In den vergangenen Tagen hatte Cass sich gut eingelebt. Mit großen Augen beobachtete sie, wie Peter sich um die Menschen der Gemeinde kümmerte; sie waren alle sofort wieder da. Und so mixte der Shaolin Kräuter und Tees, heilte Wunden, half verstörten Menschen durch seinen Beistand. Jeden Tag waren sie durch Chinatown spaziert, hatten sich mit den Menschen unterhalten und hier und da einfach die Atmosphäre genossen. Peter, weil sie ihm gefehlt hatte, Cass, weil es so neu und wunderbar für sie war. Sie fühlte sich, als wäre ihr Leben schon immer so glücklich und ausgefüllt gewesen, als hätte es nie dunkle Stunden gegeben. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bis Dämonen an die Oberfläche gebracht wurden, die sie vor langer Zeit ganz tief in ihrem Gedächtnis begraben hatte. *** "Cass, hast du's bald?" rief Peter fast schon genervt. Seit einer Stunde befand sich seine Freundin im Bad, aus dem wilde Klänge drangen, und allmählich mussten sie los, wenn sie Peters Freunde nicht versetzen wollten. "Bin ja schon da!", sagte sie und kam um die Ecke. Dem jungen Shaolin blieb die Luft weg. "Wow!", sagte er mit großen Augen. Cass hatte ihre wilde Mähne glatt geföhnt und ließ nun erkennen, dass es sich um einen Bob handelte, der kantig ihren Kiefer nachformte und durch den Seitenscheitel ihr rechtes Auge halb verdeckte. Ihre Augen hatte sie schwarz umrandet, sodass die nun einen katzenhaften Touch erhielten, trotz der blauen Farbe. Sie sah verführerisch und geheimnisvoll aus. Ihre Bluejeans saß eng an ihren Beinen und ihrem Hintern, die spitzen Pumps lugten nur wenige Zentimeter heraus. Sie hatte ein dunkelgraues Longshirt an, mit weitem Ausschnitt, ohne dabei billig zu wirken. "Gefällt's dir?", fragte sie kokett und gab ihm einen Kuss. Peter musste schlucken. "Oh yeah", imitierte er seinen alten Freund, den Cass heute Abend kennen lernen sollte, zog sie zu sich und küsste sie verlangend ein weiteres Mal. Sie grinste und griff dann nach ihrer Handtasche. "Jetzt nicht, Honey", hauchte sie und ging zur Wohnungstür. Auf der Fahrt wirkte sie dann etwas verunsichert. "Meinst du, deine Freunde werden mich mögen?" fragte sie wie ein kleines Mädchen. Peter strahlte kurz zu ihr rüber. "Ich bin mir sicher!", gab er ihr zurück und hoffte, ihr ein wenig Mut gemacht zu haben. Dann parkte er den Kombi vor dem Delancys und hielt Cass die Tür auf. Sie atmete tief durch, dann zog Peter die schwere Tür auf und führte sie mit der Hand auf dem Rücken hinein. Es war dunkel und stickig, aber Peter sah sofort seine alten Kollegen an der Theke sitzen; dort, wo sie schon immer gesessen hatten. Skalany winkte ihnen zu, sie hatte den Verband unter einem dünnen Rollkragenpullover verborgen. Sie umarmte Peter und begrüßte Cass, indem sie ihr die Hand gab und sich vorstellte. T.J. kam ihm auch gleich entgegen, die beiden hatten sich noch nicht begrüßt, seit Peter zurück war. Sie stellten sich zu der Gruppe. "Also, das ist Cass, meine Freundin", strahlte er sie alle an, dann wandte er sich an sie, "und das sind Mary-Margaret Skalany, T.J. Kincaid, Chief Strenlich, Jody Powell und Blake." Cass gab jedem schüchtern die Hand. "Wo ist Kermit?", fragte Peter, dem sofort die Abwesenheit des Freundes aufgefallen war. Jody zuckte die Schultern. "Unser Casanova wollte nachkommen, hatte noch was zu erledigen", sagte sie gelassen. Die anderen kicherten über die Bezeichnung. Dann wandte sich Jody an Cass und fragte sie aus. Auch die anderen schlossen sich dem fröhlichen Kennenlernen an und bald waren sie alle tief in ihren Gesprächen versunken. *** Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in Peter aus, als die Tür aufging und Kermit hereinkam. Er hatte die Tür nicht gehört, auch nicht hingesehen, aber sein Unterbewusstsein warnte ihn nun mit lauten Sirenen. Kermit trat einige Meter in die Bar herein und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, sein Blick haftete an Cass. Ohne hinzusehen spürte Peter eine Explosion von Angst und Panik neben sich. Seine Freundin war binnen einer Sekunde zum nervlichen Wrack mutiert, während Kermit spürbar zu kochen begann. "DU!", brüllte er und ging mit harten Schritten auf die Frau zu, "ich hab dir doch gesagt, solltest du mir noch mal über den Weg laufen, bring ich dich um!" Peter stellte sich dazwischen und blockte seinen Freund mit der flachen Hand auf dessen Brust. "Kermit! Warte mal!", sagte er und schaute ihm tief in die Augen. Die Sonnenbrille existierte für ihn nicht. Der Shaolin sah darin rasende Wut und tiefen Schmerz, die alles andere in Kermits Geist überdeckten. "Nimm die Finger da weg, oder ich muss dir wehtun. Das hat nichts mit dir zu tun", knurrte Kermit bedrohlich. Jeder andere hätte vermutlich die Flucht ergriffen. Cass zitterte und starrte auf den Ex-Söldner, der drauf und dran war sie umzubringen. Sie drückte sich gegen die Theke, als könnte sie ihm dadurch entfliehen. Nur zwei Meter und Peters Körper standen zwischen ihr und Kermit. "Was zum Teufel hat das zu bedeuten?", fragte Peter stur, die Hand noch immer auf Kermits Brust. "Das geht dich nichts an!" "Oh doch, wenn es um SIE geht, geht es mich sehr wohl etwas an." "Lass mich vorbei!" "Nein!" Ohne weitere Vorwarnung holte Kermit aus und wollte Peter schlagen, der aber duckte sich unter der Faust hinweg, ergriff sie und drehte dem überraschten Kermit die Hand auf den Rücken und stieß ihn von sich, sodass er über die Tanzfläche taumelte und nach einigen Metern zum Stehen kam. "Verdammt Kermit! Hör auf damit!", brüllte Peter ihn an, sich noch immer schützend vor Cass stellend. Kermit schien nur noch wütender zu werden. "Peter, geh mir aus dem Weg! Das hat nichts mit dir zu tun!", zischte der Ex-Söldner zornig. "Nein! Und jetzt verrat mir endlich, was das zu bedeuten hat!" Peter stand ruhig da, aber jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers waren gestrafft, sollte sein Freund wirklich noch einmal angreifen. "Das geht nur mich und sie etwas an. Also geh mir jetzt sofort aus dem Weg! Oder ich muss dich aus dem Weg räumen!" Peter wusste, dass es sich dabei um eine ernst gemeinte Drohung handelte, dennoch würde er seine Freundin nicht ausliefern. Kermit kam nun auf ihn zu, wollte an ihm vorbei zu Cass gehen, die leichenblass an der Theke lehnte und Peters Freund mit glasigen Augen anstarrte. Der Shaolin packte ihn am Hemdkragen und zerrte ihn vor sein Gesicht. "Verdammt, was soll das, Kermit!", flüsterte Peter eindringlich, so dass ihn kein anderer hörte. Er sah allerdings in den Augen des ehemaligen Kollegen, dass seine Ansprache kein Ziel fand, sie prallte an dem Freund ab, ohne Wirkung zu zeigen. "GEH – MIR – AUS – DEM - WEG!" Peter wusste, dass es die letzte Aufforderung sein würde, aber dennoch blieb er stehen. Diesmal war Kermit schneller als sein junger Freund. Er versetzte ihm einen Schlag in die kurze Rippe, sodass Peter vornüber sackte und losließ. Kermit wollte an ihm vorbei auf Cass zugehen, es war nur noch ein Meter, aber Peter packte ihn sofort wieder und zog ihn herum, von seiner Freundin weg. Die Kollegen standen fassungslos um die zwei Männer herum. Ihre Rufe, Kermit solle sich beruhigen, blieben ungehört. Ebenso wussten sie, dass ein Eingreifen fatal wäre. Sie wussten nicht worum es ging, aber es schien, als müssten die beiden das unter sich ausmachen. Auch die Ansprache des Barkeepers, sie sollten doch draußen weitermachen, fand keinen Anklang. "KERMIT HÖR AUF!" Aber der Ex-Söldner ging sofort wieder auf Peter los, der den Angriff blockte, ohne seinerseits einen zu starten. "Ich will mich nicht mir dir prügeln!", sagte Peter, noch immer fassungslos über das Verhalten des Freundes, als er ihn wieder in den freien Raum drückte. "Das wirst du müssen, wenn du mich davon abhalten willst, Rache an ihr zu nehmen!" Peter verstand nicht, worum es ging. Allerdings war dies auch nicht der richtige Moment, Cass zu fragen, was das sollte, dafür war keine Zeit. Außerdem wirkte sie nicht, als sei sie in der Verfassung, auch nur ein Wort herauszubekommen. Er konnte ihre Panik noch immer bis zu sich spüren. Wieder kam Kermit auf den Shaolin zu, wieder wehrte Peter ab. Diesmal aber parierte der Mann mit der grauen Strähne und versetzte Peter einen harten Schlag in die Magengrube, dann schickte er ihn mit einem Ellenbogenschlag auf den Rücken zu Boden. Mit hassverzerrtem Gesicht wollte er nun die letzten Schritte zu Cass überbrücken, die Rufe der Kollegen ignorierend, als er plötzlich Karens Hand auf seiner Schulter fühlte. Er hatte nicht bemerkt, dass sie herein gekommen war. "Kermit, hör auf!", sagte Karen Simms drohend an seinem Ohr. Dann fühlte er ihre Waffe in seinem Rücken, an einer Stelle, an der kein anderer sehen konnte, wozu sein Verhalten sie nötigte. "Zwing mich nicht, Kermit", flüsterte sie. Er wusste, dass sie es tun würde, sollte es tatsächlich notwendig sein. Peter erhob sich wieder, völlig entsetzt seinen Freund anblickend. Kermit hob die Hände als Zeichen, dass er aufgab, und trat einige Schritte zurück, Karen noch immer hinter sich. In gleichem Maße entspannten sich Cass' Muskeln und sie brach zusammen. Peter konnte sie grade noch auffangen und auf seine Arme nehmen. Regungslos beobachtete Kermit, wie Peter die junge Frau aus der Bar trug. *** Peter trug Cass behutsam die Treppe zu seinem Loft hoch und legte sie ins Bett. Er fühlte ihre Stirn und betrachtete ihr blasses Gesicht. Sie hatte unglaubliche Angst gehabt. Jetzt legte er seine Fingerspitzen auf ihre Schläfen und stellte unter höchster Konzentration sicher, dass sie die Nacht traumlos durchschlafen und sich erholen konnte. Er betrat den Meditations- und Trainingsraum und wollte zur Ruhe kommen, war aber zu aufgewühlt dafür. Also beschloss er, Tai Chi zu laufen. Aber auch das verschaffte ihm nicht die nötige Entspannung, die Enttäuschung über Kermits Verhalten saß zu tief. Peter holte aus und schlug vor Zorn und Verzweiflung gegen die Wand. Im selben Moment war Karen Simms im Türrahmen aufgetaucht und hatte erschrocken wieder einen Schritt zurück gemacht. "Captain. Entschuldigen sie..." "Schon gut, Caine. Wie geht es ihrer Freundin?", fragte sie ernsthaft besorgt. Peter zuckte die Schultern. "Sie ist zu Tode erschreckt. Sie schläft jetzt, vielleicht kann sie mir morgen sagen, was das alles zu bedeuten hat. Hat Kermit irgendwas..." Sie schüttelte den Kopf: "Er ist kurz nach ihnen aus der Bar getobt. Er ist auch nicht zu Hause. Und sein Handy ist ausgeschaltet. Ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist. Sie kennen ihn besser als ich, Caine, haben sie denn keine Idee?" Sie schien nervös und verunsichert, so hatte Peter sie während seiner gesamten Zeit als ihr Untergebener nie gesehen. "Nein, keine Ahnung. Ich habe ihn selten so zornig gesehen. Dass er selbst auf mich losgegangen ist..." er beendet den Satz nicht, denn er wollte nicht laut sagen müssen, wie sehr ihn diese Tatsache verletzte. Er fühlte sich von einem Freund betrogen und verraten. Schon wieder. "Ich wünschte, mein Vater könnte hier sein, er wüsste eine Lösung." Karen legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter, dann verabschiedete sie sich und verließ den Loft. Peter sank an Ort und Stelle in den Schneidersitz und schloss seine Augen. Er hatte gehofft, dass er es vielleicht doch noch einmal schaffen würde, Verbindung zu Caine aufzubauen, aber es gelang ihm nicht. Caine war tot. Der junge Shaolin fuhr sich durch die Haare und schloss wieder die Augen. Er rief seine Erinnerungen ab, in der Hoffnung, eine ähnliche Situation darin zu finden und das Verhalten seines Vaters darauf anzuwenden. Aber wieder verlief die Suche in seinem Inneren im Sande. "Ich könnte Lo Si fragen", murmelte er sich selbst zu, mit einem spöttisch sarkastischen Ton in der Stimme. In diesem Moment fühlte er sich völlig verlassen und allein, verraten und verkauft. * * * Der ehemalige Söldner wanderte durch die nächtlichen Straßen. Es kümmerte ihn nicht, dass er in eine üble Gegend geriet, in der die meisten Straßenlaternen zerschossen waren, die Bürger hier waren Schattenkreaturen. Sollten sie ihn doch angreifen. In dieser Verfassung war er nur zu gern bereit, sich zu wehren und Gewalt auszuüben. Seit diese Frau aus seinen Augen verschwunden war, klarte sich sein Verstand wieder auf, wenn auch die Wut blieb. Er durchlebte die Schmerzen von damals noch mal, musste wieder mit ansehen, wie seine Freunde starben, ohne dass er etwas tun konnte. Und Schuld war ganz allein die Frau, die Peter plötzlich als seine Freundin vorstellte. Er hatte sie gesucht, sie aber nicht finden können. Das FBI hatte ihr eine geschützte Identität verpasst, und selbst er hatte sich nicht in das Verzeichnis hacken können. Sie musste damals mit diesem Dreckskerl zusammen gearbeitet haben, es gab keine andere Erklärung. Und aus diesem Grund waren drei seiner alten Freunde tot. Das würde er nie verzeihen können, nicht mal Peter zuliebe. Wenn er an den Freund dachte, bemerkte er ein schlechtes Gewissen, das sich dunkel und schleichend um seinen Geist legte und ihn zuschnürte. Wie hatte er ihn schlagen können? Wie hatte ihn seine Wut und sein Hass so weit treiben können? Er hatte sich nicht einmal gewehrt, hatte es einfach hingenommen. Kermit rieb sich die Augen. Er wusste nicht, was er weiter tun sollte. Da war diese Frau, die er bei der nächstbesten Gelegenheit an liebsten töten würde. Und sein guter Freund, den er geschlagen hatte, obwohl er dessen Pflegevater versprochen hatte, gut auf den Jungen aufzupassen. Und Karen, die ihn mit vorgehaltener Waffe beruhigen musste. "Ich hab's mal wieder verbockt!", zischte er in die Dunkelheit zu sich selbst, als er plötzlich die Gestalten um sich bemerkte. Es waren vier, unbewaffnet. "Hey, Alter! Rück deine Kohle raus!", rief einer ihm zu. Kermit grinste diabolisch, das war die willkommene Abwechslung, nach der er sich in diesem Moment sehnte. Sollten sie doch angreifen, er würde sie zu Brei schlagen und es genießen. Kermit sagte gar nichts, sondern ging einfach weiter. Auch einer weiteren Aufforderung kam er nicht nach, also gingen sie auf ihn los. Der Ex-Söldner konnte ihren Angriffen problemlos ausweichen und schlug mit aller Kraft zu. Es dauerte nicht lange, bis sie humpelnd und fluchend das Weite suchten. Er fühlte sich jetzt ein wenig entspannter, auch wenn seine Fingerknöchel aufgeplatzt waren und etwas schmerzten. Den Frust rauszulassen, hatte gut getan. Jetzt musste er sich überlegen, wie er an die ganze Sacher heranging, um zu kitten, was zu kitten war. Und er musste sich überlegen, was er mit dieser Frau anstellte, die er nun endlich gefunden hatte, nachdem die Bundespolizei sie über sechs Jahre vor ihm (aber eigentlich vor jemand anderem) versteckt hatte. * * * Peter saß auf der Bettkante, als Cass langsam die Augen öffnete. Die Vormittagssonne schien durch das Fenster herein und tauchte alles in ein freundliches Licht. Er lächelte ihr zu und senkte sich zu ihr, um ihr einen Kuss auf den Haaransatz zu geben. Sie versuchte auch ein Lächeln zustande zu bekommen, aber die Angst des vergangenen Abends hatte ihre Spuren hinterlassen. Überhaupt sah sie nicht gut aus. Ihr Make Up war verlaufen und fleckig, ihre Haut noch immer blass. Furchtbar zerbrechlich und schwach lag sie da und sah Peter an. Er fühlte den Schatten auf ihrer Seele, konnte aber nicht dazu durchdringen. Unbewusst blockte sie seine Blicke in ihre Augen ab. "Wie geht es dir?", fragte der Shaolin sanft. Sie sah ihn schüchtern an. Peter fragte sich unweigerlich, wo die lebensfrohe und wilde Frau hin verschwunden war, die er in Diffon kennen gelernt hatte. Sie wirkte wie ein dünner Abklatsch ihrer selbst. "Ich habe Kopfschmerzen", sagte sie leise. Dann wandte sie plötzlich ihr Gesicht ab und fing an zu weinen. "Hey!", sagte Peter mit leiser Stimme und wollte ihr Gesicht zu sich zurückholen, sie wehrte sich allerdings stur und weinte in ihre Hände. "Peter... ich... es ist alles... meine Schuld... alles..." Der Shaolin nahm den bebenden Körper in seine starke Umarmung und drückte sie fest an sich, bis sie sich nach einiger Zeit endlich wieder beruhigte. Liebevoll sah er ihr in die Augen. "Ganz ruhig, Süße. Ganz langsam, von vorne", ermunterte er sie, sich ihm anzuvertrauen. Sie sah ihn ängstlich an, dann schlug sie die Augen nieder. "Es ist alles gelogen, Peter. Alles. Es tut mir so leid!" wieder schluchzte sie auf. Auch wenn der junge Mann die Worte nicht deuten konnte, fühlte er doch eine kleine Nadel in seinem Herzen. Wenn ihn etwas verletzen konnte, dann angelogen zu werden. "Ganz ruhig, Cassandra. Was ist gelogen?" fragte Peter sanft, als er plötzlich hinter sich jemanden wahrnahm. "Alles!", sagte Kermit, der im Türrahmen stand. Während Cass schnappend nach Luft rang, sprang Peter auf und stürmte auf den Polizisten zu. Er packte Kermit am Hemdkragen und stieß ihn in den Flur gegen die Wand, den Unterarm fest unter seine Kehle gedrückt. Kermit machte nicht einmal Anstalten, sich zu wehren. "Was zum Teufel denkst du dir, hier aufzutauchen?", zischte Peter durch die zusammengebissenen Zähne. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. "Ich wollte mit dir reden", gab Kermit zurück. Seine Augen bewegten sich unruhig hinter der Brille, er konnte Peter nicht in die Augen schauen. Der ließ ihn wütend los und ging einen Schritt zurück, immer noch in aggressiver Haltung. "Mit mir reden oder mich zusammenschlagen?", fragte Peter zornig und sarkastisch nach. Der Verrat durch seinen engsten Vertrauten, neben Lo Si, tat noch immer weh. Kermit schaute ihn ganz kurz an, senkte dann aber wieder den Blick. "Pete, es tut mir leid, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist", sagte Kermit aufrichtig, "ich hätte dich niemals schlagen dürfen!" Peter sah ihn prüfend an. In seinem Inneren kämpften der Shaolin, dessen Tugend es war, verzeihen zu können; und der junge, aufbrausende Mann, der sich verraten, verletzt und hintergangen fühlte. Der Shaolin fühlte die Aufgewühltheit des Freundes, Kermit hatte ihm seine Seele weit geöffnet. Aber dennoch war er nicht bereit, ihm zu vergeben. Zumindest noch nicht. Er sah ihm fest in die Augen. "Aber du hast mich geschlagen. Verdammt Kermit, ich dachte, ich könnte dir vertrauen! Ich dachte, wir wären Freunde! Aber offensichtlich sind aktuell 'Führt-Peter-Hinters-Licht-Wochen' und ich habe keine Ahnung mehr, wer wirklich zu mir steht." "Peter, ich...", versuchte Kermit seinen Standpunkt auszudrücken, aber der junge Mann blockte seine Rede mit einem einzigen Blick, der unendlich viel Wut und Enttäuschung ausdrückte. Der ehemalige Cop atmete tief durch, langsam wurde er ruhiger. Kermit stand nervös im Flur und wartete auf eine Antwort von Peter. Dann endlich sprach er, und es fiel ihm unglaublich schwer. "Du hast keine Ahnung, wie sehr du mich damit getroffen hast!" Er musste schlucken, um seine Gefühle nicht ausbrechen zulassen. Gedrückt redete er weiter: "Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Aber aktuell...", er sah ihn fest an, Trauer lag in seinen Augen, "will ich dich nicht sehen. Oder hören. ... Und das hat nichts mit Cass zu tun", schloss er. Kermit überlegte, ob er etwas zu ihr erwidern sollte, aber er spürte, dass er damit auf taube Ohren stoßen würde. Und er hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass Peter so unglaublich enttäuscht von ihm war. Ein Kloß setzte sich in seinem Hals fest, und mit dünner Stimme flüsterte er ein 'Es tut mit leid', ehe er die Wohnung mit hängendem Kopf verließ. Peter ging wieder ins Schlafzimmer, wo Cass mit angezogenen Knien im Bett saß, sie schien sich gefangen zu haben. Liebevoll lächelte er sie an, auch wenn er seine Trauer nicht verdecken konnte. Schuldbewusst senkte sie den Blick. "Peter, es tut mir so leid, es ist alles meine Schuld!" sagte sie, diesmal mit fester Stimme, tief durchatmend. Er sah sie erstaunt an. "Das hast du jetzt schon ein paar Mal gesagt. Könntest du mir jetzt endlich erklären, was das alles soll?" Er raufte sich die Haare, "mein bester Freund geht auf dich los, du erstarrst zur Salzsäule und ich steh dazwischen und hab überhaupt keine Ahnung, worum es überhaupt geht!" Verwirrt strich er sich mit den Händen übers Gesicht, dann sah er sie bittend an, ihm endlich alles zu erzählen. "Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es ist so schwer... es... es... tut so weh!" sagte sie, wieder in ein Wimmern abgleitend. "Ich muss es aber wissen! Bitte Cassandra." Plötzlich lachte sie traurig auf, wie eine Wahnsinnige. Schuldbewusst sah sie ihn an. "Selbst das ist gelogen. Ich heiße nicht Cassandra Torres. Nicht wirklich." Sie schluchzte auf, während Peter sie mit geweiteten Augen anstarrte. Wieder traf eine kleine Nadel sein Herz; Noch mehr Lügen konnte er kaum mehr verkraften. "Mein Name ist Castor Troy. So war er jedenfalls bis vor sechseinhalb Jahren. Meine Freunde nannten mich Cat." Sie schniefte. Schwer atmend versuchte sie weiter zu sprechen. "Was hat das alles zu bedeuten?", flüsterte Peter fassungslos, kaum hörbar. Die Anzahl der Nadelstiche konnte er schon nicht mehr zählen. Rastlos stand er auf und lief vor dem Bett hin und her, während Cassandra, oder Castor, sich noch mehr zusammenzog und einigelte. "Das FBI hat mir eine neue Identität gegeben und mir ein neues Zuhause verpasst." Wieder schluchzte sie auf und atmete tief durch. Peter fuhr zu ihr herum. "Also war eigentlich alles gelogen! Alles was du mir erzählt hast, war ausgedacht!", stellte er wütend und enttäuscht fest. Sie fing an zu weinen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Als Ex-Cop hätte er wissen müssen, dass ihr Schlimmes widerfahren sein musste, damit das FBI sie ins Schutzprogramm aufnahm, aber seine Wut machte ihn aktuell blind. Dennoch konnte er sie nicht weinen sehen. Egal wie verletzt er sich fühlte, er liebte diese Frau. Und die Empfindungen für sie waren echt, dieses Gefühl der Besonderheit war echt. Sie war die Frau seines Lebens. Er sollte ihr bis zum Ende zuhören, ehe er sich ein Urteil bildete. Er setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. "Es tut mir leid", flüsterte er in ihr Ohr und zog sie an sich. Nach wenigen Minuten hörte sie auf zu weinen und sah ihn mit verquollenen Augen an. "Meine Gefühle für dich waren nicht gelogen", sagte sie mit dünner Stimme, "aber ich habe drei Jahre Therapie gebraucht, um endlich ohne Alpträume schlafen zu können, um wieder zu lachen, um diesen Horror endlich zu vergessen. Und jetzt taucht Griffin auf und alles ist wieder da!" "Was ist wieder da?", fragte Peter ruhig. "Ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht!" Peter schloss sie in seine Arme und während er sie tröstete, dachte er nach. "Es gibt eine Möglichkeit, wie du es mir zeigen kannst, ohne es erzählen zu müssen", sagte er plötzlich. Sie guckte ihn mit großen Augen an. "Aber ich weiß nicht, ob du das wirklich wollen würdest." "Was denn?", fragte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihre Stimme hatte nun wieder etwas mehr Stärke. "Du könntest es mir zeigen. In deiner Erinnerung. Ich könnte es durch deine Augen sehen. Aber dafür musst du dich erinnern und mir einen Zugang zu deinem Geist gewähren." Ihre Augen wurden groß, Peter wusste, wie viel Vorstellungsvermögen er ihr allein abverlangte. "Wie?", hauchte sie ungläubig. "Meditation. Wir meditieren gemeinsam, öffnen unseren Geist. Und dann kann ich mit dir durch deine Erinnerungen reisen", erklärte er. Sie sah ihnen einen Moment an, dann lachte sie schnappend auf. "Es ist merkwürdig", sagte sie, "ich finde es nicht mal komisch, was du da sagst. Nach allem, was ich bisher von dir gesehen habe, wundert es mich nicht einmal, dass so etwas möglich ist. aber ich glaube, ich möchte das nicht. Ich habe Angst vor dem, was ich da entdecken könnte." Sie blickte entschuldigend zu ihm hoch, er aber schenkte ihr ein vertrauendes Lächeln. "Lässt du mir einen Moment, um die richtigen Worte zu finden, damit ich es dir erzählen kann? Ich geh nur duschen und mich frisch machen und dann kann ich hoffentlich..." Peter nickte und küsste sie auf die Stirn. Dann verschwand Cass, oder Cat, im Badezimmer.
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