Teil 1
Autor: Ratzenlady
 

Cat stellte sich an den Tresen und wartete geduldig, bis Sergeant Broderick zu ihr kam. Er sah sie kurz verdutzt an, dann schenkte er ihr ein freundliches Lächeln.

"Hallo, Miss Troy. Ich hab sie fast gar nicht erkannt. Sie können ruhig durchgehen..."

"Ist Kermit da?", fragte sie vorsichtig.

"Nein, er..."

"Ich bin hier, Castor", sagte der Gesuchte hinter ihrem Rücken. Sie drehte sich erschrocken um, er legte ihr die Hand beruhigend auf die Schulter.

"Chic!", kommentierte er ihre wilde Kurzhaarfrisur und die neue Haarfarbe.

"Hast du einen Moment für mich?", fragte sie und folgte ihm dann wortlos in sein Büro, auf dem Weg grüßte sie die anderen zurückhaltend mit erhobener Hand.

Kermit schloss die Tür hinter ihr. "Alles klar?", fragte der Ex-Söldner sofort und musterte ihre Gesichtszüge.

Sie lächelte gequält und zuckte die Schultern. "Ich bin immer noch etwas schreckhaft, aber sonst geht es mir gut. Ich bin wegen Peter hier", erläuterte sie und bemerkte den besorgter werdenden Ausdruck im Gesicht des Freundes.

"Was ist mit ihm?"

"Ich mach mir Sorgen. Er ist komisch. Er trainiert den ganzen Tag, und ich werd das Gefühl nicht los, dass ihn etwas belastet."

Kermit zuckte die Schultern. "Ist es denn wirklich so schlimm, dass er trainiert?", fragte er.

Sie verschränkte die Arme und begann, im Büro auf und ab zu laufen. "Im Grunde ja nicht, aber... er macht ja kaum was anderes. Als ich ihn kennen gelernt habe, hat er viel meditiert, das macht er kaum noch. Er setzt sich hin und springt kurz danach wieder auf und fängt mit Tai Chi an. Er sagt, dabei kann er besser zu Ruhe kommen."

Kermit legte den Arm um sie, um sie zu beruhigen.

"Was genau bereitet dir daran Sorgen? Als ich Peter vorgestern gesehen habe, machte er einen sehr fröhlichen Eindruck." Er verstand noch immer nicht.

Sie löste sich von ihm und setzte sich wieder in Bewegung. "Eben! Er ist so übernatürlich gut gelaunt. Und außerdem, hast du ihn seit... du weißt schon... noch mal ohne Hemd gesehen? Er trainiert den ganzen Tag, -ich rede hier von mehreren Stunden-, und isst kaum was. Ich fürchte langsam, dass sein Körper nur noch durch seine geistige Kraft zusammengehalten wird. Außerdem hat er Alpträume, auch wenn er es nicht zugeben mag." Sie sah Kermit eindringlich an, hoffte, dass er ihre Sorge endlich nachvollziehen konnte.

"Redet er nicht mit dir?", hakte Kermit nach.

Sie zog die Brauen hoch. "Wäre ich dann hier? Ich mach mir wirklich Sorgen. Aber er winkt immer ab und tut so, als wäre alles in bester Ordnung. Er hat sogar mein Training vergessen!"

Kermit wurde hellhörig. Peter hatte darauf bestanden, dass Cat Selbstverteidigung lernte, um sich schützen zu können.

"Er hat es vergessen?", fragte er nach. Wirklich glauben wollte er es nicht.

"Ja! Seit vier Tagen hat er mich nicht mehr aufgefordert. Davor hab ich ihn dran erinnert. Es geht schon einige Wochen so!"

Der Cop blickte besorgt drein. Vielleicht war doch irgendwas faul.

"Kannst du nicht mal mit ihm reden?"

Kermit nickte schließlich und versprach, nach seinem Dienst vorbei zu kommen.

*

Augenblicklich, als Kermit den Loft betrat und sich in den Türrahmen stellte, wusste er, was Cat meinte. Peter war, wie sie es beschrieben hatte, dabei zu trainieren, und so wie es aussah, tat er das auch schon länger.

Sein Oberkörper glänzte schweißnass, sein Blick war verhärtet und konzentriert. Kermit betrachtete die papierdünne Haut, die sich über Peters muskulöse Brust spannte, als würde sie jeden Moment zerreißen. 'Drahtig' war das Wort, das ihm bei dem Blick auf die breite Brust und die schmale Taille einfiel.

In der Schulter und in der Hüfte sah er deutlich die Überbleibsel der Verletzungen durch die Wurfsterne, in der Seite das Loch vom Dolch. Allerdings war diese Narbe noch sehr rot, und nicht halb so rund und gleichmäßig, wie sie sein sollte. Der Polizist konnte sich denken, warum sie so aussah. Dazu kamen die dünnen Striemen, die durch die Peitschenschläge entstanden waren und in ein paar Monaten gar nicht mehr zu sehen sein würden. Kermit lief ein Schauer über den Rücken, als er an den Tag vor knapp drei Monaten dachte.

Peter brachte seine Übung zu Ende und verneigte sich, ehe er sich sein Handtuch schnappte und den Schweiß vom Gesicht und Körper wischte. Fröhlich kam er auf Kermit zu, der allerdings nicht ganz so glücklich guckte.

"Hi Partner! Alles klar?", fragte der Shaolin ausgepowert. Die Adern unter seiner Haut quollen durch die Anstrengung hervor, er wirkte unglaublich hager.

"Seit wann bist du denn schon dran?", fragte Kermit und zeigte auf die Mitte des Raumes.

"Keine Ahnung, wie spät ist es denn?"

Kermit sah auf seine Uhr. "Halb fünf."

"Dann seit vier, fünf Stunden. Warum denn?"

Der Freund betrachtete sich den geschundenen Körper und sagte dann: "Meinst du nicht, du übertreibst?"

Sofort fiel Peter das Lächeln aus dem Gesicht und er guckte genervt. "Cat war bei dir, nicht wahr? Du sollst mal mit mir reden."

"Sie macht sich nun mal Sorgen um dich!"

"Aber die sind überflüssig. Es geht mir gut!"

Der Freund aber zeigte auf die Dolch-Narbe. "Die ist nicht richtig verheilt. Ich schätze Mal, dass sie immer wieder aufgeplatzt ist, weil du zu viel trainiert hast, nicht wahr?"

"Bist du jetzt mein Arzt?", fragte der Shaolin zickig und warf sein Handtuch wieder auf den Stuhl, wo es vorher gehangen hatte.

"Du hast Cats Training vergessen!", ergänzte Kermit jetzt, was ihm am meisten zu schaffen machte. Es war absolut nicht Peters Art, etwas derart Wichtiges zu vergessen. Immerhin konnte es für Castor Leben oder Tod bedeuten; auch wenn er als ehemaliger Söldner solche Sachen vielleicht auch zu eng sah.

Peter starrte ihn erstaunt an. Er hatte es wirklich vergessen. Trotzdem antwortete er seinem Freund nicht, fuhr sich durch die Haare und drehte ihm den Rücken zu, indem er sich zum Fenster wandte.

"Herrgott, Peter, rede mit mir! Ist es immer noch die Sache mit Gaverton?"

"Was? Nein! Es geht mir gut! Mit Cat wird ich wegen der Stunden reden", sagte er ärgerlich und stellte sich dann wieder in die Mitte des Raumes, um eine weitere Übung zu beginnen.

Kermit überlegte, ob er dem Bedürfnis, den jungen Mann gewaltsam zum Aufhören zu bewegen, nachgeben sollte, entschied sich aber dagegen. Nachdem Peter ihn mit Ignoranz gestraft und nun wieder in Tai Chi versunken war, verließ der Ex-Söldner die Wohnung.

Am Fuß der Treppe traf er Cat, die grade eine Tüte mit Lebensmitteln aus dem Kombi holte.

"Soll ich dir tragen helfen?", fragte Kermit gentlemanlike.

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an. "Hat er was gesagt?"

Kermit verneinte stumm. "Aber ich versteh jetzt, was du meinst. Er sieht ja furchtbar aus. 'Tschuldige, dass ich deine Bedenken nicht ernst genommen habe. Er hat auch schrecklich zickig reagiert, als ich ihn drauf angesprochen habe."

Cat nickte verstehend, Peter reagierte inzwischen total patzig, wenn sie ihre Sorgen äußerte oder ihn auf das viele Training ansprach.

Sie trug die Tüte in die Wohnung und begann sie auszuräumen. Währenddessen kam Peter, mit dem Handtuch über der Schulter zu ihr, um sie zu küssen, blieb dann aber geschockt stehen.

"Wow. Was ist das denn?", fragte er.

"Das nennt man gemeinhin schwarze Haare", antwortete sie trocken und wandte sich wieder ihren Lebensmitteln zu. Peter aber sah sie erstaunt an.

"Du hast mir gar nicht erzählt, dass du zum Friseur wolltest…", setzte er in ruhigem Tonfall an, um eine Antwort von ihr zu bekommen, er spürte ihre innere Unruhe.

"Warum auch?" ihre Stimme wurde dünn, obwohl eine Menge Wut und Enttäuschung darin lag, "Du erzählst mir ja auch nichts mehr!"

Sie stürmte ins Wohnzimmer und schlug die Tür hinter sich zu, Peter hatte Tränen auf ihrer Wange gesehen.

Er musste an seinen Vater denken. Der Tag, an dem Caine seinen schwersten Kampf begann und er ihn ahnungslos angemacht hatte. 'Du sitzt hier nur jeden Tag und meditierst über nichts' hallte seine eigenen Worte in seinem Kopf. Nervös fuhr er sich durch die Haare, vermutlich fühlte sich Cat jetzt genauso wie er damals.

Es war ihm bewusst, dass er sie ausschloss, aber er konnte nicht mit ihr drüber reden. Er wollte mit seinem eigenen Unvermögen nicht auch noch sie belasten.

Vorsichtig drückte er die Wohnzimmertür auf und blickte suchend hinein. Cat saß auf dem Sofa, die Stöpsel ihres Discmans in den Ohren. Er hörte das Schlagzeug bis zu sich, inklusiver der schnellen Gitarrenriffs und kantigen Bassläufe. Sie hatte die Augen geschlossen und nickte im forschen Takt des Liedes.

Peter ergab sich ihrer Reaktion und ließ sie allein. Er konnte sie sogar verstehen, allerdings änderte auch das nichts daran, dass er nicht mit ihr darüber sprechen konnte. Schließlich konnte er es sich ja nicht mal selbst eingestehen.

Als er den Raum das nächste Mal betrat, war seine Freundin nicht mehr da. Er fand sie im Bett, schlafend. Oder zumindest so tuend. Er zog sich aus, legte sich neben sie und blickte noch einmal ihr Gesicht an, das ruhig und friedlich unter den nun schwarzen Haaren im Kissen lag. In Gedanken entschuldigte er sich bei ihr für sein Verhalten, dann schloss er die Augen und versuchte, einzuschlafen.

*

Cat wachte auf, weil Peter sich wild in seinen Kissen hin und her warf. Im Mondschein betrachtete sie sein schweißnasses Gesicht, wie es mit verzerrtem Ausdruck rastlos versuchte, einen bösen Traum abzuschütteln.

Sie wollte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, aber in dem Moment hob sich sein Körper sprungartig von der Matratze und er setzte sich auf. Schwer keuchend fuhr er sich durch die Haare und hielt sich dann die Hand vor die Augen.

Der junge Shaolin entzündete eine einzige Kerze und verweilte dann einen Moment, ehe er sich zu seiner Freundin, die sich schlafend gestellt hatte, hinunterbeugte und ihr einen sanften Kuss auf das Haar hauchte. "Es tut mir leid", flüsterte er leise. Dann stand er auf, zog sich seine Trainingshose an und verließ das Schlafzimmer.

Cat hatte gehofft, dass Peter irgendetwas sagen oder tun würde, wenn er dachte, dass sie schlafe. Aber das einzige war jetzt, dass sie sicher wusste, dass Peter ein Problem hatte und es ihm leid tat, dass er es ihr nicht erzählte.

Auch sie setzte sich jetzt auf und strich sich die wilden Haarsträhnen aus dem Gesicht. Was konnte sie noch tun? Sie kam irgendwie nicht mehr an ihn ran. Die Enttäuschung darüber wich jetzt der Wut, dass Peter ihr offensichtlich nicht genug Vertrauen entgegen brachte, um ihr seine Sorgen mitzuteilen. Zornig schlug sie auf die Bettdecke. Dann wanderte ihr Blick zum Wecker; es war 04:52 Uhr. Peter würde also nicht mehr ins Bett kommen, schließlich ging schon in einer Stunde die Sonne auf.

Wäre sie nicht mit einem Shaolin zusammen, würde sie jetzt die Wohnung verlassen, sich davon stehlen und dem Kerl somit mit der Holzhammermethode klar machen, dass er Mist baute. Der Shaolin aber würde merken, dass sie aus der Wohnung schlich. Würde spüren, was in ihr vorging.

"Ach scheiße!", murmelte sie leise und stieg dann auch aus dem Bett. Schlafen konnte sie jetzt ohnehin nicht mehr. Schnell warf sie sich eines ihrer schwarzen großen T-Shirts über und ging barfuss ins Wohnzimmer, wo sie sich mit ihrem Discman aufs Sofa kuschelte, eine Decke über ihren Beinen, und mit geschlossenen Augen ihre Gedanken im Takt der Base Drum schweifen ließ.

*

Als sie wieder aufwachte, sie war tatsächlich noch einmal auf dem Sofa eingeschlafen, war es bereits zehn Uhr morgens. Schnell schwang sie ihre Beine von der Sitzfläche und stand auf. Nachdem sich die durch das schnelle Aufstehen entstandenen Schatten vor ihren Augen verflüchtigt hatten, ging sie leise aus dem Wohnzimmer.

Sie hatte noch immer ihr weites T-Shirt an und eine Hot Pants drunter. Auf nackten Zehenspitzen schlich sie durch den Flur, schließlich konnte sie nicht wissen, ob Peter grade Patienten oder Schüler hatte. Aber sie hörte gar nichts.

Sie erwartete, Peter wieder vollkommen im Tai Chi versunken zu sehen, aber er war gar nicht da. Sie rief seinen Namen, erhielt aber keine Antwort. Obwohl es eigentlich nichts Ungewöhnliches war, machten sich Sorgen in ihrem Inneren breit. Schnell durchsuchte sie alle Räume und fand an der Kaffeekanne einen kleinen Zettel mit Peters Handschrift.

Guten Morgen Süße,
ich wollte Dich nicht wecken, bin bei Mrs. Chang einen Hausbesuch machen.
Werde danach noch ein wenig spazieren gehen, bin aber spätestens um drei zurück.
Ich liebe Dich!

Sie lächelte, er konnte ja wirklich süß sein. Entspannt goss sie sich Kaffee ein und tapste dann wieder ins Wohnzimmer, legte eine CD in die Stereoanlage, ging duschen und sich dann anziehen. Anschließend griff sie das Telefon und suchte Kermits Nummer im Speicher.

"Ja", brummte er am anderen Ende der Leitung. Cat musste lächeln, seit sie wusste, dass er nur halb so bösartig war, wie er gerne tat, mochte sie ihn richtig gerne. Auch wenn ihr Zusammenfinden den traurigen Hintergrund des komatösen Peters hatte. Es waren furchtbare Tage und unzählige Stunden gewesen, die sie und er gemeinsam am Krankenbett verbracht hatten, hoffend, dass der Shaolin irgendwann wieder aufwachte. In dieser Zeit waren sie sich nahe gekommen, hatten eine Freundschaft aufgebaut, deren Grundstein bereits vor Jahren gelegt wurde, wenn auch vor drei Monaten stark erschüttert.

"Ich bin’s, Cat. Sag mal, wann hast du denn Dienst?"

"Um zwei, warum denn? Ist irgendwas passiert?", fragte er sofort besorgt.

"Nein. Alles beim alten. Ich wollte dich fragen, ob du mich vielleicht zum Ehrwürdigen begleiten möchtest? Ich möchte ihn gerne fragen, ob er mir mit Peter helfen kann. Ich mache mir solche Sorgen." Sie fuhr sich durch die noch nassen Haare.

"Klar, mach ich gerne. Ich hol dich ab, um eins, ok?"

Cat fiel ein Stein vom Herzen. "Danke Kermit! Vielen Dank! Bis dann."

Sie legte erleichtert den Hörer auf und hoffte, dass der Alte ihnen helfen konnte. Dass alles wieder gut werden würde.

*
Lo Si öffnete in dem Moment die Tür, als Cat klopfen wollte. Erschrocken machte sie einen kleinen Satz nach hinten und stieß gegen Kermits Schulter. Lo Si lächelte.

"Hallo Castor, Kermit, ich freue mich, sie beide zu sehen."

Sie lächelte höflich und ließ sich dann, von dem Cop gefolgt, hereinbitten. Sofort kam sie zum Thema.

"Wir sind wegen Peter hier. Wir machen uns Sorgen, er verhält sich so komisch."

"Komisch?", fragte Lo Si in seiner freundlichen Art.

"Ja, komisch. Irgendetwas bereitet ihm Kummer, aber er spricht nicht darüber. Er tut so, als wäre alles in Ordnung, ist übertrieben gut gelaunt und macht den ganzen Tag nichts anderes, als Tai Chi. Er meditiert nicht mal mehr, kaum setzt er sich hin, springt er schon wieder auf. Die ganze Ruhe, die er immer ausgestrahlt hat, ist weg."

"Oh. Er meditiert schon, aber nicht so, wie die meisten. Für Peter sind die Übungen Meditation. Der Begriff schließt ein, dass man zu sich und seiner Mitte findet, sein Chi fließen lässt. Das tut Peter; nur eben nicht mehr in Sitzen, sondern im Tai Chi."

Cat wollte grade ergänzen, dass Peters körperlicher Zustand ihr ebenso Sorgen machten, aber Lo Si sprach weiter.

"Allerdings ist es nicht gut, dass er seinem Körper dadurch die Kraft entzieht, ohne etwas zurückzugeben. Lange kann sein Körper das auch nicht mehr aushalten. Aber er ist zu durcheinander, um das zu merken."

"Durcheinander? Was hat er denn? Was ist denn die Ursache dafür?", hakte Cat sofort nach, Kermit lehnte sich an den Türrahmen und wartete gespannt auf die Antwort des Ehrwürdigen.

"Seit wann verhält er sich denn so?", fragte der Alte zunächst. Kermit erkannte in seinem verschmitzten Gesicht, dass Lo Si sich ziemlicher war, zu wissen, was den jungen Mann aufwühlte.

Cat blies Luft durch die aufgeplusterten Backen und antwortete dann: "Etwa vier Wochen. Vielleicht fünf." Lo Si nickte verstehend.

"Was ist es denn?", fragte die junge Frau nach wenigen Sekunden nach.

Lo Si sah sie an und gab dann endlich die Antwort. "Er trauert. Vor viereinhalb Wochen jährte sich Caines Fortgehen. Es war das letzte Treffen zwischen Vater und Sohn." Kurze Pause. "In dieser Welt."

Kermit schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, er ärgerte sich über sich selbst, dass er daran überhaupt nicht gedacht hatte. Cat machte große Augen und zog die Stirn kraus.

"Aber warum kann er mir das denn nicht sagen? Ich meine, das ist noch nichts, wofür man sich irgendwie…"

Lo Si brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Jetzt, da Peter seinen Weg gefunden hat, glaubt er, nicht mehr von ihm abweichen zu dürfen. Er hatte den Punkt erreicht, wo er mit Freude an seinen Vater dachte, an die Erinnerung. Jetzt glaubt er, er könne nicht mehr zurück. Er denkt, dass es nicht richtig ist, dass er plötzlich wieder Verlust und Trauer empfindet."

Cat schüttelte den Kopf, Kermit hörte einfach nur aufmerksam zu.

"Peter hat durch seine Wanderung und der Suche nach sich selbst viele Stufen zurückgelegt, auf der Treppe, die ein Shaolin in seinem Leben erklimmt. Jetzt fühlt er sich schlecht, weil er wieder einen Schritt zurück macht."

"Dieser Jahrestag hat ihn plötzlich so hart getroffen, dass er taumelt. Und er versucht, wieder festen Stand zu bekommen, seit vier Wochen, aber er ist zu aufgewühlt, weil er sich Schuldgefühle macht. Er kann nicht zur Ruhe kommen, so lange er seine eigenen Gefühle nicht annimmt. Und das fällt ihm schwer."

Lo Si faltete seine Hände, er hatte die Erklärung abgeschlossen. Castor saß bewegungslos da und starrte den alten Chinesen ungläubig an. Kermit stand im Türrahmen und verfolgte alles aufmerksam. Er konnte nachvollziehen, was der Ehrwürdige meinte, er selbst hasste sich auch manchmal für die Gefühle, die er hatte und nicht haben wollte.

"Das heißt, Peter zerstört sich langsam aber sicher selbst, weil er glaubt, nicht trauern zu dürfen? Weil es, keine Ahnung, 'unwürdig' wäre?", fragte sie fassungslos. Lo Si nickte.

Sie fuhr sich durch das Durcheinander auf ihrem Kopf und starrte auf den Teppich. In ihrer Welt, jenseits jeglicher Mythologie und Mystik, war diese Erklärung absolut hirnrissig. Wie konnte ein Sohn glauben, nicht um seinen Vater trauern zu dürfen? Aber natürlich wusste sie, dass Peter kein gewöhnlicher Sohn war. Sie liebte ihn über alles, aber manchmal verstand sie seine Denkweise nicht, konnte ihm nicht folgen.

"Vielen Dank, Ehrwürdiger", sagte Cat, stand auf und verneigte sich ganz leicht. Der Alte tat es ihr gleich, während Kermit nur die Worte wiederholte und sich dann durch den Türrahmen drückte. Er brachte sie nach Hause, Cats Wagen war noch nicht wieder da, und fuhr dann zum Dienst.

*

Wie eine Wildkatze im Käfig ging Cat in der gesamten Wohnung auf und ab. Völlig ruhelos wanderte sie durch alle Räume und wartete auf Peter, um endlich mit ihm zu sprechen. Es war schon halb vier, und sie wurde zunehmend nervös, weil er noch nicht da war.

Immer wieder trat sie auf den kleinen Balkon und blickte über die Brüstung, in der Hoffnung, ihren alten Kombi um die Ecke kommen zu sehen. Aber er war nicht da. Sein Handy klingelte durch, aber es ging niemand ran. Alle paar Minuten versuchte sie es erneut.

Um vier fiel ihr ein Glas herunter, weil sie vor Sorge gezittert hatte.
Um fünf malte ihr Unterbewusstsein aus, was ihm alles passiert sein konnte und die Bilder der Folter kamen wieder hoch.
Um sechs war sie so fahrig, dass sie drei Anläufe brauchte, um die Nummer von Kermit auf dem Revier aus dem Speicher zu suchen.

Der Ex-Söldner hatte sie ein wenig beruhigen können. Schließlich war es ein ganz normaler Nachmittag, sie sollte sich keine Sorgen machen, bestimmt ist ihm einfach etwas dazwischen gekommen, und er hat vergessen anzurufen. Oder er hat im Park trainiert und die Zeit vergessen, beschwichtigte er sie.

Um halb sieben machte sie sich einen Kaffee, um etwas Zeit zu überbrücken.
Um sieben blieb sie vor der Brüstung stehen und starrte lange hinunter.
Um acht fing sie an zu weinen.
Um neun hörte sie erst wieder auf.
Um zehn verschwand die Sonne hinter den Gebäuden und es wurde dunkel.

Cat sank verzweifelt auf das Sofa und als sich auf Peters Handy wieder niemand meldete, schluchzte sie laut auf. Wie ein Haufen Elend kauerte sie da und starrte ängstlich wimmernd in die Dunkelheit.

Kermit fand sie so, als er nach seiner Spätschicht vorbei kam, um zu sehen, wie das Gespräch zwischen der jungen Frau und dem Shaolin gelaufen war. Sie hatte ihn nicht bemerkt und erschrak, als Kermit ihr von hinten die Hand auf die Schulter legte.

"Peter?" Sie sprang auf und drehte sich hoffnungsvoll um, wurde aber enttäuscht. Kermit erfasst sofort die Situation.

"Er ist immer noch nicht da?", fragte er ungläubig.

Sie schüttelte nur den Kopf und sah ihn verheulten Augen an. Sofort breiteten sich auch in seiner Brust Sorge aus und er ärgerte sich maßlos, dass er Cat am Nachmittag so abgewiegelt hatte. Sollte wirklich was passiert sein, hatten sie jetzt über vier Stunden verloren.

Kermit nahm die junge, zittrige Frau in den Arm und zog mit der anderen Hand sein Handy aus der Tasche, um eine Suchmeldung nach dem Kombi samt Fahrer rauszuschicken.

"Ihm ist doch nichts passiert, oder?", murmelte Cat mit großen Augen. Kermit war klar, dass sie es kaum ertragen könnte, wenn ihrem Freund schon wieder etwas Schlimmes geschehen würde.

Sie hatten alle ihren persönlichen Knacks davongetragen, auch wenn sie nicht wirklich drüber sprachen. Kermit gab sich selbst die Schuld, weil er Gaverton aus früherer Zeit kannte und dieser ihn zum 'Spielmacher' erklärt hatte. Cat ging es nicht anders, weil sie ihn hätte hinter Gitter bringen können.

Peter hatte unbeschreibliche Schmerzen ausstehen müssen. Und Karen hatte sich das alles ansehen müssen, ohne etwas unternehmen zu können; Kermit wusste, dass ihr so etwas extrem an die Nieren ging, da war sie ihm sehr ähnlich.

Er schüttelte den Gedanken ab, so etwas durfte einfach nicht passiert sein. Nicht noch einmal.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis Kermits Handy klingelte. Die Uhr zeigte zehn Uhr dreiundfünfzig.

"Ja?", bellte er sofort ins Telefon. Cat beobachtete aufgeregt seine Gesichtszüge, die allerdings nicht sehr beruhigend wirkten, seine Stirn zog sich in Falten.

"Wo?" … "Wie lange?" … "Und Peter?"

Kermit klappte das Handy zu, rieb sich kurz die Augen und nahm die Brille ab, um Cat in die Augen zu sehen. Er konnte ihre Angst darin lesen.

"Sie haben den Wagen gefunden, am Parkrand, steht da wohl schon einige Stunden. Aber keine Spur von Peter. Sie durchkämmen jetzt das Gelände", berichtete er ihr kurz den Stand der Dinge.

"Oh Gott nein", wisperte sie leise und vergrub ihr Gesicht an Kermits Brust, der sie an den Schultern festhielt und versuchte ihr Kraft zu geben. Was in ihm vorging, wollte er ihr lieber nicht offenbaren, denn auch er spürte das leise, unheilvolle Gefühl der Angst um den Freund in sich aufsteigen.

"Können wir hinfahren?", fragte sie nach einem Moment leise, "und suchen helfen?"

Kermit überlegte hin und her, für sie war es sicherlich nicht gut, je nachdem was sie finden oder nicht finden würden. Auf der anderen Seite brannte es ihm selbst unter den Nägeln, sich an der Suche nach Peter zu beteiligen, und er konnte die junge Frau nicht in dem Zustand alleine lassen.

"Also gut, komm!"

 

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