Im 101. Revier herrschte wie meistens Hochbetrieb. Peter und die anderen Detectives saßen vor Bergen von Schreibarbeit an ihren Schreibtischen, Chief Strenlich wachte mit strengem Auge über alles. Kermit hatte sich in seinem Büro verschanzt und war nur mit Gewalt von seinem Computer wegzubekommen und Captain Simms war im Moment für niemanden zu sprechen. Peter rauchte schon der Kopf, immerzu schellte irgendein Telefon, ständig wurden neue Frischverhaftete von den Streifenpolizisten herein gebracht, so dass sich vor den Verhörräumen schon Schlangen bildeten. "Mann, heute scheint beinahe jeder in dieser Stadt ein Verbrechen zu begehen, und der Captain hat uns überdies mit Arbeit für ein ganzes Jahr eingedeckt, ohne Urlaub und Wochenende." seufzte der junge Cop erschöpft. Er nahm einen hastigen Schluck aus seiner Kaffeetasse und verzog das Gesicht, weil der Kaffee nur noch lauwarm war. Wieder schellte ein Telefon, diesmal das von Jody. "101. Revier, Detective Powell? Ja, was . Nur die Ruhe, sprechen Sie langsam, sonst kann ich Sie nicht verstehen Wen? Ja, er ist da, Moment bitte. Peter, für dich!" Sie hielt ihrem Kollegen den Hörer hin. Peter ergriff ihn mit fragendem Gesichtsausdruck. Jody bedachte ihn mit einem Blick, der sagen sollte: 'irgend so ein Idiot', zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. "Detective Caine? Wer? Martin? Die Verbindung ist schlecht, können Sie lauter sprechen?" Die Stimme am anderen Ende klang entfernt und aufgeregt und überdies rauschte und knackste es in der Leitung, so dass Peter größte Mühe hatte, etwas zu verstehen. "Peter? Bist du es jetzt? Ich brauche dringend die Hilfe deines Vaters. Dein Großvater " Peter unterbrach den Sprecher, weil ihm plötzlich schlagartig klar wurde, mit wem er sprach. "Martin Bradshaw! Oder sollte ich Onkel Martin sagen? Wie war das mit meinem Großvater?" "Matthew geht es schlecht, ich glaube, er stirbt! Nur Kwai Chang Caine kann ihm helfen. Bitte " In diesem Moment brach die Verbindung endgültig zusammen. Es rauschte nur noch im Hörer. "Martin? Martin! Was ist mit Matthew? Martin!!" Doch Peter bekam keine Antwort. Wütend starrte er den Hörer an, bevor er ihn auflegte. Dann sprang er auf und griff nach seiner Jacke. "Ich muss dringend weg, Jody." sagte er. "Ach, tatsächlich?" ertönte eine andere Stimme hinter ihm. "Ist Ihr Vater mal wieder verschwunden, Detective Caine? Ich hoffe, Sie sind sich bewusst, dass sich Ihre Arbeit nicht von selbst erledigt." Captain Simms stand an den Rahmen ihrer Bürotüre gelehnt und bedachte Peter mit einem süffisanten Lächeln. Bei ihrer letzten Bemerkung hatte sie mit dem Kopf in Richtung von Peters übervollem Schreibtisch genickt. Peter hielt mitten in der Bewegung inne und dachte einen Moment über eine passende Antwort nach. "Es geht um einen internationalen Notfall, Captain." sagte er schließlich und setzte sein charmantestes Lächeln auf. "Ich muss " "Ihren Vater suchen." beendete Karen Simms Peters Satz und zog eine Augenbraue hoch. "Ich erwarte, dass Sie Ihre Arbeit zum festgesetzten Zeitpunkt erledigt haben. Na, gehen Sie schon und retten Sie gemeinsam mit Ihrem Vater ein weiteres Mal die Welt." fügte sie spöttisch hinzu. "Danke, Captain!" rief Peter erleichtert. "Sie sind die Größte!" Er stürmte aus der Tür, und während sich Jody und Blake viel sagende Blicke zuwarfen, hielt Captain Simms einen Moment inne und in ihrem Gesicht war zu lesen, dass sie sich über Peters spontanes Kompliment freute. Dennoch mischte sich dieser Ausdruck mit ihrer noch immer leicht spöttischen Miene. Dann drehte sie sich um und ging zurück in ihr Büro. *** "Paps? Paps, bist du da?" Peter stürmte in seiner üblichen, etwas unsensiblen Manier in das Haus, in dem sein Vater wohnte. Da Caine keine Klingel besaß, hatte sich sein Sohn die Unart angewöhnt, laut nach ihm zu rufen, sobald er den Flur vor der Wohnung betrat. Er machte sich in seiner impulsiven Art niemals Gedanken darüber, ob dies seinen Vater vielleicht störte, und Caine hatte ihn deswegen auch noch nie zurecht gewiesen. In stillem Einvernehmen hielten die beiden also an diesem etwas ungewöhnlichen Ritual fest. Wie üblich gab Caine keine Antwort auf Peters Rufen. Er stand vor seinen Regalen, die mit allerlei Töpfen und Gläsern voll Kräutern und Tinkturen gefüllt waren und schien eine Auswahl zu treffen, die er in einem Lederbeutel verstaute. "Willst du verreisen, Paps?" fragte Peter erstaunt. "Das geht nicht, dein Vater " "Ich weiß." unterbrach ihn sein Vater. "Ich wähle die Kräuter aus, die mir geeignet erscheinen und dann werde ich mich auf den Weg zu ihm machen." Mit einer ausladenden Geste wies er auf seinen Kräutervorrat. Peter konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. "Nach Frankreich kannst du aber nicht zu Fuß gehen." gab er etwas ironisch zu bedenken. Sonst pflegte sein Vater überall hin zu laufen, aber in diesem Fall erwies sich das tatsächlich als unmöglich. "Auch das weiß ich, mein Sohn." erwiderte Caine ernst. "Aber ein Flug kostet Geld und du hast keines." wandte Peter ein. Caine warf ihm einen seiner geheimnisvollen Blicke zu und Peter kam nicht umhin, einmal mehr zu denken, dass die Wege seines Vaters einfach unergründlich waren Aber eines wollte er nun dennoch wissen. "Verrat mir wenigstens, woher du weißt, dass es Großvater schlecht geht." Diesmal sah ihn Caine beinahe ärgerlich an, so als ginge es über seinen Verstand, dass sein Sohn nicht selbst darauf kam. "Ich habe es gespürt." sagte er schlicht und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Die Intuition, oder wie man das übersinnliche Gespür seines Vaters sonst nennen mochte, wagte Peter nicht in Frage zu stellen. Auf diesem Ohr war Caine für gewöhnlich taub, diese bittere Erfahrung hatte sein Sohn mehr als einmal gemacht. "Ich komme mit, Paps, lass mich dir helfen." forderte er stattdessen. "Nein, mein Sohn. Diesen Weg muss ich alleine gehen. Es ist ein gefährlicher Weg, denn dein Großvater hat mit Sicherheit keine normale Krankheit." Caine hielt den Kopf über seinen Beutel gesenkt, den er nun verschnürte und schulterte. Peter warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. "Meinst du Sing Wah, oder so was in der Art? Irgendeine dunkle Macht, die ihm etwas zuleide tun will? Aber wieso?" "Ich weiß noch nicht, wer oder was es ist. Bitte, Peter, es ist besser, wenn du hier bleibst." Caine sah seinen Sohn bittend an. Peter kannte diesen Blick und fühlte sich dann immer wie ein kleiner Junge, der sich nicht zu weit von seinem Elternhaus entfernen sollte, weil ihm sonst etwas passieren könnte. Und genau dieses Gefühl weckte in ihm auch immer den Drang zur Rebellion. Schließlich war er erwachsen und noch dazu Polizist, beste Vorraussetzungen also, um auf sich selbst aufpassen zu können und selbst entscheiden zu können, ob ihm etwas zu gefährlich war oder nicht. Diesmal jedoch zwang sich Peter, sich zu beherrschen, denn auch in diesem Punkt hätte eine Diskussion wenig Sinn. Er wagte noch einen Vorstoß in eine andere Richtung. "Interessiert es dich denn gar nicht, woher ich davon weiß?" wollte er wissen. Caine sah ihn verwundert an und zog dann eine Schulter hoch. "Ist das 'woher' so wichtig?" bemerkte er in eher beiläufigen Tonfall. Peter wusste zunächst keine Antwort darauf. Er ließ seinen Blick einen Moment aus dem Fenster über den Dachgarten schweifen. Als er sich umwandte, um seinem Vater noch einige unverfängliche Worte zu sagen, fand er sich allein in der Wohnung. *** Peter gingen einige Dinge durch den Kopf, während er zurück zum Revier fuhr. Er war fest entschlossen, seinem Vater zu folgen, ob dieser wollte oder nicht. Doch dazu musste er erst einmal Urlaub bekommen, und das war bei der jetzigen Arbeitslage das Letzte, was Captain Simms ihm gewähren würde. Und als nächstes brauchte er einen Flug nach Paris, von dort eine Verbindung nach St. Adele, mit dem Zug oder dem Bus oder was es da eben gab. Das war eine Aufgabe für Kermit, obgleich er sie sicher als unter seiner Würde empfinden würde. Peter seufzte. Er konnte das gar nicht alles gut machen, was sein Freund immer für ihn tat. Und was mochte seinem Großvater fehlen? Wer wollte einem alten allein stehenden Mann etwas Böses? Im Revier herrschte immer noch Hochbetrieb. Peters Chancen auf Urlaub schmolzen dahin wie Schnee in der Sonne "Nanu, schon zurück?" fragte Jody ihn verwundert. "Das ging aber mal schnell!" Peter warf ihr einen entschuldigenden Seitenblick zu. "Ich habe jetzt keine Zeit für lange Erklärungen." rief er ihr zu und verschwand in Kermits Büro. Dieser saß über seinen Computer gebeugt und seine Finger flogen über die Tastatur. Peter betrachtete seinen Freund einen Moment lang und fragte ihn dann schmunzelnd: "Würde mich mal interessieren, wie viele Tastaturen du pro Jahr so verbrauchst!" Kermit grinste ihn an. Seine Augen waren wie immer hinter einer dunklen Brille verborgen. "Och, da kommt schon ein bisschen was zusammen!" erklärte er leichthin mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Was willst du?" Peter erzählte seinem Freund in einigen Sätzen, was vorgefallen war und um was er ihn bitten wolle. Wie er es sich gedacht hatte, war Kermit nicht sehr begeistert von der Aussicht, Reisebüro spielen zu müssen, aber er stürzte sich dennoch wieder auf seine Tastatur. Ohne aufzusehen fragte er Peter: "Und wie willst du den Captain dazu kriegen, dass sie dir Urlaub gibt? Bei den Stapeln ungelöster Fälle auf deinem Schreibtisch?" "Berechtigte Frage. Ich hatte gehofft, du könntest mir auch da helfen." Peter sah seinen Kollegen bittend an. Kermit wandte sich um, schob seine Brille auf die Nasenspitze und betrachtete Peter darüber hinweg prüfend. "Wie stellst du dir das vor? Mir reichen die Stapel selber bis über beide Ohren, wie du siehst." "Ich dachte eher, du könntest vielleicht ein gutes Wort ?" Kermit ließ ihn gar nicht zu Ende sprechen. "Oh, nein, mein Lieber, dass könnte dir so passen, dass ich bei ihr zu Kreuze krieche, damit du die Welt retten kannst. Das mach mal schön selber! Tut dir zur Abwechslung mal ganz gut, ein wenig Demut zu üben!" Er grinste beinahe diabolisch bei der Vorstellung eines unterwürfigen, um Urlaub bettelnden Peter in Karen Simms' Büro. Dieser quittierte Kermits Schadenfreude mit einem vernichtenden Blick. "Du siehst mich scheinbar schon auf den Knien vor ihr herum rutschen." merkte er lakonisch an, worauf Kermits Grinsen noch ein wenig breiter wurde. "Na, mach schon, dann hast du's hinter dir. Und bis dahin hab ich dann auch eine Verbindung für dich und vielleicht auch die ein oder andere nützliche Information." Er stand auf, klopfte Peter aufmunternd auf die Schulter und schob ihn in Richtung Türe. *** Irgendwie hatte Peter es am Schluss doch geschafft, dem Captain ein paar Tage Urlaub abzuringen. Rasch packte er das Nötigste zusammen und wollte schon sein Apartment verlassen, als ihm einfiel, dass er auch seinen Pass brauchen würde. Er durchstöberte die Schublade mit seinen persönlichen Gegenständen danach und dabei fiel ihm ein abgegriffenes Notizbuch in die Hände. Großvaters Tagebuch. Er überlegte einen Moment, dann steckte er es rasch zusammen mit dem Pass in seine kleine Reisetasche, Er hatte das unbestimmte Gefühl, als ob er das Büchlein noch brauchen würde. Mit der Verbindung von Kermit in der Tasche, einem hinterlegten Flugticket und viel Entschlossenheit ausgestattet, langte er schließlich am Flughafen an. Von Weitem sah er seinen Vater und einen kleinen, gebeugten Mann mit dickem Mantel und flacher Mütze vor dem Flughafengebäude stehen. "Lo Si?" murmelte Peter verwundert. Er überlegte, ob er sich zurück halten sollte, aber früher oder später würde sein Vater seine Anwesenheit spüren. Dessen konnte er sich sicher sein. Noch hatte er ihn nicht gesehen, aber normalerweise brauchte Kwai Chang Caine nicht unbedingt seine Augen, um jemanden zu bemerken. Die beiden betraten nun das Gebäude und Peter beschloss trotz allem, sich ihnen vorerst nicht zu zeigen. Sonst würde ihn sein Vater bestimmt zum Umkehren bewegen wollen. Es genügte, wenn er ihn im Flugzeug bemerkte, wo er ihn nicht mehr zurück schicken konnte, als sei er verbotenerweise von zu Hause weg gegangen. Er wartete also, bis die beiden eingecheckt hatten, ehe er selbst zum Schalter ging. Ich möchte wissen, woher sie das Geld für den Flug haben, fragte sich Peter, als er sein eigenes, reserviertes Ticket abholte. Auch beim Einsteigen hielt er ausreichend Abstand und stieg erst mit den Letzten in die Maschine. Lo Si und Caine nahmen ziemlich weit vorne Platz. Peter hoffte, sein Platz wäre möglichst weit hinten und studierte die Platznummer auf dem Ticket, als Caine sich umwandte und ruhig sagte: "Dein Platz ist hier vorne, mein Sohn." Er wies auf einen Sitz in der Reihe hinter seinem eigenen Platz. Peter sah ihn einen Moment lang verblüfft an, obgleich er mit etwas Ähnlichem gerechnet hatte und ergab sich dann in sein Schicksal. "Du hast gewusst, dass ich hier bin, Paps." stellte er halb fragend fest, als sie sich gesetzt hatten. "Ja." Caine sah seinen Sohn ernst an. "Vielleicht verliere ich meinen Vater, aber es wäre eine zu große Bürde, auch meinen Sohn zu verlieren." Bei diesen Worten senkte der alte Mann den Kopf und betrachtete scheinbar unbewegt seine im Schoß gefalteten Hände. Peter legte ihm über die Sitzlehne hinweg eine Hand auf die Schulter. "Keine Sorge, Paps, ich verspreche dir, ich werde gut auf deinen Sohn aufpassen." Er zwinkerte ihm zu und ein kleines Lächeln spielte dabei um seine Mundwinkel. Caine legte seine Hand auf die seines Sohnes und drückte sie kurz. Peter schluckte. Erst jetzt wurde ihm klar, warum sein Vater ihn so oft nicht dabei haben wollte, wenn er sich einer Gefahr oder etwas Unbekanntem stellte: Er hatte Angst um ihn. Merkwürdig, dass er sich darüber nie Gedanken gemacht hatte, umgekehrt hatte er doch auch immer wieder Angst um seinen Vater. "Wir sind eine Familie, Paps. Wenn es meinem Großvater schlecht geht, will ich ihm helfen, so wie ich dir helfen würde, oder du mir. Wir haben schon so viel gemeinsam geschafft, warum sollten wir jetzt etwas fürchten?" Caine drehte sich um, lächelte Peter an und verabreichte ihm einen kleinen Puff auf die Wange. Etwas verlegen hielt dieser sich die Wange und erwiderte Caines Lächeln. An diese Liebesbezeugung seines Vaters würde sich Peter wahrscheinlich nie gewöhnen, wenngleich er zugeben musste, dass es Zeiten gegeben hatte, als ihm das sehr gefehlt hatte.
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