Teil 2
Autor: TempleGirl

 

Caine saß am Bett seines Sohnes und hielt seine Hand. Es musste irgendwann in den frühen Morgenstunden sein, doch das spielte keine große Rolle. Im Krankenhaus herrschte Stille, nur die Nachtschwester warf ab und zu einen Blick in das Zimmer.

Peter lag reglos in seinem Bett, die Maske der Beatmungsmaschine auf seinem Gesicht. Die Geräusche der Maschinen klangen quälend in Caines Ohren. Er ballte eine Hand zur Faust. Diese schrecklichen Geräte! Jedes Piepsen der Monitore, jedes Schnaufen des Beatmungsgeräts erinnerten Caine schmerzlich daran, dass sein Sohn hier um sein
Leben kämpfte.

*Peter, mein Sohn, komm zurück zu uns! *

Er hielt Peters Hand in der seinen, streichelte sie sanft und versuchte vergeblich, den dicken Kloß in seinem Hals herunter zu schlucken. Wie plötzlich sich alles ändern konnte… Wie sehr vermisste er Peters Wortschwall, seine Ungeduld und Hitzköpfigkeit. Was würde er darum geben, wenn Peter ihn jetzt anschriee, ihm Vorhaltungen machte und dann davon stürmte! Alles war besser, als ihn so leblos dort liegen zu sehen. Im Zorn sprühte er vor Leben, doch hier sah er aus, als sei er bereits…

Caine wollte den Satz nicht zu Ende denken. Wenn nur Paul begreifen würde, dass Caine Peter sehr wohl helfen konnte, ihn, Paul, jedoch dafür brauchte! So musste er hilflos mit ansehen, wie Peter in der Welt zwischen diesem Leben und dem nächsten gefangen war, und das machte ihm am meisten zu schaffen.

*Paul, Sie dürfen Peter jetzt nicht im Stich lassen! *

Caine schreckte hoch. Er musste an Peters Seite eingeschlafen sein. Der Morgen dämmerte bereits, fahles Licht fiel durch das Fenster. Peter regte sich noch immer nicht.
Dr. Sabourin trat leise ein und überprüfte die Monitore. Auf Caines fragenden Blick hin schüttelte sie sorgenvoll den Kopf. Keine Veränderung.

Caine spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Das durfte einfach nicht sein, dass ein lebhafter junger Mann wie Peter einfach so aus dem Leben gerissen wurde! Das durfte nicht sein, dass er seinen Sohn ein zweites Mal verlor! Die Gefühle schlugen über ihm zusammen und er konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie ihn mit sich fort rissen.

*Peter, halte durch! Gib nicht auf! *

Die Ärztin verließ das Zimmer und Caine spürte seinen Puls rasen und glaubte, keine Luft zu bekommen. Alles drehte sich plötzlich um ihn und er stützte den Kopf in die Hände, um wieder zu sich zu kommen.

Es war fast ganz hell, als sich die Tür erneut öffnete. Paul kam langsam herein, gefolgt von Kermit. Der Captain hatte dunkle Ringe unter den Augen, seine unrasierten Wangen waren eingefallen und sein Haar stand in alle Richtungen ab. Er trat zu Peter und ergriff dessen andere Hand.

"Irgendeine Veränderung?", fragte er müde.

Caine schüttelte den Kopf.

"Caine, es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe.", begann er, ohne den Shaolin anzusehen. "Können… können Sie denn etwas für ihn tun? Detective Griffin machte einige Andeutungen…"

Caine nickte wiederum und erklärte Paul das Ritual. Zögernd erklärte sich der Captain einverstanden.

"Es ist auf jeden Fall besser, als einfach tatenlos zuzusehen, wie wir ihn verlieren." meinte er. "Also los."

******

Caine wanderte weiter durch den Frühlingswald. Nach einer Weile wichen die Bäume zurück und gaben den Blick auf eine Obstwiese frei. Die wilden Apfel- und Pflaumenbäume standen in voller Blüte und als Caine unter einem dieser Blütenmeere hindurch ging, summte es darin geschäftig. Die von Blumen übersäte Wiese fiel sanft zum See ab und die offene Landschaft gewährte einen weiten Rundblick. Überall in den Bäumen sangen Vögel; ab und zu flog einer auf und stieg jubilierend in den blauen Himmel hinauf.

Caine blieb stehen und atmete tief durch. Der zarte Blütenduft, der in der Luft hing, stieg ihm angenehm in die Nase. Er schloss die Augen und reckte sein Gesicht dankbar der Sonne entgegen. Als er die Augen wieder öffnete, fiel ihm eine Gestalt ins Auge, die unter einem Apfelbaum am Ufer saß und den Blick über das Wasser schweifen ließ.

Munter und lebendig saß er dort mitten in der erwachenden, aufblühenden Natur, entspannt an den Stamm des Baumes gelehnt. Sein Haar bewegte sich sacht im Wind und einige Blütenblätter hatten sich darin verfangen. Er wirkte nachdenklich, aber nicht unglücklich, wie er dort saß, an seinem besonderen Ort. Er war eins mit sich selbst und der Natur, die ihn umgab.

Liebe und Dankbarkeit erfüllten Caine bei diesem Anblick. *Peter, mein Sohn, nichts kann mich glücklicher machen, als dich gesund und froh zu sehen!*

Caine trat neben seinen Sohn und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. "Bin ich… willkommen?"

Peter wandte den Kopf zu ihm und ein kleines Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Paps! Schön, dass du da bist! Setz dich doch!"

Caine ließ sich neben ihm im Gras nieder. Eine Weile saßen Vater und Sohn schweigend nebeneinander und betrachteten die erwachende Natur. Dann atmete Caine tief ein und fragte: "Riechst du den Frühling, mein Sohn?"

Peter lächelte und ließ den Blick über die Wiese schweifen. "Es ist wunderschön hier. So voller Leben."

"Ja, das ist es." erwiderte Caine und betrachtete seinen Sohn zärtlich. "Das Leben ist das größte Geschenk, das uns gegeben wurde."

Peter sah seinen Vater an. "Du hast mir immer noch nicht erzählt, was damals im Krankenhaus passiert ist. Ich weiß nur, dass ich an dieser verdammten Hirnhautentzündung fast gestorben wäre. Dr. Sabourin sagte mir, dass ich es dir und Paul zu verdanken hätte, dass ich noch lebe."

"Und Kermit.", vervollständigte Caine. "Drei Menschen, die dir sehr nahe stehen, haben ihr Chi vereinigt und dir damit die Kraft gegeben, die Krankheit zu besiegen."

"Aber weder Paul noch Kermit haben Erfahrung in diesen Dingen!", erwiderte Peter verwundert.

"Beide haben ein starkes Chi und zudem half ihnen die Kraft der Liebe. Und die Liebe, mein Sohn, ist die größte Macht auf Erden."

"Wie die drei Musketiere…", murmelte Peter und konnte sich bei der Vorstellung, wie die drei vor seinem Bett standen und sich an den Händen hielten, ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

"Wie… wer?", fragte Caine.

"Ach, vergiss es." Er wurde wieder ernst. "Ihr habt mit also von eurer Lebenskraft abgegeben?"

Caine nickte. Doch ehe er weiter sprechen konnte, ertönte eine Stimme vom Waldrand.

"Peter? Bist du da?"

Peter stand auf und winkte. "Hier sind wir, Paul!"

Sein Pflegevater kam über die Wiese gelaufen und lächelte ihm zu. "Ich dachte mir, dass ich dich hier finde! Immer, wenn wir früher auf der Hütte waren, bist du zum See gelaufen und hast dich unter diesen Baum gesetzt. Jeden Tag."

Er begrüßte auch Caine. "Annie und ich wollten mal nach dir sehen, Junge.", fuhr er an Peter gewandt fort. "Wie geht es dir?"

"Die Ruhe hier tut mir sehr gut.", antwortete Peter. "Danke, dass Paps und ich die Hütte für ein paar Tage haben können."

"Du weißt, dass dir hier immer alle Türen offen stehen, Sohn.", meinte Paul. "Jetzt kommt, Annie zaubert gerade ein köstliches Frühstück!"

Zu dritt wanderten sie zurück zur Hütte. Peter ging zwischen Paul und Caine und fühlte große Dankbarkeit. Nicht viele Menschen hatten wie er das Glück, zwei Väter zu haben, die ihn liebten.

Ende

 

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