"Adieu, Peter. Danke für alles." Eine letzte Umarmung, ein Kuss, dann fiel die Tür hinter Jordy ins Schloss. Aus, vorbei, unwiederbringlich vorüber. Lange stand Peter auf dem selben Fleck und starrte nachdenklich vor sich hin, während er versuchte, all seine widerstreitenden Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er war traurig und fühlte sich unendlich einsam, außerdem nagten Schuldgefühle an ihm, weil er das Scheitern ihrer Beziehung größtenteils auf sein neues Leben als Shaolinpriester in Chinatown zurückführte. Er hatte seine Bestimmung gefunden, damit aber gleichzeitig Jordy gewissermaßen verjagt. Würde das immer so weitergehen? Würde er jemals die Frau fürs Leben finden oder musste er sich damit begnügen, als Shaolin für andere da zu sein, und den Gedanken an ein eigenes Glück hintenanstellen? Gleichzeitig empfand er eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass es Jordy und ihm gelungen war, sich den Respekt voreinander zu bewahren und sich in Freundschaft und gegenseitiger Hochachtung zu trennen. Er lächelte wehmütig, während er in den Trainingsraum ging, mit einer Handbewegung die Kerzen entzündete und sich auf dem Boden niederließ, um über das Geschehene zu meditieren und seinen Empfindungen nachzuspüren. *So ist das also, wenn eine Beziehung nicht mit Streit und Verletzungen endet. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich, ich habe das bisher völlig anders erlebt. Wie haben Tyler und ich uns gezofft! Unser ganzes Verhältnis war wie eine ewige Achterbahnfahrt - Streit, Auseinandergehen, Versöhnung, fast sofort gefolgt von erneutem Streit. Meist ging es um meine Arbeit: um die Gefahren, die sie mit sich brachte, meinen Leichtsinn, mit dem ich mich immer wieder in brenzlige Situationen stürzte, die schier unzähligen Verabredungen, die ich wegen eines plötzlich anberaumten Sondereinsatzes in letzter Minute absagen musste. Im Nachhinein kann ich gut verstehen, dass Tyler es irgendwann einfach leid war, sich niemals auf mich verlassen zu können. Aber das habe ich damals einfach nicht gesehen; ich fühlte mich ungerecht behandelt und war eingeschnappt, wenn ich von einem Sondereinsatz total erschöpft zurückkam, einfach nur meine Ruhe haben wollte und statt dessen mit Vorwürfen empfangen wurde, so als hätte ich Tyler absichtlich versetzt. Oh Mann, was war ich manchmal für ein unsensibler Klotz! Auch unsere Trennung war ein Musterbeispiel für unsensibles Verhalten. Ich weiß gar nicht mehr, weshalb wir angefangen hatten zu streiten und warum es so fürchterlich eskalierte. Heute kommt mir das Ganze vor wie eine Szene aus einem schlechten Film – kaum zu glauben dass zwei vernünftige Leute sich so aufführen können! Sogar eine Vase musste dran glauben, die Tyler in ihrem blinden Zorn nach mir warf. Daraufhin bin ich regelrecht explodiert und wutschnaubend und türenknallend aus ihrer Wohnung gestürmt. Danach war ich erst einmal 'bedient' und ließ keine Frau mehr an mich heran. Mehr als einen One-Night-Stand wollte ich nicht mehr, da brauchte ich wenigstens keine ernsthaften Gefühle zu investieren. Das änderte sich erst, als ich mich in Kelly verliebte. Doch auch mit ihr hatte ich ständig Streit. Dabei ging es zwar nicht um unseren Beruf, sie kennt die Polizeiarbeit ja aus eigener Erfahrung. Wir kamen auch ganz gut mit der Angst umeinander klar. Aber mir waren ihre ’Besitzansprüche‘, wie ich es damals nannte, einfach zuviel. Ich denke, ich war einfach noch nicht reif für eine langfristige Bindung, und deshalb empfand ich Kellys Bedürfnis nach Sicherheit als Versuch, mich zu kontrollieren. Klar, dass ich mir das nicht gefallen ließ! Und weil ich wusste, dass sie sehr eifersüchtig war, trieb ich sie manchmal absichtlich auf die Palme und fing einen Flirt mit einer anderen Frau an. Gedankenloser geht‘s wohl kaum - eigentlich ist es ein Wunder, dass Kelly es so lange mit mir ausgehalten hat. Wenn ich mir nur vorstelle, wie oft ich mich über ihre Eifersucht geärgert habe, aber nicht in der Lage war, mit ihr vernünftig über meine Unzufriedenheit zu sprechen. Statt dessen provozierte ich sie so lange, bis auch sie unglücklich war. Sie hatte völlig Recht, wenn sie mir unreifes Verhalten vorwarf und meinte, ich müsse erst noch erwachsen werden. Es ist schon seltsam – ich war stets der Meinung, Kellys Eifersucht sei ganz allein ihr Problem, aber so im Nachhinein glaube ich eher, dass ich diese Eifersucht erst durch mein kindisches Benehmen ausgelöst habe. Bei Frank ist sie überhaupt nicht eifersüchtig, der ist viel zuverlässiger als ich damals war.* Ein plötzliches Niesen riss Peter aus seiner leichten Meditation. Er war aber in Gedanken immer noch bei Kelly und Frank, ungefragt tauchten Bilder von ihrer Hochzeitsfeier vor Peters innerem Auge auf. Die beiden hatten zwei Monate zuvor in engstem Familienkreis geheiratet und nach den Flitterwochen einen Empfang für alle Freunde und Bekannten gegeben. Auch Jordy und Peter waren eingeladen gewesen. Es war ein rundum gelungener Abend geworden. Die frischgebackene Mrs. Strenlich hatte mit den Kerzen um die Wette gestrahlt, der sonst so brummige Chief of Detectives war richtiggehend aufgetaut und alle Gäste hatten sich aufrichtig mit den beiden gefreut. In einer ruhigen Minute hatten Kelly und Peter Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit ausgetauscht; Peter hatte ihr von Herzen Glück gewünscht für den gemeinsamen Lebensweg mit Frank und hatte sich für sein früheres taktloses Verhalten ihr gegenüber entschuldigt. Kelly hatte nachdenklich erwidert: "Ja, deine Haltung war manchmal eine ganz schöne Zumutung. Aber so ganz unschuldig war ich auch nicht daran, wir haben uns beide gegenseitig provoziert. Und ich rechne dir hoch an, dass du mich nie belogen hast – auch wenn ich dir das damals nicht glauben wollte. Ich erinnere mich noch gut an den Abend, als du mir eröffnet hast, du seist in eine andere Frau verliebt. Ich war zutiefst verletzt und habe deinen Beteuerungen nicht geglaubt, zwischen dir und Rebecca sei noch nichts gewesen, habe dich Lügner und Betrüger genannt." "Ja, es war schrecklich, wir haben einander ein paar wenig schmeichelhafte Dinge an den Kopf geworfen", hatte Peter zugestimmt und mit seinem typischen schiefen Grinsen hinzugefügt: "Einen Preis für sensible Gesprächsführung hätte keiner von uns gewonnen." Das hatte Kelly, wie beabsichtigt, zum Lachen gebracht, und weil die Band gerade ein neues Stück begann, hatte sie den widerstrebenden Peter auf die Tanzfläche gezogen, "um der alten Zeiten willen." Peter seufzte ein wenig, setzte sich bequemer hin und versenkte sich erneut in seine Meditation. *Es war wirklich eine wunderschöne Feier, und ich freue mich für Kelly, dass sie mit Frank so glücklich ist. Das gleiche hatte ich mir auch für Rebecca und mich gewünscht. Ich weiß noch genau, was ich mir für den Abend überlegt habe, an dem sie um ihre Hand bitten wollte. Aber alles ging schief, wir stritten uns ganz fürchterlich. Was ich auch sagte war verkehrt, ich hatte das Gefühl sie suchte richtig nach einem Grund, sich mit mir zu überwerfen. Und gleichzeitig wirkte sie so verängstigt, dass ich sie am liebsten einfach in den Arm genommen und ganz fest gehalten hätte. Hätte ich bloß geahnt, dass sie von ihrem Chef bedroht wurde und panische Angst hatte! Ich hätte doch mit allen Mitteln versucht, sie zu beschützen. Aber ich hatte ja keine Ahnung! Schon gar nicht davon, dass ich sie an diesem Abend zum letzten Mal überhaupt sehen würde. Bevor ich auch nur den Versuch machen konnte, mich mit ihr zu versöhnen oder zumindest herauszufinden, was an diesem Abend mit ihr los war, war sie tot und ich saß unter Mordverdacht in U-Haft. Von einem Tag zum anderen war alles anders geworden. Nicht einmal verabschieden konnte ich mich von ihr – als ich endlich meine Unschuld bewiesen hatte, war sie schon in ihre Heimatstadt überführt worden. Sogar die Beisetzung habe ich verpasst, das tat sehr weh. Ich habe lange versucht, die schrecklichen Ereignisse möglichst schnell zu vergessen. Während der Suche nach Rebeccas Mörder hatte ich ohnehin gar keine Trauer aufkommen lassen können, sonst wäre ich wohl zusammengebrochen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es auch danach so bleiben können, ich wollte mich nicht mit meinem Verlust und meiner Trauer auseinandersetzen. Und mit meinen Schuldgefühlen schon gleich gar nicht. Aber die bohrenden Fragen ließen sich nicht einfach beiseite schieben. Wieso hatte ich nicht bemerkt, dass sie bedroht wurde? Warum hatte ich sie nicht genügend beschützt? Schließlich war ich doch ein Cop, es war mein Beruf, so etwas mitzubekommen und entsprechend zu handeln. Wieso nur habe ich so kläglich versagt? Und das war erst der Anfang – je heftiger ich versuchte, meine Gefühle verdrängen, desto mehr rumorten sie in meinem Unterbewusstsein, bis sie sich schließlich ganz gewaltig Bahn brachen. Ich versuchte, mir vor den anderen nichts anmerken zu lassen, aber mir ging‘s hundeelend. Und Paps, der mir sonst immer automatisch wusste, wenn etwas mit mir nicht stimmte, war gerade zu dieser Zeit mit dem Ehrwürdigen unterwegs! Wenn Kelly nicht gewesen wäre... Dass gerade sie für mich da sein würde, wo ich sie doch Rebeccas wegen verlassen hatte, hätte ich nicht erwartet. Sie wäre die letzte gewesen, die ich um Hilfe gebeten hätte. Doch sie spürte, wie dreckig es mir ging, und half mir aus freien Stücken aus meinem Tief wieder heraus. Das werde ich ihr nie vergessen. Auch Jordy hat mir sehr geholfen, vor allem in den ersten Wochen nach Paps‘ Aufbruch nach Frankreich. Wie oft habe ich gezweifelt, ob ich das alles wirklich schaffen würde, ob ich das Vertrauen der Bürger in Chinatown gewinnen könnte, ob sie mich als den Shaolinpriester Peter Caine wahrnehmen oder immer nur als den ’Sohn des Kwai Chang‘ ansehen würden. Jordy hat sich geduldig immer und immer wieder meine Befürchtungen angehört, hat mich bestärkt darin, weiterzumachen. Aber was hat sie davon? Eine zerbrochene Partnerschaft. Je mehr ich in meine neuen Aufgaben hineinwuchs, desto weiter habe ich mich von Jordy entfernt. Ich bin menschlich gereift, aber den ’neuen‘ Peter kann sie nur noch als guten Freund akzeptieren, nicht mehr als Lebenspartner. Wie hat sie es ausgedrückt - ’du bist nicht mehr der unbekümmerte, hitzköpfige Shaolin-Cop, in den ich mich verliebt habe. Ich bewundere sehr, wie du dich weiterentwickelt hast, aber dein jetziges Leben ist mir ein wenig zu zahm; ich vermisse die Aufregung, die Action, die ich früher mit dir so genossen habe.‘ Das finde ich so ungerecht – ich habe meinen Weg gefunden, aber Jordy zahlt die Zeche dafür. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass sie vor kurzem das Angebot bekommen hat, für ein Jahr nach Washington zu gehen und eine Zusatzausbildung zu machen. Wie ich sie kenne, wird sie sich mit Feuereifer in diese Aufgabe stürzen. Ich hoffe, das hilft ihr, mit dem Scheitern unserer Beziehung leichter fertig zu werden. Ich wünsche es ihr von Herzen. Und wer weiß – vielleicht findet sie dort in Washington ihre Bestimmung, so wie ich die meine hier gefunden habe, bei meiner Arbeit für die Leute in Chinatown.* Ende
|
zurück zum Autoren Index zurück zum Story Index
|