Epilog A Peter erwachte zum einen von dem Druck seiner Blase, zum anderen glaubte er, ein Geräusch gehört zu haben. Sofort war er hellwach. Waren die Sing Wah zurückgekehrt? Er sah sich im Zimmer um, so gut das in der Dunkelheit möglich war und bemerkte, dass der Schlafplatz seines Vaters verlassen war. Peter lag im Gästebett, während Caine und Lo Si sich ganz nach Shaolin-Art ein einfaches Lager am Boden gerichtet hatten. Jetzt befand sich dort nur noch die zerwühlte dünne Decke, unter der Caine geschlafen hatte. "Lo Si?" fragte Peter leise ins Dunkel, doch er bekam keine Antwort. Also schaltete er die Lampe neben dem Bett ein und fand auch Lo Sis Lagerstatt verwaist. "Was ?" Peter griff nach dem Wecker auf dem Nachttisch. Die Zeiger standen auf halb sechs. Für einen Shaolin ist die Nacht spätestens um fünf Uhr zu Ende, fiel Peter ein. Dabei spielte es keine Rolle, dass es draußen tiefster Winter und somit noch an die drei Stunden dunkel war. Caine und Lo Si waren schlicht und ergreifend schon aufgestanden. Peters volle Blase rief sich ihm nun mit Nachdruck ins Gedächtnis, also schwang auch er sich seufzend aus dem Bett und verschwand erst einmal im Bad. Während Peter die Treppe hinunter tappte, dachte er, dass er seit seiner Zeit im Tempel nur selten mit seinem Vater unter einem Dach, geschweige denn in einem Raum geschlafen hatte. Unten saß Lo Si in der dunklen Küche am Tisch, vor sich eine brennende Kerze und eine Tasse dampfenden Tees. "Guten Morgen, Peter!" begrüßte er ihn vergnügt. "Möchtest du auch einen Tee? Er ist frisch aufgebrüht!" "Danke, Lo Si, vielleicht später. Wo ist eigentlich mein Vater?" "Bei deinem Großvater." sagte der Ehrwürdige leise und legte einen Finger auf die Lippen. Peter nickte, dann gähnte er herzhaft und reckte sich, dass die Gelenke krachten. "Ich könnte eher einen starken Kaffee gebrauchen." murmelte er vor sich hin. Auf einmal war er wieder fürchterlich schläfrig. Er beschloss, sich im Wohnzimmer noch etwas auf die Couch zu legen und ließ Lo Si mit seinem Tee alleine. Die Tür zu Matthews kleinem Schlafzimmer stand halb offen und ein flackerndes Licht fiel in das dunkle Wohnzimmer. Anscheinend hatte Caine auch dort nur Kerzen angezündet. Peter schlich sich zum Sofa und ließ sich darauf nieder. Er gähnte noch einmal verhalten und wollte schon die Decke um sich ziehen, die er ertastet hatte, als er die leisen Stimmen im Schlafzimmer seinen Namen sagen hörte. "Peter hat dich gerettet, Vater. Ohne ihn
hätten wir dir nicht helfen können." "Du kannst wirklich stolz auf ihn sein, mein Sohn. Er ist ein wunderbarer und ungewöhnlicher junger Mann. Ich kann die tiefe Verbindung zwischen euch spüren. Du liebst ihn sehr." Der letzte Satz war halb eine Frage und halb eine Feststellung. Caine nickte. "Es gibt niemanden auf der Welt, der mir mehr bedeutet, Vater. Einmal schon habe ich ihn verloren geglaubt. Dieser Schmerz war der grausamste, den ich je ertragen musste." Seine Stimme bebte merklich, als er sich an seine Gefühle von damals erinnerte. Peter schluckte trocken. Er stand vor den Blicken der beiden verborgen, hinter der halbgeöffneten Türe. "Es gibt für Eltern nichts Schlimmeres, als ihre Kinder zu verlieren." bestätigte Matthew. "Ich habe nur einen meiner Söhne kennen lernen dürfen. Dennoch waren sie alle für mich da, als ich sie brauchte. Das ist ein sehr kostbares Geschenk für mich. Auch dein Sohn ist für dich da, wenn du ihn brauchst. Unsere Söhne sind die Freude unseres Lebens." Er lächelte und Caine erwiderte das Lächeln. "Nichts konnte Peter davon abhalten, mir hierher zu folgen. Er ist manchmal so ungestüm!" Peter musste auch lächeln, als er das hörte. Er beschloss, sich zurück zu ziehen und tastete sich zum Sofa vor. Dabei stieß er sich ziemlich schmerzhaft die große Zehe und unterdrückte einen Aufschrei. Caine und Matthew horchten auf. "Peter?" fragte Caine ins Dunkel. Schuldbewusst zog Peter die Türe auf und gab sich zu erkennen. "Verzeih mir, Vater, dass ich euch belauscht habe." sagte er leise. "Das war falsch." Caine sah ihn nur wortlos an. Peter fühlte sich miserabel und zog sich mit hängendem Kopf auf die Couch zurück. Es war wirklich nicht sehr anständig gewesen, ein derart intimes Gespräch zu belauschen. Peters Augen brannten. Sein Vater hatte so berührende Dinge über ihn gesagt, und er hatte sich selbst zugleich von einer so schlechten Seite gezeigt. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Peter
drehte sich erschrocken um. "Was du gehört hast, hat dich sehr bewegt, mein Sohn." Caine setzte sich neben Peter auf das Sofa. Peter sah seinen Vater an und eine Träne rollte über seine Wange. "Ich hätte es niemals hören sollen. Es war nicht für mich bestimmt." Caine legte ihm einen Arm um die Schultern, die andere Hand legte er auf sein Herz. "Was ich gesagt habe, war aus ganzem Herzen
für dich bestimmt, mein Sohn." "Paps
ich liebe dich." sagte er
erstickt und umarmte seinen Vater. Caine erwiderte die Umarmung mit einem
zärtlichen Lächeln auf den Lippen. *** Es dämmerte bereits, als Martin und Dominic herunter kamen. Die vier Frühaufsteher saßen bei Tee und Kerzenlicht am Küchentisch. Matthew empfing seine Söhne mit einem warmen Lächeln, als sie sich zu ihnen setzten. "Nun habe ich meine ganze Familie an einem Tisch!" sagte er glücklich. "Ich muss euch allen dafür danken, was ihr für mich getan habt. Ich stehe tief in eurer Schuld." Keiner wusste so recht, was er erwidern sollte. Stattdessen sahen sie sich in schweigendem Einvernehmen an. Draußen stieg die Sonne über den Horizont und ein warmer Lichtstrahl fiel durch das Küchenfenster auf den Tisch. "Wir haben gemeinsam die Dunkelheit besiegt!" sagte Peter mit einem Grinsen. "Ihr bringt mehr Licht in mein Haus und in mein altes Herz, als jeder Sonnenstrahl." meinte Matthew und breitete die Arme aus, als wolle er sie alle umarmen. Befreites Gelächter erfüllte die kleine Küche in dem kleinen Haus im Dörfchen St. Adele. Ende
|
Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 zurück zum Autoren Index zurück zum Story Index
|