Teil 1
Autor: Ratzenlady
 

Peter setzte seine Füße auf das zarte Grün der Wiese. Seine Bewegungen waren fließend, kontrolliert ließ er seine Hände durch die Luft schwingen, veränderte seine Fußstellung, drehte sich um die eigene Achse. Er vollzog die Übungen mit geschlossenen Augen.

Die Sonnenstrahlen des Frühlings erwärmten sein Gesicht, auf dem ein Lächeln lag. Die letzten Wochen und Monate waren ruhig verlaufen, sein mentales Training hatte gefruchtet. Er war nah dran, sich selbst glücklich zu nennen.

Er hatte in den Wintermonaten bei einer Farmerfamilie ein zeitweiliges Zuhause gefunden. Tagsüber half er bei allen anfallenden Arbeiten, abends saß er in seiner Stube oder spielte mit den Kindern, nachts schlief er in einem bequemen Bett und hatte meistens gute Träume.

Anfang März hatte es ihn aber wieder fort gezogen und so hatte er sich aufgemacht. Seit vier Wochen befand er sich nun abermals auf der Wanderung und ließ sich treiben. Er spürte, dass sein nächster Halt bald bevorstand, es konnte nicht mehr lange dauern.

Peter brachte die Übung zu Ende, verneigte sich und öffnete die Augen. Er schaute auf den kleinen See hinaus, der vor seinen Füßen lag. Hinter seinem Rücken war der Wald, aus dem er gekommen war.

Sein innerer Kompass zog ihn am Seeufer entlang, also nahm er den Hut seines Vaters aus dem Gras, wo er ihn abgelegt hatte, und setzte ihn wieder auf. Vorher aber strich er sich noch einmal die Haare aus dem Gesicht. Entweder würde er bald zum Friseur gehen, oder sich ein Haarband kaufen müssen.

Seine Schritte führten den Shaolin in ein winziges Dorf mit dem Namen "Diffon". Es gab einen kleinen Marktplatz im Zentrum, darum ein paar gemütlicher Läden und rings darum die entsprechenden Wohnhäuser. Peter schätzte die Einwohnerzahl auf knapp dreihundert Menschen.

Dann plötzlich schrillten seine inneren Alarmglocken und verhießen Gefahr. Er schaute sich um sah drei junge Männer, die lachend und höhnend aus dem kleinen Lebensmittelladen liefen, in einen großen Jeep sprangen und davon fuhren.

Er war zu weit weg gewesen, um einzugreifen, hatte aber wahrgenommen, dass alle Menschen, die sich auf dem Markplatz befanden, die Köpfe eingezogen und nichts getan hatten. Schnell überquerte er die Freifläche und trat zu dem Händler, der aus seinem Geschäft kam.

"Alles in Ordnung?", fragte er den Verkäufer.

Der sah ihn verdutzt an. "Ja, danke. Ist schon gut. Diesmal haben sie nur die Dinge genommen, die sich brauchten."

Peter blickte ihn fragend an. "Und sonst?", konnte er sich nicht verkneifen.

"Letzte Woche haben sie meinen Angestellten niedergeschlagen. Von daher kann ich mich fast glücklich schätzen. Aber was kümmert sie das? Sie sind nicht von hier. Und wenn ich ihnen einen Rat geben kann, sie sollten schnellstmöglich auch wieder verschwinden."

"Wer sind 'die'?", fragte Peter, die letzten Worte des Mannes überhörend.

"Eine Bande komischer Kerle, die sich irgendwo im Wald eingenistet haben. Und wenn sie was brauchen, holen sie es sich eben von uns", erklärte der Ladenbesitzer.

"Und was sagt die Polizei dazu?"

"Nichts."

Peter schaute seinen Gegenüber skeptisch an. "Nichts? Das kann ich mir nicht vorstellen…", hakte er nach.

"Hören sie, Mister, bisher ist niemand wirklich zu Schaden gekommen. Dabei soll es auch bleiben! Und das tut es nur, wenn wir die Polizei da raus halten. Wir haben hier keine Station und solange wir niemanden rufen, kommt auch keiner vorbei. Also mischen sie sich nicht in Dinge ein, die sie nichts angehen!" Der Mann wirkte ängstlich und verunsichert.

"Aber sie leben doch in ständiger Angst, oder nicht?!" Peter ließ nicht locker.

"Besser, als tot oder ein Krüppel zu sein. Das würde nämlich passieren, wenn wir… sie wissen schon." Dann erfüllte ein Röhren die Straße und sie sahen den Geländewagen wieder angefahren kommen. Der Mann neben Peter stöhnte.

"Wir haben doch wahrhaftig was vergessen!", kreischte einer der Männer, als er von der Ladefläche sprang, dann wandte er sich Peter zu.

"Ein Fremder! Sie wollen uns aber keinen Ärger machen, oder Mister?", fragte er grinsend.

Peter grinste zurück. "Nein, für den Ärger seid ihr ja zuständig. Ich bevorzuge Ruhe und Frieden." Peter strahlte in diesem Moment genau das aus. Er bewegte sich keinen deut.

"Dann solltest du schleunigst weiterziehen, sonst ist es aus mit der Ruhe. Zumindest für dich!"

Drohend hielt er Peter den Finger unters Kinn, der diesen blitzschnell ergriff, ihn verdrehte, seinen anderen Arm zur Hilfe nahm und seinen Gegner wehrlos an die Hauswand drückte. Wütend keifte er nach seinen Kollegen, die nun zu dritt aus dem Wagen sprangen.

Der Shaolin ließ von seinem Opfer ab und machte einige große Schritte auf den Platz, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Dann ließ er die vier Männer angreifen.

Er musste sich nicht besonders anstrengen, um die wütenden und blind verrichteten Angriffe abzuwehren. Nach einigen Versuchen ließen sie von ihm ab und sprangen wieder in den Wagen, um davon zu fahren. Peter blickte ihnen zufrieden nach.

"Sind sie verrückt? Was glauben sie tun die, wenn sie wiederkommen?", blaffte ihn ein alter Mann an, der bis dahin nur stumm auf einer Parkbank gesessen hatte.

Peter verstand die Welt nicht mehr. "Ich weiß es nicht", antwortete er, "aber wenn es sein muss, werde ich das selbe wie eben tun." Damit verließ er den Platz und ging die Straße entlang, die der Geländewagen genommen hatte. Er wollte der Sache auf den Grund gehen.

"Das war mutig von ihnen!"

Peter drehte sich zu der Stimme. Es war eine junge Frau mit einem frechen, blonden Kurzhaarschnitt, die auf der Fensterbank im Erdgeschoss lehnte und ihn ansah. Im Hintergrund dröhnte Rockmusik aus der Stereoanlage.

Peter zuckte die Schultern, "Keine große Sache", versuchte er abzuwiegeln.

Die Frau nickte in Richtung des Marktplatzes. "Größer als alles, was die Männer der Stadt bisher fertig gebracht haben, um diese Rowdys zu vertreiben", gab sie zurück. "Sie halten es für besser die Sache auszusitzen und zu hoffen, dass die Kerle bald wieder verschwinden."

"Und sie glauben das nicht?", fragte Peter nach. Er konnte einen gewissen Kampfgeist bei ihr erspüren. Und noch etwas anderes, das er nicht deuten konnte.

"Nein. Ich finde, dass man etwas unternehmen sollte. Aber leider steh ich mit meiner Meinung ziemlich allein."

"Was ist mit der Polizei?"

Sie lachte abwertend. "Die Polizei? Glauben sie, die helfen uns wegen ein paar 'Durchgedrehter Teenager', wie sie es nennen? Nein. Außerdem ist der Sheriff von High Grove viel zu beschäftigt damit, seine allgemein bekannte Alkoholsucht geheim zu halten, und der Deputy, hübschen Mädchen hinterher zu pfeifen." Verächtlich verdrehte sie die Augen.

"Das waren keine durchgedrehten Teenager", kommentierte Peter, "und es sind keine Rowdys. Ich glaube, dass die einen ganz besonderen Grund haben, sich ausgerechnet hier aufzuhalten."

Jetzt sah sie ihn mit großen Augen an. "Meinen sie?", hakte sie nach.

Peter nickte. "Ich denke, ich werde mich mal ein wenig umsehen draußen im Wald. Vielleicht weiß ich dann mehr", murmelte er nachdenklich.

Die junge Dame konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. "Warum tun sie das?", fragte sie.

"Weil ich nicht zulassen kann, dass das Böse den Dorfbewohnern ihren Frieden raubt. Ich habe geschworen, die Dunkelheit zu bekämpfen, und genau das werde ich jetzt tun." Er legte ein charmantes Lächeln auf und verlangte ihr dadurch auch ein solches ab.

"Sie sind ein komischer Kauz!"

"Und sie nicht die Erste, die das sagt", konterte Peter. Sie lächelte. Wieder dieses unbestimmte Gefühl.

"Passen sie auf sich auf. Die sind gefährlich!", gab sie ihm mit auf den Weg. Es klang ernst gemeint, so als mache sie sich furchtbare Sorgen um den Mann, den sie seit zwei Minuten kannte. Peter nickte und wollte sich grade auf machen, als sie ihn zurückrief.

"Danke, Mister!"

Peter hob den Hut von seinem Kopf und verneigte sich leicht. "Nennen sie mich Peter!"

Und bevor sich Cassandra Torres vorstellen konnte, war Peter um die nächste Ecke verschwunden.

* * *

Skalany zog instinktiv den Kopf ein, als Kermit ins Revier gepoltert kam, durch das Büro trabte und hinter sich die Tür zu seinem Reich zuschlug. Blake schaute mit großen Augen hinterher, T.J. pfiff leise durch die Zähne.

Dann kam Jody mit hängendem Kopf herein, warf ihre Jacke auf ihren Stuhl und griff hektisch nach ihrer Kaffeetasse, verfehlte sie und warf sie aus Versehen zu Boden. Laut klirrend zerbrach sie in unzählige Teile.

"Verdammte Scheiße!", fluchte sie lauthals, seufzte laut und machte sich dann daran, die Scherben aufzulesen, als ihre Kollegin mit dem Besen auftauchte. Skalany drückte ihr eine frische Tasse in die Hand und schickte sie weg.

"Hol du dir 'nen Kaffee, ich mach das."

Ergeben bewegte sich die blonde Polizistin zur Kaffeemaschine, während Skalany alles zusammenfegte und im Mülleimer entsorgte. Sie setzte sich anschließend auf Jodys Schreibtischkante.

"Spencer war nicht da?", fragte sie vorsichtig nach dem Verlauf der Razzia, von der die zwei Kollegen grade wieder gekommen waren. Sie machten schon seit Wochen Jagd auf einen Dealer, der mit einer neuen Designerdroge reihenweise Teenager abhängig machte. Sie hatten auch schon vier Todesfälle, allesamt Minderjährige.

Jody schüttelte den Kopf. "Schon zum dritten Mal haben wir ihn verpasst! Er ist uns immer einen Schritt voraus!" Sie fuhr sich durch die Haare. Skalany legte ihr die Hand auf die Schulter.

Captain Simms kam aus ihrem Büro und ging an Kermits Tür. "Detective Powell", rief sie und betrat dann das Büro ihres heimlichen Geliebten zusammen mit dem anderen Detective.

"Kein Erfolg?", fragte sie nach.

Jody schüttelte den Kopf, Kermit rieb sich die Augen. "Da stimmt irgendwas nicht!", knurrte er.

Karen straffte sich. "Was meinen sie?", fragte sie autoritär.

Er sah sie über den Rand seiner Brille finster an. >Rein beruflich<, rief er sich die vereinbarte Trennung von Job und Privatleben in Erinnerung.

"Das wissen sie genau, Captain", presste er durch die Zähne.

"Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung, gegen wen sie auch immer erbracht wird."

Kermit stand auf, blickte kurz zu Jody, die das Gespräch aufmerksam, aber ratlos verfolgte und sagte dann: "Gibt es denn eine andere Möglichkeit? Irgendwas, -oder irgendwer-, ist hier faul!"

Captain Simms verschränkte die Arme vor der Brust. "Auch irgendeine Idee?", fragte sie skeptisch.

Als Captain fiel es ihr schwer, sich eine solche Anschuldigung über ihre Mitarbeiter anzuhören. Kermit schüttelte den Kopf. Der 'Neue', obwohl schon vier Monate da, schwebte zwar in seinem Kopf herum, aber auch er wollte keine Verdächtigung anbringen, ohne konkrete Beweise dafür zu haben. Heute Abend aber konnte er Karen seinen Verdacht erzählen; er war gespannt, was sie dazu sagen würde.

Karen löste ihre Arme aus der Verschränkung und breitete sie ratlos aus. "Dann bleibt wohl nichts, als sich wieder an die Arbeit zu machen und Dean Spencer endlich zu finden!", befahl sie ihren Detectives, die sich sofort, aber murrend wieder der Suche nach dem Dealer zuwandten.

"Woods!", rief sie auf dem Weg in ihr Büro, "sie unterstützen die beiden Detectives!"

Sofort rollte Kermit auf seinem Stuhl aus der Tür und sah seine Freundin mit glühenden Augen an, aber ihr harter Blick ließ keinen Zweifel an ihrem Befehl. Kermit war stinksauer, Jody auch nicht glücklich. Selbst Woods schien wenig angetan, fügte sich aber.

***

Das Summen der Klingel war kaum verhallt, als die Tür schon aufgezogen wurde. Mit einer Flasche Wein bewaffnet trat Captain Simms in Kermits Wohnung. Er ließ sie an sich vorbeigehen und ins Wohnzimmer treten, ehe er lospolterte.

"Kannst du mir mal verraten, was das sollte?"

"Du hältst ihn für den Verräter, nicht wahr?", fragte sie, ohne seinen Ärger schwer zu nehmen. Sie war der Captain und gab die Befehle, Kermits Launen hin oder her.

"Ja, und du setzt ihn mir genau vor die Nase. Ich wollte ihn eigentlich an so wenigen Informationen wie möglich teilhaben lassen. Jetzt muss ich alle vor ihm ausbreiten!" Der Ex-Söldner musste sich heftig auf die Zunge beißen, um seiner Herzdame gegenüber nicht laut und verletzend zu werden.

Sie nahm seine Brille ab und sah ihm fest in die Augen. "Und jetzt kannst du ihn genau beobachten und sehen, ob an deiner Vermutung was dran ist. Beobachte, was er mit den Informationen macht."

Kermit war immer noch zornig, musste aber zugeben, dass er so weit gar nicht gedacht hatte. Vielleicht verriet er sich ja tatsächlich selbst. Er lächelte, ein Zeichen, dass seine Wut auf sie verflogen war. Sie tat es gleich und hob die Flasche in sein Blickfeld, die Brauen fragend hochgezogen.

"Gern", gab er zur Antwort, setzte seine Brille wieder auf und grinste breit. Dann nahm er ihr die Flasche ab und machte sich daran, sie zu öffnen. Währenddessen dachte er darüber nach, was für eine besondere Frau er da hatte, und dass er sie nie wieder gehen lassen wollte.

* * *

Peter schlich lautlos durchs Unterholz und fühlte, dass er dem Lager der Rowdys näher kam. Wie selbstverständlich wich er den Lichtschranken-Alarmschwellen aus, die überall und in allen Höhen aufgestellt waren.

Allerdings war da noch eine andere Wahrnehmung, die er nicht deuten konnte, etwas Dunkles, Bedrohliches. Und das ungute Gefühl, dass es nicht von einem Menschen ausging.

Als er Stimmen hörte hockte sich Peter hinter einen Busch, er wollte zunächst nur beobachten. Er sah die vier Männer, wie sie vor einer Holzhütte standen und fluchten, zwei weitere kamen aus der Tür.

"Was ist passiert?", fragte einer von ihnen. Peters Aufmerksamkeit lag allerdings mehr bei dem anderen. Ein großer, bulliger Kerl mit vernarbtem Gesicht. Das Gedächtnis des Shaolin arbeitete auf Hochtouren, um sich an den Namen zu erinnern.

>Bob Dell<, schoss es ihm dann durch den Kopf. Er hatte ihn vor zweieinhalb Jahren wegen schwerem Einbruchdiebstahl und Körperverletzung verhaftet und für drei Jahre einbuchten lassen. Vermutlich war er wegen guter Führung früher raus gekommen. Dell war in eine Villa eingestiegen und vom Dienstboten überrascht worden, den er mit einer Skulptur niedergeschlagen hatte.

Die vier Männer, deren Bekanntschaft Peter schon gemacht hatte, standen nun betreten da.

"Wir wurden angegriffen und… naja…" Sie senkten die Köpfe und darzustellen, dass sie offensichtlich verloren hatten.

"Von wem?"

"Keine Ahnung. Der Kerl war neu in der Stadt. Ich hab ihn vorher noch nie gesehen", versuchte sich einer nun zu rechtfertigen.

"DER Kerl? Es war nur einer? Ihr habt euch zu viert von EINEM Mann verscheuchen lassen, wie eine Horde wilder Hühner?", horchte der Mann neben Bob Dell ungläubig nach. Peter konnte deutlich Scham und Zorn in den Gesichtern sehen.

"Der Boss will nicht, dass die Bewohner übermütig werden und vielleicht hier her kommen, also stopft diesem Kerl so schnell wie möglich das Maul! Nehmt euch Unterstützung mit, und dann macht ihn fertig!" Er wollte grade gehen, drehte sich aber noch einmal um.

"War die Kamera am Wagen an? Jerry soll einen Abgleich machen, ich will wissen, wer der Kerl war."

Einer der drei nickte hastig und holte sogleich ein Videoband aus dem Jeep. Er drückte es Peters altem Bekannten in die Hand, der sofort damit verschwand. Die anderen vier berieten darüber, wen sie mit in die Stadt nehmen würden, um Peter fertig zu machen. Interessiert hörte er zu, bis Bob Dell wieder aus der Tür kam.

"Wartet mal!", unterbrach er die Schlachtpläne seiner Komplizen.

"Warum?"

"Weil ich erst noch mit Vic reden muss. Und der vielleicht mit dem Boss. Euer Freund ist ein Bulle!"

>Na super! Auf alte Feinde ist immer verlass<, sagte Peter mit verzogenem Gesicht stumm zu sich selbst.

"Woher weißt du das?", fragten die Vier nach.

"Weil er der war, der mich damals eingebuchtet hat. Ich hab ihn auf dem Video erkannt. Ihr unternehmt nichts, bis ich mit Vic gesprochen habe!" Mürrisch knurrten sie ihr Einverständnis.

Peter überlegte, ob er die Position wechseln sollte, um das Gespräch zwischen diesem Vic und Bob mitzuhören, als diese beiden um die Ecke kamen und grade die Hütte betreten wollten.

Ein dunkelhäutiger Mann trat heraus, mit einer Brille auf der Nase und kahl geschorenem Kopf. Sie sprachen ihn mit Jerry an.

>Der Computerkerl<

"Ist es wahr, was Bob gesagt hat? Der ist ein Cop?", hakte er nach.

"Er war. Er hat den Dienst vor 10 Monaten quittiert, aus persönlichen Gründen. Danach konnte ich nichts mehr über ihn finden."

Vic nickte nachdenklich. "Dann geht und macht ihn fertig. Wenn er kein Cop mehr ist…"

"Aber er hat sicher noch genug Freunde da. Wir sollten kein Aufsehen erregen. Wenn wir Glück haben, ist er noch heute wieder weg."

"Willst du mich verarschen, der hat doch sicher Lunte gerochen!"

"Kann schon sein, aber vielleicht auch nicht. Der Boss wird fuchsteufelswild, wenn hier die Cops anfangen rumzuschnüffeln, weil wir einen ihrer Kumpel überflüssigerweise kalt gemacht haben!"

"Also gut!" Vic funkelte zu Bob rüber, es gefiel ihm nicht, dass der ihm das Heft aus der Hand genommen hatte. "Aber morgen lass ich die Jungs nachsehen, ob er noch in der Stadt ist, und sollte das so sein…"

Bob zuckte nur die Schultern. Peter entfernte sich und ging ebenso unbemerkt, wie er gekommen war, wieder zurück in die Stadt.

***

Vorausschauen hob er die Hand zur Abwehr, als der Fensterflügel aufschwang und ihn fast traf. Die junge Frau vom Vormittag grinste ihn an, dann streckte sie ihre Hand aus.

"Cassandra Torres, Mister…"

Er nahm ihre Hand. "Ich sagte doch, nennen sie mich Peter. Freut mich, Miss Torres."

"Cass bitte. Kaffee?"

Er nickte lächelnd und nahm eine Tasse entgegen, die sie offensichtlich schon auf Verdacht eingeschüttet hatte, als sie ihn die Straße rauf kommen sah. Im Hintergrund lief noch immer die leise, aber harte Rockmusik, zu der die junge Frau unbewusst mit den Fingern auf der Fensterbank tippte. Peter empfand es als liebenswerten Tic.

"Haben sie gefunden, was sie gesucht haben?", fragte sie interessiert.

"Ja, das könnte man so nennen." Er trank einen Schluck Kaffee.

"Ja, und?", forderte sie mit großen Augen alle weiteren Informationen.

Peter musste lachen, es erinnerte ihn an sich selbst, wenn er vor seinem Vater gestanden hatte, dem er jede Information aus der Nase ziehen musste und sie dann meistens trotzdem nicht verstand, weil Caine mal wieder merkwürdige Ausdrucksformen gewählt hatte.

"Die sind auf jeden Fall nicht hier, um die Stadt auf den Kopf zu stellen. Es geht um irgendetwas im Wald."

>Das, was ich gespürt habe<, vervollständigte er die Aussage in seinem Kopf.

"Und sie wollen uns nur einschüchtern?"

Peter bemerkte ihre schnelle Auffassungsgabe, diese Frau hatte etwas Besonderes. Er nickte.

"So in der Art, ja. Und mich wollen sie fertig machen, sollte ich morgen noch hier sein", fügte er gelassen an und trank seine Tasse aus.

Die Männer machten ihm keine großen Sorgen, viel mehr beunruhigte ihn das, was er im Wald gefühlt hatte. Es musste irgendetwas mit großer Macht sein, etwas Böses. Er musste herausfinden, um was es hier ging.

"Und? Werden sie morgen noch hier sein?", fragte sie vorsichtig, als erwartete sie schon ein 'nein'.

Peter schenkte ihr sein charmantes Lächeln. "Das werde ich! So lange, bis diese Typen weg sind." Er konnte die Freude in ihren Augen sehen.

"Sie können bei mir wohnen, wenn sie möchten. Ich habe ein schönes Gästezimmer", sagte sie sofort.

Peter war erstaunt, welches Vertrauen ihm die Menschen entgegen brachten. Offensichtlich strahlte er absolute Sicherheit aus.

"Aber sie wissen doch gar nichts über mich", stellte er dieselbe Frage, die er schon Melanie gestellt hatte, "ich könnte sie überfallen."

Sie zuckte locker die Schultern. "Dann lass ich mich trotzdem lieber von ihnen als von denen überfallen."

Peter lachte, sie grinste frech.

***

Peter war überrascht von der jungen Frau. Sie war fünfundzwanzig und lebte allein in dem kleinen Haus. Ihre Eltern starben vor sieben Jahren, grade als sie achtzehn geworden war und das Erbe hatte antreten können.

Sie hatte ihren vier Jahre jüngeren Bruder aufgezogen, der nun allerdings zum Studieren nach Boston gegangen war. Sie selbst arbeitete für einen Hungerlohn in einer Fabrik in High Grove, weil sie damals ihre Ausbildung hatte abrechen müssen. Sie konnte sich auch nicht von dem Haus trennen, deshalb blieb sie in der Gegend.

Das einzige ausgeprägte Hobby, das sie sich gönnte, war Musik. Ihre CD-Sammlung ließ Peter staunen, allesamt Rock- und Metalplatten, und eine Wand war nahezu vollständig mit angerissenen Konzertkarten tapeziert, die sie alle besucht hatte.

Peter musste feststellen, dass er die meisten Bandnamen nicht einmal kannte, weil das nun gar nicht die Musik war, die im Radio gespielt wurde.

"Nicht-sozialverträglich", hatte Cass sie genannt, woraufhin Peter grinsen musste.

Der junge Shaolin erzählte im Gegenzug von sich. Die volle Geschichte im Zeitraffer, und ohne ein trauriges Gefühl zuzulassen. Auch wenn er seine innere Ruhe inzwischen nahezu gefunden hatte und sie stärker denn je war, schmerzte es dennoch, sich an das Waisenhaus, die Verluste und den empfundenen Verrat zu erinnern.

Cass hatte sich haarklein erklären lassen, was ein Shaolin-Priester war und aufmerksam zugehört, als Peter ihr versuchte zu erklären, dass es Dinge im Leben eines Shaolin gab, die man eben nicht erklären konnte. Fragend hatte sie eine Augebraue hochgezogen.

Wieder mit dem alten Anflug eines schlechten Gewissens, den er aber sofort wieder begrub, hatte er seine Hand durch den Raum bewegt und alle Kerzen angezündet, über Cassandras vor Staunen offenen Mund geschmunzelt und sie dann mit der selben Bewegung wieder gelöscht.

 

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