"Auf unseren Helden", ließ Mary-Margaret süffisant verlauten und hob ihr Weinglas in Peters Richtung. Die anderen stimmten mit ein, außer Broderick und dem Captain waren sie alle anwesend. Peter senkte verlegen den Blick. "Kommt schon, es ist doch gut. Ich hab auch nicht mehr getan als ihr", sagte er protestierend. "Naja, nur durch Anfassen der Beweise und dem Ansehen der Tatorte zu wissen, wo der Killer steckt und ihn auf frischer Tat zu ertappen, wenn er grade sein neues Opfer verschleppen will, ist verdammt mehr als WIR können!", sagte Jody angetrunken und legte freundschaftlich den Arm um Peters Schulter. Cat grinste breit. Für sie war es neu, die Freunde in Trinklaune zu sehen, aber es gefiel ihr ungemein. Da sie als einzige Anwesende nicht an der ganzen Geschichte beteiligt gewesen war, beschränkte sie sich hauptsächlich aufs Beobachten, Zuhören und Lachen, und hatte einen unendlichen Spaß daran. "Lass dich doch mal feiern", hauchte sie ihm leise zu und gab ihm einen Kuss, den er sofort heftig erwiderte und sie in seine Arme zog. Lachend befreite sie sich aus seiner Umarmung und sah ihm in die Augen. Er war jetzt schon heillos betrunken, seine Lider schwer und der Blick glasig. "Du bist betrunken", flüsterte sie grinsend. "Und du bist wunderschön", antwortete er ihr mit einem Blick, den sie sonst nur in ihren Privaträumen von ihm kannte. Sie gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange und entzog sich ihm dann, um sich und ihn vor den Freunden nicht in Verlegenheit zu bringen. Sie stellte sich zu den weiblichen Detectives und unterhielt sich mit ihnen, während Kermit auf ihrem leeren Hocker neben Peter Platz nahm. "Die Frauen haben Recht", sagte er beiläufig. Peter senkte wieder bescheiden den Blick. "Jetzt fang du nicht auch noch an", sagte er seufzend. Kermit grinste breit und nahm einen Schluck aus seinem Bier. Auch er hatte schon einiges getrunken, seine langen Strähnen hingen wirr in seiner Stirn und die ganze Haltung wirkte etwas zusammengesackt. "Ich bin froh, dass wir dieses kranke Schwein endlich hinter Gittern haben. Ganz egal mit welchen Methoden", sagte er abschließend. Peter stimmte nickend zu. Die Vorstellung eines Frauenmörders in Freiheit war ihm besonders in Anbetracht seiner Verlobten mehr als unangenehm. "Weißt du eigentlich, dass wir vor drei Jahren, haargenau vor drei Jahren, auch als Aprilscherz, auch einen Serienkiller geschnappt und den Erfolg dann hier gefeiert haben?" sagte Kermit nach einem Moment Pause. Peter sah ihn mit großen Augen an. "Brooks, nicht wahr? Das war genau vor drei Jahren? An die Kopfschmerzen von damals kann ich mich noch gut erinnern." "Auch am ersten April. So wie heute. Was erwartet uns denn dann IN drei Jahren?", fragte er grinsend. Peter lachte auf. Auch damals hatte er daran mitgearbeitet, dass der Kerl hinter Gitter kam. Nur war es zu dieser Zeit auch sein Job gewesen und ein Informant hatte ihm den entscheidenden Hinweis geliefert, nicht seine Shaolin-Fähigkeiten. "…sie erwürgt und dann am nächsten Baum aufgehängt. Richtig erhängt. Vorher aber, du weißt schon…" hörte der junge Shaolin jetzt Skalanys Stimme und sah sich über die Schulter. Cat stand bei Jody und Mary-Margaret und hörte mit großen Augen zu, wie die Detectives ihr erzählten, was genau passiert war. Auch wenn er gern alles Schlechte von ihr fernhalten wollte konnte er nicht verhindern, dass sie die grausamen Details erfuhr. So wie er sie kannte, hatte sie vermutlich selbst nachgefragt, um im Bilde zu sein und mitreden zu können. Und es schien sie (*Gott sei Dank*) nicht weiter zu belasten. Peter wandte sich wieder Kermit zu. "Alles klar bei euch?" fragte der ehemalige Söldner, dem trotz Alkohol im Blut der Seitenblick nicht entgangen war. Peter sah ihn überrascht an. "Bei uns? Ja!", sagte er absolut überzeugend, legte aber dennoch mit der Betonung des ersten Teils die Spur für Kermits weitere Nachfragen. "Und sonst?" Peter neigte den Kopf hin und her, sein Gesichtsausdruck
wirkte unschlüssig. Er hob sein Bier, nahm einen Schluck und schwenkte
das Glas dann vielsagend vor sich in der Luft. Kermit packte seinen Unterarm und kam ein kleines Stück mit seinem Kopf näher. Grade wollte er ansetzten, als sich Cat zwischen sie schob und beiden Männern den Arm und die Schulter legte, Peter wesentlich gefühlvoller als Kermit. Beide sahen sie erstaunt an. "Ich will nach Hause. Und die anderen auch. Was ist mit euch?", fragte sie mit feuchtfröhlichem Grinsen im Gesicht und einem Blick zu den Cops, die alle schon mit ihren Jacken da standen und auf eine Antwort warteten. Kermit warf einen Seitenblick auf seinen früheren Kollegen. "Wir bleiben noch ein wenig, wenn du damit leben kannst. Ich bring ihn dir dann sicher nach Hause", versprach der Cop und sah Cat abwartend an. Sie drehte sich kurz rum und fragte Skalany, ob diese sie mitnehmen könnte. Ihr war nicht entgangen, dass die beiden Männer offensichtlich intensivere Gespräche führten. Nachdem die Polizistin zugestimmt hatte, umarmte Cat ihren Verlobten fest und küsste ihn verliebt. Dann verschwand die ganze Mannschaft und Peter und Kermit blieben alleine zurück. Nachdem die Tür hinter den Freunden zugefallen war drehte sich Kermit wieder Peter zu. "Willst du drüber reden?" fragte er und folgte dann Peters Blick ins Leere, irgendwo hinter der Theke. Der junge Mann schüttelte den Kopf, fing aber gleichzeitig an zu sprechen. "Ich weiß auch nicht. Je näher die Hochzeit rückt, umso mehr bedauere ich, dass mein Vater nicht dabei sein kann. Vermutlich hätte er nie geglaubt, dass ich es überhaupt schaffe, ein Mädchen so lange zu halten, dass sie mich heiraten möchte", sagte er mit einem wehmütigen Lachen. "Es ist immer noch wie ein Albtraum für mich, dass er nicht mehr da ist. Ich wünsche mir jeden Morgen mehr, aufzuwachen und zu spüren, dass er am Leben ist." In diesem, wie in jedem anderen Moment auch, war Kermit unendlich dankbar, dass Paul wieder zurück war. Wahrscheinlich hätte es Peter noch wesentlich heftiger getroffen, ganz ohne Vater vor den Altar zu treten. Dennoch war dem Cop bewusst, wie sehr es seinen Freund belasten musste, dass Caine tot war und diesen besonderen Tag nicht miterleben konnte. "Auch wenn ich nicht viel von dem ganzen Shaolin-Zeug verstehe…", setzte er an und machte eine kurze Pause, "aber sogar ich bin mir sicher, dass er dort sein wird. Frag mich nicht wie, aber auf irgendeine Art und Weise wird…", er machte eine kreisende Bewegung mit seiner Hand, "sein Geist dort bei euch sein. Er würde es sich niemals nehmen lassen, das mitzuerleben. Nicht mal im Tod." Peter sah seinen Freund direkt an, als würde er in dessen Augen nach der Überzeugung hinter diesen Worten suchen. Und auch wenn es sich der Ex-Söldner nicht erklären konnte, er war tatsächlich absolut sicher in dem, was er grade gesagt hatte. Peter nickte abwesend. Er hatte ähnliche Gedanken auch schon gehabt, aber ein Rest Angst blieb, dass er am Hochzeitstag keine Spur seines Vaters wahrnehmen können würde. Manchmal war er überzeugt, dass allein Pauls Wiederkehr dafür verantwortlich war, dass er die Sache nicht cancelte. Nicht, weil er Cat nicht liebte, sondern einfach weil es ihm schwer fallen würde, an diesem Tag zu hundert Prozent Freude zu empfinden. Und das war er dieser wunderbaren Frau auf jeden Fall schuldig. Eine Stunde später brachte ein Taxi die Männer nach Hause, wo sie betrunken und in melancholische Gedanken vertieft ihre Frauen küssten, in ihre Betten fielen und sofort einschliefen. *** *** *** Kermit betrat langsam und trottend das Revier, sein Jackett hatte er ausgezogen und mit einer Hand über seine Schulter gehängt. Die Kollegen, die an diesem Morgen mit ihm Dienst hatten, saßen bereits an ihren Schreibtischen. Ihr Gesichtsausdruck glich dem seinen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, die relativ klein waren und müde drein blickten. Der frühere Söldner versuchte sich in einem Grinsen und sagte zu Jody: "Du siehst aus wie ich mich fühle." Er erntete nur einen fiesen Blick, dann ein leichtes Lächeln. "Ich sag dir jetzt besser nicht, wie du aussiehst!" konterte sie. Schließlich hatte Kermit noch zusammen mit Peter beschlossen, etwas länger im Delancys zu bleiben und weiter zu trinken. Und das sah man deutlich in seinem zerfurcht wirkenden Gesicht. "Du hast gestern Abend schon so ausgesehen, als müsstest du dringend ins Bett. Aber ihr zwei wolltet ja unbedingt weiter machen", belehrte sie ihren Kollegen. Kermit grinste. "Gestern Abend fand ich die Idee auch noch gut." Unterdessen wendete sich Blake kurz dem noch immer leeren Schreibtisch hinter sich zu. Ebenso müde schaltete er sich nun in das Gespräch ein. "Peter hat's gut. Der muss nicht zur Frühschicht hier auftauchen." Skalany schüttelte den Kopf. "Du tust grad so, als würde Peter gar nichts arbeiten. Schließlich war er maßgeblich an der Verhaftung beteiligt und…", sie unterbrach sich für ein heftiges Gähnen, "und außerdem ist es ja nicht so, dass er sich besonders viel Ruhe und Erholung gönnt." Jody nickte zustimmend, Kermit legte nur den Kopf schief. "Und trotzdem bin ich heute neidisch auf ihn", murmelte er und ging dann mit schweren Schritten auf sein Büro zu. "Ach, Kermit?", rief Blake ihm nach. Er drehte sich in seinem Türrahmen noch einmal missmutig um sah seinen Kollegen durch die Brille abwartend an. "In einer halben Stunde ist die Besprechung. Der Captain hat uns heute Morgen noch einmal extra dran erinnert." Kermit knurrte etwas Unverständliches. "Sie hat sich ohnehin schon gefragt, wo du bleibst", flötete Jody mit gespielt unschuldigem Blick. Ihr Kollege grinste müde. "Ich wollte ihr auch mal das Erfolgserlebnis gönnen, früher als ich am Schreibtisch zu sitzen", knurrte er und verschwand dann hinter der Tür seines Reichs. Es dauerte allerdings nur wenige Sekunden, dann schwang sie wieder auf und er trat mit seiner Kaffeetasse bewaffnet heraus, um sich einen Wachmacher einzuschenken. Die Kanne aber war leer. Mürrisch drehte er sich den Menschen im Büro zu. "Wer zur Hölle hat den Kaffee leer gemacht und keinen neuen gekocht?", polterte er durch den Raum, aber die anwesenden Polizisten blickten sich nur unschuldig gegenseitig an. Nur Skalany getraute sich "Murphys Gesetz" zu murmeln. "Murphy ist ein Arschloch", gab Kermit ihr missmutig zurück und machte sich dann daran, Kaffee zu kochen. Er hoffte inständig, dass er auch noch einen trinken konnte, ehe die Abschlussbesprechung für den gestern gelösten Fall losgehen würde. Während er eine neue Filtertüte einlegte und Pulver hinein füllte, dachte er über den gestrigen Tag nach. Er musste doch zugegeben, dass ihm ein dicker Kopf an diesem Morgen lieber war, als einen geisteskranken Serienkiller, der seine Opfer förmlich ausweidete, auf freiem Fuß zu wissen. Und Peter hatte den bedeutenden Hinweis geliefert, auch wenn er die Quelle nicht bekannt geben wollte. Ihm war also von seinem besten Freund die Freiheit gegönnt, an diesem Tag ausschlafen zu dürfen. Während er mit der rechten Hand Wasser aus einem großen Litermaß in den Tank der Maschine laufen ließ, fuhr er sich mit der linken über seinen Bürstenschnitt. Dann betätigte er den Startknopf des Kaffeebereiters und stapfte wieder in sein Büro. * Peter fühlte den hämmernden Kopfschmerz, ehe er die Augen öffnete. Direkt hinter seiner Stirn pochte sein Hirn unablässig im Takt seines Herzschlags. Er legte sich die Hand auf die Stirn und kniff die Lider zusammen, aber der Schmerz ließ nicht nach. *Annehmen und loslassen*, betete er sich in Gedanken vor, und allmählich ließ das Pochen nach. Er öffnete die Augen langsam ohne sich weiter zu bewegen, aber um ihn herum herrschte absolute Dunkelheit. Sein Verstand versuchte in der Zeit, sich an den gestrigen Abend und den Grund für diese Kopfschmerzen zu erinnern, was nicht schwer fiel. Sie waren im Delancys gewesen, die ganze Mannschaft, um zu feiern. Die Freunde vom 101. Revier hatten endlich einen Serienkiller schnappen können, den sie schon seit vier Wochen und vier Morden suchten. Letztendlich war Karen hochoffiziell in ihrer Position als Captain zu ihm gekommen und hatte ihn um Hilfe ersucht. Tatsächlich war es dem Shaolin gelungen über die Beweise und die Tatorte eine Verbindung zu dem Killer hinzukriegen und die Polizisten zu ihm zu führen. Peter musste grinsen, als er daran dachte. Sie waren alle furchtbar betrunken gewesen, besonders er selbst und Kermit hatten den Abend noch verlängert, während die anderen dann heimgefahren waren, Skalany hatte Cat im Loft abgesetzt. Es war also kein Wunder, dass sein Kopf jetzt pochte und schmerzte. Mit zunehmendem Wachzustand bemerkte er jetzt seinen belegten Mund, der sich anfühlte, als hätte man ihn mit dem Fell eines überfahrenen Eichhörnchens ausgestopft. Offenbar war er sogar zum Zähne putzen zu betrunken gewesen und einfach ins Bett gefallen. *Wenig Shaolinartiges Verhalten*, murmelte sein Geist in seinem Kopf, aber dennoch musste er schmunzeln. Er drehte sich auf die linke Seite, um Cat zu erreichen, ihr seinen Arm um den Bauch zu schlingen und einen Kuss auf ihre Schulter zu hauchen. Aber die plötzliche Bewegung ließ den Schmerz wieder aufflammen. Er verweilte einen Moment so liegend, ehe er den Arm hob und auf der anderen Bettseite langsam absenkte, bis er auf Cats Körper liegen bleiben sollte. Allerdings landete seine Hand in den leeren Laken. Die ersten Funken von Besorgnis durchzuckten seinen Geist. Wenn es noch so dunkel war, war es eigentlich unwahrscheinlich, dass sie schon auf sein konnte. Er hob den Kopf, ließ ihn aber sofort wieder in sein Kissen fallen. Erst im zweiten Versuch konnte er sich dem Schmerz erwehren und blickte in Richtung von Cats Nachttisch, um die roten Leuchtziffern auf ihrem Radiowecker lesen zu können. Aber auch dort herrschte absolute Dunkelheit. In seinem Inneren ertönten jetzt laute Sirenen. Er wollte nach ihr rufen, ihren Namen in die Dunkelheit sprechen, aber der realistische Teil seines Verstandes hielt ihn davon ab. Es gab tausend Möglichkeiten, wie das zusammenhängen konnte, und bei neunhundertachtzig würde das rufen ihres Namens nichts ausmachen. Bei den letzten zwanzig allerdings konnte es verheerende Auswirkungen haben. Der junge Mann schwang seine Beine aus dem Bett und musste sich zunächst wieder einen Moment die Stirn halten, um die pochenden Schmerzen abschütteln zu können. Seine Fähigkeit ihn zu unterdrücken, funktionierte an diesem Morgen bei weitem nicht so gut wie sonst. Er schrieb die Schuld dem Alkohol zu und machte somit die leidige Erfahrung, dass selbst ein Shaolin nicht vor einem Kater gefeit war. Urplötzlich hob er den Kopf an, diesmal den hämmernden Schmerz nicht bemerkend. Unter seinen Füßen spürte er Teppichboden. Alle seine Muskeln spannten sich noch weiter an, als sie es wegen der Abwesenheit seiner Verlobten schon ohnehin getan hatten. Stumm horchte er, konnte aber kein Geräusch vernehmen. Unbehagen breitete sich in ihm aus, ein merkwürdiges Gefühl, dass hier etwas ziemliches Großes und Heftiges auf ihn zukam - Der Loft hatte gar keinen Teppichboden. Langsam tasteten seine Finger nach der Nachttischlampe, fanden sie und schalteten das Licht an. Die Glühbirne blendete ihn, sodass er zunächst die Lider zukniff und sie nur langsam wieder öffnete. Langsam fanden seine Kopfschmerzen wieder einen Weg in sein Bewusstsein. Er sah sich um. "Was zum…", sagte er entsetzt und musterte den Raum. Er schloss die Augen, fuhr sich durch die Haare und öffnete sie wieder, aber das Bild, welches sich ihm bot, hatte sich nicht verändert. "Cat?", rief er jetzt doch laut aus, erhielt aber seiner eigenen Erwartung nach keine Antwort. Langsam erhob er sich und machte einige Schritte durch den Raum. Er wollte noch immer nicht glauben, wo er sich befand. Jemand musste ihm einen schlimmen Streich spielen, und mit ziemlicher Sicherheit keinen guten. Er trat aus dem Schlafzimmer heraus und war sich nun absolut sicher, wo er sich befand. Die offene Küche und das angeschlossene Wohnzimmer hatten sich nicht verändert. Seine Ausstattung, seine Bücher im Regal, sein dreckiges Geschirr vom Vorabend in der Spüle. Verwirrt blieb er stehen. Wie war so was möglich? Sicherlich konnte man das mit sehr viel Aufwand machen, aber woher kamen seine persönlichen Sachen in seine alte Wohnung? Die alten Möbel, von denen er einen Teil zum Sperrmüll gebracht hatte? Dann entdeckte er etwas auf dem Tresen, dass ihm für einen Moment den Atem raubte. Unsicher ging er darauf zu und nahm das glänzende Stück Metall in die Hand. Fast liebevoll strichen seine Finger darüber und malten die Zahlen seiner Dienstnummer nach. Dann nahm er seine Waffe in die Hand, sie war geladen. "Was geht hier vor?", murmelte er leise und ging weiter ins Wohnzimmer hinein. Seine Jacke lag auf dem Sofa, ein Kleidungsstück, dass er vor knapp vier Monaten weggeworfen hatte, weil es Löcher hatte. Er nahm sie hoch, sie war neu und unbeschädigt. Wieder fuhr er sich durch die Haare, sein Verstand ging jede Möglichkeit durch, was diese Situation bedeuten konnte. Als er die Hand aus seinem Haar wieder senken wollte, erstarrte er plötzlich und hielt die Luft an. Er nahm den zweiten Arm hinzu und starrte auf seine Unterarme; die Haut war glatt und ebenmäßig, die Shaolin-Male verschwunden. Lange blickte er darauf, ehe er sich selbst wieder in Bewegung versetzte und an sich hinab sah. Die Narben, welche Gaverton ihm zugefügt hatte, waren ebenfalls nicht mehr da, ebenso wenig wie das Zeichen der Sing Wah. Mit beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht, um alles zu verarbeiten, aber es ergab absolut keinen Sinn. Träumte er nur? War es das Gespräch zwischen ihm und Kermit am vergangen Abend, was ihn im Schlaf in die Vergangenheit gebracht hatte? Sein Blick glitt zu seinem Taschenkalender, der aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch neben Waffe und Marke lag. Zittrig griff er danach. Das heutige Datum stimmte, aber der Blick auf die Jahreszahl in der unteren Ecke ließ ihn erneut den Atem anhalten. Er war tatsächlich in der Vergangenheit, und sie lag genau drei Jahre zurück. Peter versuchte wieder eine Erklärung zu finden, denn die Situation fühlte sich unangenehm real an. Er sammelte im Geiste, was er bisher hatte: Er befand sich in seiner alten Wohnung, von Cat gab es keine Spur, geschweige denn einen Beweis ihrer Existenz, seine Waffe und seine Marke lagen hier, seine Male und die Narben der letzten Jahre waren verschwunden und der Kalender zeigte das Datum von damals. "Träum ich, oder habe ich geträumt?", sagte er leise zu sich selbst; und er hatte keine Antwort darauf. Wie in Zeitlupe ließ er sich aufs Sofa fallen und bedeckte das Gesicht mit seinen Händen. Er versuchte in sich hinein zu fühlen, sein Innerstes wahrzunehmen, sein Herz zu erfühlen. Aber alles was er spürte war Leere und Verwirrung. Vor seinem inneren Auge erschien Cats Gesicht, wie sie ihn anlachte, strahlte und sanft küsste. Aber er konnte keine Spur von ihr in seinem Herz finden, die Wärme, die dort herrschte seit er sie kennen gelernt hatte, war erkaltet. "Wo bist du Süße?", fragte er leise und traurig in seine Hände, bekam aber wieder keine Antwort. Stille Tränen bildeten sich in seinen Augen und bahnten sich langsam ihren Weg über seine Wangen. Nach einer Weile der Verzweiflung und der inneren Suche ohne Ergebnis, beschloss der junge Mann, zunächst erst mal duschen und sich somit erfrischen zu gehen. Vielleicht weckte das ja auch neue Wege in seinem Geist, die ihn endlich zu einer Antwort auf die vielen Fragen führen würden. Mit erneut aufbrausendem Kopfschmerz erhob er sich vom Sofa und blieb einen Moment stehen. Dann erst ging er mit schweren Gliedern und eingefallenen Schultern ins Bad, streifte die Boxershorts ab und stellte sich unter die Dusche. Das heiße Wasser half ihm tatsächlich. Seine Körperteile erwachten zu neuem Leben, die Schwere verabschiedete sich aus ihnen und auch seinem Kopf tat die Entspannung gut. Lange Zeit stand er einfach unter den vielen dünnen Strahlen der Brause und versuchte, an nichts zu denken, das wohlige Gefühl voll und ganz zu genießen. Erst nach einer ganzen Weile stellte er den Wasserhahn ab und wickelte sich mit einem Handtuch ein. Dann stellte er sich vor den Badezimmerspiegel und wischte mit der Hand über die dünne Nebelschicht, die sich darauf niedergelassen hatte. Sein Spiegelbild sah müde aus, entkräftet und außerdem ziemlich durcheinander. Peter musste kurz grinsen, als er bemerkte, dass er sich selbst analysierte, wie er sonst einen Fremden betrachtete. Schnell kämmte er sich seine nassen Haare nach hinten und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Es erstaunte ihn selbst, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in seiner früheren Wohnung zurechtfand. Zielsicher ging er an die richtigen Schubladen, um Socken, Shorts, Hemd und Hose zu holen. Aber konnte er wirklich so intensiv geträumt haben? Konnte es tatsächlich eine Finte seiner eigenen Phantasie sein, dass er glaubte, sein Leben wäre schon drei Jahre fortgeschritten? Er schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die nassen Haare. Dafür waren die Erinnerungen einfach zu real. Seine Schritte führten ihn wieder ins Wohnzimmer, wo noch immer das Notizbuch auf dem Tisch lag; Peter hob es auf. In der oberen Zeile, wo er immer seinen Dienst eingetragen hatte, stand 'frei', ansonsten war die Seite leer. Er blätterte zum nächsten Tag, aber auch dort war nur ein Vermerk für die Spätschicht. Die Tage zuvor befassten sich hauptsächlich mit dem Fall, den sie am Abend zuvor abgeschlossen hatten. Treffen mit seinen Informanten, Informationen, Ideen hatte er niedergeschrieben. Peter erinnerte sich an den Fall, der für ihn schon so lange zurücklag. Sie hatten wochenlang einen Serienkiller gejagt, der insgesamt sechs Menschen getötet hatte. Er hatte seine Opfer gefesselt und anschließend bei lebendigem Leibe begonnen, sie aufzuschneiden und ihre Organe zu entnehmen. Laut dem Bericht von Nicky Elder war er dabei so vorgegangen, dass die Menschen möglichst lange bei Bewusstsein blieben und unerträgliche Schmerzen litten, ehe sie verbluteten. Schnell war klar gewesen, dass es ich um jemanden mit anatomischen Kenntnissen gehandelt haben musste, aber erst ein Tipp von einer Prostituierten, die Peter befragt hatte, hatte ihn zum Täter geführt. Das Mädchen hatte ihm damals erzählt, dass ihr eine Kollegin von einem Kunden erzählt hatte, dessen Kleider Blutspritzer aufwiesen und der einen Krankenhausausweis am Hemd trug. Eigentlich hatte sie sich nur geekelt, weil der Kerl sich keine frischen Sachen angezogen hatte, ehe er zu ihr gekommen war, aber für die Cops war es der entscheidende Hinweis gewesen. Im Gegenzug hatte er das Mädchen herausgehalten, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Peter holte sich in die Gegenwart zurück und fuhr sich abermals durch die Haare, die langsam an der Luft antrockneten. Er blätterte weiter zurück, bis er eine Eintragung fand, die ihn erstarren ließ. 'Training mit Paps'. "Paps!" murmelte er leise. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Zeitreise (*oder was auch immer es ist*) bedeutete, dass sein Vater noch am Leben war. Und dass er hier war, in Chinatown, in seiner unmittelbaren Nähe. Peter ließ das Buch fallen und blickte unschlüssig auf seine Waffe. Damals war er nie ohne aus dem Haus gegangen, aber wollte er sie jetzt tragen? Wieder glitt sein Blick zu seinen leeren Unterarmen. Er konnte nicht sagen, wie viel Shaolin noch in ihm steckte, ob er sich zu wehren wusste, sollte er angegriffen werden. Schließlich steckte er sich das Holster an den Gürtel und schob die Marke in seine Gesäßtasche, dann eilte er aus der Wohnung. In der Tiefgarage stand sein Stealth dort, wo er immer gestanden hatte. Schnell stieg er ein und ließ den starken Motor an, der inbrünstig unter der Haube aufjaulte, als Peter auf das Gaspedal trat. Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen, endlich zum Loft zu kommen, um seinen Vater wieder in die Arme zu schließen. Dann aber blendete sein Geist wieder das Gesicht von Cat ein, von dieser wunderbaren Frau, die er heiraten wollte. Konnte seine Liebe zu ihr wirklich nur geträumt gewesen sein? Peter versuchte in sein Herz zu fühlen, einen Hinweis zu bekommen, ob diese Liebe wirklich real war, aber er spürte nur Verwirrung und Unsicherheit. Zudem überblendete die freudige Erwartung und Hoffung auf ein Wiedersehen mit seinem Vater jeden Versuch, seine eigenen Gefühle objektiv zu erforschen.
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