Autor: TempleGirl

 

Der junge Mönch kam völlig aufgelöst über den Hof auf Caine zugelaufen.

"Meister Caine, Meister Caine, komm schnell! Peter...mit ihm stimmt etwas nicht! Er hat mit den anderen Kindern gespielt, aber dann kam er und klagte, dass er sich nicht wohl fühle und Bauchschmerzen habe. Er wollte sich hinlegen, mitten am Tag."

Caines Augen weiteten sich. Voller Angst folgte er dem Novizen in Peters Kammer.

Der Vierjährige, der dort auf seinem Lager schlief, wand sich stöhnend und war schweißgebadet. Caine kniete bei ihm nieder und fühlte seine Stirn. Sie glühte vor Hitze.

"Er hat hohes Fieber. Hole mir Tücher und kaltes Wasser.", ordnete er an.

Der junge Mönch verschwand eilends und brachte das Gewünschte. Caine schlug Peters Decke zurück und machte dem Jungen mit fachkundigen Handgriffen Wadenwickel, um das Fieber zu senken. Peters Lider flackerten und er warf den Kopf hin und her. Caine tauchte ein weiteres Tuch in den Wassereimer und kühlte seinem Sohn die glühende Stirn. Dann schlug er Peters schweißnasses Hemd zurück und tastete seinen Bauch ab. Das Kind stöhnte im Schlaf auf. Caine deckte Peter wieder sorgfältig zu.

"Was hat er heute gegessen?", fragte er den jungen Mönch, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat.

"Zum Frühstück Haferbrei und mittags Eintopf und Brot, wie wir alle.", zählte der Novize auf.

Caine schüttelte den Kopf. "Er muss noch etwas anderes gegessen haben. Das sieht mir sehr nach einer Vergiftung aus."

In diesem Moment schlug Peter die Augen auf und begann zu würgen. Caine reagierte schnell und hielt ihm den Wassereimer unter, in den der Junge sich heftig erbrach. Dann sank er zurück auf sein Lager und schlief wieder ein. Caine strich ihm zärtlich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Dann nahm er Peters Erbrochenes in Augenschein. Dabei entdeckte er einige dunkle Beeren, und ihm kam ein schrecklicher Verdacht.

"Du bleibst bei ihm!" befahl er dem zitternden Mönch. "Ich bin wieder da, so schnell es geht."

Im Hinausgehen sah er den Novizen mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck neben Peters Lager nieder knien.

Caine eilte in den kleinen Tempelgarten. Dort spielten einige Jungen Verstecken. Die jüngsten waren etwa in Peters Alter, die älteren neun oder zehn Jahre alt. Caine rief sie zu sich.

"Habt ihr irgendwelche Beeren gegessen?", fragte er sie streng.

Die Jungen schüttelten den Kopf. Nur Cho San sah verlegen zu Boden.

"Sieh mich an, Cho San. Du weißt etwas.", forderte Caine ihn auf.

Der Neunjährige kniff die Lippen zusammen.

"Peter ist sehr krank. Ich kann ihm nur helfen, wenn ich weiß, was er gegessen hat.", mahnte Caine.

Cho San hob plötzlich den Kopf und starrte Caine entsetzt an. "Peter ist krank? Das... das wollte ich doch nicht!" Er sah aus, als finge er im nächsten Moment an zu weinen.

"Nun sag schon!", flüsterte einer der anderen Jungen und stieß Cho San mit dem Ellenbogen in die Rippen.

"Peter… Peter hat Beeren von dem seltsamen Strauch da hinten gegessen.", begann Cho San zögernd.

"Zeig mir den Strauch!", verlangte Caine.

Cho San führte Caine zu einer versteckten Ecke, wo die Mauer des Gartens an den Tempel stieß. Dort ragten einige Zweige eines Strauchs über die Mauer, an denen dicke, schwarzblaue Beeren hingen.

"Das sind Tollkirschen!", sagte Caine. "Warum hat Peter davon gegessen?"

"Es war eine Art Mutprobe.", erklärte Cho San. "Wir haben ihn aufgezogen und gesagt, er würde sich nicht trauen, davon zu probieren. Wir wussten nicht, dass sie so giftig sind!"

"Ihr geht jetzt alle hinein.", befahl Caine den verstörten Jungen. "Eure Mutprobe hat Peter in Lebensgefahr gebracht." fügte er leise hinzu, drehte sich um und eilte zu Ping Hai.

Der heilkundige Ping Hai hatte rasch ein Gegenmittel gegen das Tollkirschengift zubereitet und Caine beeilte sich, damit zu Peter zurück zu kehren. Der junge Mönch berichtete, dass Peter sich noch zweimal übergeben hätte und seine Bauchschmerzen stärker geworden seien. Caine setzte seinem Sohn Ping Hais Kräutersud an die Lippen.
Peter hustete und schluckte, und als er wieder zu würgen beginnen wollte, strich ihm Caine beruhigend über den Magen. Peter entspannte sich in seinen Armen. Dann schmiegte er sich an seinen Vater.

"Daddy, muss ich sterben?", fragte er schwach mit dünner Stimme. Caine strich ihm über das Haar. "Nein, mein Sohn." >Ich hoffe nur, ich bin noch nicht zu spät gekommen.<

Peter fiel wieder in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf. Im Traum rief er nach seiner Mutter, an die er sich gar nicht mehr erinnern konnte. Caine zog es das Herz zusammen.

Den ganzen Abend saß Caine an Peters Bett. Als sich die Dunkelheit über den Tempel senkte, glühte Peters Stirn noch immer vor Hitze, seine Wangen waren vom Fieber gerötet und seine Nase war bleich. Unruhig warf er sich hin und her. "Mom! Mommy, hilf mir!" stöhnte er im Schlaf. Er begann, mit den Armen um sich zu schlagen und den Kopf wie in Panik hin und her zu werfen. "Nein, nein! Lasst mich! Nein, bitte nicht! Mommy, Daddy!"

Caine legte ihm eine Hand auf die Stirn. Der Junge wurde ein wenig ruhiger und wimmerte nur noch: "Daddy, wo bist du? Lass mich nicht allein, Daddy! Bitte!" Es klang so verzweifelt, dass es Caine ins Herz schnitt.

"Schsch, ist gut, ist ja gut, Peter. Ich bin bei dir, mein Sohn.", flüsterte er beruhigend und nahm Peters kleine, heiße Hand in die seine.

Peter zuckte noch ein paar Mal und stöhnte, dann schlug er die Augen auf. Verwirrt blickte er um sich, seine braunen Augen glänzten fiebrig. "Daddy, du darfst nicht weggehen!", flehte er, noch in seinem Alptraum gefangen.

"Ich gehe nicht fort. Ich bleibe hier bei dir, bis du wieder gesund bist.", beruhigte ihn Caine. Sein Kind sprach im Fieber und es war sicher das Beste, seine Ängste ernst zu nehmen. "Du hast schlecht geträumt. Schlaf jetzt weiter."

Peter sah ihn ängstlich an. "Und du lässt mich ganz bestimmt nicht allein?"

Caine schüttelte den Kopf und lächelte. "Nein, ich bin hier, während du schläfst und ich bin auch hier, wenn du wieder aufwachst.", beruhigte er den Jungen und strich ihm eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.

Auf Peters Gesicht erschien ein schwaches Lächeln, dann fielen ihm erneut die Augen zu.

**********

Caine saß im Kerzenschein an Peters Bett und hielt seine Hand. Immer wieder stöhnte und wimmerte Peter im Schlaf. Caine konnte den Anblick seines kleinen, sich so quälenden Sohnes kaum ertragen. *Ich wünschte, ich könnte mit dir tauschen und dir diese Qualen abnehmen, mein Sohn.*

Es war still im Tempel, alle anderen schliefen schon lange. Nur wenige Kerzen tauchten die Kammer in ein schwaches, flackerndes Licht. Peter hatte seine Laken und sein Hemd durch geschwitzt. Caine holte einen frischen Eimer mit Wasser und begann, Peter vorsichtig zu waschen. Die sanften, streichenden Berührungen halfen dem Kind, sich zu entspannen. Caine spürte, wie Peter unter seinen Händen ruhiger wurde. Schließlich zog er ihm ein frisches Hemd über und deckte ihn mit einem trockenen Laken zu.

Caine gähnte. Es musste schon weit nach Mitternacht sein. Peter schien es besser zu gehen, sein Schlaf war deutlich ruhiger, er stöhnte auch nicht mehr. Caine setzte sich mit dem Rücken zur Wand auf Peters Lager und nahm dessen Kopf in seinen Schoß. Sanft strich er ihm über das Haar und merkte, wie auch er selbst sich allmählich entspannte.

Er merkte erst, dass er eingeschlafen war, als er im ersten Sonnenlicht des Morgens aufschreckte. Peter lag reglos auf seinem Lager, den Kopf noch immer in Caines Schoß. Noch nicht ganz wach durchfuhr Caine ein eisiger Schreck.

*Er ist tot!*

Doch dann bemerkte er, dass Peter ruhig atmete und er seufzte erleichtert auf. Peters Stirn war kühl und trocken. Kurze Zeit später begann der kleine Junge sich zu rühren und schlug die Augen auf. Er blickte etwas verwirrt um sich, dann setzte er sich auf. Er sah Caine an und lächelte noch etwas schwach, aber fröhlich.

"Guten Morgen, Daddy. Hast du etwa in meinem Bett geschlafen?"

"Gott sei Dank.", flüsterte Caine erleichtert. Er nahm Peter sanft in den Arm. "Ja, ich war die ganze Nacht bei dir, mein Sohn. Geht es dir jetzt wieder besser?"

Peter nickte und schmiegte sich vertrauensvoll an Caine. "Ich glaube, ich möchte ein bißchen Haferbrei zum Frühstück.", plapperte er.

Caine strich ihm lächelnd durch das dichte, dunkle Haar. "Du bekommst so viel Haferbrei, wie du möchtest, mein Sohn!"

Ende

 

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