Entsetzt starrte Peter die behandelnde Ärztin an. "Sind Sie sicher, dass das wirklich nötig ist?", fragte er mit matter Stimme. Sie nickte. "Ja, Mr. Caine. - Schwester Melanie, bitte bereiten Sie alles vor." Dr. Miller schien zu bemerken, dass diese Worte in ihrem Patienten Panik auslösten, denn sie tätschelte ihm beruhigend die Hand, schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln (das aber völlig seine Wirkung verfehlte, Peter kam es eher vor wie das sadistische Grinsen eines Folterknechts) und sagte: "Entspannen Sie sich einfach, Mr. Caine, dann wird es halb so schlimm, Sie werden sehen." *Die hat gut reden! Die liegt ja auch nicht hier und muss sich martern lassen*, dachte Peter grollend. Das konnte aber auch wieder nur ihm passieren – endlich hatte er mal ein Wochenende frei, und er hatte sich so darauf gefreut, seinen Vater zu überraschen und etwas mit ihm zu unternehmen. Statt dessen verbrachte er den ersten Tag gleich hier in der Notfallpraxis des Ärztezentrums. Das typische Peter-Caine-"Glück"! Er wünschte sich weit, weit weg. Während er sein Gehirn verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit durchforstete, gab ihm die Ärztin plötzlich in jede Hand eine kleine rosafarbene, glatt geschliffene Kugel. Auf seinen fragenden Blick hin erklärte sie: "Das ist Rosenquarz und wird Ihnen helfen, sich zu entspannen. Bei so sensiblen Patienten wie Sie einer sind wirkt das geradezu Wunder. Denken Sie jetzt einfach ganz intensiv an etwas Schönes, zum Beispiel Ihren letzten Urlaub, und stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt wieder dort." Peters Verwirrung und Zweifel standen ihm wohl deutlich im Gesicht geschrieben, denn Dr. Miller bekräftigte noch einmal: "Wir haben die Steine erst seit kurzem, haben aber schon sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Lassen Sie sich darauf ein, und ich verspreche Ihnen, die Behandlung wird viel angenehmer und schneller verlaufen als Sie sich jetzt vorstellen. Halten Sie die Steine fest in der Hand, konzentrieren Sie sich auf einen angenehmen Gedanken, und Ihre Anspannung wird verschwinden." In Gedanken fügte sie noch hinzu, *und wir können endlich in Ruhe arbeiten.* *Das klingt fast so wie die kryptischen Sprüche, die Paps immer von sich gibt, à la ’kämpf nicht gegen den Schmerz, nimm ihn an und lass ihn los‘. Oder dieser Steadman neulich. Wie war das noch - ’der Trick ist, sich nichts draus zu machen‘. Leicht dahingesagt, wenn man im Pub sitzt und Sekt schlürft. Aber andererseits – wenn die mich hier sowieso in die Mangel nehmen, kann ich‘s ja mal probieren. Mal sehen, ob die Mediationsübungen, die Paps seit kurzem mit mir macht, hier was bringen. Und wenn nicht, lenkt es mich vielleicht etwas ab." Resigniert gab Peter sein Einverständis für die Behandlung und schloss die Augen. Er versuchte, jeden Gedanken an seine aktuelle Situation und seine Angst wegzuschieben und statt dessen seinen Geist auf seinen geheimen Ort zu lenken, einen kleinen See außerhalb Sloanvilles. Wider Erwarten gelang ihm das fast auf Anhieb; er kam an den See, setzte sich in der Spätnachmittagssonne ans Ufer und beobachtete die Wasservögel. Eine Entenfamilie mit frisch geschlüpften Küken schwamm ganz in seiner Nähe vorbei; die Jungen waren manchmal noch etwas ungelenk, aber sie lernten schnell. Die Entenmutter machte den Kindern vor, wie sie nach Beute tauchen konnten. Alle machten es mehr oder weniger geschickt nach. Peter lächelte in sich hinein, er genoss die friedliche Atmosphäre hier an seinem Lieblingsplatz. Plötzlich brach eine Stimme in die Idylle ein: "So, Mr. Caine, jetzt haben Sie‘s überstanden. Das Loch ist gefüllt. Sie können jetzt ausspülen. Bitte denken Sie daran, dass Sie in der nächsten Stunde nichts essen und trinken dürfen. Sollten Sie wider Erwarten noch einmal Schmerzen bekommen, dann kommen Sie einfach vorbei. Ich habe das ganze Wochenende Dienst." Peter kam abrupt wieder im Hier und Heute an, auf dem Stuhl in Dr. Millers Zahnarztpraxis. Er stellte erleichtert fest, dass alles schon vorbei war, und erhob sich. Als er den Behandlungsraum verließ, hätte er schwören können, Schwester Melanie vor sich hinmurmeln zu hören: "Also das ist vielleicht ein komischer Kauz. Zuerst macht er ein Riesen-Trara wegen so einem bisschen Bohren, und dann schläft er uns auf dem Stuhl fast ein. Eigentlich schade, dass er so ein wehleidiger kleiner Feigling ist, er wäre genau mein Typ." Ende
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