Sie hatten sich einen neutralen, abhörsicheren Ort ausgesucht, um alles weitere zu besprechen. Kermit und Jody gaben zusammen Auskunft, wer Marty Stramm war, was damals passierte und wie es heute stand. Stramm hatte nach den Vorfällen damals den Dienst quittiert und sich einer Therapie unterzogen. Jody war zu Ohren gekommen, dass er bei einem Sicherheitsdienst arbeitete und tatsächlich glücklich mit seiner Familie lebte, die alten Schatten abgelegt hatte. Mit Grausen dachte sie daran, dass der Sohn seinen Vater fast erschossen hatte. "Und wenn man hinter die Vergangenheit kommt? Vorausgesetzt, er würde es überhaupt machen", setzte der Captain an. "Es gibt genug Ex-Cops, die die Seiten wechseln. Grade weil sie ja wissen, wie die anderen arbeiten. Ich denke, dass er das verkaufen könnte", antwortete Kermit. Die Idee gefiel ihm immer besser. Zum Ende ihrer Besprechung verblieben sie so, dass man mit Stramm Kontakt aufnahm. Jody und Kermit übernahmen das, während Karen und Woods zum Revier zurück fuhren. Kermit war dankbar, endlich mal allein mit seiner Partnerin zu sein und sie nach ihrer Einschätzung zu Alex Woods fragen zu können. "Ich weiß es nicht", war die schlichte Antwort gewesen. Er war ihr auch nicht geheuer, aber sie ging nicht so weit, wirklich Verdächtigungen auszusprechen. *** Marty Stramm erklärte sich bereit. Kermit und Jody hatten ihn über die Situation aufgeklärt, auch vom Risiko eines eventuellen Verräters unterrichtet, aber das schien ihn eher noch anzuspornen. Er meinte, er schuldete den Kollegen von damals noch etwas. Captain Simms befahl für alle Einsätze ab sofort das Tragen einer Schutzweste. Und an dem Tag, als Peter schwer geschunden auf dem Marktplatz von Diffon lag, wurde ein Drogentransport der Polizei von Sloanville überfallen und ausgeraubt. Noch am selben Abend ließ Marty Stramm durch verschiedene Kanäle durchsickern, dass er im Besitz eben dieser Drogen war, die zuvor Dean Spencer gehörten. Es dauerte nur zwei Tage, bis sie Kontakt zu ihm aufnahmen und um ein Treffen baten in einer belebten Kneipe. Sie hatten keine Möglichkeit, das Gespräch mitzuhören oder zu beobachten, Stramm war in der Bar auf sich allein gestellt, das Tragen eines Mikros hatte er, -für alle verständlich-, verweigert. Dean Spencer war nicht anwesend gewesen, dafür aber seine allseits bekannte rechte Hand, Carlos Alberto, der mit Marty Stramm eine Übergabe für den nächsten Abend vereinbart hatte. Der Stoff gegen fünfhunderttausend Dollar (die Drogen waren das Fünffache wert). *** Die Polizei hatte das vereinbarte Hafengelände eine Stunde vor Übergabetermin besetzt und überwachte jeden Zentimeter. Eine halbe Stunde vor Übergabe verteilten sich Dean Spencers Leute und suchten das Gelände ab, ohne die Polizisten zu entdecken. 'Alles ruhig' schickten sie durch ihre Walkie Talkies. Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit fuhr Stramm vor und stieg aus. Er lehnte sich an den Wagen, steckte sich eine Zigarette an und wartete in dem vermeintlich verlassenen Areal, in dem es von Cops und Gangstern nur so wimmelte. Auch wenn sie den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatten, erwartete Kermit einen heißen Tanz, wenn es erst losging und sie stürmten. Er und Woods saßen auf einer Bühne in acht Metern Höhe, von der sie alles beobachten konnten. Jody hatte sich in einem ehemaligen Büro verschanzt, zusammen mit T.J.. Skalany und Blake warteten in einem Einsatzwagen, der hinter Kartonstapeln versteckt und außer Sicht war. Dann kam eine schwarze Limousine, sofort spannten sich die Muskeln des ehemaligen Söldners zum zerreißen, damit er jederzeit bereit war. Die Weste lag schwer auf seinen Schultern, er mochte die Dinger nicht, aber Karen hatte ihn gezwungen, sie zu tragen. Tatsächlich stieg Dean Spencer aus dem Wagen, zusammen mit Carlos. Sie begrüßten Marty Stramm mit einem Handschlag und ließen sich dann die Waren zeigen, im Gegenzug öffneten sie einen Koffer, der voller Dollarnoten steckte. Stramm nahm den Koffer entgegen und machte den Weg zu der Kiste in seinem Kofferraum frei, damit Deans Leute sie herausheben konnten. Marty ließ auf einmal den Koffer fallen und sprang in Deckung, das war das Zeichen für seine ehemaligen Kollegen. Unzählige Polizisten stürmten den Platz, gleichzeitig mit Dean Spencers Leuten, die sich nun einen erbitterten Kampf lieferten. Kermit und Alex Woods stürmten die Treppe runter, als der Mann mit der Sonnenbrille in der Ferne eine Wagenkolonne näher kommen sah, es waren Transporter. Aus ihnen sprangen nun hordenweise junge Männer, Schläger, deren Dienste man für Geld an jeder Ecke kaufen konnte. Sie waren wieder in eine Falle getappt. "Zieht euch zurück, das ist eine Falle! Da kommen noch mehr!", brüllte er ins Mikrofon. Die S.W.A.T.-Teams reagierten blitzschnell und zogen sich geordnet zurück, die nun vereinzelt kämpfenden Cops hatten dagegen keine Chance, sie hatten die Anweisung nicht einmal gehört. Kermit hatte auf dem Weg nach unten schon mindestens vier Mann mit der Desert Eagle erledigt, ehe er zu Jody hinüber sah, die etwa fünfzig Meter von ihm in diesem Moment von einer Kugel zurückgeworfen wurde. T.J. lehnte verletzt an einer Wand und hielt sich die Schulter. Kermit erschoss einen Gangster, der ihm grade gefährlich nahe kam. Woods hinter ihm schoss auch um sich. Hier und da riss es Deans Leute um. Kermit fühlte sich wie im Dschungel, so wild ging es hin und her. Plötzlich wurde er von den Beinen gerissen, jemand hatte ihn geschubst. Es war Woods, der jetzt von einer Kugel getroffen neben ihm lag. Kermit erkannte schnell, dass die Kugel in der Weste steckte und nichts weiter passiert war. Bei Jody konnte er das nicht so sicher sagen, und T.J. war klar getroffen. Aus der Ferne winkte ihm Marty Stramm zu, er war unverletzt. "Rückzug!", brüllte er noch einmal, auch wenn er wusste, dass es nichts brachte. Dann sah er die Limousine, in der Dean Spencer angekommen war, davon rasen. Mit ihr verschwanden auch die Gangster. Innerhalb weniger Sekunden war es totenstill auf dem Gelände, bis der Ex-Söldner wiederum sein Funkgerät in die Hand nahm und auf dem Weg zu seiner blonden Kollegin hineinbrüllte. "Officers angeschossen! Brauchen dringend medizinische Unterstützung! Zielpersonen haben sich zurückgezogen!" Jody kam grade wieder zu sich, sie hatte einen Streifschuss an der Stirn, der sie kurz bewusstlos hatte werden lassen, aber nicht wirklich schlimm war. "T.J., alles klar?", rief Kermit ihm zu. Der junge Polizist wirkte zwar etwas blass, nickte aber. Kermit griff wieder nach seinem Walkie Talkie. "Skalany? Blake? Seid ihr ok?" Er bekam keine Antwort. "SKALANY? BLAKE? Verdammt, meldet euch!" Ein Rauschen. Dann klickte es und Kermit drückte sich den Lautsprecher ans Ohr. "Blake. Ich bin ok. Aber Skalany... sie ist verletzt…" dann war die Verbindung unterbrochen. Kermit konnte die Sirenen der Krankenwagen hören, die jetzt alles in blaues Blicklicht tauchten und ein riesengroßes Getöse verursachten. Woods kam angelaufen, er hielt sich die Rippen. Kermit nahm keine Rücksicht und schickte ihn los, mit ihm die zwei vermissten Kollegen zu suchen. Sie rannten zu dem Kartonstapel, der nun eingestürzt war. Zehn Meter daneben lag Skalany regungslos. Kermit konnte nur mit Mühe einen Puls fühlen und entsandte sofort Woods, die Sanitäter zu holen. Seine Kollegin hatte eine heftig blutende Wunde am Hals, direkt über dem Rand der Weste. Kermit drückte sie ab, bis die Notärzte kamen, dann sprang er wieder auf. "Blake!", rief er nach dem letzten Vermissten. "Hier!" Die Stimme wirkte nicht ganz so fest, wie er gehofft hatte. Er folgte ihr und fand ihn, auch mit einer Kugel in der Weste, auf dem Boden liegend. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er der einzige der Kollegen war, der nichts abbekommen hatte. Und das hatte er dem Mann zu verdanken, den er verdächtigt hat. Ein leises schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit. Plötzlich fasste Karen ihm auf die Schulter und sah ihm fassungslos in die Augen. Er konnte deutlich erkennen, dass sie am liebsten weinen würde. "Was zum…?", fragte sie fassungslos. Kermit rieb sich die Augen. "So was hab ich seit… du weißt schon nicht mehr erlebt. Es war wie auf dem Schlachtfeld." Woods stellte sich zu ihnen. "Wie geht es Skalany?" fragte Kermit sofort. Woods senkte den Blick. "Ziemlich kritisch hat der Notarzt gesagt, sie hat viel Blut verloren. Die anderen sind soweit ok." Sie standen einen Moment schweigend da, dann reichte Kermit seinem neuen Kollegen die Hand. "Danke! Ohne sie würde ich jetzt auch hier liegen", knirschte er zwischen den Zähnen hervor. Entschuldigung und Dank waren so gar nicht sein Metier. "Kein Thema. Hätten sie bestimmt auch gemacht", sagte er und ging zu Blake, um ihm beim Abnehmen der Weste zu helfen. Kermit wechselte einen Blick mit Karen. Dann flüsterte er: "Da wär' ich mir nicht so sicher." * * * * * * Cassie hatte über Peters Wundheilung ebenso gestaunt wie die Ärzte im Krankenhaus, damals vor ungefähr vier Monaten. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. In den drei Tagen waren die Platzwunden zugeheilt, die Prellungen zurückgegangen und die Brandwunde hatte zu brennen aufgehört; abheilen wollte sie allerdings nicht und bei Berührung schmerzte sie unnatürlich. Wie ein Fremdkörper saß das Mal der Sing Wah in seiner Haut, und Peter hasste es schon jetzt. An diesem Abend verkündete Peter, dass er kommenden Morgen losziehen würde. Entsprechend gedrückt war die Stimmung, Cass schmiegte sich eng an ihn, wollte ihn am liebsten nicht wieder loslassen. Peter erwiderte die Nähe, bis in ihnen beiden die Lust losbrach und sie miteinander schliefen. Allein in den letzen drei Tagen hatten sie sich acht Mal geliebt. Peter hatte sich nach dem Abendessen zum Meditieren auf den Teppich im Wohnzimmer gesetzt, während Cass den Abwasch machte und die Küche aufräumte. Er hatte versucht ihr zu erklären, was das Meditieren für einen Shaolin bedeutete, und sie hatte schließlich klein bei gegeben und beschlossen, es zu akzeptieren, wann immer Peter den Wunsch danach hegte. Als Peter plötzlich laut stöhnend zur Seite sackte und aufschrie, ließ Cass vor Schreck einen Teller fallen. Schnell rannte sie zu ihm. Er war schon wieder dabei, aufzustehen. "Um Gottes Willen, was ist passiert?", fragte sie hektisch. Peter griff sich an die Stirn. "Ich weiß nicht genau. Irgendwas Schlimmes ist passiert. Zu Hause." Peter bemerkte in diesem Moment nicht, welchen Begriff er für Sloanville gewählt hatte. Krampfhaft versuchte er hinter seinen geschlossenen Lidern etwas zu sehen. Dann tauchten die Bilder wieder auf, die eben schon seinen Geist durchzuckt hatten, aber zu schnell waren, um jedes einzelne zu erkennen. Jetzt sah er sie, und es bereitete ihm buchstäblich Schmerzen. Als erstes sah er Skalany, die schwer verletzt dalag, röchelte, dann bewusstlos wurde. Jody, die zurückgerissen wurde, mit einer leicht blutenden Kopfwunde. T.J., wie er totenblass an der Wand lehnte und sich die Wunde in der Schulter abdrückte. Blake, der in der Weste getroffen wurde und eine dicke Rippenprellung davontragen würde. Und dann sah er Kermit, auf den auch geschossen wurde. Aber ein ihm unbekannter Mann mit Marke am Gürtel schubste seinen Freund beiseite, bekam die Kugel selbst ab in die Weste. Kermit vergewisserte sich um die Unversehrtheit des Mannes und sprang sofort wieder auf. Der Fremde aber grinste breit hinterher und Peter spürte über die Distanz die Bösartigkeit, die in diesem Grinsen lag. In einer neuen Vision sah er wieder die beiden Polizisten, zusammen mit Captain Simms, und Kermit gab dem Mann die Hand. Peter spürte, wie er dem Fremden Vertrauen schenkte, das dieser annahm, sich abwandte und sich diebisch freute, dass sein arglistiger Plan aufgegangen war. Peter schüttelte sich und stand auf. Das war das Erste, was er von seinen Freunden hörte, bzw. spürte, seit vier Monaten. Die erste Vision seit einer viel längeren Zeit. Aber er erkannte sofort, wie es zusammenhing. Dieser Kerl würde sie alle in den Tod bringen, wenn er nichts unternahm. Er musste die Freunde warnen. Außerdem wollte er wissen wie es Skalany ging. Cass starte ihn noch immer besorgt an. Peter strich sich durch dir Haare. "Eine Vision", erklärte er. Ungläubig guckte sie ihm in die Augen. "Eine Vision? Von der Zukunft?" Es klang fast spöttisch. Peter empfand plötzlich Zorn, fing sich aber sofort wieder. "Nein. Von der Gegenwart. Und wenn ich jetzt nicht sofort telefoniere, werden vielleicht Menschen sterben. Also spar dir bitte deinen Spott für einen Moment, in dem er angebracht ist!" Geschockt starrte sie ihn an. Es schien tatsächlich ernst zu sein. Peter wählte hastig die Nummer von Kermits Apparat im Revier, aber es ging keiner ran. Dann die Handynummer. Das gleiche. "Verdammt!", zischte er leise und fuhr sich über den Kopf. Grade als er sich überlegte, ob er es schaffen konnte, eine mentale Verbindung über die Entfernung aufzubauen, klingelte das Telefon. Peter erkannte die Nummer sofort, es war der Rückruf vom Handy des Freundes. Wortlos hob er ab. "Griffin. Wer ist da?", bellte er ins Telefon. "Ich bin's, Peter! Wie geht es Mary-Margaret?", gab der Shaolin zurück. "Woher… vergiss es! Ihr Zustand ist kritisch, sie hat viel Blut verloren. Wir sind in eine Falle gelaufen", erläuterte der Ex-Söldner, wie es dazu kam. "Ich weiß. Und ich weiß, wer sie euch gestellt hat. Ich hatte eine Vision." Peter sah Kermit förmlich vor sich, wie er die Augen rollte. "Und wer?", platzte er heraus. Dann ging es plötzlich schnell. So, wie es gefragt wurde, war Woods wohl aufgegangen, worum es ging. Im selben Moment wie Peter 'euer neuer Kollege' sagte, zog dieser Karen Simms zu sich und hielt ihr seine Waffe an den Hals. Kermit zog die Desert Eagle und richtete sie auf ihn. Er hatte sein Handy nicht abgeschaltet, daher hörte Peter am anderen Ende mit. "Er ist der Verräter!", brüllte Kermit für alle hörbar. Woods grinste dreckig. "Ja, und ich kenn auch ein kleines Geheimnis. Und deshalb wirst du mir nichts tun, solange ich deine Süße als Geisel halte." Ein kurzer Blickkontakt zwischen Kermit und Karen, alle anderen blickten von einem zum andern, aber eigentlich machte es in diesem Moment keinen Unterschied. Woods ging mit Karen im Schlepptau langsam rückwärts zu einem der Wagen, die dort geparkt waren. Verzweifelt überlegte Kermit, was er tun konnte, aber die Gefahr, dass er Karen treffen konnte war zu groß. Hilflos zischte er: "Peter, hilf mir!" ins Telefon. Die beiden waren kurz vor dem Wagen, als plötzlich die Waffe in Woods Hand zu glühen anfing und er sie fallen ließ. Kermit grinste breit und rief: "Danke!", ehe er das Handy auf dem Weg zu Karen zusammenklappte. Sie hatte sich inzwischen Mühelos aus seinem Griff befreit und ihn ordentlich verprügelt. Kermit nahm ihn ihr nun ab, stellte ihn vor sich und weidete sich für einen Moment an der Angst, die er in den Augen des anderen sah. Am liebsten hätte er ihn erschossen. Dann schlug er ihn nieder und nahm seine Karen in den Arm. Ungläubig sah sie zu ihm hoch. "Das war Caine?", fragte sie. Kermit grinste. "Ja, das war er." "Wo ist er?" Auch die anderen versammelten sich jetzt um ihn, um die Antwort zu hören. "Ich weiß es nicht. Aber wenn er nicht gewesen wäre… er hat gespürt, was heute Abend hier passiert ist." Mit großen Augen sahen sie einander an. Jody war die Erste, die die positive Seite daran erkennen konnte, und lächelnd sagte: "Er hat uns nicht vergessen!" Die anderen nickten jetzt auch mit fröhlichen Gesichtern. * * * * * * Cass stand wie betäubt da, bis Peter den Hörer auflegte und sie anlächelte. Zuvor hatte er erst wild telefoniert und dann auf einmal war er in Trance versunken, für einige Sekunden wie abgeschaltet. Und als er ihr erzählte, was er in diesem Moment getan hatte, wollte sie es nicht glauben. Dann gingen sie zu Bett. Die junge Frau schmiegte sich eng an ihn, strich über seine warme Haut, hörte auf seinen Herzschlag. Peter drehte sich zu ihr und sah in ihren wunderbaren, blauen Augen. Tiefe Liebe sprach daraus, aber auch Angst, dass dies ihre letzte gemeinsame Nacht sein könnte. Peter zog sie noch enger an sich, drückte ihr einen festen Kuss auf dem Mund, den sie sofort erwiderte. Intensiv küssten sie sich, drückten ihre Körper aneinander und schliefen fast die halbe Nacht miteinander. Dennoch stand Peter am nächsten Morgen in der Tür und musste sich von ihr verabschieden. Tränen liefen über ihre Wangen und es tat Peter im Herzen weh, sie so zu sehen. So musste sich sein Vater gefühlt haben, wenn er hatte Peter für eine Reise verlassen müssen und ihm nicht sagen konnte, worum es ging. Wieder verspürte er das warme Gefühl in seinem Herzen. Sie küssten sich noch einmal leidenschaftlich, blickten sich tief in die Augen und verabschiedeten sich stumm. Weinend lehnte sie im Türrahmen, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Diesmal ignorierte er die Lichtschranken und betrat das Areal der Sing Wah. Die Lakaien würden ihm nichts tun, er war überzeugt, dass Caleb da strikte Anweisung gegeben hatte. Und so war es. Sie ließen ihn stumm passieren, bis plötzlich Caleb vor ihm stand. "Du suchst also den Tod?!", sagte er laut, und Peter konnte das Grinsen in seinem Gesicht sehen, obwohl der dunkle Magier ihm den Rücken zugedreht hatte. "Ich suche den Grund, warum du hier bist", berichtigte er. Caleb dreht sich um, das Gesicht in einen tiefen Schatten gehüllt, die Augen funkelten wie schwarze Edelsteine. "Das kommt auf das Gleiche raus." Um seine Macht zu beweisen, hob er eine Hand und drückte sie zu, einige Meter von Peter entfernt, der jetzt allerdings die Atemnot und den Druck am Hals spürte. Er schloss die Augen, konzentrierte sich, und der Druck ließ nach. "Du bist stärker als ich dachte, junger Caine. Wenn auch nicht stark genug für mich. Aber zunächst lass mich meinen Teil der Abmachung erfüllen und dir erzählen, was ich hier suche. Dann kannst du deinen Part vollziehen und sterben." "Also?", gab Peter kalt zurück, als berührten ihn die Worte nicht. "So soll es sein. Der Boden auf dem du hier stehst, ist heilig. Vor hunderten von Jahren hatte eine Abspaltung der Ureinwohner hier einen Tempel gebaut, in dem sie Tandu, den Gott des Todes und der Zerstörung verehrten." Er machte eine ausladende Handbewegung. "Das alles hier gehörte zu der Tempelanlage. Aber es gab noch einen Keller, in dem man versuchte, Tandu wieder auferstehen zu lassen, wo man ihm Opfer brachte. In diesem Keller ist er gefangen, seine Macht konzentriert. Und den Eingang zu diesem Keller suchen wir, damit wir die böse Macht Tandus für unsere Zwecke einnehmen können und die Welt ins Dunkel stürzen." Peter starrte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er zweifelte nicht im Geringsten an dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage, dennoch entgegnete er cool: "Du bist größenwahnsinnig, Caleb. Die Shaolin werden das nicht zulassen!" "Das werden sie müssen. Da ich dich gleich vernichten werde und sie sonst niemanden geschickt haben… und ich habe den Schlüssel, ohne ihn kann man die Kammer nicht öffnen. Wir müssen nur die Tür finden. Dann kann die Sing Wah niemand mehr aufhalten." Er hob eine dicke Kette aus seinem Umhang, an der etwas hing, das wie die Urform eines Bartschlüssels aussah. Peters Verstand arbeitete auf Hochtouren, aber er musste zugeben, dass er nicht wusste, was er zu tun hatte. Er hoffte inständig, dass die Eingebung kam, wenn er sie brauchte. "Sag 'Auf Wiedersehen' zu der Welt!", brüllte Caleb und schleuderte Peter durch die Luft, ohne ihn zu berühren. Der junge Shaolin rollte sich ab, duckte sich unter dem nächsten Angriff weg und schickte seinem Gegner eine Druckwelle, der dieser mühelos auswich und Peter auslachte. Er fühlte sich wie ein Spielball. Ohne dass er etwas entgegenzusetzen hatte, schleuderte Caleb ihn nun durch die Luft, ließ ihn hart aufschlagen, um ihn gleich wieder empor zu heben. Nur selten konnte Peter ausweichen und sich so eine kleine Verschnaufpause gönnen. Aufgrund der klaren Unterlegenheit dachte Peter an die Menschen, die er liebte. Da war sein Vater, der ihm nach seinem Tod all die Liebe hatte spüren lassen. Cass, die sein Herz auf Anhieb erwärmt hat und die er nie wieder dort hinaus lassen wollte, die Freunde zu Hause (>zu Hause! <), die er vermisste. Dann sah er, dass Caleb wieder einen Angriff startete, Peter aber diesmal nicht erwischte, obwohl er ganz still dastand. Es prallte an ihm ab. Dem Shaolin ging ein Licht auf. "Liebe!", brüllte er. "Damit kann die Sing Wah nichts anfangen, nicht wahr? Und ihr könnt sie nicht besiegen, weil ihr sie nicht versteht!" Peter dachte an sein Herz, die Liebe die darin war. Und er streute sie nach außen, verbreitete sie um sich und schaffte es, Caleb einige Schritte zurück zu zwingen. Dann aber schlug der zurück. Die Augen noch schwärzer, die Erscheinung noch bedrohlicher blieb er stehen, starrte Peter hasserfüllt an und schleuderte ihn an eine Felswand. Dort ließ er die unsichtbare Kraft auf den Brustkorb des jungen Mannes einwirken. Es fühlte sich an, als würde alles aus seinem Herzen herausgequetscht, ebenso wie die Luft aus seinen Lungen. Bald würden die ersten Rippen brechen und seinen zentralen Lebenserhaltungsapparat durchlöchern. Er schaffte es nicht mehr, die Liebe nach außen zu kehren. Konnte sie nur für sich empfinden, wollte mit diesem Gefühl sterben, als plötzlich Bob Dell auftauchte, mit einer Waffe in der Hand. Er suchte den Blickkontakt und bemerkte etwas in dessen Augen, dass ihm vorher nicht aufgefallen war. Dann warf der frühere Verbrecher dem Shaolin die Pistole zu. Caleb war zu überrascht, um zu reagieren. Peter fing die Waffe auf und zog sie in derselben Bewegung wieder hoch, um den Sing Wah zu erschießen. Sofort war der Druck auf seiner Brust weg. Er fiel hinunter, sackte in die Hocke, von wo aus der Bob Dell die Pistole wieder zuwarf und sprang sofort wieder auf, um sich über seinen Feind zu stellen. Caleb starrte ihn mit großen Augen an, wollte noch etwas sagen, brachte aber nur ein Blubbern raus. Dann kippte der Kopf zur Seite. Jetzt erst fragte sich Peter, wo Calebs Schergen sich herumtrieben, als er ein Heer von FBI-Männern in dem Waldstück sah, das sich mit ihnen befasste. Die Waffe zu nehmen hatte sich nicht gut angefühlt, aber in diesem Moment richtig. Er hatte eine Entscheidung getroffen, hatte kein schlechtes Gewissen dafür. Jetzt erfüllte ihn etwas mit hellem Licht, es fühlte sich an als würde er schweben, alles war plötzlich klar um ihn herum. So wie er heute war, wollte er immer sein. Er wollte den Menschen helfen, wollte für das eintreten, wofür der die Male angenommen hatte, aber er wollte es auf seine Weise tun, ohne sich rechtfertigen zu müssen, oder ein schlechtes Gewissen zu haben. Und diese Stufe hatte er soeben erreicht. Das spürte er deutlich in seinem Herzen. Die Agents waren noch nicht bei ihm angekommen, also beugte sich Peter schnell hinunter und nahm der Leiche den Schlüssel ab. Er betrachtete ihn, dann fing er an, ihn in seinen Händen zu reiben. Er konnte nicht sagen, woher er wusste, was er da tat, aber er wusste, dass es richtig war. Es wurde immer wärmer zwischen seinen Handflächen, der Schlüssel immer weicher. Nach einer Minute ließ Peter einen kleinen, goldenen Klumpen fallen, der nun einer Murmel ähnlicher war als einem Schlüssel. Er wandte sich Bob Dell zu, der ihn mit großen Augen anstarrte. Peter senkte den Kopf vor ihm. "Es tut mir Leid, ich habe falsch von ihnen gedacht!", entschuldigte er sich aufrichtig. Der nahm die Entschuldigung mit einem dünnen Lächeln an. Dann erzählte er ihm, dass die Leute vom FBI ihn im Gefängnis angeworben hatten, für sie zu arbeiten und dafür eine vorzeitige Haftentlassung zum Antritt des Auftrages und das Löschen seines Vorstrafenregisters zu bekommen. Auch erkannte Peter nun in dem Mann, dass er im Grunde ein gutes Herz hatte. Er war kein wirklicher Verbrecher, mehr ein Mensch, der nur kurzzeitig von seinem Pfad abgekommen war. Peter schwor sich in seinem Inneren, sich nie wieder vom ersten Eindruck täuschen zu lassen. Dann bedankte er sich ein weiteres Mal und verschwand, ehe das FBI ihn verhören konnte, um zurück zu Cassie zu gehen. *** Sie rannte ihm entgegen, sobald sie ihn sah. Er empfing sie in seinen starken Armen und hob sie hoch, ohne den Protest seiner Knochen wahrzunehmen. So wie er sie jetzt hielt, wollte er sie nie wieder loslassen. Er setzte sie langsam ab und blickte ihr bis auf den Grund der Seele. "Ich liebe dich!", flüsterte er aufrichtig. "Ich liebe dich auch!", gab sie zurück und küsste ihn innig. *** An diesem Abend hielt er sie fest in seinem Arm und erzählte ihr von allem, was auf sie zukam, wenn sie wirklich mit ihm zusammen sein wollte. Zum einen konnten sie nicht in Diffon bleiben, Peter musste wieder nach Hause, er hatte endlich gefunden, was er gesucht hatte, und er wusste, wo es ihn hinzog, wo das Ziel war. Und natürlich lauerten Gefahren auf die Frau an der Seite eines Shaolin. Ausführlich erzählte er ihr von seinen, -vor allem übernatürlichen-, Erlebnissen im Bezug auf seine Bestimmung. Aufmerksam und mit großen Augen hörte sie zu, bis Peter geendet hatte und nun auf eine Reaktion von ihr wartete. Sie drehte sich zu ihm und sah ihn liebevoll an. Auch wenn der Shaolin deutlich die Verunsicherung und Angst in ihren Augen sah. "Wenn mir etwas passiert, weil ich mit Dir zusammen bin, ist mir das egal…" "Du könntest sterben", warf er ein, auch wenn er wusste, dass er sie vielleicht damit verlor. Aber er musste ehrlich zu ihr sein. Sie schaute tief in seine braunen Augen. "Könnte. Aber dich gehen zu lassen, würde mich ganz sicher umbringen. Du bist ein wunderbarer Mensch, Peter. Und ich kann nicht beschreiben, was mich so sicher sein lässt. Es ist als…" "Als würde es dein Herz dir befehlen?" "Ja. Genau so!" Fest zog er sie an sich, küsste sie als sei es das letzte Mal, obwohl er wusste, dass es erst der Anfang war.
"Das ist die letzte!", sagte Cass erschöpft, als sie Peter eine Kiste mit CDs in die Hand drückte, welcher dieser im Kofferraum ihres Kombis verstaute, der jetzt auch bis unters Dach gefüllt war. Der junge Shaolin wischte sich den Schweiß von der Stirn, während seine Geliebte vor dem Haus stand und es betrachtete. Liebevoll legte er den Arm um sie. "Bist du sicher, dass du dich von dem Haus trennen willst?", fragte er einfühlsam. Sie lächelte ihm zu. "Ich habe lange genug in der Vergangenheit gelebt. Ich kann mich auch ohne das Haus an meine Eltern erinnern. Jetzt möchte meine Zukunft mit dir beginnen! Ich bin mir sicher, dass es das Richtige ist." Sie küssten sich noch einmal, der letzte Kuss in Diffon, der erste in ihrer gemeinsamen Zukunft. Dann stiegen sie in den Wagen und machten sich auf den Weg über eintausend Meilen nach Sloanville in ihr neues (>altes<) Leben. ENDE
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