Der Aufbruch Paul und Annie saßen nach erfülltem Tagewerk in ihrer Hütte und betrachteten ihre beiden kleinen Töchter beim Spielen, als es an die Tür klopfte. Ein alter Mann mit grauem Haar und Bart stand davor und in seinen Armen hielt er einen in grobe Decken gewickelten Säugling. "Seid so gut und nehmt euch des Knaben an!" bat er sie. "Achtet gut auf ihn, denn wenn er heran gewachsen ist, so wartet eine besondere Bestimmung auf ihn. Wenn zwölf Winter vergangen sind, ist für ihn die Zeit gekommen, sich auf den Weg zu machen. Zwölfmal muss die Sonne aufgehen, ehe er sein Ziel erreicht und drei tapfere Freunde werden ihn auf seinem Weg begleiten. Der erste Freund bricht mit ihm auf, den zweiten wird er finden, wenn die Sonne zum dritten Male aufgegangen ist. Der dritte Freund begegnet ihm mit Glück. Das Schicksal unseres Königreiches liegt allein in den Händen dieses Knaben!" mahnte der Alte noch. Dann legte er Paul den Säugling in die Arme, nickte Annie zu und verschwand im Dunkel der Nacht. *** Peter öffnete die Stalltür und betrat den zwielichtigen Raum. Die vertrauten Geräusche stampfender Pferde und raschelnden Strohs umfingen ihn und er sog den Duft von Heu und dampfendem Fell ein. Er nahm die Mistgabel, die an der Wand lehnte und begann mit dem Ausmisten. Zunächst arbeitete er konzentriert und zügig, doch sein Blick wanderte immer wieder zu den beiden Stuten und dem jungen Hengst Aramis hinüber. "Oh, wenn ich dich nur reiten dürfte!" sprach er ihn sehnsuchtsvoll an. "Aber Paul lässt ja niemanden an dich heran." Reiten konnte er, da er die Stuten regelmäßig ins Dorf zum Schmied bringen musste und es zu lange dauern würde, wenn er sie führte. Und besonders jetzt im Frühling zog es ihn hinaus in die Natur, die in voller Blüte stand und erfüllt war von Düften und Vogelgezwitscher. Peter stützte sich auf die Heugabel und versank in eine Tagträumerei. Als die Stalltür knarrend geöffnet wurde, fuhr er zusammen und beeilte sich, seine Arbeit wieder aufzunehmen. "Es tut mir leid, Paul!" rief er schuldbewusst. "Ich bin sofort fertig!" Sein Ziehvater legte Peter eine Hand auf die Schulter. "Das hat Zeit. Komm, ich möchte dir etwas sagen." Paul seufzte. Er liebte diesen Knaben wie einen eigenen Sohn, doch nun war die Zeit gekommen, ihn seinem Schicksal anzuvertrauen. Er betrachtete ihn liebevoll, wie sein weiches, braunes Haar seine Wangen umspielte und seine haselnussbraunen Augen ihn fragend ansahen. "Was für ein hübscher Knabe, er gleicht eher einem Prinz, als einem Bauernkind." dachte er bei sich. "Peter," begann er, "ich habe dir von dem alten Mann erzählt, der dich damals zu uns brachte und dich uns anvertraute." Peter nickte. "Ja, das hast du mir oft erzählt." "Wir haben dich wie unseren eigenen Sohn behandelt und du hast uns viel Freude bereitet. Doch es ist nicht deine Bestimmung, ein Bauer zu werden. Du bist nun alt genug, heraus zu finden, wer du wirklich bist. Ich habe dir alles beigebracht, was ich weiß und meine Aufgabe ist erfüllt." Peter schluckte und seine Augen schimmerten verdächtig. "Aber… Paul… willst du mich fortschicken? Ich möchte nicht fortgehen, ich bin doch hier zu Hause!" "Meine Türe wird dir und den deinen immer offen stehen." versprach Paul. "Doch du musst deine Bestimmung finden, von der der alte Mann sprach. Er sagte mir, ich solle dich auf den Weg schicken, wenn zwölf Winter vergangen sind. Du musst immer der aufgehenden Sonne folgen, und wenn sie zum zwölften Male aufgegangen ist, dann bist du am Ziel." Paul nahm ein Zaumzeug vom Haken. "Zum Abschied möchte ich dir jemanden mitgeben. Er soll dir Lohn für deine Arbeit sein und dir deinen Weg erleichtern. Vor allem aber soll er dein Freund sein." Er trat auf Aramis zu und legte ihm das Zaumzeug an. Dann holte er Aramis' Sattel und legte ihn ebenfalls an. Schließlich gab er Peter die Zügel in die Hand. "Er gehört dir." Zögernd nahm Peter die Zügel in die Hand. "Wenn du dich einsam fühlst und mit jemandem sprechen möchtest, dann sprich die Worte 'caballus orare'." Peter fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits freute er sich unglaublich über dieses Geschenk und andererseits war er tieftraurig darüber, dass er Paul und seine Familie verlassen musste. Doch allmählich wurde er neugierig auf diese geheimnisvolle Bestimmung, die ihn erwartete. Am Abend kochte seine Ziehmutter ein Festmahl, wie sie es sonst nur an Feiertagen tat. Was übrig blieb, packte sie ihm als Proviant ein. Am nächsten Morgen verabschiedete sich Peter schweren Herzens von seiner Familie und machte sich auf den Weg.
Endlich hatte sich sein Traum erfüllt und er durfte Aramis reiten, doch so richtig glücklich war er trotzdem nicht. Was war das nur für eine Bestimmung, die ihn erwartete? Warum musste er dafür seine Familie verlassen, die ihm lieb und vertraut war? Der erste Tag zog sich in die Länge und am Abend kroch er in einer Scheune unter. Am nächsten Tag war ihm schon ein wenig leichter und er begann, seine neue Freiheit zu genießen. Keine harte Arbeit wartete auf ihn, er konnte über Wiesen und Felder reiten, durch lichte Wälder oder an Bächen entlang. Er konnte rasten, wann und wo es ihm gefiel und andere Dörfer und manchmal sogar eine Stadt sehen. Niemand wunderte sich über den einsamen Reiter, er würde wohl eine Botschaft zu überbringen haben oder das Pferd zu einem neuen Besitzer bringen. Immer fand Peter Unterschlupf und bekam von den Bauern zu essen. So vergingen die Tage und bald ging die Sonne zum
dritten Mal auf. Am Abend kam er an einen tiefen, dunklen Wald und begann, sich zu fürchten. Längst hätte er sich ein Nachtlager suchen sollen, es war töricht, im Stockdunklen in diesen Wald zu reiten. Peter überlegte, was er tun sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er diesem geheimnisvollen Freund jetzt noch begegnen sollte. Er saß ab und wollte sich schon in seine Decke einrollen, als er ein schwaches Licht durch die Bäume schimmern sah. "Vielleicht ist dort ein Haus?" überlegte er und saß noch einmal auf. "Los, Aramis, lass uns nachsehen!" Er ritt auf das Licht zu und schaute nicht nach rechts und nicht nach links, da ihm das Dunkel unheimlich war. Langsam wurde das Licht größer und tatsächlich stand er bald vor einer kleinen, ärmlichen Hütte. Müde glitt Peter aus dem Sattel und beschloss, um ein Nachtlager zu bitten, ob nun der Alte darin wohnte oder nicht. Auf sein Klopfen hin öffnete tatsächlich ein alter, gebeugter Mann mit grauem Haar und Bart und freundlichen Augen. "Willkommen, junger Peter!" begrüßte er ihn und lächelte verschmitzt. "Da bist du ja endlich! Komm herein, du musst müde und hungrig sein." Peter war tatsächlich zum Umfallen müde und er glaubte, er träume schon, als er auf der Schulter des Mannes einen kleinen grünen Laubfrosch sitzen sah. Er hatte schon viele Geschichten von Hexen und Zauberern gehört, denen schwarze Katzen und Raben auf den Schultern saßen, aber noch niemals von einem grünen Frosch. "Seid Ihr ein Zauberer?" fragte er den Alten, als er ihm gegenüber am Tisch saß und aus einer Schüssel Eintopf löffelte. "Ich weiß viele Dinge, die andere nicht wissen. In gewisser Weise bin ich vielleicht sogar ein Zauberer, wer weiß?" antwortete dieser verschmitzt. "Ihr wusstet, wer ich bin und dass ich heute zu Euch kommen würde." meinte Peter. "Ja, das wusste ich, denn es ist Teil deiner Bestimmung." "Was ist denn meine Bestimmung? Könnt Ihr es mir denn nicht sagen?" wollte der Junge wissen. "Das musst du selbst herausfinden. Aber ich werde dir jemanden mit auf den Weg geben, der dir dabei helfen kann und der dich beschützt, wenn es notwendig ist." Mit diesen Worten nahm der alte Mann den kleinen Frosch von seiner Schulter und setzte ihn vor Peter auf den Tisch. "Den Frosch? Aber wie kann mich denn ein Laubfrosch beschützen?" Peter lachte. "Sieh dich vor, wenn du Kermitus verärgerst, wirst du es nicht leicht mit ihm haben!" warnte der Alte ihn ernst. Peter versuchte, sich zusammen zu nehmen. "Kermitus ist kein gewöhnlicher Frosch."
fuhr der alte Mann fort. "Wenn du in Gefahr gerätst, aber nur
dann, sprich die Worte 'rana defendus', und Kermitus wird dir helfen.
Aber bedenke, nur dreimal kann er dir auf diese Art helfen. Also überlege
sorgsam, ob du seiner Hilfe bedarfst!" Am nächsten Morgen gab ihm der Alte Brot und Räucherfleisch mit auf den Weg und ermahnte ihn: "Reite immer der aufgehenden Sonne entgegen. Noch achtmal muss sie aufgehen, ehe du dein Ziel erreichst. Und denke daran: Mit Glück begegnest du deinem dritten Freund!" Peter winkte dem Alten noch einmal zum Abschied zu. "Habt Dank für alles!" Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt der Sonne entgegen. "Zwei Freunde habe ich nun: Ein Pferd und einen Frosch. Wie mag wohl der dritte aussehen?" überlegte und fragte sich, wie ihm diese Freunde wohl von Nutzen sein konnten, um seine Bestimmung zu finden. Gut, Aramis half ihm, schneller voran zu kommen und er fühlte sich mit ihm sicherer, als wenn er zu Fuß unterwegs gewesen wäre. Aber wie konnte ihm ein kleiner Laubfrosch helfen? Die Antwort darauf bekam Peter einige Tage später. Die Wälder und Wiesen hatte er hinter sich gelassen und Aramis erklomm einen steilen Pfad in einem felsigen Gebirge. Die Sonne stand schon tief und es wurde allmählich Zeit, sich nach einem geeigneten Platz für ein Nachtlager umzusehen. Plötzlich dröhnte und polterte es um ihn herum und einige kleine Steine prasselten von der Felswand auf ihn herab. Angstvoll sah Peter sich um und Aramis begann, nervös zu tänzeln. "Was war das?" fragte Peter schaudernd. Jetzt war alles still. Doch nur Augenblicke später dröhnte und polterte es erneut, diesmal begleitet von einem grunzenden Schnauben. Peter duckte sich und hielt sich schützend den Arm vors Gesicht, als wieder Steine und kleine Felsen den Hang herab polterten. Aramis wieherte in Panik und wollte steigen. Peter hob den Kopf und was er über dem Felsrand erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Dort oben saß ein leibhaftiger Drache! Peter hatte alle Mühe, Aramis im Zaum zu halten. Während er darum kämpfte, nicht von ihm abgeworfen zu werden und ihn zu beruhigen, fiel sein Blick auf den kleinen Frosch, der vor ihm in der Mähne des Pferdes saß. "Rana defendus!" rief er die Worte, die ihm der Alte gesagt hatte und plötzlich war Kermitus verschwunden. Stattdessen erhob sich neben Aramis und Peter ein Ritter in voller Rüstung aus dem Staub. Er wandte sich etwas schwerfällig zu dem Jungen um, schob sein Visier nach oben und erkundigte sich mit einem wölfischen Grinsen: "Womit kann ich dienen?" "Was… Wer bist du?" fragte Peter verblüfft und vergaß einen Moment lang den Drachen auf dem Felsen über ihnen. "Ritter Kermitus, stets zu Diensten." stellte sich der Recke mit einer eleganten Verbeugung vor. "Was kann ich für dich tun?" "Du… du warst doch eben noch ein Frosch!" Das wölfische Grinsen wurde noch eine Spur breiter. "Ich bin ein Wandelfrosch, praktische Sache übrigens. Bloß die Verpflegung ist auf die Dauer etwas eintönig, immer nur Fliegen und Käfer." Er verzog das Gesicht. "Aber jetzt sag mal, warum hast du mich gerufen? Ich sehe hier weit und breit keine Gefahr." Peter erinnerte sich wieder an das Ungetüm und zeigte nach oben. "Dann sieh mal da rauf!" Kermitus hob ebenfalls den Kopf und verlor beim Anblick des Drachens beinahe das Gleichgewicht. "Meiner Treu! Diese Eidechse ist für meinen Geschmack aber ein wenig zu groß geraten!" entfuhr es ihm. Der Drache auf dem Felsenkamm heulte entrüstet auf. "Eidechse? Wer nennt mich hier eine Eidechse? Ich bin eine ganz seltene Spezies und keine Eidechse, jawohl!" Beleidigt wandte der Drache ihnen sein Hinterteil zu. "Hat man da noch Töne!" meinte Kermitus. "Jetzt ist sie beleidigt!" "Sie?" fragte Peter. "Ja, oder glaubst du, ein Drachenmännchen würde so reagieren? Das," Er zeigte auf den grüngeschuppten Rücken der Riesenechse, "ist ein Drachenweibchen. So wahr ich ein Wandelfrosch bin." "Und was machen wir jetzt?" wollte Peter wissen. Gefährlich schien ihm der Drache nicht zu sein, sonst hätte er sie schon längst angegriffen. "Jetzt kannst du etwas über den Umgang mit Frauen lernen." meinte Kermitus mit einem Augenzwinkern. Dann wandte er sich in Richtung Drachenrücken und rief mit lauter Stimme: "Verzeih, aber mit deinen schlanken Beinen und deinem zierlichen Köpfchen habe ich dich von Fern für eine Eidechse gehalten. Jetzt sehe ich, dass du ein wunderschönes Drachenweibchen bist!" Er zwinkerte Peter zu, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, denn die Beine des Drachen waren alles andere als schlank und sein Kopf hatte die Größe einer Felsenkuppe. Langsam drehte sich der Drache um. Seine Augen glänzten und seine Wangen waren leicht gerötet. "Meinst du wirklich? Du meinst wirklich, ich bin… schön?" "Aber ja!" rief Kermitus, die Hände kühn in die Hüften gestemmt. "Du bist wahrlich ein Prachtexemplar von einem Drachen!" "Oooooh!" seufzte der Drache. "So etwas Schönes hat mit noch nie jemand gesagt. Immer haben alle nur Angst vor mir und laufen schreiend davon." Das Drachenweibchen beugte sich über den Felsen, um Kermitus besser sehen zu können. "Wer bist du denn?" fragte sie ihn. Kermitus nahm seinen Helm ab und wallendes, schwarzes Haar kam zum Vorschein, das ihm bis auf die Schultern reichte und nur an der Stirn von einer silbernen Strähne durchzogen war. Seine dunklen Augen blitzten schelmisch und das wölfische Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht. "Ritter Kermitus, stets zu Diensten." stellte er sich ein weiteres Mal vor und verbeugte sich galant. "Ein Ritter!" rief das Drachenweibchen entzückt. "Ein richtiger Ritter! Und so ein schmucker dazu! Ooooh, ich habe mir schon immer gewünscht, dass mir ein stolzer Ritter begegnet, der sein Herz an mich verliert…" "Ich glaube, die ist in dich verliebt!" flüsterte Peter und unterdrückte ein Lachen. Kermitus verzog das Gesicht. "Das hat mir
gerade noch gefehlt! Ein verliebter Drache!" Der Drache warf sich in die Brust. "Ich bin Tamari, der Glücksdrache! Glücksdrachen sind ganz selten, wisst ihr!" verkündete sie stolz. Glück, da war doch etwas mit Glück, überlegte Peter. Ach ja, sein dritter Freund sollte ihm mit Glück begegnen. Konnte es also sein, dass… "Tamari!" rief er. "Du bist also ein freundlicher Drache?" Tamari nickte eifrig. "Absolut! Ich bin der freundlichste Drache, den man sich vorstellen kann!" "Willst du mit uns kommen? Wir könnten gut jemanden gebrauchen, der uns Glück bringt!" "Ooooh, wirklich? Ich darf mit euch mitkommen?" jubelte das Drachenweibchen. "Ja, wir möchten gerne, dass du unsere Freundin bist!" meinte Peter lächelnd. "Oh, dann habe ich ja gleich zwei Freunde auf einmal!" freute sich Tamari. "Drei." verbesserte Peter sie. "Aramis hier ist dann auch dein Freund." Er klopfte seinem Pferd den Hals. "Geht klar!" antwortete Tamari. "Gut, dann können wir ja weiter gehen." sagte Kermitus. So plötzlich, wie er erschienen war, verschwand er wieder und an seiner Stelle hockte der kleine grüne Laubfrosch auf dem felsigen Boden. Mit einem großen Satz hüpfte er auf seinen Platz in Aramis' Mähne und machte es sich dort gemütlich. "Wo ist mein schöner Ritter?" heulte Tamari waidwund auf. "Keine Bange, er ist hier!" tröstete Peter sie und zeigte ihr den Frosch. "Er ist ein Wandelfrosch." "Mein Ritter ist ein Frosch?" Tamari zog einen Flunsch. "Na ja, besser als gar kein Ritter." lenkte sie ein und machte sich daran, Peter über das Gebirge zu folgen. Am nächsten Tag schlug das Wetter um. Die Freunde hatten das Gebirge noch nicht hinter sich gelassen und in den Bergen änderte sich das Wetter bekanntlich schnell. Dunkle Wolken türmten sich drohend am Horizont und bald rollte der Donner über die Felsen und Blitze zuckten herab. Peter sah sich nach einem Unterschlupf um und gerade, bevor der Regen herab zu stürzen begann, entdeckte er eine Höhle. Er führte Aramis hinein, Kermitus saß geborgen in dessen Mähne. Tamari rollte sich im Höhleneingang zusammen und bot Peter so zusätzlichen Schutz vor dem Unwetter. Es dauerte nicht lange, da begann das Drachenweibchen friedlich zu schnarchen und auch Peter fühlte sich schläfrig. Doch er konnte keinen Schlaf finden; das tosende Gewitter und seine kreisenden Gedanken hielten ihn wach. Zu schade, dass er niemanden hatte, mit dem er sich unterhalten konnte. Kermitus durfte er nur rufen, wenn Gefahr drohte und Tamari war nicht der richtige Gesprächspartner für diese Art Gespräche. Peter fühlte sich trotz seiner drei Freunde plötzlich einsam. Da fielen ihm die Worte seines Ziehvaters wieder ein. "Wenn du dich einsam fühlst und mit jemandem sprechen möchtest, dann sprich die Worte 'caballus orare'." "Caballus orare." flüsterte Peter, um Tamari nicht aufzuwecken. "Na endlich, das wurde aber auch Zeit!" antwortete Aramis. Peter fuhr erschrocken zurück. "Aramis, du… du sprichst ja!" stammelte er. Der Hengst schüttelte seine Mähne. "Nachdem du einem Wandelfrosch und einem sprechenden Drachen begegnet bist, sollte dich das eigentlich nicht mehr überraschen." meinte er leicht belustigt. Peter grinste verlegen. "Weißt du, die zwei sind so ungewöhnlich, da überrascht mich das nicht. Aber dich kenne ich, seit du geboren wurdest und du warst immer ein gewöhnliches Pferd, so wie Pauls andere Pferde auch. Ich hätte niemals damit gerechnet…" "Manchmal muss man sehr genau hinsehen, um die Besonderheiten eines Freundes zu erkennen." erklärte Aramis. "Die Persönlichkeit eines Menschen oder Tieres beschränkt sich nicht auf das Offensichtliche." Der Hengst schnoberte an Peters Schulter. "Du bist so nachdenklich, Peter. Erzähle mir, was dich bedrückt." Der Junge seufzte. "Aramis, was tue ich hier? Warum ziehe ich mit einem Wandelfrosch, einem verliebten Drachenweibchen und einem sprechenden Pferd durch die Lande? Was ist diese Bestimmung, von der Paul und der Alte gesprochen haben?" "Hast du dich niemals gefragt, wer deine richtigen Eltern sind?" fragte sein Freund. "Oh doch, sehr oft sogar. Aber wie soll ich das herausfinden? Ich weiß doch gar nichts über sie." "Morgen geht die Sonne zum zwölften Male auf, seitdem wir beide aufgebrochen sind. Dann erreichen wir unser Ziel und du wirst deinem Vater begegnen." prophezeite Aramis. Peter war noch nicht recht überzeugt. "Woher werde ich wissen, dass er es ist?" "Du wirst es fühlen." versprach ihm der Hengst. Plötzlich brauste es ohrenbetäubend und eine Stichflamme schoss haarscharf über ihre Köpfe hinweg. Peter unterdrückte einen Aufschrei und duckte sich zu Tode erschrocken. "Gesundheit!" wünschte Aramis gelassen. "Du wirst dich doch nicht etwa erkältet haben, Tamari?" Das Drachenweibchen zog die Nase hoch und schüttelte sich. "Ich glaub, ich hab mir den Schwanz verkühlt!" jammerte es. "Das nächste Mal nies bitte nach draußen." gebot der Hengst tadelnd. "Sonst gehen wir noch alle in Flammen auf! Apropos, hat Kermitus was abbekommen?" Peter beeilte sich, nach dem kleinen Frosch zu sehen, der noch immer in Aramis' Mähne saß. "Er ist jedenfalls nicht verkohlt, nur etwas erschrocken." stellte er erleichtert fest. Tamari zuckte schon wieder verdächtig mit der Nase und konnte sich gerade noch umdrehen. Eine weitere Stichflamme fuhr durch einen Baum vor dem Höhleneingang und hinterließ ein Gerippe aus rauchenden, verkohlten Ästen. "Upsi!" sagte Tamari verlegen. ***
Am nächsten Tag ließen sie das Gebirge endlich hinter sich und kamen in ein liebliches Tal. Nach einigen Stunden strammen Marsches konnten sie in der Ferne ein Schloss mit vielen Türmen und Zinnen ausmachen. "Das ist das Schloss des Königs!" stellte Peter überrascht fest. "Ich habe mir schon immer gewünscht, es einmal aus der Nähe zu sehen! All die feinen Menschen und die edlen Ritter! Und natürlich den König! Das muss großartig sein, ein Ritter des Königs zu sein und im Schloss ein und aus gehen zu können!" seufzte er sehnsüchtig. "Paul meinte, es sei nicht meine Bestimmung, ein Bauer zu werden. Vielleicht ist es mir dann bestimmt, ein Ritter zu sein?" Seine Augen strahlten bei dem Gedanken. "Ein edles Streitross habe ich ja schon!" meinte er an Aramis gewandt und tätschelte seinem Hengst den Hals. "Zuviel der Ehre…" erwiderte der belustigt. "Und mit Tamari übst du dann das Drachen-Bekämpfen, ja?" Das Drachenweibchen, das ihnen stets ein Stück voraus war, drehte sich entrüstet zu ihnen um. "Ich muss nicht bekämpft werden, weil ich ein ganz lieber Drache bin, jawohl!" schnaubte sie. "Das weiß ich doch, Tamari!" beruhigte Peter sie. "Du bist doch meine Freundin und seine Freunde bekämpft man nicht." "Das will ich dir auch geraten haben, sonst könnte es nämlich passieren, dass dir ein bisschen warm wird!" Zur Demonstration pustete sie einige kleine Flämmchen aus ihren Nüstern. Peter lachte. "Na, zum Kerzen anzünden könnte es reichen!" gab er grinsend zurück. Tamari begutachtete unglücklich das magere Ergebnis ihrer Bemühungen. "Das liegt nur daran, dass ich einen Schnupfen habe." greinte sie. Je näher sie dem Schloss kamen, desto seltsamer wurde Peter zumute. Alle Leute, denen sie begegneten, fielen vor ihm auf die Knie, als sei er ein Prinz. Im Dorf, das zu Füßen des Schlosses lag, breitete sich bei seiner Ankunft Jubel aus und selbst die Tatsache, dass er sich in Begleitung eines ausgewachsenen Drachen befand, schien die Leute nicht abzuschrecken. "Aramis, was hat das zu bedeuten?" fragte Peter verwundert. "Das wirst du bald erfahren. Jetzt musst du ins Schloss gehen und dem König deine Aufwartung machen." gebot der Hengst. "Wir werden im Schlosshof warten." Die Wachen vor dem Schlosstor ließen die Freunde widerstandslos passieren und sanken ebenfalls in die Knie. Peter fühlte sich äußerst unwohl dabei; er war abgerissen und schmutzig von seiner Reise und hatte eigentlich erwartet, wie ein Bettler davon gejagt zu werden. Im Hof saß er ab und ein Stallknecht nahm Aramis' Zügel und führte ihn zum Stall, um ihm Futter und Wasser zu geben. Kermitus war unbemerkt in Peters Kitteltasche gehüpft. Tamari suchte sich eine gemütliche Ecke und rollte sich für ein Nickerchen zusammen. Eine Wache geleitete Peter in den Thronsaal. Staunend betrachtete Peter die vergoldeten Möbel und Bilderrahmen, die Samtpolster und die Deckengemälde in den prunkvoll ausgestatteten Räumen mit den hohen Decken. Der Thronsaal wurde von etlichen Marmorsäulen getragen, zwischen denen ein schmaler, roter Teppich zum Thron führte. Ehrfürchtig schritt Peter darauf entlang. Viele Ritter und Edelleute hatten sich rechts und links davon versammelt und richteten nun ihre Blicke auf ihn. Doch Peter nahm sie nicht wahr, er hatte nur Augen für den König. Des Königs Haar war bereits ergraut und fiel ihm auf die Schultern. Dieser König hatte wenig Majestätisches an sich, doch er besaß eine ganz besondere Ausstrahlung, die Peter sofort in ihren Bann zog. Seine Augen sahen den Jungen gütig und beinahe zärtlich an und waren ihm merkwürdig vertraut. Je näher er dem König kam, desto mehr hatte er das seltsame und doch sehr wohltuende Gefühl, nach Hause zu kommen. Er fühlte sich diesem Mann auf eine unerklärliche Art tief verbunden. All diese Eindrücke zogen ihn so in ihren Bann, dass er beinahe vergaß, was sich gehörte. Etwas beschämt sank er vor dem König in die Knie und senkte demütig den Blick. "Euer Majestät." "Sei willkommen, junger Peter!" ertönte eine bekannte Stimme. Als der Junge aufsah, fand er sich dem alten Mann aus der Hütte im Wald gegenüber. Er stand an der Seite des Königs und sah ihn mit freundlichen Augen an. "Du bist von weither zu uns gekommen und hast auf deinem Wege Glück, Tapferkeit und Weisheit gefunden. Diese Gaben bringst du uns, wie es die Prophezeiung vorher gesagt hat. Nur ein Kind von königlichem Blut kann uns von dem Joch des Bösen befreien, ein Kind, dem Liebe und Freundschaft zuteil wurde und das auf der Suche nach sich selbst seine wahren Wurzeln findet. So legen wir denn das Schicksal unseres Königreiches in deine Hände." Peter hatte etwas bestürzt gelauscht. "Aber ich bin nicht von königlichem Blut!" erwiderte er verwundert. "Doch, das bist du, Prinz Peter." antwortete der Alte mit einem Lächeln. Bei diesen Worten veränderte sich der Blick des Königs. Seine Augen nahmen einen sonderbaren Glanz an und man konnte in ihnen lesen, wie er versuchte, das Gehörte zu begreifen. Peter konnte seltsamerweise deutlich spüren, wie sehr der König bewegt war, obgleich er äußerlich noch immer völlig ruhig wirkte. Er spürte die inneren Regungen des Königs wie seine eigenen, was ihn sehr verwirrte. Er hatte das Gefühl, als streckten sich ihm sehnsuchtsvoll seine Arme entgegen, die ihn an sich ziehen wollten. Doch der König saß unverändert auf seinem Thron. Er lächelte jetzt und richtete das Wort an Peter. "Vor zwölf Jahren wurde mir ein Sohn geboren, doch die Königin starb im Kindbett. Man sagte mir, dass auch das Kind gestorben sei. All die Jahre habe ich um meine Frau und um meinen Sohn getrauert, all die Jahre hatte ich den Untergang meines Reiches befürchtet, denn wer sollte nach mir den Thron besteigen? Als sei dies nicht genug, wurde mein Reich bald von den Klauen des Bösen ergriffen und alle Hoffnung auf Rettung schwand. Wie sollte sich die Prophezeiung des Ehrwürdigen erfüllen, nachdem es kein Königskind gab?" Er erhob sich und legte Peter die Hand auf die Schulter. "Doch nun bist du heimgekehrt, mein Sohn!" sagte er voll Wärme. Peter spürte seine Knie weich werden. Das konnte doch nur ein Traum sein! Peter verlor sich abermals im Blick des Königs und fühlte sich wie in einer zärtlichen Umarmung geborgen. Doch er fühlte sich jäh aus diesen schützenden Armen gerissen, als er den König fortfahren hörte: "Doch dieses Glück ist nicht von Dauer. Große Gefahren warten auf dich, mein Sohn. Gefahren, die uns erneut für immer trennen können." Tiefe Trauer stand nun in den Augen des edlen Mannes. "Der Gedanke daran zerreißt mir das Herz, doch ich habe keine Wahl. Folgst du nicht deiner Bestimmung, so müssen wir alle sterben." Peter versuchte, aus diesem Wirbelsturm an Gefühlen aufzutauchen. Konnte das wirklich alles wahr sein? Angstvoll suchte er den Blick des Alten. "Was ist denn nun meine Bestimmung?" fragte er ihn drängend. "Könnt Ihr es mir jetzt sagen? Alle hier scheinen es zu wissen, nur ich weiß es nicht." Der König nickte Peter freundlich zu und nahm wieder auf seinem Thron Platz. Der Ehrwürdige trat nun zu dem Jungen und drehte ihn sanft zu den Menschenmassen um. Der Saal hatte sich gefüllt; neben den Adligen und Rittern war nun auch das einfache Volk herein gedrängt und alle hielten voller Spannung den Atem an. Der Alte hob Peters Arm empor und rief mit lauter Stimme: "Prinz Peter ist zu uns gekommen, um unser Land von dem Joch des Schwarzen Ritters zu befreien!" Da brach lauter Jubel aus und niemand konnte mehr an sich halten. Kopfbedeckungen flogen durch die Luft und die Leute sangen und tanzten vor Begeisterung. Peter fühlte Panik in sich aufsteigen, als er die Worte des Alten hörte und die Menge toben sah. Wie sollte er gegen einen so mächtigen Mann, der ein ganzes Land geknechtet hatte, ganz allein eine Chance haben? "Du bist nicht allein, Prinz Peter." sagte der Alte leise, als habe er seine Gedanken gelesen und tippte verschmitzt lächelnd mit dem Zeigefinger auf Peters Kitteltasche. "Quoak!" machte es darin krächzend und etwas zappelte und kitzelte Peter am Bauch. Verwundert griff Peter hinein und förderte den kleinen, grünen Frosch zutage. "Kermitus!" rief er überrascht, "Wie kommst du denn in meine Tasche?" "Siehst du, er lässt dich nicht allein." meinte der Alte schmunzelnd. "Und er ist nicht dein einziger Freund." Peter dachte an seinen klugen Hengst Aramis und an das liebenswerte Drachenweibchen Tamari. Ja, allein war er tatsächlich nicht. Doch auf eine Frage hatte er noch immer keine Antwort erhalten. "Aber was hat es denn nun mit diesem schrecklichen Schwarzen Ritter auf sich?" "Der Schwarze Ritter lebt im Lande der Finsternis in seinem düsteren Schloss in den Schwarzen Bergen. Das Gebirge, über das du gekommen bist, sind die Weißen Berge und das Tal zwischen diesen Gebirgen ist unser Königreich, das Blühende Land. Tausende und Abertausende Jahre lebte der Schwarze Ritter allein in seinem Schloss und viele Legenden rankten sich um ihn. Doch eines Tages stieg er von den Bergen herab und begann, unser Volk zu unterjochen. Alle mussten nun für ihn arbeiten und den Großteil ihrer Ernte abgeben. So wurde unser Volk bettelarm und die meisten Menschen müssen Hunger leiden. Wer ihm nicht gehorcht, den holt er sich als Sklave auf sein Schloss. Dann hörte der Schwarze Ritter von der Prophezeiung, dass nur ein Kind ihn vernichten könne und so begann er, alle Kinder zu rauben und auf sein Schloss zu bringen." Peter wurde nun klar, was ihm die ganze Zeit seltsam vorgekommen war: Er hatte noch kein einziges Kind gesehen. "Doch er wusste nicht, dass dieses Kind von königlichem Blut sein muss." fuhr der Alte fort. "Die Königin hatte dem König auch nach sieben Jahren noch kein Kind geschenkt, doch gerade in der schlimmsten Zeit war sie plötzlich guter Hoffnung. Doch hier durfte das Kind nicht aufwachsen, also nahm ich den Knaben, kaum dass er geboren war, an mich und brachte ihn weit fort, wo er bei einfachen Leuten aufwuchs, ohne etwas von seiner Bestimmung zu ahnen. Nicht einmal der König durfte davon wissen." Der Ehrwürdige betrachtete Peter gütig, während um sie herum noch immer der Jubel brandete. "Nun kennst du deine Geschichte, Prinz Peter, jetzt zeige uns, dass du ihrer würdig bist." Peter schluckte. Er wusste noch nicht, wie er es anstellen sollte, den Schwarzen Ritter zu besiegen, doch er sah, dass alle Hoffnung auf seinen Schultern ruhte und er wollte sein Volk und seinen Vater, den König, nicht enttäuschen. Jetzt wusste er endlich, wer er war und das gab ihm Kraft und Zuversicht. Er richtete sich auf und straffte seine Schultern. "Ich werde mich meiner Bestimmung stellen!" rief er laut, woraufhin der Jubel noch lauter wurde. ***
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