Autor: TempleGirl

 

Ein eisiger Wind blies Peter ins Gesicht, als er durch die Straßen von Chinatown wanderte. Er hätte doch besser den Wagen nehmen sollen, aber für das kurze Stück vom Revier zur Wohnung seines Vaters lohnte das fast nicht. Trockene, gelbe Blätter wehten raschelnd vor seinen Füßen über das Pflaster. An der ein oder anderen Autoscheibe hatte der Nachtfrost eine glitzernde Eisschicht hinterlassen. Peter schlug fröstelnd den Mantelkragen hoch. Welch ein ungemütlicher Oktobermorgen!

Ein Stück vor ihm ging ein kleines, chinesisches Mädchen mit einem bunten Ranzen auf dem Rücken. Sie hatte die Hände in ihren Rocktaschen vergraben und kickte gedankenverloren einen Kieselstein vor sich her. Auch viele andere Kinder waren um diese Zeit auf dem Weg zur Schule.

Von der anderen Straßenseite rief plötzlich eine Kinderstimme: "Hallo, Amanda! Komm doch rüber!" Das Mädchen hob den Kopf, lachte und winkte. "Hi, Jacky, ich komme!" rief sie und lief einfach auf die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten. Peter sah wie in Zeitlupe einen dunklen Wagen auf die Kleine zurasen und hörte dessen Hupen wie aus weiter Ferne.

"Halt, pass auf!" brüllte er und hechtete dem Kind hinterher. Er flog förmlich über die Straße, warf sich über das Mädchen und hörte Bremsen quietschen, während er mit ihr über das Pflaster rollte. Keuchend rappelte er sich auf und half dem erschrockenen Kind auf die Beine.

"Bist du okay?" fragte er.

Die Kleine nickte stumm, die Angst stand ihr noch deutlich ins Gesicht geschrieben.

Peter strich ihr über den Kopf. "Ist schon gut, zum Glück ist ja nichts passiert. Aber sei in Zukunft vorsichtiger!" Er lächelte, dieses Kind erinnerte ihn an das kleine Mädchen, das seinem Vater einmal eine Lackschachtel mit einer Grille darin geschenkt hatte.

"Wie heißt du eigentlich?"

"Amanda Wong." antwortete sie schüchtern. "Und du?"

"Ich heiße Peter."

Er stemmte eine Hand in die Hüfte; dabei schob sich sein Mantel etwas zurück. Amanda starrte auf seine Dienstwaffe, die durch diese unbewusste Bewegung sichtbar geworden war.

"Bist du ein Verbrecher?" fragte sie ihn mit großen Augen.

Peter lachte. "Würden denn Verbrecher kleine Mädchen retten? Nein, ich bin einer von den Guten. Ich bin Polizist." meinte er und zwinkerte ihr zu.

"Warum hast du dann keine Uniform an?" fragte Amanda weiter.

"Nicht alle Polizisten tragen Uniformen." erklärte er ihr. "Wenn du möchtest, kannst du mich mal auf dem Revier besuchen, dann erzähle ich dir, was Polizisten so machen. Ich arbeite hier in Chinatown auf dem 101. Würde dir das gefallen?"

Amanda strahlte. "Oh ja!"

"Amanda, jetzt komm endlich! Sonst schimpft Mrs. Perkins uns, weil wir wieder zu spät kommen!" rief das Kind, das Amanda gerufen hatte und nun etwas entfernt auf sie wartete.

"Deine Freundin hat recht!" meinte Peter lächelnd. Amanda lief zu ihr und winkte ihm über die Schulter zu.

****

Drei Tage später brütete Peter gerade über einem Berg Akten auf seinem Schreibtisch und fluchte innerlich über die viele Arbeit, als Sergeant Broderick zu ihm trat.
"Detective Caine, da ist jemand für Sie."

Peter seufzte und sah widerwillig von seiner Arbeit auf. "Wer? Mein Vater? Wenn es Zeit hat, komme ich später bei ihm vorbei, sagen Sie ihm das bitte." Er wollte sich wieder in seine Papiere vergraben, doch der Sergeant schüttelte den Kopf.
"Es ist nicht Ihr Vater. Es ist ein Kind." Er winkte ein kleines Mädchen heran.

Peter lächelte, als er Amanda erkannte. "Schön, dass du gekommen bist, Amanda, aber heute habe ich leider keine Zeit für dich." Er wies bedauernd auf den Papierberg vor sich.

"Ist nicht so schlimm." meinte das Kind verständig. "Ich hab dir was mitgebracht, Peter. Das hab ich selber gemacht, für dich, weil du mich gerettet hast!" verkündete sie stolz und holte etwas hervor, das sie hinter ihrem Rücken versteckt gehalten hatte. Es war ein kleiner, orangefarbener Kürbis, in den sie ein Gesicht geschnitzt hatte.

"Oh, der ist aber schön! Danke, Amanda!" Peter gab ihr einen Kuss auf die Stirn und stellte die Kürbislaterne auf seinen Schreibtisch. "Jetzt habe ich hier ein wenig Halloweenstimmung!" Amanda strahlte.

In diesem Moment kam Kermit mit wehendem Mantel aus seinem Büro geeilt und stolperte beinahe über Amanda, die größtenteils von Peters Schreibtisch verdeckt gewesen war. "Nanu, wir haben Besuch?"

Dann fiel sein Blick auf den Kürbis. "Ich dachte, du machst dir nichts aus Halloween, Peter. Und schon gar nichts aus Kürbissen." Er grinste. "Du hast doch mal erzählt, dass dir von Kürbissuppe speiübel wird!"

Amandas Augen füllten sich mit Tränen.

"Feingefühl, dein Name ist Kermit." Peter schenkte seinem Freund einen tadelnden Blick und legte tröstend einen Arm um das verstörte Mädchen. "Das ist ein Geschenk von Amanda."

"Deine Verehrerinnen werden auch immer jünger!" meinte Kermit noch immer grinsend. Dann wurde er ernst. "Tut mir leid, Amanda, war nicht so gemeint." Er strich ihr über den Kopf. "Regel Nummer eins für Peters Freundinnen: Koche niemals Kürbissuppe, außer du hast gerade vor, mit ihm Schluss zu machen!" Gleich darauf ging er in Deckung, als Peter lachend einen Radiergummi nach ihm warf.

"Au!" Jody hielt sich den Hinterkopf und warf Peter einen ärgerlichen Blick zu. "Wir sind doch hier nicht im Kindergarten, Detective!" Sie betonte seinen Titel etwas süffisant und warf ihm einen gespielt strengen Blick zu. Grinsend suchte Kermit das Weite.

"Wer war das denn?" Amanda kicherte.

"Das war Detective Kermit Griffin, der feinfühligste Polizist von Amerika." antwortete Peter trocken.

"Kermit?" Amanda prustete los. "Der heißt wirklich Kermit? Wie Kermit, der Frosch?"

"Ja, und er fährt sogar ein froschgrünes Auto!" Peter grinste. Er war froh, dass Amanda ihre Fassung wieder gewonnen hatte. Ein weinendes Kind hätte ihn im Moment ein wenig überfordert.

Hinter ihm ertönte ein energisches Räuspern. "Haben Sie nichts zu tun, Detective Caine?"

Peter zog scheinbar schuldbewusst den Kopf ein und verzog das Gesicht. "Der Captain hat gesprochen. Ich fürchte, ich muss dich bitten, zu gehen, Amanda. Komm ein andermal wieder, dann habe ich hoffentlich mehr Zeit für dich!"

Captain Simms warf Peter einen amüsierten Blick zu, dann nahm sie sich des Kindes an und brachte es nach draußen. Peter vergrub sich wieder in seine Akten, so dass keiner das seltsame Leuchten bemerkte, das plötzlich von dem kleinen Kürbis ausging.

****

Peter fühlte sich gereizt. Nichts wollte ihm heute von der Hand gehen, die Arbeit wurde nicht weniger und Jody am Schreibtisch vor ihm benahm sich äußerst seltsam. Sie warf ihm immer wieder anzügliche Blicke zu und flirtete schamlos mit ihm. Als sie wieder einmal an seinem Schreibtisch vorbei kam, blieb sie stehen und beugte sich lasziv zu ihm hinunter. Seine Kollegin trug ein weit ausgeschnittenes Oberteil und ein aufdringliches Parfum, das Peter in die Nase stach.

"Hey, Pete, willst du auch mal was anderes sehen, als diese trockenen, langweiligen Akten?" Sie war so dicht bei ihm, dass seine Nase beinahe ihr Dekolleté berührte.

Peinlich berührt versuchte Peter, ihr auszuweichen, doch seine Bewegungsfreiheit war äußerst beschränkt. "Jody, was soll das? Hör auf damit!"

"Oh, gefällt dir das etwa nicht?" In ihrer Stimme lag gespieltes Bedauern.

"Nein, es gefällt mir ganz und gar nicht, wenn du dich hier vor aller Augen wie ein Flittchen gebärdest!" fuhr er seine Kollegin etwas schärfer als beabsichtigt an. Alle Köpfe fuhren herum und Peter wünschte sich ein Loch unter seinem Schreibtisch, in dem er versinken konnte.

Jody raffte sichtlich gekränkt von der öffentlichen Abfuhr ihre Bluse und stolzierte auf ihren Platz, wo sie sich betont lasziv nieder ließ. Peter wandte sich kopfschüttelnd wieder seiner Arbeit zu. Was ist bloß in sie gefahren? überlegte er verwundert. Sie ist doch sonst nicht so!

Etwas später kam Kermit aus seinem Büro und wanderte geschäftig von einem Schreibtisch zum anderen. Sonst sah man ihn in der Regel nur, wenn er das Revier betrat oder verließ, ansonsten pflegte er nicht, sich länger im Großraumbüro aufzuhalten. Jetzt benahm er sich ziemlich auffällig: Er tauschte mit Blake und Broderick leere Floskeln aus, gab vor, irgendetwas von Jody ausleihen zu wollen und erbot sich schließlich sogar, Skalany Kaffee zu bringen. Dabei schielte er immer wieder zur Tür des Captains hinüber.

Nach einer Weile öffnete sich auch Captain Simms Bürotür. Kermit schien sichtlich erfreut darüber und musterte seine wie immer korrekt gekleidete Vorgesetzte über seine Brille hinweg. Er pfiff anerkennend. "Captain, Sie sehen heute wieder bezaubernd aus! Einfach hinreißend!"

"Danke, Detective." antwortete sie knapp. "Sagen Sie, könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?"

"Aber mit dem größten Vergnügen!" flötete Kermit.

Peter sah überrascht auf. Kermit war zwar seinen Freunden gegenüber stets hilfsbereit und schlug auch dem Captain nichts ab, aber diesmal schien er förmlich darauf gewartet zu haben, sich ihr dienstbar machen zu können. Er trat auf Karen Simms zu, legte einen Arm um ihre Hüften und brachte sie mit elegantem Schwung in eine delikate Pose, so dass sie einen kleinen, überraschten Schrei ausstieß.

Seine Vorgesetzte lag nach hinten gebeugt über seinem Arm, während er sich vorbeugte und sein Gesicht ganz nah an das ihre brachte, bis ihre Lippen sich beinahe berührten. "Wer könnte einer so bezaubernden Lady einen Wunsch abschlagen?" hauchte er.

Captain Simms starrte Kermit einen Moment lang fassungslos an, dann befreite sie sich energisch. "Was erlauben Sie sich, Detective?" donnerte sie. "Wagen Sie das noch einmal, und Sie sind vom Dienst suspendiert!" Sie machte auf dem Absatz kehrt und rauschte zurück in ihr Büro.

"Das wäre es mir wert!" murmelte Kermit äußerst zufrieden vor sich hin und verschwand mit einem mokanten Grinsen und einem äußerst zufriedenen "Oh yeah" in seinem eigenen Büro.

Peter starrte auf die Stelle, an der die beiden eben noch gestanden hatten. "Sind denn heute alle verrückt geworden?" fragte er laut, doch niemand antwortete ihm.

****

"Peter…"

"Was?" bellte Peter ungehalten über die erneute Störung und hob kurz den Kopf. Sein Vater stand vor ihm.

"Mein Sohn, ich spüre, dass das Böse in diesem Revier ist. Ihr seid in Gefahr!"
Peter winkte ungeduldig ab. "Komm schon, Paps, du spürst immer und überall das Böse. Was soll hier in diesem Büro böse sein? Jody und Kermit benehmen sich seltsam, das ist vielleicht verrückt, aber nicht böse." Er blickte kaum von seiner Arbeit auf.

Caine wies auf Amandas Geschenk. "Dieser Kürbis… von ihm geht schlechte Energie aus!" Er bewegte seine Hände in sanften, schwingenden Bewegungen über die kleine Laterne und versuchte offensichtlich, etwas zu erfühlen.

"Ich habe heute keine Zeit für deine Shaolin-Spielchen." brummte Peter ungeduldig. "Vor mir türmt sich die Arbeit, während Kermit sich wie ein Casanova und Jody wie… wie etwas noch viel Schlimmeres benimmt! Und du kommst her und willst mir weismachen, dass ein kleiner Kürbis böse ist?" Er schüttelte verständnislos den Kopf.

Caine sah sehr besorgt aus. "Wo hast du diesen Kürbis her?"

"Den hat mir gestern ein kleines Mädchen geschenkt, das ich davor gerettet habe, auf dem Schulweg überfahren zu werden. Amanda ist vielleicht sieben oder acht Jahre alt, wie sollte sie etwas mit einer dunklen Macht zu tun haben?"

"Das Mädchen sicher nicht. Irgendjemand missbraucht ihr Geschenk." Caine ließ von dem Kürbis ab und sah Peter eindringlich an. "Weißt du, was für ein Tag heute ist?" fragte er ihn.

"Der 31. Oktober, warum?" erwiderte Peter.

"All Hallows Eve."

"All… was? Ach so, du meinst Halloween. Viele Kinder machen sich da solche Laternen, da ist doch nichts dabei." Peter verstand nicht, worauf sein Vater hinaus wollte.

"In dieser Nacht sind die Dunklen Mächte am stärksten. Es ist ihre Nacht!" mahnte sein Vater.

Peter hob ruckartig den Kopf und musterte seinen Vater ärgerlich. "Willst du mir gerade sagen, dass du an Geister und so was glaubst? Paps, ich bitte dich, ich bin ja einiges von dir gewöhnt, aber das ist absolut lächerlich!"

Caine ließ sich jedoch nicht beirren. "Du musst diesen Kürbis vernichten, bevor er eure Seelen zerstört! Er hat sein dunkles Werk bereits begonnen! Siehst du nicht, wie sich deine Kollegen verändert haben?"

"Den Teufel werd ich tun!" brüllte Peter und sprang auf. Er war nun wirklich wütend, dass ihn sein Vater mit seinen angeblichen Vorahnungen von der Arbeit abhielt. "Ich soll das Geschenk eines kleinen Mädchens kaputt machen, weil angeblich das Böse darin wohnt? Und was sage ich ihr, wenn sie wieder herkommt? `Tut mir leid, aber mein Daddy hat gesagt, da wohnt ein böser Geist in dem Kürbis!` Ich habe genug von diesem Unsinn, Vater!" Das letzte Wort spie er förmlich aus und in seiner Rage merkte er gar nicht, dass alle im Großraumbüro ihn entsetzt anstarrten.

"Mein Sohn…" Caine versuchte, ihn zu beschwichtigen.

"Und sag nicht `mein Sohn` zu mir, schließlich sind wir nicht mehr im Tempel und ich nicht mehr fünf Jahre alt! Geh endlich und lass mich mit deinem Shaolin-Kram zufrieden! Ich hab jetzt keinen Nerv dafür!"

"Peter, das Böse ist auch schon in dir!" Caine versuchte, Peters Energie zu erspüren und machte ähnliche Handbewegungen über seinem Kopf wie vorher über dem Kürbis. Doch Peter schlug seine Hände weg.

"Lass mich einfach in Ruhe, ja? Wenn dir wirklich etwas an meinem Wohlergehen liegt, lässt du mich jetzt meine Arbeit tun, bevor ich Ärger mit dem Captain kriege! Du blamierst mich vor meinen Kollegen mit diesem Schwachsinn! Geh einfach und lass mich in Ruhe! Ich will dich hier nicht mehr sehen!" Peter raste, der Schweiß war ihm ausgebrochen und er atmete schwer.

Caine spürte, dass er im Moment nichts ausrichten konnte, ließ seine Hände sinken und verließ wortlos das Revier. Peter sank auf seinen Stuhl zurück. Im Büro war es so still, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören. Er blickte auf und merkte, dass alle ihn anstarrten.

"Habt ihr nichts zu tun? Die Show ist vorbei!" herrschte er seine Kollegen an und sofort wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Peter vergrub erschöpft das Gesicht in den Händen.

****

"Meister, mein Sohn und seine Freunde sind in großer Gefahr, doch er ist blind für die Bedrohung, die von der Kürbislaterne ausgeht!" Caine sah den Alten beinahe flehend an.

"Wir haben nicht mehr viel Zeit, Kwai Chang Caine." meinte dieser besorgt. "Diese Nacht ist die Dunkle Nacht. Die Nacht der Dunklen Mächte, in denen ihr Einfluss stärker ist, als an jedem anderen Tag. Wenn der Bann, der über dem Revier liegt, nicht bis Mitternacht gebrochen wurde, ist er unumkehrbar!" Der Ehrwürdige hielt die Hände vor dem Bauch gefaltet und betrachtete Caine ernst.

"Dein Sohn ist bereits im Bann des Bösen, deshalb ist er so verändert und kann die Gefahr nicht sehen. Er wird den Kürbis nicht zerstören. Du musst es tun!"

Caine nickte. "Ich weiß. Ich werde dort hingehen, wenn Peter nach Hause gegangen ist." Doch ihn beschäftigte noch etwas anderes. "Wer hat das Geschenk des kleinen Mädchens für seine Zwecke missbraucht? Wer wollte Macht bekommen über ihn und seine Kollegen? Und vor allem, warum?"

"Das Geschenk war für deinen Sohn bestimmt. Er ist das Ziel. Und damit auch du."

 

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