Teil 2
Autor: Ratzenlady
 

Es war heilig Abend. Kermit saß in seinem Drehstuhl und schaute über die Versammelten Kollegen. Mittlerweile waren alle da, jeder hielt ein kleines Geschenk in der Hand. Sie hatten gewichtelt und der Ex-Söldner hatte es tunlichst vermieden, seinen Spott darüber kund zu tun.

Sogar Alex Woods hielt ein Päckchen, und Kermit hoffte inständig, dass es nicht für ihn war. Die Situation auf dem Revier hatte sich noch nicht verbessert. Die Verbrechen wurden nicht weniger und sie hatten alle Hände voll zu tun.

Und dann war da der neue Kollege, der von Polizeiarbeit keine Ahnung hatte, sondern viel lieber sich selbst reden hörte und dem Team tierisch den Nerv raubte. Sobald Kermit ihn sah, verdrehte er die Augen, seine Freunde taten es in der Regel gleich.

Skalany nahm eine kleine Glocke in die Hand und läutete. Das war für alle das Zeichen, dem aus dem Lostopf gezogenen sein Geschenk zu überreiche. Unruhig beobachtete Kermit Alex Woods, der in seine Richtung kam, dann aber vor Karen Simms stehen blieb. Ein glücklicher Seufzer entwich seine Kehle.

Kermit ging auf Jody zu, um ihr sein Geschenk zu geben. Lächelnd packte sie es aus und strahlte, als sie es sah. Dann konnte Kermit eine kleine Träne entdecken, aber trotzdem lächelte sie immer noch und umarmte den zurückhaltenden Mann überraschend.

Anschließend stelle sie das gerahmte Foto, das sie alle zeigte, sorgfältig auf ihren Schreibtisch. Es waren alle drauf, außer Captain Simms. Das Bild stammte aus Blaisdells Zeiten, aber Kermit war sich sicher, dass Karen da kein Problem mit sah. Liebevoll strich Jody noch einmal über Peters Gesicht, der charmant in die Kamera lächelte.

Kermits Blick huschte zu Karen. So wie sie dort stand, aufrecht und autoritär, so viel Kraft und Stärke ausstrahlend, bewunderte er sie einfach. Und er fühlte etwas in seinem Inneren, das er seit vielen Jahren nicht mehr gefühlt hatte.

Unauffällig lächelte er ihr zu, sie bemerkte es und strahlte zurück, ehe sie sich wieder an das Auspacken des Geschenkes von dem neuen Kollegen machte. Augenblicklich verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht und Kermit war in zwei Schritten bei ihr, um festzustellen, was passiert war.

Fassungslos nahm der Captain einen Kugelschreiber vom Schreibtisch vor ihr und hob damit einen String-Tanga aus dem kleinen Kästchen. Zunächst herrschte Totenstille, dann begannen die Kollegen Woods auszulachen, während Karen ihn entsetzt anstarrte und Kermit ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.

"Detective, das ist nicht ihr Ernst, oder?", fragte Karen Simms ungläubig, aber mit einem Unterton in der Stimme, der nur eine Antwort als richtig zuließ.

Woods grinste wie ein Gigolo, was Kermit die Wut durch die Adern jagte.

"Nun, sie sind doch eine attraktive Frau und ich dachte…"

Weiter kam er nicht. Kermit hatte ihn am Kragen gepackt und ganz nah vor sein Gesicht gezogen. Jetzt schien sein cooler Kollege doch Angst zu bekommen.

Kermit fixierte ihn wütend, starrte ihm in die Augen und wusste genau, dass sie alle seine Reaktion beobachteten. Leise, für niemanden außer Woods hörbar, zischte er: "Du solltest ganz schnell anfangen, dich wie ein normaler Mensch zu benehmen, sonst bekommst du ernsthafte Probleme mit mir! Und wir Ex-Söldner können verdammt ungemütlich werden."

Kermit ließ ihn los und für einen Moment sah es so aus, als könnte der Detective sich nicht auf den Beinen halten und fiele um. In letzter Sekunde ertastete er sich einen Stuhl und setzte sich, Kermit nicht aus den Augen lassend. Die kleine Lektion schien gefruchtet zu haben.

Zufrieden ging Kermit zurück an seinen Platz und auch die anderen begannen jetzt wieder, Weihnachten im Kreise der Kollegen zu feiern. Ihm war noch gar nicht aufgefallen, dass er noch kein Geschenk bekommen hatte, als Karen plötzlich vor ihm stand. Sie reichte ihm eine kleine Schatulle.

Höflich erhob er sich wieder von seinem Stuhl und nahm sie entgegen. In seinem Kopf ratterten unendlich viele Dinge, die alle in diese Schatulle passten, während er Karen in die Augen sah. Die anderen bemerkten diesen romantischen Moment Gott sei Dank nicht.

Kermit klappte den Deckel auf und entdeckte einen Schlüssel. Er konnte sich vorstellen, wozu er gehörte, nämlich zu dem Schließzylinder in Karens Wohnungstür. Mit großen Augen sah er sie über die Sonnenbrille an, mit so viel Vertrauen hatte er nicht gerechnet.

"Danke", sagte er leise, seine Stimme war erstickt, er war doch sehr gerührt.

Sie nickte nur, und ein verstohlenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Blick sagte ausdrücklich 'Benutze ihn auch!'

Nachdem sie ihre Geschenke verteilt hatten, Blake hatte eine Krawatte bekommen, ebenso wie der Chief, Skalany ein paar Ohrringe und T.J. ein Füllerset, feierten sie ausgelassen. Nur Alex Woods saß in der Ecke, nippte an seinem Sekt-Glas und schaute finster auf die Kollegen. Kermit hatte ihn blamiert, vor allen bloßgestellt, das würde er nicht auf sich sitzen lassen.

Grade als er überlegte, die Feierlichkeiten zu verlassen, sah er etwas, das ihn interessierte. Kermit ging am Captain vorbei und legte ihr kurz und unauffällig die Hand auf den Rücken. Die Blicke die wechselten ließen Woods augenblicklich erkennen, dass dort mehr als eine kollegiale Beziehung herrschte.

Grinsend ließ er sich zurück sinken, schließlich wusste man nie, wofür man solche Informationen gebrauchen konnte. Er entschloss sich, doch noch etwas zu bleiben und seine Kollegen aufmerksam zu beobachten.

***

Jody stellte sich neben Alex Woods und sah zu ihm hinunter.

"Nicht in Partylaune?", fragte sie lächelnd.

Der Neue blickte grimmig zu Kermit. Jody grinste.

"Keine Angst, der bellt nur!", reagierte sie auf die Geste, "lassen sie sich von ihm nicht den Abend verderben."

"Zu spät", knurrte der Detective.

Jody zuckte die Schultern und ging wieder. Sie wollte sich auf jeden Fall nicht die Freude nehmen lassen. Langsam ging sie zu Kermit.

"Ich glaube, da ist jemand ziemlich sauer auf dich", schnurrte sie Kermit zu.

Der guckte nur finster. "Er kann froh sein, dass er noch lebt", gab er kurz angebunden zurück.

Freundschaftlich klopfte sie ihm auf die Schulter. "Komm mal wieder runter", riet sie ihm und ging dann wieder zu Skalany, die ihre gute Laune offenbar teilte; auch wenn deutlich spürbar war, dass jemand in ihrer Runde fehlte.

* * *

"Wo bin ich?", murmelte Peter und ging über eine schneebedeckte Wiese. In der Ferne leuchtete eine kleine Stadt in Weihnachtsdekoration. Es war nicht kalt, auch bekam er keine nassen Füße im Schnee.

"Tief in deinem Herzen", bekam er Antwort auf seine Frage. Er drehte sich um und sah Caine, der aussah wie immer: Der Hut saß auf seinem Kopf, über seiner Schulter hing die kleine Umhängetasche. Es überraschte ihn nicht, ihn zu sehen, allerdings hielt sich auch die Freude in Grenzen.

"Bist du real?", fragte er vorsichtig, "oder bist du meine Erinnerung an dich?" Der Tonfall wirkte enttäuscht.

"Ich bin es, Peter. Aber deine starke Erinnerung hat die Verbindung aufgebaut", erläuterte Caine. Als wollte er es ihm beweisen umarmte er seinen Sohn fest. Peter atmete tief durch.

"Wird das immer funktionieren? Kann ich dich immer treffen, wenn ich dich brauche?", fragte der junge Mann.

Sein Vater senkte den Kopf. "Nein Peter. Wir müssen Abschied nehmen. Je länger mein Geist von meinem Körper getrennt ist, umso schwächer wird die Verbindung werden. Aber in deinem Herzen wirst du mich finden. Die Erinnerung an mich."

Peter nickte traurig, er hatte es nicht wirklich anders geahnt. Wieder atmete er durch, sog die Luft ein, die ihn erfrischte, ohne kalt zu sein. Dann blicke er Caine in die Augen.

"Bist du enttäuscht?" fragte er leise. Er musste keine Erklärung geben, sein Vater wusste, wovon er redete; er wusste es immer. Jetzt legte dieser ihm die Hände auf die Schultern.

"Peter, ich bin stolz auf dich. Das war ich immer. Auf alles, was du tust, getan hast und tun wirst. Du solltest dich nicht für das schämen, was du bist oder nicht bist; und auf keinen Fall für die Dinge, die dich glücklich machen. Sei einfach du selbst!"

"Ich weiß aber nicht mehr, wer ich bin!", gab Peter zurück und löste sich von seinem Vater. Langsam trottete er auf die entfernte Stadt zu, seinen Vater neben sich.

"Du wirst es herausfinden. Sei geduldig mit dir selbst. Deine Reise wird zu Ende gehen."

"Versprochen?", fragte Peter, ohne sich umzusehen, den Blick in die Ferne gerichtet.

"Versprochen. Du bist auf dem richtigen Weg."

"Es fühlt sich auch richtig an. Manchmal zumindest. Dann kommen wieder die Zweifel, ob es nicht doch falsch ist. Es fällt mir schwer, mich und meine Fehler zu akzeptieren. Für alles, was ich je getan habe und sein wollte, hatte ich großartige Vorbilder."

Peter blieb nervös stehen und malte mit seinem Schuh im Schnee.

"Paul als Polizist. Du als Shaolin. Und ich muss feststellen, dass ich im Einen wie im Anderen nicht an die Vorgaben herankomme. Das tut weh."

Caine legte ihm den Arm um die Schultern, Peter zitterte vor Anspannung. "Wir haben alle Fehler, mein Sohn. Dein Fehler ist nicht, dass du nicht perfekt bist, sondern dass du es sein möchtest. Mein Fehler war, zuviel von dir zu verlangen und dir nicht die Liebe zeigen zu können, die ich für dich empfinde."

Peter sah auf. Die Augen seines Vaters glänzten feucht, jedes seiner Worte war ernst gemeint.

"Aber war das nicht dein Wunsch? Dass ich werde wie du und dein Großvater?", fragte Peter, noch immer verunsichert.

"Mein Wunsch war es, dass du glücklich bist und deine Bestimmung findest. Versuch nicht wie jemand anderes, -wie ich-, zu sein, finde deinen eigenen Weg. Du musst deine Male und die damit verbundenen Pflichten für dich selbst interpretieren."

Peter atmete tief durch. Das entsprach dem, was er im Waisenhaus auch gedacht hatte.

"Es ist schwer", murmelte Peter in den Wind.

"Das ist es", stimmte sein Vater zu, "aber wenn du es geschafft hast, dann wirst du dich gefunden haben, dann wird deine Reise zu Ende sein!"

"Glaubst du, dass ich das kann?"

"Ich weiß es!", gab Caine zurück.

Schweigend liefen sie die nächsten Meter.

"Was liegt dir noch auf der Seele, mein Sohn?"

Peter musste schmunzeln, für einen Moment. Er konnte seinem Vater nichts vormachen.

"Ping Hai. Er war nicht krank, als er mich ins Waisenhaus brachte. Warum hat er es dann getan?" Peter wirkte jetzt verbittert.

Ein dunkler Schatten huschte für einen Sekundenbruchteil über Caines Gesicht, aber Peter konnte ihn nicht deuten. "Das wirst du ihn selbst fragen müssen", antwortete sein Vater ausweichend.

"Ich bitte dich, Paps, er war damals schon alt, er kann unmöglich…" ein Blick in die Augen seines Vaters verrieten ihm, dass er auf dem Holzweg war.

"Du meinst…?"

Caine nickte.

Wieder liefen sie einige Meter auf die bunt und hell erleuchtete Stadt zu, ohne ihr dabei näher zu kommen.

"Peter, wir müssen nun Abschied nehmen", sagte Caine plötzlich.

"Nein. Warte. Eine Frage noch!", bat Peter, davon überrascht, dass ihm die Zeit weglief.

"Also gut", antwortete sein Vater und breitete die Arme in üblicher Caine-Manier aus.

"Wie bist du gestorben, Paps? Was hat dich umgebracht, ich meine… wie konnte das passieren? War es ein Unfall?", fragte Peter hektisch.

"Das waren schon vier Fragen", gab der ältere der beiden Männer unter Augenrollen des jüngeren zurück, setzte dann aber zu einer Antwort an.

"Es war kein Unfall."

"Dann wollte dich jemand töten?"

"Nein." Peter sah ihn mit großen Augen an, er verstand nicht.

"Ich habe das Gift mit Absicht zu mir genommen."

"Du hast WAS? Warum?" Peter strich sich durch die Haare.

"Ich hatte keine Wahl. Das Gift galt einer jungen Frau. Sie war Mutter eines kleinen Kindes. Und schwanger. Ich konnte sie nicht anders retten, als es selbst zu mir zu nehmen, ehe sie es tat."

Peter nickte mit ein wenig Verständnis. Die Frage, wer diese Frau war, ersparte er sich. Das zählte nicht. Was zählte, war dass sein Vater nicht umsonst gestorben war.

"Peter, es ist an der Zeit", holte Caine ihn zurück. Der junge Mann sah seinen Vater an.

"Ich weiß", flüsterte er leise. Dann rollte eine kleine Träne seine Wange hinab, die Caine sofort wegwischte. Die beiden Männer umarmten sich stark, Peter spürte auf einmal etwas, das er all die Jahre vermisst hatte.

Starke Wärme überflutete ihn. Die Liebe des Vaters umschloss ihn, mit der Gewalt eines Tornados wirbelte sie um ihn herum und verlangte ihm ein glückliches Lächeln ab. Wie konnte er jemals daran gezweifelt haben, dass Caine ihn liebte? All diese Liebe strömte jetzt auf ihn ein, erwärmte sein Herz, seinen Geist. Seit langem fühlte er sich zum ersten Mal wieder vollständig glücklich.

Für den Moment genoss er dieses Gefühl schweigend, dass strich er seinem Vater über die Haare, hauchte einen Kuss auf dessen Stirn und flüsterte: "Ich liebe dich auch, Paps! Ich liebe dich auch!"

Caine strahlte ihn an, nahm noch einmal das Gesicht seines Sohnes in die Hände und griff dann nach seinem Hut. Er setzte ihn Peter auf den Kopf und verpasste ihm dann lachend einen spielerischen Schlag ans Kinn. Peter stimmte in das Lachen ein.

***

Er erwachte mit einem Lächeln aus der Meditation. Auch ohne den Hut auf seinem Kopf zu spüren, hätte er gewusst, dass es real gewesen war. Er hatte sich endlich von seinem Vater verabschieden können, ohne traurigen Nachgeschmack.

Er nahm den Hut vom Kopf und drehte ihn in seinen Händen. Das warme und wohlige Gefühl in seinem Herzen war noch da, die Hand seines Vaters noch auf seiner Wange. Das erfüllte ihn mit unbeschreiblicher Freude und unfassbarem Glück. Diese Erinnerung konnte ihm keiner nehmen.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Erst jetzt bemerkte der junge Mann, dass es draußen bereits wieder hell war. Sein Päckchen würde in kürze ankommen. Peter erhob sich geschmeidig und ging zu Tür.

"Schön, dass sie noch da sind. Glen, ihr Vermieter hat mir erzählt, dass sie nur bis heute bleiben. Ich wollte ihnen noch etwas zeigen." Es war Carl Heyes, der Schreiner. Aufgeregt kramte er jetzt in seiner Manteltasche.

"Kommen sie erst einmal rein", lud Peter ihn ein. Er folgte.

"Ich habe da etwas gefunden…", murmelte der alte Mann, während er noch immer seine Taschen durchwühlte.

Geduldig beobachtete Peter ihn. Dann endlich zog er triumphierend ein Foto aus der Tasche.

"Das hat meine Frau gemacht. Damals lebte sie noch." Er reichte Peter das Foto.

Lange und schweigend besah sich der Shaolin das Bild. Es zeigte Carl Heyes und Ping Hai vor einem bunten Weihnachtsbaum. Peter betrachtete den Priester eingehend. Es dauerte nicht lange, bis er eine Ähnlichkeit feststellte, die ihm vorher nie aufgefallen war. Eine Ähnlichkeit, die er nach fünfzehn Jahren nicht mehr hatte erkennen können, die kein Zufall sein konnte und die ihm erneut Wogen der Fassungslosigkeit durch den Körper trieb.

"Lo Si", flüsterte er leise.

* * *

Annie öffnete die Haustür.

"Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst nicht gleich die Tür aufreißen", schimpfte Kermit.

Annie lächelte. "Ich freu mich auch, dich zu sehen!"

Sie küssten sich auf die Wange. "Du siehst gut aus!", komplimentierte Kermit, Annie aber winkte ab.

"Und du übertreibst. Ich freu mich, dass du meiner Einladung gefolgt bist." Sie legte ihm die Hand auf den Arm.

"Hatten die Mädchen keine Zeit?", fragte Kermit nach. Annie hatte ihn gestern Mittag angerufen und zum Frühstück eingeladen.

"Caroline kommt heute Nachmittag. Kelly feiert bei den Eltern ihres neuen Freundes. Sie kommt dafür Silvester zu Besuch", erklärte sie.

Kermit setzte sich an den gedeckten Esstisch und goss sich und Annie Kaffee ein.

"Wie war eure Weihnachtsfeier?", fragte sie, schließlich kannte auch sie die Gewohnheiten des 101. Reviers.

"Es war ok. Man merkt, dass sie fehlen. Beide." Annie nickte betreten. Sie holte grade aus, um etwas zu sagen, als es an der Tür klingelte. Kermit hatte sofort die Hand an der Waffe.

"Erwartest du noch jemanden?", fragte er skeptisch.

"Nein, eigentlich nicht. Jedenfalls nicht um diese Uhrzeit."

Sie standen beide auf und gingen zur Tür. Der Cop zog die Waffe aus dem Holster. Annie konnte das Geräusch zuordnen.

"Mensch, Kermit. Steck das Ding weg! Es wird mich niemand am Weihnachtsmorgen überfallen!", meinte sie bestimmt und zog die Haustür wieder ganz auf, im Hintergrund stöhnte Kermit über ihren Dickkopf. Er war erst erleichtert, als der Postbote wieder in seinen Wagen stieg und davon fuhr.

"Du bist unmöglich! Das hätte sonst wer…"

"Hätte, Kermit. Du hast zu wenig Vertrauen!"

Ergeben hob Kermit die Hände und schüttelte den Kopf. "Okay, du hast gewonnen."

Annie wandte sich dem Päckchen zu und zog das braune Papier ab. Geduldig beobachtete Kermit, wie sie die Schachtel ertastete und langsam den Deckel abnahm. Kermit konnte zwei Holzfiguren in einem Schaumstoffbett sehen, darauf lag ein Brief.

Sanft ließ Annie ihre Fingerspitzen darüber gleiten, legte das Papier zur Seite und nahm die erste Figur heraus. Kermit hätte ihr am liebsten beschrieben, was sie da hielt, er hatte ein breites Grinsen im Gesicht, konnte sich aber eben noch auf die Zunge beißen.

"Ein Drache?", fragte sei ungläubig.

"Ja!" sagte er mit einem leichten Unterton in der Stimme. Auch über Annies Gesicht huschte ein Hoffnungsschimmer, als sie die weite Figur herausnahm und diesmal wesentlich schneller befühlte.

"Und ein Tiger", sagte sie mit leiser Stimme. Und noch leiser: "Oh, Peter!"

Dann griff sie wieder nach dem Brief und reichte ihn Kermit. Sie versuchte ihre Rührung zu überdecken und scherzte: "Da hat er doch tatsächlich vergessen, dass seine alte Mutter blind ist!" Es gelang ihr nur schlecht.

Kermit nahm das Papier entgegen und las die Außenseite vor.

"Caroline, Kelly, bitte lest ihn Mom vor. Ich liebe Euch, Peter." Er ließ die Worte im Raum stehen.

"Lies ihn bitte vor, Kermit. Ich kann nicht warten, bis Caroline kommt!"

Er faltete es auseinander und nahm die Sonnenbrille ab. Dann begann er zu lesen.

Liebste Mom,

ich schreibe heute, um Dir zu sagen, dass es mir gut geht.
Und natürlich, um Dir und den Mädchen 'Frohe Weihnachten' zu wünschen.
Ich denke sehr oft an Euch, und ich liebe Euch!
Ich möchte Dir noch einmal dafür danken, dass Du mich hast ziehen lassen,
Dein Einverständnis war mir wirklich wichtig, ohne es wäre ich geblieben.
Ich hoffe, dass sich jemand um Dich kümmert und Du nicht so einsam bist;
kommt Kermit manchmal vorbei?
Ich kann Dir leider immer noch nicht versprechen, dass ich zurückkomme,
aber es geht mir besser, ein wenig zumindest.
Ich liebe Dich, Mom, und ich bin Dir unendlich dankbar für alles,
was Du in Deinem Leben für mich getan hast.
Ohne Dich wäre ich nur ein halb so guter Mensch geworden.
Du bist eine großartige Frau und ich kann mein Glück kaum fassen,
Dich 'Mom' nennen zu dürfen.
Ich werde mein Versprechen halten und auf mich aufpassen.
Grüß Kelly und Caroline von mir.
Ich liebe Dich!
Peter

Annie weinte vor Rührung. Kermit war froh, dass sie seine feuchten Augen nicht sehen konnte, auch wenn sie sie vermutlich wahr nahm und spürte. Er hatte selten eine so gefühlvolle Situation erlebt wie diese. Schon beim Vorlesen hatte ein kleiner Kloß in seinem Hals gesessen.

Trotzdem lächelte er jetzt; offensichtlich war Peter wirklich auf einem guten Weg, und hoffentlich auf dem, der ihn wieder nach Sloanville brachte.

Ende

 

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