hoffe sehr, du bist wohlauf, Lewis." erwiderte Caine und klopfte dem stämmigen Farmer die Schulter.

"Es ging mir nie besser.", antwortete Lewis. "Die Ranch ist mein Leben, die Pferde sind mein ein und alles. Nirgendwo könnte ich glücklicher sein als hier. Sieh dich doch um!" Er breitete die Arme aus, als wolle er die Weiden und den blauen Himmel umarmen. Dabei lachte er zufrieden.

Peter bewunderte Lewis. Dieser Mann hatte seinen Platz im Leben und auf dieser Welt offensichtlich gefunden. Er roch nach Pferd und seine Hosen waren schmuddelig, ansonsten sah er aber gepflegt und gesund aus. So sah niemand aus, der unzufrieden war und sich etwa gehen ließ. Nein, Lewis gehörte hierher wie ein Fisch ins Wasser, er war durch und durch Farmer, er war die Farm, so schien es Peter.

"Wie geht es Grace und den Kindern?", erkundigte sich Caine nun. "Das ist übrigens mein Sohn Peter."

"Dein Sohn?" Lewis war ehrlich erstaunt. "Du sagtest mir doch damals, er sei tot?"

Caine betrachtete Peter zärtlich. "Das dachte ich auch, aber ich habe mich glücklicherweise getäuscht. Jetzt kann ich mir einen Traum erfüllen und ihm all das hier zeigen. Als ich damals zu dir kam, musste ich immerzu daran denken, wie wundervoll es hier für einen Jungen in seinem Alter sein müsse und wie sehr es ihm hier gefallen würde. Die Zeit bei dir hat meine Schmerzen gelindert und meine Wunden ein wenig geheilt. Dafür bin ich dir dankbar."

Lewis schüttelte Peter die Hand.

"Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Peter. Ihr Vater hat damals so viel von Ihnen gesprochen, dass es beinahe so war, als wären Sie hier gewesen. Ich habe mich immer gefragt, was wohl aus diesem wissensdurstigen und eigenwilligen Jungen aus dem Tempel für ein Mann geworden wäre, von dem Caine uns abends am Kamin erzählte."

"Tja, er ist ein Shaolin-Cop geworden." antwortete Peter grinsend. "Er schlägt Banditen mittels Kung Fu k.o. und versucht vergeblich, seinen Vater zu verstehen."

Lewis lachte so schallend, dass ein Pferd in der Nähe erschrocken den Kopf hochwarf und nervös herum tänzelte. "Peter, Sie sind wundervoll.", seufzte er und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. "Aber jetzt kommt herein, Grace backt gerade einen ihrer herrlichen Apfelkuchen, als hätte sie gewusst, dass ihr kommt."

Peter fühlte sich wie im Märchen, als er die Küche betrat. Alles war wie aus dem Bilderbuch, einschließlich Grace Fleming, die in einer geblümten Schürze am Herd stand und eben einen warmen, duftenden Kuchen aus dem Herd nahm. Bald saßen sie um den großen Holztisch herum und ließen es sich schmecken. Es duftete nach Kaffee und in einem Krug gab es frische, kühle Milch von Amy, der farmeigenen Kuh. Der jüngste Sohn der Flemings, Benjamin, hatte sich ebenfalls zu ihnen gesellt. Er war etwas jünger als Peter, vielleicht 25. Peter erfuhr, dass es noch die Söhne Francis und Robert gab und die Tochter Fiona. Ben war jedoch der einzige, der noch auf der Farm lebte.

"Als Ihr Vater vor 15 Jahren bei uns war, waren sie noch alle hier. Ben war gerade 11 und Bob, der älteste war 20. Caine hatte einen Narren an Ben gefressen, weißt du noch, Grace?", wandte er sich an seine Frau.

"Wundert dich das? Ben ist ungefähr in Peters Alter und Caine hatte gerade seinen Sohn verloren."

"Gerade ist gut, es war schon etwa drei Jahre her. Aber es stimmt, Ben war zu der Zeit ungefähr genauso alt, wie Peter bei dem Unglück im Tempel gewesen sein muss."

"Ich war dreizehn…" warf Peter vorsichtig ein. Es war ihm beinahe unheimlich, dass die Flemings so viel über sein Leben wussten und er kaum etwas von ihnen.

Caine dagegen betrachtete nachdenklich den jungen Ben Fleming. Er war ein kräftiger Bursche mit wirrem dunklen Haar und ebenso dunklen, voll jugendlicher Abenteuerlust blitzenden Augen, der ebenso wie sein Vater Jeans und ein kariertes Flanellhemd trug. Äußerlich war er Peter tatsächlich ein wenig ähnlich, doch er war ruhiger und ausgeglichener. Caine spürte das, er spürte eine große innere Kraft in diesem jungen Mann, einen starken Willen, aber auch eine sehr sanfte, gefühlvolle Seite. Er hatte Ben draußen mit den Pferden gesehen, wie zärtlich er sie behandelt hatte und ihnen gleichzeitig jeden Augenblick gezeigt hatte, dass er das Sagen hatte. Wenn Peter seine Energien auch einmal so in den Griff bekäme…

"Unsere Kinder sind unsere größte Freude.", warf Caine ein. "Und wir sollten dankbar sein für die Zeit, die wir sie bei uns haben. Auch du hast einen wundervollen Sohn, Lewis." fügte er mit einem beinahe zärtlichen Blick auf Ben hinzu.

Lewis lachte. "Ich habe drei wundervolle Söhne und eine bezaubernde Tochter." erwiderte er. "Ben liebt die Pferde und die Ranch so wie ich und wird einmal ein hervorragender Gutsherr sein." Er klopfte seinem Jüngsten auf die Schulter. "Es freut mein altes Herz zu wissen, dass das alles hier einmal jemandem gehören wird, dem es genauso viel bedeutet wie mir."

Peter sah seinen Vater prüfend von der Seite an. Wünschte sich nicht Caine, dass auch er, Peter, eines Tages den gleichen Weg wie sein Vater einschlagen würde? Peter war ein Shaolin-Cop und er fand immer mehr zu den Lehren seines Vaters zurück, aber würde er wirklich einmal ein "Vollblut-Shaolin" sein wollen und sein können? Und falls nicht, wäre Caine dann nicht furchtbar enttäuscht? Er schien jedenfalls sehr angetan von diesem mustergültigen Bilderbuchsohn zu sein, den sein Freund Lewis da hatte. Peter fühlte einen kleinen Stich in seinem Inneren und schalt sich sogleich, nicht so albern zu sein. Dennoch tat es weh zu wissen, dass es damals einen anderen Jungen im Leben seines Vaters gegeben hatte, damals, als er seinen Vater so sehr gebraucht hätte. Ben hatte seinen eigenen Vater gehabt UND Caine und er…

"Peter, ist alles in Ordnung?" Sein Vater hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und sah ihn besorgt an.

"Jaja, alles ok." erwiderte Peter zerstreut. Er sah die warmen Augen seines Vaters, wie sehr hatte er diesen Blick damals vermisst! Aber jetzt, jetzt war er da, saß hier mit ihm und er spürte seine warme Hand. Er fühlte, wie es in seiner Brust warm wurde und mit einem Lächeln berührte er Caines Hand. "Es geht mir gut."

*********

Caine gab Peter die Zügel in die Hand. Das große braune Pferd stampfte mit dem Huf auf und schnaubte leise. Zögernd nahm Peter die ledernen Riemen entgegen.

"Paps, hältst du das wirklich für eine gute Idee? Ich bin noch nie auf einem Pferd gesessen."

Caine zuckte die Schulter, als spiele das keine Rolle. "Wenn du es respektierst und ihm dein Herz öffnest, wird es dir gehorchen." Caine strich seinem Pferd sanft die Mähne hinter das Auge, schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern und ließ dann seine Finger eine Weile zärtlich über den muskulösen Hals wandern. Das Pferd entspannte sich mit einem Grunzen und ließ sich willig den Sattelgurt festziehen. Dann saß Caine mühelos auf, als habe er nie etwas anderes getan.

Peter betrachtete zweifelnd sein eigenes Reittier.

"Komm, Peter, das wird dich entspannen." Caine tätschelte seinem Pferd den Hals.

"Na, ich weiß nicht…" Peter setzte ungelenk den Fuß in den Steigbügel und versuchte, ebenso elegant aufzusitzen wie sein Vater, fand sich dann aber wie ein Kartoffelsack am Sattel hängend wieder und versuchte verzweifelt, den Rücken seines Pferdes zu erklimmen. Hinter ihm brach sein Vater in schallendes Gelächter aus und Ben, der gerade vorbei kam, packte kurzerhand sein Bein und gab ihm grinsend einen kräftigen Schubs, sodass er um ein Haar auf der anderen Seite wieder herunter gefallen wäre.

"Ich glaube, das musst du noch ein wenig üben." meinte Ben trocken, griff sich eine Heugabel und verschwand zum Ausmisten im Stall.

Peter versuchte, sich an seine neue Position zu gewöhnen und einen bequemen Sitz in dem steifen Sattel zu finden.

"Paps, ob das deinen Aussichten auf Enkelkinder zuträglich ist, wage ich jetzt mal ernsthaft zu bezweifeln." Er verzog das Gesicht. "Das ist verdammt unbequem."

Caine schnalzte mit der Zunge und sein Pferd setzte sich in Bewegung. Peters Pferd folgte gehorsam und Peter versuchte verkrampft, nicht den Halt zu verlieren und gleichzeitig irgendwie den Zügeln Herr zu werden. Er streckte dabei die Arme weit von sich, als säße er auf einem Motorrad mit überbreitem Lenker.

"Entspanne dich, mein Sohn. Werde eins mit dem Pferd." Caine ritt ruhig voran, sein Pferd schritt gleichmäßig aus und er schien tatsächlich mit ihm verwachsen zu sein. "Bewege dich mit ihm, nicht dagegen."

Peter versuchte, sich auf die Bewegungen des Pferdes zu konzentrieren und merkte, wie er allmählich in den Rhythmus des Tieres fand. Gleich wurde es leichter. "Ha, ich kann es!", rief er triumphierend.

"Schon besser." meinte Caine. "Lass dein Becken schwingen."

"Da wüsste ich allerdings Situationen, in denen ich das bedeutend lieber täte." murmelte Peter grinsend und kam sich etwas komisch vor, wie er da auf dem Pferd saß und sein Becken etwas zu übertrieben mit dem Pferderücken mit bewegte.

Caine räusperte sich.

Langsam gewöhnte sich Peter an das Pferd unter ihm und wurde etwas entspannter. Der Weg führte sie weg von der Ranch auf den Wald zu. Die Bäume standen bald immer dichter und der Boden war von raschelndem Herbstlaub bedeckt. Die Luft roch würzig und Peter entdeckte hier und da einige Pilze zwischen den Baumwurzeln. Er atmete tief ein.

"Das tut gut!"

Die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch und malte helle, tanzende Flecken auf den Waldboden.
Caine lächelte. "Der Wald hat viele Gesichter. Heute zeigt er uns sein freundliches und freigebiges." Er machte eine ausladende, alles umspannende Geste, während seine andere Hand auf dem Widerrist des Pferdes ruhte. Dann nahm er die Zügel auf und schnalzte mit der Zunge. Sein Pferd trabte an.

"Halt, was soll das? Warte doch, Paps!" Peter sah seinen Vater sich immer weiter entfernen und wusste weder, wie er sein Pferd zum Antraben bringen sollte, noch hatte er die geringste Lust auf eine schnellere Gangart.

"Und da soll man sich nun entspannen." grummelte er, während sein Pferd weiter den Waldweg entlang zockelte.

Nach einer Weile kam Caine zurück. "Nimm die Zügel kürzer und schnalze mit der Zunge." forderte er ihn auf.

"Bist du wahnsinnig? Ich bin schon froh, dass ich mich im Schritt auf dem Gaul halten kann." protestierte Peter.

"Du musst dich deinen Ängsten stellen und über deinen Schatten springen. Nur so kannst du wachsen." erwiderte Caine ruhig. "Versuch es. Du kannst es."

Zögernd nahm Peter die Zügel auf und schnalzte gehorsam. Sofort trabte das Pferd los. Peter hoppelte auf dem Rücken umher und versuchte verzweifelt, die Steigbügel nicht zu verlieren.

"Da-da-das ist ja schli-i-immer als Ko-Kopfsteinpfla-laster i-in der Innenstadt!" Er fühlte sich, als würden ihm sämtliche Innereien durcheinander gewürfelt. "Wo-o ist denn hier die Bremse?" rief er. "Ich glaube, mi-mir wird schlecht!"

Caine hinter ihm lachte schallend. Dann holte er auf und erklärte Peter, wie er durchparieren musste.

"Siehst du, es ist gar nicht so schwer."

"Das sagst du, aber du hast unter Garantie noch andere Mittel und Wege, mit einem Pferd zu kommunizieren." Peter atmete schwer und spürte sein Herz rasen. "Das kann nun wirklich nicht gesund sein, von entspannend ganz zu schweigen."

Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her. Peter spürte bereits alle Muskeln, besonders solche, von deren Existenz er bislang nichts gewusst hatte. Er warf einen Seitenblick auf seinen Vater, um heraus zu finden, ob er nicht bald umkehren wollte, doch stattdessen bemerkte er, wie sich die Nasenflügel seines Vaters blähten.

"Es riecht nach Feuer." stellte Caine sachlich fest.

Sie sahen auch bald, warum: Auf einer Lichtung ein Stück weiter vorne hatten ein paar Burschen ein Feuer entzündet und hielten an langen Stecken Marshmallows hinein. Sie hatten Bierflaschen in der Hand und wirkten bereits sichtlich angetrunken.

"Das dürfen die doch sicher nicht, so trocken, wie hier alles ist." bemerkte Peter. "He, ihr, wisst ihr nicht, dass das gefährlich ist? Macht das Feuer sofort aus!" rief er den Burschen zu.

Die Burschen feixten. "Hey, seht euch den an! Hat Papi dich auf dein Schaukelpferdchen gesetzt?" grölte einer. "Pass auf, dassu nich runner fällst!"

"Was wolln denn diese Witzfiguren hier?", fiel ein anderer ein und torkelte auf Peter zu.

Caine saß ab und ging auf die restlichen Burschen am Feuer zu. "Macht das Feuer aus, ehe der Wald brennt!" forderte er sie erneut auf. Als sie ihn nur auslachten, konzentrierte er sich und stieß dann beide Handflächen gleichzeitig ruckartig nach vorne. Das Feuer blakte und erlosch.

"Hey, Opa, was soll das?", rief Steve entrüstet.

Peter grinste. Er würde jetzt ein bisschen auf Cop machen, vielleicht lehrte das die Burschen Respekt. Er holte sein Notizbuch aus der Hosentasche und hoffte, dass er die Polizeimarke bei sich hatte. Das würde die Jungs sicher beeindrucken.

"So, jetzt sagt ihr mir schön brav eure Namen." begann er und tastete mit der anderen Hand in der Innentasche seiner Jacke herum.

"Halt die Klappe, Bubi." herrschte ihn Steve an.

"Pass auf, was du sagst." entgegnete Peter ruhig. "Ich bin ein Cop."

Steve grinste verächtlich. "Ja, und ich bin Micky Maus. Erzähl das deiner Großmutter."

Verdammt, warum hatte er die Polizeimarke nicht dabei?

Der andere Kerl, der inzwischen bei Peter angelangt war, drehte wütend seinen Stock mit dem Marshmallow um, den er noch immer in der Hand hielt. "Ihr glaubt wohl, ihr könnt hier die großen Macker markieren, was? Hey, Opa, jetzt zeig ich deinem Söhnchen hier mal, wie man richtig reitet!"

Damit rammte er dem Pferd hämisch grinsend seinen Stock in die Flanke. Das Tier quiekte vor Schmerz und bäumte sich panisch wiehernd auf. Das Notizbuch flog mit flatternden Seiten zu Boden. Peter schrie auf, krallte sich erschrocken in der Mähne fest und da preschte das Pferd auch schon im gestreckten Galopp davon.

"Peter!" schrie Caine entsetzt auf. Mit einem Satz war er bei seinem eigenen Pferd, warf sich hinauf und jagte seinem Sohn nach.

Peter schrie panisch um Hilfe. Äste schlugen ihm um die Ohren und die Welt verschwamm vor seinen Augen. Er hatte keine Ahnung, wo das Pferd mit ihm hinrannte und ob er jemals zur Farm zurück finden würde. Falls er diesen Wahnsinnsritt überhaupt lebend überstand. Peter wusste nicht, ob Minuten oder Stunden vergangen waren, als er plötzlich meinte, ein zweites Pferd neben sich zu hören. Hatte ihn sein Vater eingeholt?

"Ruhig, Chester, ruhig!" hörte er eine Frauenstimme. Chester? Wer um Himmels Willen war Chester? Verlor er vor lauter Angst jetzt völlig den Verstand? Da wurde das Pferd auf einmal langsamer und er sah eine Hand, die ins Zaumzeug gegriffen hatte. Sobald das Pferd stehen blieb, kletterte Peter mit wackeligen Beinen herunter und ließ sich ins Gras fallen. Dort blieb er einige Augenblicke schwer atmend sitzen.

Als er wieder aufblickte, sah er gerade eine junge Frau von einem weißen Pferd absitzen, im Moment erschien sie ihm allerdings mehr wie ein Engel. Sie trug Reithosen und einen dicken Strickpullover aus blauer Wolle. Ihr Haar fiel ihr in kastanienbraunen Locken über die Schultern und ihre großen dunklen Augen musterten ihn besorgt.

"Sagen Sie bloß, Sie kennen diesen Wahnsinnsgaul persönlich?", war das erste, was ihm einfiel.

Die Frau lachte auf. "Natürlich, er gehört ja meinem Vater. Aber eigentlich ist Chester sanft wie ein Lämmchen, das geeignete Anfängerpferd. Was ist bloß passiert? Sind Sie verletzt?"

Peter verneinte und erzählte ihr, was vorgefallen war.

"Die Burschen kenne ich, die haben nur Unsinn im Kopf." erwiderte die junge Frau wütend. "Das wird ein Nachspiel haben." Sie streckte ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. "Kommen Sie, ich bringe Sie zur Farm zurück. Wie heißen Sie eigentlich?"

"Peter. Und Sie müssen Fiona sein."

"Ja, Fiona Fleming. Sie sind also bei meinem Vater zu Gast? Ich glaube, Sie könnten noch die ein oder andere Reitstunde gebrauchen." meinte sie verschmitzt. "Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen Unterricht, solange Sie hier sind. Ich verbringe hier meinen Urlaub."

"Gerne…" erwiderte Peter versonnen. Er befand sich jetzt auf Augenhöhe mit Fiona und versank ganz in ihren dunklen Augen und dem wilden Duft ihrer Haare. Er hielt noch immer ihre Hand, ihre warme, weiche Hand… Und diese Lippen, so rosig und zart…

"Peter?", riss ihn die Stimme seines Vaters aus seinen Träumen. Caine kam atemlos heran geritten. "Ist alles in Ordnung?"

"Ja." erwiderte Peter seufzend.

***

Als die Farm in Sichtweite kam, stand die Sonne schon tief und Nebelschwaden krochen über die Wiesen. Fiona hatte Peter mit viel Überredungskraft dazu gebracht, wieder aufzusteigen und im gemütlichen Schritt ritten sie zu dritt nach Hause. So gern Peter seinen Vater um sich hatte, in diesem Moment hätte er alles dafür gegeben, mit Fiona allein in den Sonnenuntergang zu reiten. Wie eine Waldfee sah sie aus, wie sie da auf ihrem weißen Pferd einher ritt, so anmutig und geschmeidig. Wie eine Erscheinung aus einer Märchenwelt… Peter fühlte sein Herz klopfen. Oh ja, dieser Urlaub würde noch überaus entspannend werden, da war er sich sicher.

Ende

 

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