Kermit war ins Revier zurückgefahren und hatte die Tür zu seinem Büro hinter sich geschlossen. Wahllos tippte er Suchbegriffe in seinen PC und hoffte, irgendetwas zu finden. Aber Peter schien Recht zu behalten, er konnte nichts finden, dass ihm half. Nicht einmal zu Sing Wah fiel dem Rechner irgendetwas Nützliches ein, irgendetwas, an dem Kermit weitere Hoffnungen festmachen konnte. Er legte seine Sonnenbrille auf den Schreibtisch und rieb sich niedergeschlagen die Augen, als ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Kermit hatte niemanden reinkommen gehört. Blitzschnell drehte er sich um, wollte die Hand des vermeintlichen Angreifers packen, als er in das Gesicht von Captain Simms blickte. "Alles in Ordnung bei ihnen, Kermit?" "Danke Karen, alles bestens", sagte er matt. Er wusste selbst, dass er wenig glaubwürdig klang. Sein Captain stellte sich intuitiv hinter ihn und massierte sanft seine verspannten Schultern. Dies gehörte zu den zaghaften Berührungen, mit denen sie sich schon so lange umgarnten. Meist war es Kermit, der sich zurückzog, wenn er Angst hatte, dass eine festere Bindung daraus werden könnte. Aber diesmal ließ er sie gewähren, genoss ihren Griff, hätte sie am liebsten fest an sich gedrückt. "Was ist los?" fragte sie ein weiteres Mal mit ihrer festen, aber dennoch sanften Stimme, ohne dabei die Massage zu unterbrechen. Kermit griff sanft nach ihren Händen und hielt sie fest. Er überlegte, ob er ihr erzählen wollte, was passiert war, aber das wäre töricht gewesen. "Kermit?" hakte sie noch einmal nach. Er konnte sich ihr kaum mehr erwehren. "Karen, ich...ich kann es nicht sagen, ok?" versuchte er, sich heraus zu reden. "Deine Vergangenheit?" fragte sie ganz vertraut, so als säßen sie bei ihm zu Hause auf dem Sofa. "Nicht meine. Die eines Freundes." "Und wer ist dieser Freund?" fragte sie, sich genau bewusst, dass Kermit den Begriff 'Freund' nur sehr selten wählte, allerdings hatte sie den falschen Mann im Sinn. "Geht es um Peter Caine?" sagte sie, was sie dachte, als Kermit ihr keine Antwort gab. "Nein, jedenfalls nicht direkt. Allerdings ist er auch betroffen." Karen Simms wurden die schleierhaften Äußerungen allmählich unheimlich, deshalb trat sie jetzt vor Kermit und ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. "Kermit. Bitte!" verdeutlichte sie ihren Wunsch, die Wahrheit zu erfahren. Der ehemalige Söldner sah ihr in die Augen, die Brille lag noch immer auf dem Tisch, und sein Blick war traurig und ohne Hoffnung. "Wenn nicht ein Wunder geschieht, muss ich wahrscheinlich meine zwei besten Freunde beerdigen, und ich weiß nicht, was ich tun kann", sagte er traurig und zornig zugleich. Karen Simms riss ihre Augen auf, dann sah sie ihn eindringlich an. "Es geht um Captain Blaisdell, nicht wahr? Deshalb hängt Caine da auch mit drin, oder?" Kermit nickte matt. Es fühlte sich gut an, jemanden davon erzählt zu haben, sich anvertrauen zu können. "Aber warum können wir nicht helfen?" platzte sie sofort heraus. Sie hatte sich sofort mit einbezogen, allein schon weil es um ihren zu Amtszeiten besten Detective ging und sie Peter natürlich auch menschlich sehr mochte. "Shaolin-Kram", sagte Kermit wütend, "Gut und Böse, die Sing Wah, fremde Dimensionen, Schattenreiche, Musen und Hexenmeister, all dieser ganze Kram, gegen dem man mit einer Waffe nichts ausrichten kann!" Captain Simms nickte mit hochgezogenen Augenbrauen, die Welt der Shaolin war ihr ohnehin unbegreiflich. "Aber wenn es eine Shaolin-Sache ist, dann kann Peter doch bestimmt..." "Nein!" zischte Kermit, "er kann es eben nicht. Die andere Seite ist zu mächtig. Jedenfalls glaubt er das. Ich fürchte, er hat bereits aufgegeben", schloss Kermit seinen Satz, ebenso hoffnungslos wie Peter noch war, als er ihn verlassen hatte. Kermit setzte seine Brille wieder auf und sah auf die Uhr in der Ecke des Bildschirms. Es war drei Uhr morgens. * * * Peter saß auf der Matte im Kerzenschein und meditierte. Er hatte beschlossen, dass es das beste war, seine Kräfte aufzuladen, solange er noch Zeit dazu hatte. Alle seine Sinne waren nach Außen gestellt, er würde einen Angreifer bemerken, wenn er käme, davon war er überzeugt. Überhaupt fühlte sich alles was er tat oder sagte richtig an, sicher, ohne Zweifel. Er war nun überzeugt davon, dass er Chi Sung besiegen konnte, und je länger er dort saß und in sich kehrte, desto sicherer wurde er. Noch ehe Kermit die unterste Stufe der Feuerleiter betreten hatte, wusste Peter, dass er kam. Er spürte aber auch, wer kam, warum er sitzen blieb und die Meditation langsam ausklingen ließ. "Peter?" "Ich bin hier." Peter richtete sich grade auf, als Kermit um die Ecke kam. Fast unmerklich schaute Peter auf die Uhr, es war halb vier. "Du kannst nicht schlafen?" "Nein. Kann ich nicht. Du etwa?" fragte Kermit bissig. Peter schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich könnte dir zu etwas Schlaf verhelfen", sagte er und lächelte ein wenig. "Danke, keinen Tee", antwortete Kermit, ebenfalls mit einem müden Lächeln in den Mundwinkeln. Erst jetzt bemerkte er Lo Si, der leblos zwischen den Kerzen lag. "Was ist passiert?" fragte er schnell. "Nichts", beruhigte Peter seinen Freund zunächst, "Lo Si hat mir seine Kräfte überlassen, für den Kampf gegen Chi Sung." "Du wirst gegen sie antreten?" fragte Kermit hoffnungsvoll nach. "Ich werde mich ihr nicht zum Fraß vorwerfen; und Paul auch nicht. Lo Si hat mich überzeugt, dass es immer einen Weg gibt, ich habe ihn nur nicht gesehen." Kermit nickte, er war unendlich dankbar für diesen Sinneswandel. Vielleicht gab es ja wirklich noch Hoffnung. "Und was ist mit ihm?" fragte er noch einmal nach dem Alten. "Bis Mitternacht muss ich ihm seine Kräfte zurückgeben, sonst sterben wir beide", sagte Peter, als würde ihn diese Tatsache nicht weiter belasten. Kermit sah seinen Freund genauer an, Peter strahlte plötzlich vor Selbstvertrauen, er leuchtete fast. Aber der junge Shaolin erwiderte seinen Blick besorgt. "Kermit, ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch, aber ich glaube, es ist besser, wenn du gehst. Wenn Chi Sung angreift, weiß ich nicht, was passieren wird." Kermit wollte gerade ein ‚Ich kann auf mich selbst aufpassen' erwidern, aber die Worte blieben in seiner Kehle stecken. Wenn es um mystische Angreifer ging, konnte sein Desert Eagle nichts ausrichten, konnte er nichts ausrichten. "Und was ist mit ihm?" Kermit nickte zu Lo Si herüber. Peter dachte einen Moment nach. "Du hast völlig Recht!" sagte er plötzlich, in wilde Hast verfallend. "Ich darf nicht hier sein, wenn sie kommt. Er wäre ein leichtes Opfer. Aber ihn allein wird sie nicht angreifen, sie will mich!" Peter wusste selbst nicht, warum er es so genau wusste, aber er war sich sicher, dass es richtig war, was er sagte. Auf seinem Weg aus der Wohnung blieb er neben seinem Freund stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter. Tief blickte er ihm in die Augen, als wäre die Sonnenbrille gar nicht da. Kermit verspürte dasselbe Phänomen, welches er schon bei dem alten Caine immer fühlte. "Danke für alles Kermit!" Der ehemalige Söldner erkannte den Ernst der Lage, und er wusste, dass er Peter diesmal nicht begleiten oder beschützen konnte. "Ich danke dir, Peter." All die Gefühle, die unausgesprochenen Gedanken tauschten sie mit ihrem Blick aus; sie brauchten keine weiteren Worte. Peter drückte Kermits Schulter noch einmal fest, dann verließ er das Appartement und ließ Kermit allein zurück, nur in Gesellschaft des bewusstlosen Apothekers. Der Polizist guckte auf seine Armbanduhr: 04:15 Uhr. Das würden verdammt lange zwanzig Stunden werden, in denen er nichts tun konnte außer warten und hoffen. * * * Peter saß im Park und schaute der aufgehenden Sonne zu. Wohlig breitete sich die Wärme in seinem Gesicht und auf seinem Oberkörper aus. Dennoch waren seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Aufmerksam nahm er alles um sich wahr, um bereit zu sein. Es dauerte nicht lange, und der Park füllte sich, Jogger und Fahrradfahrer kamen an ihm vorbei, alte Damen mit ihren Schoßhündchen, Kinder auf dem Weg zur Schule. Peter stand auf und überlegte, wo er hingehen konnte um auf Chi Sung zu warten, ohne dass er jemanden gefährdete. Wieder wanderte sein Blick auf sein Handgelenk: 06:38 Uhr. Während Kermit in seiner Corvair auf dem Weg zum Frühdienst war, wanderte Peter in das alte Industriegebiet im Westen der Stadt, es war verlassen und weit genug von allen Menschen die er liebte entfernt. Außerdem kannte er sich hier aus, schließlich hatte er hier einmal undercover in einer Gang gearbeitet, die sich dort niedergelassen hatte, eben aufgrund dieser Vorzüge der Abgeschiedenheit. Dort setzte er sich in eine alte Lagerhalle im ersten Stock auf den staubigen Boden und begann wieder zu meditieren, während sein Geist sich ausbreitete und es Chi Sung somit leicht machte, ihn zu finden. Am frühen Nachmittag, als noch immer nichts passiert war, überkam ihn die Gewissheit, dass seine Feindin auf die Dunkelheit warten würde, bis sie angriff. Er hoffte, er würde es rechtzeitig schaffen, wieder bei Lo Si zu sein. Peter stand auf und begann, einige Tai Chi Formen
zu laufen, seine Bewegungen waren fließend, seine Füße
machten in dem Staub keinerlei Geräusche. * * * Der tumultartige Lärm von zurückgeschobenen Schreibtischstühlen und zugeschlagenen Schubladen ließen Kermit die Uhrzeit vorhersagen. 16:00 Uhr, Schichtwechsel. Er sperrte den Zugang zu seinem PC und zog sein Jackett über, als schon Skalany im Türrahmen stand und ihn freundlich anlächelte. "Hey, was ist, kommst du mit, noch was trinken?" fragte sie. Kermit dachte für einen Moment darüber nach und kam zu dem Schluss, dass er ohnehin nichts Besseres tun konnte. Schließlich wusste er nicht einmal, wo Peter sich aufhielt. "Warum nicht", antwortete er seiner Kollegin. Gerade als Kermit aus seinem Büro trat, ging Karen Simms auf ihres zu. Mit einem kurzen Kopfschütteln ließ er sie wissen, dass es nichts Neues gab, was er ihr hätte erzählen können. Sie mussten sich wohl beide weiterhin stumm Sorgen machen. * * * Peter beendete seine Übungen in der Dämmerungen. Er sah grade noch die letzten Sonnenstrahlen hinter den Häusern der Stadt verschwinden. Jetzt würde es bald soweit sein. Regungslos blieb er in der zunehmenden Dunkelheit stehen und horchte mit allen Sinnen nach seiner Umgebung. Er würde bereit sein. * * * "Kermit komm schon, lach doch mal!" sagte Skalany und stieß ihn freundschaftlich in die Rippen. Kermit warf ihr nur einen bösen Blick zu und starrte dann wieder auf den Sekundenzeiger der Wanduhr, die hinter der Theke hing. 21:17 Uhr. Er kippte ein weiteres Glas Bier in sich hinein. Allmählich machte er sich wirklich Sorgen. Wo konnte Peter stecken? Kermit war sich sicher, dass der junge Shaolin einen abgeschiedenen Ort ausgewählt hatte, um niemanden in Mitleidenschaft zu ziehen. Kermit wurde unruhig. Was, wenn Peter vielleicht doch seine Hilfe brauchte? Oder wenn er... Er versuchte, den Gedanken zu verbannen, aber es gelang ihm nicht. Und wenn es wirklich so sein sollte? "Dann sollte er nicht alleine sein!" murmelte Kermit, für keinen anderen hörbar. "Hey Skalany, Jody!" Die beiden Frauen drehten den Kopf zu ihm und sahen ihn fragend an. "Wo kann man besser einen Kampf austragen, im alten Industriegebiet oder auf dem Schrottplatz im Norden der Stadt?" Die beiden Frauen sahen sich verwirrt an, antworteten dann aber wie aus einem Mund. "Der Schrottplatz." "Danke!" sagte Kermit, legte einen Schein auf die Theke und war verschwunden. "Was war das denn?" fragte Jody. "Ich habe keine Ahnung. Aber das ist eben Kermit", antwortete Skalany schulterzuckend und wandte sich dann wieder dem normalen Feierabendgespräch zu. * * * Peter spürte einen kalten Luftzug um sich herum, es war so weit, Chi Sung war da. Er öffnete seine Augen und sah ihr ins Antlitz, sie stand etwa fünf Meter vor ihm, ein schwarzer Mantel umhüllte ihre Figur, ihre schwarzen Haare flatterten wild um ihren Kopf, ohne dabei das Gesicht zu verdecken, die grünen Augen funkelten ihm zornig entgegen. "Ich habe dich erwartet"; sagte Peter ruhig. "Und ich werde dich heute Nacht vernichten!" fauchte sie zurück und schickte Peter sogleich einen schwarzen Ball aus Blitzen, den Peter aber mit einer Handbewegung abwehren konnte. Wieder donnerte sie einen Angriff auf ihn, und wieder konnte Peter ihn abwehren. Wut stieg in ihren Blick, sie fauchte leise, dann stürzte sie sich auf ihn. Ihr erster Tritt traf Peter an den Rippen, den zweiten aber konnte er parieren, packte ihr Bein und stieß sie zurück, sodass sie ins Straucheln geriet. Peter schob eine Druckwelle auf sie zu, welche sie allerdings von sich stoßen konnte, sich blitzschnell um sich selbst und auf ihn zu drehte und Peter einen harten Schlag in den Nacken verpasste. Für einen Moment verschwamm Peters Sicht, dann war er wieder klar, allerdings konnte er sie nicht erblicken. Er drehte sich um sich selbst, als er schon ihren Fuß unter seinem Kinn spürte, zurückstolperte und zu Boden ging. "Ich werde dich vernichten!" zischte sie erneut, ehe sie Peter einen Tritt in die Rippen versetzte, die alle Luft aus seinen Lungen weichen ließ. Peter schloss die Augen, sammelte sich, dann sprang er auf, von neuer Energie gefasst und wirbelte auf sie zu. Wieder ließ sie sich von Peter überraschen und sich einige Meter durch gezielte Schläge und Tritte zurückdrängen. * * * Kermit brauste mit seinem Wagen in Richtung Norden, bis er ihn vor dem großen Tor des Schrottplatzes zum Stehen brachte. Dieser Ort und das alte Industriegebiet waren die einzigen verlassenen Plätze, von denen er wusste, dass Peter sich auskannte. An beiden Orten hatte er schon undercover gearbeitet. Leise drückte sich Kermit durch das Tor und schlich durch die Reihen aufeinandergestapelter Autos. Er konnte nichts hören, für einen Kampf war es hier eindeutig zu leise. Sein Blick wanderte zum unzähligsten Male auf seine Uhr: 22:49 Uhr. Er durchforstete weiter den Platz, bis er sicher war, dass er allein war. "Verdammt!" zischte er und rannte zurück zu seinem Wagen, um zum Industriegebiet zu fahren. Inständig hoffte er, rechtzeitig zu kommen. * * * Peter wich erneut einem Feuerball aus, seine Rippen schmerzten bei jeder Bewegung. Er spürte, dass die Zeit allmählich ablief, Lo Sis Kräfte lagen plötzlich schwer in seinem Körper. Er strich sich mit den Händen über den Körper, holte die Leichtigkeit zurück. "Du kannst sie besiegen!" hallten die Worte des Alten in seinem Geist nach. Er blickte seiner Gegenüber direkt ins Gesicht, ihre Lippe blutete, ihre Augen glühten vor Zerstörungswut. Zerstörungswut. Urplötzlich wusste Peter, was er zu tun hatte. Er schloss für eine Millisekunde die Augen, um sich erneut zu sammeln. Diese Zeit reichte allerdings Chi Sung, um sich erneut auf ihn zu stürzen. Ein Hagel von Schlägen und Tritten prasselte auf Peter nieder, er spürte seine Augenbraue aufplatzen, Blut rann über seine Schläfe und die Wange. Aber er fand sich wieder, wehrte ihre weiteren Angriffe ab, ohne selbst zum Schlag zu kommen. Sie zog sich wieder einige Meter zurück, funkelte ihn an. Dann schleuderte sie einen Feuerball auf ihn. Seinen Plan verfolgend wich Peter einfach aus, drehte sich ab. Chi Sung zischte wütend. Dann warf sie erneut einen Blitzball auf ihn zu, aber wiederum machte der junge Shaolin einfach einen Schritt beiseite. * * * Kermit kam mit der Corvair rutschend zum Stehen. Sein Blick wanderte über die vielen, verfallenen Lagerhallen. "Peter, wo bist du?" flüsterte er in die Dunkelheit. Als sei es eine Antwort, sah er plötzlich einen hellen Lichtblitz im Obergeschoss der Lagerhalle eines ehemaligen Stahl-Produzenten. Mit schnellen Schritten eilte er los, er hatte etwa dreihundert Meter zu überbrücken. Immer wieder musste er stehen bleiben, um die Halle neu ins Visier zu nehmen, weil sie ihm verdeckt war, wenn er an anderen Gebäuden vorbeilief. Endlich kam er vor seinem Ziel zum Stehen. Die Frontwand der Halle war zum größten Teil heruntergebrochen, Kermit konnte die zwei kämpfenden Gestalten sehen, die sich zehn Meter über ihm ein Duell lieferten. Anhand der langen Haare konnte er die zwei Schatten auseinanderhalten. Peter stand noch, das war ein gutes Zeichen. Allerdings sah er die hellen Blitze immer in seine Richtung fliegen, sein Freund schien sich kaum zu wehren. Kermit machte sich Sorgen, konnte aber nichts unternehmen. Mit angehaltenem Atem verfolgte er den Kampf, bis sein Blick auf die Uhr fiel: 23:12 Uhr. "Komm schon Peter!" flüsterte er kaum hörbar. Er beobachtete weiter die zwei Menschen in ihrem Kampf; Chi Sung, die Peter immer wieder mit Blitzen bewarf, Peter, der ihnen immer nur auswich, ohne etwas zu entgegnen. "Was hast du vor?" flüsterte in die Nacht. Seine Gedanken waren bei den Zeigern seiner Uhr, die unaufhaltsam auf Mitternacht zu wanderten. * * * Peter spürte, dass seine Gegnerin immer wütender wurde. Ruhig und gelassen parierte er jeden Angriff, ohne sich ihr entgegen zu setzen. "Kämpfe!" schrie sie ihm entgegen, ehe sie den nächsten Feuerball warf. Aber wieder machte Peter nur einen Schritt zur Seite. "Verdammt, kämpfe, du dreckiger Shaolin!" Der nächste Feuerball, der im Nichts hinter Peter verpuffte. Peter spürte, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, auf den er hingearbeitet hatte. Chi Sung starrte ihn böse an, dann erhob sie ihre Hände. "Wenn du nicht kämpfen willst, werde ich dich gleich vernichten! Und danach wird Blaisdell sterben!" zischte sie, ehe sie ihre Hände noch weiter hob und ihren Blick zum Dach der Halle richtete. Peter schloss seine Augen, noch einmal sammelte er alle Kräfte, die ihm zur Verfügung standen. Er hatte sich noch nie so sicher in seinem Tun gefühlt. *** Kermit bemerkte, dass die Situation über ihm sich veränderte. Chi Sung hatte eine anbetende Haltung angenommen, und auch Peter stand still da. Wie gebannt starrte er zu den beiden Gegnern. Dann sah er, wie sich zwischen den Händen der Frau eine Feuerkugel bildete, größer als die bisherigen, bedrohlicher. Aber Peter reagierte nicht darauf. Der Feuerball wuchs immer weiter an, bis Chi Sung plötzlich den Kopf wieder senkte und die Kugel auf Peter schoss. "Oh Gott!" entfuhr es ihm leise, er war davon überzeugt, dass die Kugel Peter zerschmettern würde. *** Peter hatte im richtigen Moment die Augen wieder geöffnet, sein Geist war klar, seine Kräfte mobilisiert. Er sah die Kugel auf seinen Kopf zusausen, aber diesmal trat er nicht beiseite. Zwischen seinen ausgebreiteten Händen fing er die Kugel unter großer Kraftanstrengung auf und hielt sie fest. Schwebend brannte sie vor seinem Gesicht, sein Körper bebte vor Anspannung. Mit großen, fassungslosen Augen starrte Chi Sung ihn an. Peter erwiderte den Blick über die Kugel hinweg, sah ihr direkt in die schwarze Seele. "Das Licht wird die Dunkelheit überdauern! Die Liebe wird den Hass besiegen!" beschwor Peter, ohne den Blick aus ihren nun angewiderten Augen zu nehmen. "Das Licht wird die Dunkelheit überdauern! Die Liebe wird den Hass besiegen!" seine Stimme wurde immer lauter. "Das Licht wird die Dunkelheit überdauern!
Die Liebe wird den Hass besiegen! Der schwarze Feuerball wuchs nun zwischen Peters Händen weiter an, ein heller Lichtreifen bildete sich darum. Peter drückte die Kugel wieder auf Chi Sung, die völlig überrascht nicht mehr ausweichen konnte. *** Er erkannte, wie sich langsam ein heller Ring um die Kugel bildete, er hörte Peter etwas sagen, immer lauter, bis er die Worte verstand; in dem selben Moment, als sein Freund den Feuerball zurück schickte. Die Kugel zerschellte unter einem hellen Aufleuchten an Chi Sungs Brust, die einen Schritt zurücktaumelte. Dann geschah etwas, das Kermit kaum glauben wollte. Hinter Chi Sung öffnete sich ein Kreis, mit flammendem Rand. Im Inneren schwarz, mit wabernden grauen Fäden, die nach der Frau griffen, wie die Arme von Gespenstern. Kermit sah zu, wie die schöne Sing Wah immer tiefer in dieses schwarze Loch eingezogen wurde, als sie plötzlich noch einmal ihre Arme aus dem Griff der Geister löste und Peter einen letzten Feuerball entgegenschleuderte, ehe sie gänzlich im Kreis verschwand und der brennende Reif einfach verpuffte. Peter wurde von diesem letzten Angriff voll getroffen, die Kugel schlug gegen seine Brust, der Shaolin taumelte zurück, fiel, Funken stoben durch die Luft. Wie von der Tarantel gestochen rannte Kermit los, erreichte die stählerne Gitterrosttreppe und eilte sie zwei Stufen zugleich nehmend hinauf. Dort, wo Chi Sung gestanden hatte, erkannte man keine Anzeichen ihrer Anwesenheit mehr. Sofort eilte Kermit zu Peter, der leblos auf der Erde lag. Eilig fühlte er seinen Puls, der schwach, aber fühlbar, durch seine Adern waberte. Hastig sah er auf seine Uhr: 23:32 Uhr. Sorgsam griff Kermit unter seinen Freund und hob ihn hoch. Schnell, aber vorsichtig, ging er mit dem Körper auf seinen Armen zu seinem Wagen. Er setzte Peter auf den Beifahrersitz, schnallte ihn an und setzte sich dann hinters Steuer, um mit durchdrehenden Reifen das alte Industriegebiet zu verlassen. Während der rasanten Fahrt durch die nächtliche Stadt wanderte Kermits Blick immer wieder zu der kleinen Uhr im Armaturenbrett. Als er seinen Wagen vor Peters Wohnung parkte, zeigte sie 23:51 Uhr. Er zog Peters Körper aus dem Auto, sein Freund fühlte sich merkwürdig leicht an, was den Mann mit der Sonnenbrille stark beunruhigte. Oben angekommen legte er Peter auf die Meditationsmatte und wollte sich dann Lo Si zuwenden, der aber zu seinem Schreck nicht mehr da war. Hastig blickte er sich um, aber der regungslose Körper des Alten war verschwunden. "Oh mein Gott!" keuchte Kermit und ließ sich resignierend neben Peter sinken, dem er fast zärtlich über die Stirn strich. Ein Griff an den Hals zeigte ihm, dass der Puls noch schwächer geworden war. Als Kermit hinter sich ein Geräusch hörte, drehte er sich auf den Knien und blickte Lo Si ins Gesicht, der Paul neben sich stützte. Der Alte beachtete den erstaunten Blick des Polizisten gar nicht, ließ Paul am Türrahmen angelehnt stehen und hockte sich neben Peter. "Oh nein! Was hab ich getan?!" keuchte Paul von seiner Position, war aber offensichtlich nicht in der Lage, sich zu seinem Pflegesohn zu begeben. Auch die anderen kümmerten sich gerade nicht um seinen Kommentar. Die Hände des alten Apothekers wanderten über den Körper des jungen Mannes, und Kermit konnte ein erleichtertes Lächeln des Alten wahrnehmen. Er traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Lo Si legte seine rechte Hand auf Peters Brust, ließ sie für eine Sekunde verweilen, schloss seine Augen und drückte dann einmal fest zu, als wollte er eine Herzmassage machen. Peters Oberkörper schoss ein Stück nach oben, die Augen öffneten sich und der junge Shaolin schnappte nach Luft, wie ein Ertrinkender. Kermit schaute auf die Uhr, es war Mitternacht. Peters Blick ging zunächst ebenfalls zu der Wanduhr, bevor er Lo Si fragend ins Gesicht blickte. Auch Kermit starrte den alten Mann jetzt an, der schelmisch lächelte. "Warum warst du schon wieder wach?" fragte Peter noch etwas benommen. Lo Si grinste noch immer. "Deine Kräfte, ich habe sie dir doch gar nicht zurückgegeben, wie ist das alles möglich?" setzte Peter nach. "Du hast sie besiegt", stellte Lo Si fest, ohne auf die Frage weiter einzugehen. "Ja", sagte Peter, schon fast bedrückt, "aber nur dank deiner Kräfte. Alleine hätte ich das nie geschafft." Wieder grinste Lo Si. "Oh, du hast es alleine geschafft!" Peter und Kermit starrten Lo Si fassungslos an. Sie konnten beide nicht verstehen, was der alte Mann ihnen sagen wollte. Peter wollte gerade mit dem Kopf schütteln, als Lo Si zu einer Erklärung ansetzte. "Als wir unsere Chis verbunden haben, spürte ich, dass genug Kraft in dir wohnt, um mit Chi Sung fertig zu werden. Du hast meine Kräfte nicht in dich aufgenommen." "Aber, ich habe doch gespürt, wie etwas übergangen ist!" protestierte Peter. "Oh ja. Aber das Einzige, was ich dir gegeben habe, war Gewissheit." Peter guckte ihn noch immer ungläubig an. "Die Kraft wohnt in dir, Peter. Du glaubst nur nicht daran. Und diese Angst vorm Versagen habe ich dir genommen. Ich habe dir die Gewissheit gegeben, dass deine Entscheidungen richtig sind", erklärte Lo Si weiter. Peter rang sich ein schwaches Lächeln ab, als Kermit ihm fest auf die Schulter schlug. "Ich wusste doch, dass du das schaffst!" sagte der Bebrillte mit seinem typischen Grinsen auf den Lippen. Peter antwortete ihm mit einem herzlichen Lachen und einem kurzen, tiefen Blick in die Augen. Dann stand der Shaolin auf und ging hinüber zu seinem Pflegevater, dem die Tränen in den Augen standen. "Für einen Augenblick dachte ich, du wärst..." aber Peter schnitt ihm die Worte ab und nahm ihn fest in die Arme. Auch er hatte mit seinen Emotionen zu kämpfen. * * * "Ist gut, Mom, ich freu mich!" lachte Peter ins Telefon, "ach, und Mom?" "Ja, Peter?" "Sind Kelly und Caroline auch da?" "Ja, sie wollten kommen. War sonst noch was?" fragte Annie. "Ja, wenn du so fragst. Kann ich noch jemanden mitbringen, einen Freund?" stellte Peter die Frage, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. "Natürlich, wenn du das möchtest." "Alles klar, Mom. Wir sehen uns morgen zum Brunch. Ich hab dich lieb!" schloss Peter das Gespräch. "Ich dich auch, Junge! Bis morgen." Peter drehte sich schelmisch zu Paul um, der jedes Wort aufmerksam verfolgt hatte. Er wirkte verunsichert. "Und du glaubst, das ist eine gute Idee?" fragte Paul leise. Er war noch immer schwach und gezeichnet von seinen Erlebnissen. Peter legte ihm die Hände auf die Schultern. "Ich hatte noch nie eine bessere Idee! Und ich war mir noch nie so sicher!" sagte Peter, auch wenn sich in ihm etwas gegen diese Aussage wehrte. Dort, in der Lagerhalle, war er sich noch viel sicherer gewesen, was er tat. Und die Tatsache, dass er allein den Kampf gewonnen hatte, machte ihn stolz. Es war, als hätte er eine neue Stufe im Shaolin-sein erklommen. Die Klarheit, nach der er so lange gesucht hatte, war in ihm, er musste sich nur vertrauen. *** Am nächsten Morgen parkte Peter seinen Wagen vor dem Haus, in dem er die zweite Hälfte seiner Kindheit verbracht hatte. Paul rutschte neben ihm unruhig hin und her. Ein weiteres Mal blickte er Peter fragend in die Augen, der lächelnd nickte und dann ausstieg. Paul tat es ihm nach. Ehrfurchtsvoll blickte er an dem Haus empor, in dem er so lange nicht mehr gewesen war. Annie hatte Peters Wagen gehört und öffnete die Tür. Paul trieb es die Tränen in die Augen. "Peter?" fragte Annie, während sie aufrecht in der Tür stand und in die Richtung der beiden Männer blickte. Peter kam in großen Schritten auf sie zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, während Paul wie angewurzelt da stand und seine Ehefrau glücklich anstarrte. "Hi Mom", begrüßte Peter seine Pflegemutter. "Möchtest du mir deinen Freund nicht vorstellen?" fragte sie und drehte sich direkt Paul zu, der jetzt langsam und ehrfürchtig auf sie zu kam. "Ich glaube, das möchte er selbst machen", wich Peter aus und trat einen Schritt beiseite. Paul stand jetzt vor Annie, deren Gesichtsausdruck eine leichte Verwirrtheit verriet, als Paul plötzlich ihre Hände nahm, sie sanft drückte, einen Schluchzer unterdrückend. "Oh Annie", presste Paul heraus, ehe ihn die Gefühle übermannten. "Paul?" fragte Annie fassungslos und nahm sein Gesicht in ihre Hände, "Paul!" Weinend fielen sich die Eheleute in die Arme, drückten sich, als wollten sie sich nie wieder voneinander lösen. Sie merkten nicht, wie Caroline ihren Wagen neben Peters steuerte und mit ihrer Schwester ausstieg. Beide Frauen starrten ungläubig auf die Szene zwischen ihren Eltern, blickten Peter kurz stutzend an und eilten dann hinzu, um ihren Vater nach nunmehr drei Jahren wieder in die Arme zu schließen. Paul drückte seinen drei Frauen Küsse auf die Stirn und in die Haare, Peter hatte ihn noch nie so glücklich gesehen. Paul schaute über Schulter zu ihm, schenkte ihm einen Blick voller Dankbarkeit und Freude und packte ihn dann an der Jacke, zog ihn hinzu und küsste auch ihn auf den Haaransatz. Eine schwere, gefährliche Reise war nun zu Ende gegangen. ENDE
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