Unsicher kratzte sich Heather Jansen an der Nase. Sollte sie nun ehrlich sein und eine schlechte Note riskieren? Oder doch lieber auf Nummer sicher gehen und den Standardkitsch nachplappern, den viele aus ihrer Klasse zu diesem Thema schon von sich gegeben hatten? "So ein Schwachsinn! Wieso soll ich aufschreiben, was ich am Valentinstag toll finde? Da bin ich schnell fertig: gar nichts!!!", brummelte sie unwillig vor sich hin. Doch 'gar nichts' würde nicht reichen, sie musste sich schon etwas mehr einfallen lassen. Nicht dass ihr das schwergefallen wäre – im allgemeinen verfasste sie Aufsätze recht gerne, und zum Thema Valentinstag konnte sie dieses Jahr genug erzählen. Allerdings lag das überhaupt nicht auf der Linie, die ihre Lehrerin, Miss Chandler, höchstwahrscheinlich von ihrer Klasse erwartete. Miss Chandler war ziemlich romantisch veranlagt. Heather vermutete, sie war genau der Typ, der zum 14. Februar Blumen, Komplimente und Schokoladenherzen von ihrer Familie erwartete, am Abend ein mehrgängiges Menü kochte (oder sich bekochen ließ) und den Tisch aufwendig mit Blütenblättern, rosa Konfetti oder ähnlichem Zeug dekorierte. Bestimmt ging sie nach dem Essen mit ihrem Liebsten nach draußen vor die Tür, wo beide dann mit Herzklopfen und Schmetterlingen im Bauch in den Himmel blickten und auf eine Sternschnuppe warteten, damit sie sich etwas wünschen konnten. Oder sich einfach nur küssten. Iiiiih, knutschen... Angewidert verzog Heather den Mund. Beim bloßen Gedanken daran drehte sich ihr der Magen um. Vor allem, wenn sie an die Jungs in ihrer Klasse dachte. Wie konnte nur irgendein halbwegs vernunftbegabtes weibliches Wesen auf sowas abfahren? Ihre Freundinnen fingen langsam an, sich für den einen oder anderen zu interessieren. Dabei waren die doch allesamt dümmer als die Polizei erlaubt! Und sie kamen sich auch noch obercool vor mit ihren blöden Sprüchen und ihrer Angeberei. Wie hatte das ihr Biologielehrer neulich genannt? Imponiergehabe. Dabei war es zwar um werbende Berggorillas gegangen, doch in Heathers Augen waren die Parallelen nicht zu übersehen zwischen dem Verhalten der Affenmännchen und den lächerlichen Versuchen ihrer Klassenkameraden, aus allem einen Wettstreit zu machen, in dem sie einander übertrumpfen konnten. Heather hatte Mühe gehabt, in der Stunde ernst zu bleiben. Doch das half ihr jetzt auch nicht weiter. Sie hatte immer noch kein Wort geschrieben, und morgen musste der verflixte Aufsatz fertig sein. Seufzend wandte sie sich wieder dem leeren Blatt vor sich zu und fing an zu schreiben. Zögerlich zuerst, doch dann kamen die Worte immer schneller. Nach einer knappen halben Stunde legte sie den Füller weg und las sich durch, was sie zu Papier gebracht hatte. Meine Mutter sagt, der Valentinstag ist eine reine Geschäftemacherei, erfunden von Blumenhändlern und der Süßwarenindustrie. Deshalb wünscht sie sich nichts von mir, weder zum Valentinstag noch zum Muttertag. Wenn ich mir überlege, wieviel Geld an diesen beiden Tagen für Blumen, Pralinen und vollkommen nutzlose Geschenke ausgegeben wird, muss ich ihr recht geben. Deshalb wird bei uns daheim der 14. Februar nicht groß gefeiert. Jedenfalls nicht so wie es in der Werbung gezeigt wird, mit teuren Geschenken und so. Meistens zeigen wir uns an diesem Tag trotzdem, dass wir einander lieb haben. Ich meine, das ist ja der eigentliche Sinn des Valentinstags, wenn man ihn denn überhaupt feiert. Aber statt Geschenke zu kaufen, nehmen wir uns an diesem Tag Zeit füreinander und machen viel gemeinsam. Wir kochen zusammen eines unserer Lieblingsgerichte, reden und spielen miteinander, und oft schauen wir am Abend einen Film im Fernsehen an oder gehen ins Kino. Das hängt natürlich auch davon ab, ob wir am nächsten Tag ausschlafen können oder nicht. Wenn am nächsten Tag Schule ist, müssen wir früh ins Bett und verschieben das Kino bis zum Wochenende. Oft schenke ich meiner Mutter eine Kleinigkeit. Dieses Jahr habe ich eine kleine Holzschachtel zum Aufheben von allem möglichen Krimskrams gekauft und sie anschließend mit Muscheln überzogen, die Mama und ich letztes Jahr während der Sommerferien zusammen gesammelt haben. Wie eine Schatzkiste sieht die Schachtel jetzt aus. Mama hat sich sehr gefreut und bewahrt einen Teil ihres Schmucks darin auf, nämlich die wenigen Sachen, die sie von ihrer Mutter geerbt hat. Das stimmte nicht ganz – eines der Erbstücke, einen goldenen Armreif, hatte Danielle Jansen nicht in die Schatzkiste gelegt, sondern im Tresor deponiert. Grund dafür waren die Aufregungen, die das unauffällige Schmuckstück erst wenige Wochen zuvor verursacht hatte. Um an den Armreif und den darin versteckten Schlüssel zu kommen, hatte ein Gangster mehrmals bei ihnen einbrechen lassen. Heather war am hellichten Tag vor ihrer Schule entführt worden. Erst im allerletzten Moment hatte sie ein entfernter Bekannter ihrer Mutter, Detective Peter Caine vom 101. Revier, aus dem Auto der Verbrecher befreien können. In den ersten Nächten danach hatte Heather immer wieder von dem Moment geträumt, als der Wagen auf sie zugefahren kam und sie selbst entsetzt und wie versteinert dastand, unfähig sich zu rühren. Wenn Peter nicht gewesen wäre, der sie zur Seite geschubst hatte und dafür selbst vom Fahrzeug erfasst worden war, hätten die Gangster sie glatt überfahren. So hatten sie sich Heather geschnappt und ins Auto gezerrt. Doch glücklicherweise war Peter nichts geschehen, er konnte sich gerade noch rechtzeitig aufrappeln und Heather befreien, bevor ihre Möchtegern-Entführer sich mit ihr aus dem Staub machten. Letzten Endes hatte sie, außer einem gehörigen Schreck und den, inzwischen immer seltener auftretenden, Alpträumen keinen bleibenden Schaden davongetragen. So konnte Heather sich im Nachhinein sogar über die positiven Seiten ihres Abenteuers freuen. Denn ohne diese Verbrecher – die alle gut bewacht hinter Gittern saßen und ihr nichts mehr antun konnten – hätte sie weder Peter noch seinen besten Freund Kermit Griffin je kennengelernt. Kermit. Wie der Frosch aus der Muppet-Show. Ein ziemlich seltsamer Name für einen Polizisten. Aber Kermit war ja auch kein gewöhnlicher Polizist, sondern ein supercooler Computerfreak mit grüner Sonnenbrille, die er niemals absetzte, mit giftgrünem Auto, geheimnisumwitterter Vergangenheit, fiesem Grinsen und einem ziemlich schrägen Humor. Peter hatte Heather damals, nach dem vereitelten Entführungsversuch, zu Kermit gebracht, weil er jemand brauchte, der Heather beschützte, bis er sie am Abend zu ihrer Mutter bringen konnte. Heather war immer noch völlig durcheinander und hatte Angst – und da reichte Peter sie einfach an seinen Kollegen weiter, weil er noch etwas anderes zu erledigen hatte! Sie kam sich abgeschoben vor. Kermit seinerseits hatte sich mehr als unwillig gezeigt, den Babysitter zu spielen. Logischerweise waren beide erst einmal aneinander geraten, hatten jedoch schnell Frieden geschlossen. Als sie ihre gemeinsame Vorliebe für Computerspiele entdeckten, war der Nachmittag gerettet, und seitdem waren sie dicke Freunde. Seit Heather sich vor gut zwei Wochen das Bein gebrochen hatte, kamen Peter und Kermit regelmäßig zu Besuch. Peter war inzwischen ein sehr guter Freund ihrer Mutter Danielle und für Heather fast so etwas wie ein großer Bruder. Sie mochte ihn sehr und fand es ungeheuer mutig von ihm, dass er seinen Job bei der Polizei aufgegeben hatte und nun bei ihrem Großvater Lo Si in die Shaolinlehre ging, wie Peter es nannte. Auch war sie ihm sehr dankbar, dass er gleich nach ihrem Unfall für Danielle eingesprungen war und sie seitdem in ihrem KungFu-Studio als Lehrer vertrat, so dass sie sich um Heather kümmern konnte. (Als angehender Teenager würde sie so etwas natürlich nie zugeben, doch insgeheim genoss sie es sehr, dass ihre Mutter sich so viel Zeit nahm für sie und sie so umsorgte.) Doch Heathers wahrer Held war ganz eindeutig Kermit. Mit ihm konnte sie menschenfressende Untote bekämpfen, Raumschiffe steuern und das Universum vor vierköpfigen, heimtückischen Aliens retten. Oder ganz einfach über die neuesten Computerspiele fachsimpeln. Er hatte ihr eine ganze Froschfamilie auf den Gips gemalt, jeden mit einer anderen 'Ausstattung': mit Sonnenbrille, Laptop oder Monsterpistole. Einer saß auf der Motorhaube eines grünen Autos, das dem echten Kermitmobil verdächtig ähnelte; ein anderer wiederum saß auf einem Seerosenblatt und verspeiste – nein, keine Fliegen, sondern Lakritzschnecken und grüne Gummibärchen. Dieses Kunstwerk würde sie sich in jedem Fall aufheben! Lächelnd las Heather weiter: Dieses Jahr wollten wir nicht ins Kino gehen – mit meinem Gipsbein ist das ziemlich unbequem und macht keinen Spaß. Statt dessen hat Mama zwei Freunde zum Essen eingeladen. Peter gibt KungFu-Unterricht im Studio meiner Mutter, aber eigentlich ist er Shaolinpriester in Chinatown. Nur entspricht er nicht den gängigen Klischeevorstellungen, die viele Leute von den Shaolin haben. Alle, die ich kenne, können mit dem Begriff entweder gar nichts anfangen oder sie denken sofort an einen uralten, weisen Chinesen mit langem Bart, so wie mein Großvater einer ist. Der ist übrigens auch Shaolinpriester. Aber Peter ist noch ziemlich jung (für einen Erwachsenen jedenfalls) und hat keinen Bart. Er sieht auch nicht chinesisch aus, denn seine Mutter war Amerikanerin. Er hat Humor, liebt Hamburger und hasst Reis. Soviel zu Klischees... Kermit ist Polizist auf dem 101. Revier (das ist auch in Chinatown) und der coolste Typ, den ich kenne. Alle Gangster haben Angst vor ihm, und man kann ihm nicht so leicht ein X für ein U vormachen. Er fährt ein knallgrünes Auto – er meint, sein Vorname verpflichtet ihn geradezu dazu. Wir hatten sehr viel Spaß zusammen. Mama und ich haben am Nachmittag einen Auflauf vorbereitet, Peter hat Salat mitgebracht und Kermit eine Nachspeise (Mousse au chocolat, lecker!). Und natürlich Gummibärchen für später. Kermit liebt Gummibärchen. Vorzugsweise die grünen. Nach dem Essen haben wir Karten gespielt und von den Gummibärchen genascht. Wir haben sehr viel gelacht und uns prächtig amüsiert. Weil Wochenende war, durfte ich ganz lange aufbleiben, fast bis Mitternacht. Ich glaube, an diesen Valentinstag werde ich noch lange denken. Ja, das war ok. Der Aufsatz konnte so bleiben. Mochte Miss Chandler ihr auch eine schlechte Note verpassen, weil sie – streng genommen – die Aufgabenstellung vollkommen ignoriert hatte. Aber es war immer noch besser, für ihre ehrliche Meinung eine schlechte Note zu bekommen als sich zu verbiegen, um eine gute Note herauszuschinden. Zufrieden mit sich, schloss Heather das Heft, räumte ihre Schultasche ein und vertiefte sich in die Computerzeitschrift, die Kermit ihr geliehen hatte. Sie wollte unbedingt die neuesten Spiele-Kritiken mit ihm besprechen, wenn er nach Feierabend vorbeikam... Ende
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